Fachinfos - Judikaturauswertungen 15.12.2022

Keine Amtshaftung wegen mangelhafter Dokumentation in COVID-19-VO-Akt

OGH 18.5.2022, 1 Ob 75/22v

Der Oberste Gerichtshof (OGH) wies die außerordentliche Revision der Klägerin in einem auf Ersatz des Verdienstentgangs gerichteten Amtshaftungsverfahren im Zusammenhang mit der vom Verfassungsgerichtshof (VfGH) wegen Gesetzwidrigkeit aufgehobenen COVID-19-Maßnahmenverordnung (BGBl II 96/2020) zurück. In der Beurteilung der Vorinstanzen, die das Vorgehen des damaligen Bundesministers für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz (BMSGPK) beim Erlass der ersten Verordnung als vertretbar werteten, sah der OGH keinen Korrekturbedarf.

Sachverhalt

In mehreren Erkenntnissen hob der VfGH je Teile der im Frühjahr 2020 geltenden COVID-19-Maßnahmenverordnung auf. Dies jeweils mit der Begründung, dass es (angesichts der inhaltlich weitreichenden Ermächtigung des Verordnungsgebers im COVID-19-Maßnahmengesetz) im Hinblick auf das Legalitätsprinzip geboten sei, die Gründe für die Erforderlichkeit der getroffenen COVID-19-Maßnahmen im Verordnungsakt zu dokumentieren.

Die Klägerin begehrte – gestützt auf die Amtshaftung – im Zivilrechtsweg den teilweisen Ersatz des Verdienstentgangs ihrer Gastgewerbebetriebe und Betriebsstätten des Handels zu Beginn der COVID-19-Pandemie im Zeitraum vom 16. März bis zum 19. April 2020. Der BMSGPK habe es schuldhaft unterlassen, die Maßnahmen in der (vom VfGH aus eben diesem Grund als gesetzwidrig aufgehobenen) COVID-19-Maßnahmenverordnung im Verordnungsakt ausreichend zu begründen. Der dadurch verwirklichte Verstoß gegen das Legalitätsprinzip des Art. 18 B-VG stelle aus der Sicht der Klägerin ein „ganz besonders grobes Verschulden“ dar.

Die vorinstanzlichen Gerichte teilten diese Ansicht nicht. Sie werteten das Verhalten des BMSGPK als vertretbar. Die Klägerin erhob außerordentliche Revision gegen die in zweiter Instanz ergangene Entscheidung.

Entscheidung des Obersten Gerichtshofs

Der OGH wies die außerordentliche Revision der Klägerin mangels einer Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung im Sinne des § 502 Abs. 1 Zivilprozessordnung (ZPO) zurück. Zwar gelte für die Beurteilung des Verhaltens von Organen beim Erlass rechtswidriger Verordnungen ein erhöhter Sorgfaltsmaßstab (vgl. OGH 21.10.1987,  1 Ob 38/87). Die Beurteilung der vorinstanzlichen Gerichte, die im Vorgehen des BMSGPK kein schuldhaftes Handeln sahen, sei jedoch nicht korrekturbedürftig:

Zum einen habe zum Zeitpunkt der Erlassung der Verordnung keine eindeutige gesetzliche Anordnung einer Dokumentationspflicht im Verordnungsakt bestanden. Auch die Judikatur des VfGH sei in dieser Frage zum Zeitpunkt der Verordnungserlassung noch spärlich und nicht eindeutig gewesen. Insbesondere sei die diesbezügliche, in Zusammenhang mit der gegenständlichen COVID-19-Maßnahmenverordnung getroffene Klarstellung des VfGH zeitlich erst nach Erlass der Verordnung durch den BMSGPK ergangen und habe von diesem daher auch nicht berücksichtigt werden können.

Zum anderen sei die Verordnung in einer noch nie dagewesenen Krisensituation unter großem Zeitdruck erlassen worden, weshalb eine eingehende Auseinandersetzung mit formalen Dokumentationspflichten nicht verlangt hätte werden können. Hinzu komme, dass die zur Dokumentation nötigen Unterlagen zum Zeitpunkt der Erlassung sehr wohl vorhanden, jedoch bloß nicht im Verordnungsakt selbst enthalten waren.

Vgl. zu diesem Verfahren die Pressemitteilung und den Volltext der Entscheidung.