Fachinfos - Judikaturauswertungen 22.05.2025

Informationszugang: Verweis auf fehlende Unterlagen genügt nicht

EuG 14.5.2025, T-36/23, Stevi und The New York Times Company gg. Europäische Kommission

Eine Journalistin begehrte Unterlagen von der Europäischen Kommission (EK). Diese verweigerte deren Herausgabe, weil sich die Unterlagen nicht in ihrem Besitz befänden. Der hierauf erhobenen Klage gab das Europäische Gericht (EuG) statt: Die EK hätte eine plausible Erklärung abgeben müssen, die den Nichtbesitz der angeforderten Unterlagen zu rechtfertigen vermag.

Sachverhalt

Die Klägerin, eine bei The New York Times beschäftigte Journalistin, beantragte Zugang zu sämtlichen Textnachrichten, die in der Zeit vom 1. Januar 2021 bis zum 11. Mai 2022 zwischen der Präsidentin der EK und dem Chief Executive Officer des Pharmaunternehmens Pfizer ausgetauscht worden waren. In ihrer Antwort an die Klägerin erklärte die EK, dass sie nicht in der Lage sei, dem Begehren stattzugeben, weil sie nicht im Besitz der angefragten Dokumente sei.

Hierauf erhoben die Klägerin sowie The New York Times Klage beim EuG und beantragten die Nichtigerklärung der angefochtenen Entscheidung der EK. Sie machten im Wesentlichen Verstöße gegen die den Informationszugang regelnde Verordnung (EG) Nr. 1049/2001, die Informationsfreiheit gemäß Art. 11 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (GRC) sowie den Grundsatz der guten Verwaltung gemäß Art. 41 GRC geltend.

Entscheidung des Europäischen Gerichts

Das EuG entschied, die Klage sei hinsichtlich der Klägerin, nicht jedoch hinsichtlich der ebenfalls klagenden The New York Times zulässig. Insoweit die Journalistin betroffen sei, sei sie auch begründet:

Der Nichtbesitz von Unterlagen muss bewiesen werden

Jede Verweigerung des Zugangs zu Dokumenten, die von einem Organ der Europäischen Union (EU) angefordert werden, könne gerichtlich angefochten werden. Dies gelte unabhängig davon, welche Gründe für die Zugangsverweigerung angegeben würden. So führe auch die Nicht-Existenz eines Dokuments nicht zur Unanwendbarkeit des Transparenzgebots und des Rechts auf Zugang zu Dokumenten. Es sei vielmehr Sache des jeweiligen Organs, den Antragsteller:innen zu antworten und die aus diesem Grund erfolgende Verweigerung des Zugangs zu begründen sowie dies gegebenenfalls dann auch vor Gericht zu rechtfertigen.

Freilich setze die Ausübung des Zugangsrechts zwangsläufig voraus, dass die angeforderten Dokumente existierten und sich im Besitz des betreffenden Organs befänden. Erklärte ein Organ, dass das fragliche Dokument nicht existiere, so werde die Richtigkeit dieser Erklärung vermutet. Eine solche Vermutung könne jedoch von Antragsteller:innen auf der Grundlage relevanter und übereinstimmender Indizien entkräftet werden. Werde die Vermutung entkräftet und könne sich die EK sohin nicht mehr auf sie berufen, so habe sie die Nichtexistenz oder den Nichtbesitz der angeforderten Dokumente durch plausible Erklärungen zu beweisen und eine Begründung für das Nichtvorliegen der Dokumente zu geben. Aus dem Recht auf Zugang zu Dokumenten folge nämlich auch, dass die betreffenden Organe die Unterlagen zu ihren Tätigkeiten so weit wie möglich in willkürfreier und vorhersehbarer Art und Weise erstellten und aufbewahrten.

In der angefochtenen Entscheidung habe die EK ausgeführt, dass sie nicht in der Lage sei, dem Antrag auf Zugang zu Dokumenten stattzugeben, weil sie kein Dokument besitze, das der Beschreibung im Antrag entspreche. In der mündlichen Verhandlung habe die EK die Existenz des in Rede stehenden Austauschs von Textnachrichten weder bestätigt noch in Abrede gestellt und nur vermutet, dass dieser Austausch möglicherweise stattgefunden habe; sie sei – so die EK – aber jedenfalls nicht im Besitz dieser Dokumente. 

Nach Ansicht des EuG beruhten die Antworten der EK entweder auf Vermutungen oder ungenauen Informationen. Es sei daher zu prüfen, ob die Klägerinnen relevante und übereinstimmende Indizien dafür beigebracht hätten, dass die EK zu einem bestimmten Zeitpunkt im Besitz der angeforderten Textnachrichten gewesen sei, was in Anbetracht der Angaben der EK auf die Prüfung hinauslaufe, ob es solche Dokumente geben könne.

