Fachinfos - Judikaturauswertungen 05.08.2024

Interpellationsrecht und Auskunftspflichtgesetz #1

BVwG 5.3.2024, W221 2283936-1/3E

Das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) wies die Beschwerde eines Abgeordneten zum Nationalrat betreffend die Verweigerung eines Auskunftsbegehrens gemäß dem Auskunftspflichtgesetz durch den Bundesminister für Bildung, Wissenschaft und Forschung (BMBWF) ab. Das Interpellationsrecht verdränge den Auskunftsanspruch gemäß dem Auskunftspflichtgesetz als speziellere Regelung; Nationalratsabgeordnete dürften Auskunftsbegehren daher ausschließlich auf das parlamentarische Fragerecht stützen.

Sachverhalt

Am 12. Juni 2023 stellte der Beschwerdeführer, ein Abgeordneter zum Nationalrat, ein Auskunftsbegehren gemäß §§ 2 und 3 des Auskunftspflichtgesetzes an den BMBWF. Er verlangte Antworten auf drei Fragen und argumentierte, dass er diese Auskünfte für seine weitere parlamentarische Tätigkeit benötige. Dabei trat er auch ausdrücklich in seiner Funktion als Abgeordneter zum Nationalrat auf.

Der BMBWF verweigerte die Beantwortung der Fragen und führte zusammengefasst aus, dass nicht anzunehmen sei, dass durch Art. 20 Abs. 4 B-VG und das Auskunftspflichtgesetz jedes Staatsorgan mit einem allgemeinen Auskunftsanspruch gegenüber den (bzw. anderen) Verwaltungsorganen ausgestattet werden sollte. Das Verhältnis zwischen dem Nationalrat und den Mitgliedern der Bundesregierung werde vielmehr durch bestimmte verfassungsgesetzlich vorgesehene Rechtsinstrumente abschließend geregelt, was insbesondere für die vorgesehenen parlamentarischen Kontrollrechte, konkret das Recht zur Interpellation, gelte. Es sei umgekehrt auch nicht Zweck des Auskunftspflichtgesetzes, parlamentarische Kontrollrechte auf jeden auszudehnen. Des Weiteren sehe § 6 Auskunftspflichtgesetz ausdrücklich vor, dass dieses nicht anzuwenden sei, soweit nach Bundesgesetzen besondere Auskunftspflichten bestünden. Im gegenständlichen Fall bestehe somit kein Auskunftsanspruch gemäß dem Auskunftspflichtgesetz.

Der Beschwerdeführer brachte hingegen vor, dass der BMBWF § 6 Auskunftspflichtgesetz denkunmöglich und somit willkürlich auslege und es sich bei den Kontrollrechten des Nationalrates nicht um besondere Auskunftspflichten im Sinne des § 6 Auskunftspflichtgesetz handle. Andernfalls hätte das Auskunftspflichtgesetz keinerlei Anwendungsbereich, da jegliches Auskunftsbegehren insoweit von den genannten Regelungen verdrängt würde. Das Recht auf Auskunft stehe "jedermann" und somit auch Abgeordneten zum Nationalrat zu. Einzelne Abgeordnete zum Nationalrat seien keine Organe des Nationalrates und somit keine Staatsorgane, sondern lediglich Mitglieder eines staatlichen Kollegialorgans und somit "Private". Sie würden auch kein Amt ausüben, sondern einem "Beruf" nachgehen. Zudem hätte der BMBWF den Antrag allenfalls ab-, aber nicht zurückzuweisen gehabt. Aufgrund seiner Stellung als "watchdog" im Sinne der Rechtsprechung des EGMR komme dem Beschwerdeführer außerdem ein aus Art. 10 EMRK abgeleitetes Recht auf Zugang zu Informationen zu. Für den EGMR stelle Interpellation politische Rede dar, die "zweifellos" von Art. 10 EMRK geschützt sei.

Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts

Das BVwG wies die Beschwerde als unbegründet ab und begründete seine Entscheidung unter Hinweis auf die bisherige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (VwGH) zum Auskunftspflichtgesetz wie folgt:

Aus § 6 Auskunftspflichtgesetz ergebe sich, dass dieses Gesetz nicht anzuwenden sei, soweit nach anderen Bundesgesetzen besondere Auskunftspflichten bestünden. Das aus dem Auskunftspflichtgesetz herrührende Auskunftsrecht trete folglich als subsidiär hinter anderen, spezielleren Auskunftsrechten zurück. Eine solche besondere Auskunftspflicht ergebe sich aus Art. 52 Abs. 1 B-VG bzw. § 90 Geschäftsordnungsgesetz 1975 (GOG-NR), zumal aus der rechtswissenschaftlichen Literatur hervorgehe, dass auf diese Bestimmungen gestützte Anfragen obligatorisch zu beantworten seien und das daraus resultierende Auskunftsrecht "logischerweise" einem engeren Berechtigtenkreis zukomme als das "jedermann" zukommende Auskunftsrecht gemäß dem Auskunftspflichtgesetz.

Da der Beschwerdeführer im gegenständlichen Fall in seiner Funktion als Abgeordneter zum Nationalrat aufgetreten sei und die Kontrollbefugnis des Nationalrats wie oben bereits dargelegt nur mit den Mitteln, die das B-VG vorsehe, ausgeübt werden dürfe, könne er sein Auskunftsbegehren lediglich auf Art. 52 Abs. 1 B-VG bzw. § 90 GOG-NR stützen, sodass das Auskunftspflichtgesetz gemäß § 6 leg.cit. im gegenständlichen Fall nicht anwendbar sei. Das Auskunftspflichtgesetz verliere in der Auslegung, wie sie das BVwG wähle, auch keineswegs seinen Anwendungsbereich; es gebe weiterhin Fallkonstellationen, in denen keine besondere Auskunftspflicht aus einem anderen Bundesgesetz bestehe. Die Rechtsansicht des Beschwerdeführers, wonach das Auskunftspflichtgesetz trotz des Bestehens der besonderen Auskunftspflicht gemäß Art. 52 Abs. 1 B-VG bzw. § 90 GOG-NR anwendbar sei, würde vielmehr dazu führen, dass die Subsidiaritätsregelung des § 6 Auskunftspflichtgesetz ad absurdum geführt würde und somit in jedem Fall ein Auskunftsanspruch gemäß diesem Gesetz bestünde. Dies sei aber mit dem Bestehen besonderer, vorrangig zur Anwendung kommender Auskunftspflichten sowie mit dem Umstand, dass die Kontrollbefugnis des Nationalrats nur mit den im B-VG vorgesehenen Mitteln ausgeübt werden soll, nicht sinnvoll in Einklang zu bringen.

Soweit sich der Beschwerdeführer auf Art. 10 EMRK berufe, sei nicht erkennbar, wie die fehlende Möglichkeit des Beschwerdeführers in seiner Funktion als Nationalratsabgeordneter gemäß dem Auskunftspflichtgesetz vorzugehen, seine Freiheit der Meinungsäußerung einschränken sollte, zumal ihm die Möglichkeit zur Verfügung stehe, parlamentarische Anfragen zu stellen. Diesbezüglich sei auch aus dem Verweis auf das Urteil des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte (EGMR) vom 8. November 2016, Nr. 35493/13, Szanyi, nichts gewonnen, weil der dieser Entscheidung zugrundeliegende Sachverhalt von einem Oppositionspolitiker im ungarischen Parlament handle, dessen schriftliche Anfragen vom Präsidenten des Parlaments abgelehnt worden waren, was eine Verletzung von Art. 10 EMRK dargestellt hatte. Genau diese Konstellation liege hier jedoch nicht vor, da es dem Beschwerdeführer möglich war, sein ihm zukommendes parlamentarisches Interpellationsrecht wahrzunehmen.

Aus den dargelegten Gründen sowie im Hinblick auf die Vorjudikatur sei folglich festzuhalten, dass die Zurückweisung des Antrags durch den BMBWF zu Recht erfolgt sei.

Das BVwG erklärte aber gleichzeitig die Revision für zulässig, weil der VwGH sich bislang noch nicht mit der Frage der Anwendbarkeit des Auskunftspflichtgesetzes im Fall einer Anfrage eines Abgeordneten zum Nationalrat und einer allfälligen Subsidiarität im Sinne des § 6 Auskunftspflichtgesetz gegenüber dem Interpellationsrecht gemäß Art. 52 Abs. 1 B-VG bzw. § 90 GOG-NR befasst habe. Der Lösung dieser Rechtsfrage komme insofern eine grundsätzliche Bedeutung zu, als denkbar sei, dass es zu einer Vielzahl gleich bzw. ähnlich gelagerter Fälle, in denen Abgeordnete zum Nationalrat in Ausübung ihrer Funktion Auskünfte auf Grundlage des Auskunftspflichtgesetzes anstatt unter Berufung auf andere Rechtsgrundlagen begehren, kommen könnte.

Vgl. zu diesem Verfahren den Volltext der Entscheidung.