Hierzu wiesen die Klägerinnen darauf hin, dass die Existenz der angeforderten Dokumente durch einen am 28. April 2021 in der New York Times veröffentlichten Artikel enthüllt worden sei, der auf der Grundlage von Interviews verfasst worden sei, die Frau Stevi mit der Präsidentin der EK und dem Chief Executive Officer des Pharmaunternehmens Pfizer geführt habe. Daraus gehe unter anderem hervor, dass "[die Präsidentin der EK] einen Monat lang mit (…) dem Chief Executive Officer [des Pharmaunternehmens] Pfizer Textnachrichten ausgetauscht und Telefongespräche geführt" habe. Aus dem genannten Artikel gingen auch weitere Kontakte zwischen dem Chief Executive Officer und der Präsidentin der EK hervor. Die Klägerinnen hätten demnach relevante und übereinstimmende Anhaltspunkte vorgelegt, die das Bestehen von wiederholtem mündlichen und schriftlichen Austausch, insbesondere Textnachrichten, zwischen der Päsidentin der EK und dem Chief Executive Officer von Pfizer im Rahmen des Kaufs von Impfstoffen durch die EK beschrieben.

Wichtige Unterlagen müssen aufbewahrt werden

Aus dem Recht auf Zugang zu den im Besitz des betreffenden Organs befindlichen Dokumenten folge eine Verpflichtung dieses Organs, auch deren Aufbewahrung über einen längeren Zeitraum sicherzustellen; diese Verpflichtung stehe mit der in Art. 41 der GRC verankerten Verpflichtung zu einer guten Verwaltung im Zusammenhang.

Das EuG hielt fest, dass die EK nach dem Transparenzgebot und der Sorgfaltspflicht verpflichtet sei, plausible Erklärungen dafür zu geben, warum die angeforderten Dokumente nicht auffindbar gewesen seien. Im vorliegenden Fall habe die EK angegeben, nicht im Besitz der angeforderten Dokumente zu sein, und zwar trotz erneuter eingehender Nachforschungen. Allerdings habe die EK den Umfang oder die Einzelheiten dieser Nachforschungen nicht präzisiert: Weder habe sie angegeben, welche Arten von Nachforschungen durchgeführt, noch, welche Dokumentenspeicherorte eingesehen worden seien.

Die EK mache dahingehend nur geltend, dass die Einzelheiten der Suche nach den angeforderten Dokumenten keinen Einfluss auf die Frage hätten, ob sie sich im Besitz dieser Dokumente befinde oder nicht. Mangels genauerer Erläuterungen dazu, wie die angeforderten Dokumente gesucht worden seien, verstoße sie jedoch gegen ihre Pflicht, plausible Erklärungen für den Nichtbesitz von Dokumenten zu geben, die in der Vergangenheit existiert hätten. Folglich reichten weder die in der angefochtenen Entscheidung noch jene im Rahmen des vorliegenden Verfahrens gegebenen Erklärungen der EK zu den durchgeführten Nachforschungen aus, um glaubhaft zu erklären, warum diese Dokumente nicht auffindbar gewesen seien.

Die EK mache zudem geltend, dass es praktisch unmöglich sei, alle von ihr erstellten und empfangenen Dokumente zu registrieren und aufzubewahren, weil ihre täglichen Tätigkeiten viele digitale Dateien generierten, und dass daher gemäß ihrer internen Politik der Schriftgutverwaltung nur solche Dokumente gespeichert und aufbewahrt würden, die wichtige dauerhafte Informationen enthielten oder die Folgemaßnahmen nach sich zögen.

Allerdings setze – so das EuG – die wirksame Ausübung des Rechts auf Zugang zu Dokumenten voraus, dass die betreffenden Organe so weit wie möglich in willkürfreier und vorhersehbarer Art und Weise Unterlagen über ihre Tätigkeiten erstellten und aufbewahrten. Somit dürften die Organe das Recht auf Zugang zu den Dokumenten, die sich in ihrem Besitz befinden, nicht dadurch aushöhlen, dass sie es unterließen, die Unterlagen zu ihren Tätigkeiten zu registrieren. Dass die in Rede stehenden Textnachrichten keine wichtigen Informationen seien, habe die EK nicht dargelegt.

Ergebnis: Nichtigerklärung der Entscheidung der EK

Zusammenfassend sei festzustellen, dass die EK in der angefochtenen Entscheidung keine plausible Erklärung abgegeben habe, weshalb sie die angeforderten Dokumente nicht habe auffinden können. Auch die weiteren Angaben der EK im Verfahren erfüllten nicht die entsprechenden Anforderungen, weil sie nicht erkennen ließen, was mit den angeforderten Dokumenten konkret geschehen sei.

Da die Vermutung der Nichtexistenz der angeforderten Dokumente durch die Klägerinnen entkräftet worden sei, sei es Sache der EK gewesen, eine plausible Erklärung zu geben, warum sie die angeforderten Dokumente, die zwar in der Vergangenheit, aber nicht mehr zum Zeitpunkt des Antrags auf Zugang existiert hätten (oder die zumindest nicht mehr auffindbar gewesen seien), nicht habe finden können. Die EK habe sich im Wesentlichen auf die Angabe beschränkt, dass sie nicht im Besitz dieser Dokumente sei. Unter diesen Umständen sei festzustellen, dass die EK gegen die Verpflichtungen verstoßen habe, die ihr bei der Bearbeitung des Antrags auf Zugang zu Dokumenten oblägen, womit sie wiederum gegen den in Art. 41 GRC vorgesehenen Grundsatz der guten Verwaltung verstoßen habe.

Aus diesen Gründen gab das EuG der Klage statt und erklärte die angefochtene Entscheidung der EK für nichtig.

Vgl. zu diesem Verfahren die Pressemitteilung und den Volltext der Entscheidung.