Fachinfos - Judikaturauswertungen 18.09.2023

Keine nachträgliche Bestrafung für Versammlung in Tiroler Landtag

LVwG Tirol 29.3.2023, LVwG-2023/14/0482-4

Das Landesverwaltungsgericht Tirol (LVwG) hob ein Straferkenntnis der Landespolizeidirektion Tirol (LPD) betreffend eine nicht angezeigte Versammlung im Sitzungssaal des Tiroler Landtages auf. Zwar sei eine Versammlung im Sinne des Versammlungsgesetzes 1953 (VersG) vorgelegen, die grundsätzlich gemäß § 2 Abs. 1 VersG anzeigepflichtig gewesen wäre. Allerdings sei das Verhalten des Beschwerdeführers schon durch die Ausübung der Sitzungspolizei beendet worden, weshalb für eine nachträgliche Bestrafung nach dem VersG kein Raum bleibe. Zudem verbiete § 7 VersG nur Versammlungen "unter freiem Himmel", nicht im Sitzungssaal selbst.

Sachverhalt

Der Beschwerdeführer hatte sich mit drei weiteren Personen zu einer Protestaktion während einer Sitzung des Tiroler Landtages verabredet und dazu entsprechende Banner vorbereitet. Diese Aktion wurde zuvor nicht gemäß § 2 Abs. 1 VersG als Versammlung bei der LPD angezeigt. Während der Sitzung des Tiroler Landtages am 15. Dezember 2022 standen der Beschwerdeführer und die drei weiteren Personen von ihren Sitzen im Besucherbereich des Sitzungssaales auf und hielten die vorbereiteten Banner hoch. "Als verlängerter Arm" der Landtagspräsidentin im Rahmen der Ausübung der Sitzungspolizei gemäß § 19 Abs. 2 der Geschäftsordnung des Tiroler Landtages (GO-LT) forderte eine Polizistin den Beschwerdeführer und die drei weiteren Personen auf, den Sitzungssaal zu verlassen, die dieser Aufforderung Folge leisteten.

Die LPD verhängte daraufhin mit Straferkenntnis vom 13. Jänner 2023 zwei Geldstrafen gemäß § 19 VersG gegen den Beschwerdeführer, weil dieser sowohl gegen die Anzeigepflicht gemäß § 2 Abs. 1 VersG verstoßen als auch die sogenannte Bannmeilenregelung gemäß § 7 VersG übertreten habe. Dagegen erhob er Beschwerde an das LVwG.

Entscheidung des Landesverwaltungsgerichts Tirol

Das LVwG führte in seiner am 29. März 2023 mündlich verkündeten, am 20. Juli 2023 schriftlich ausgefertigten Entscheidung aus, dass im Kern des Verfahrens die Frage stehe, ob es sich bei der Protestaktion in der Sitzung des Tiroler Landtages um eine anzeigepflichtige Versammlung gehandelt habe und – damit im Zusammenhang – ob die Bestrafungen nach dem VersG zulässig seien.

Zur Frage des Vorliegens einer Versammlung fasste das LVwG zunächst die ständige Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (VfGH) zum Versammlungsbegriff des VersG zusammen. Zum konkreten Fall führte das LVwG aus, dass offensichtlich sei, dass der Beschwerdeführer seine Meinung zum Ausdruck habe bringen wollen und sich zu diesem Zweck mit drei weiteren Personen zu der Aktion verabredet und die entsprechenden Banner vorbereitet hatte. Die Aktion habe auch eine möglichst breite Öffentlichkeit erreichen wollen. Es sei daher davon auszugehen, dass eine Versammlung im Sinne des Art. 12 StGG, Art. 11 EMRK und § 1 VersG vorgelegen habe und der Beschwerdeführer somit den Schutz der Versammlungsfreiheit und zudem jenen der Meinungsäußerungsfreiheit (Art. 10 EMRK) genieße.

Unstrittig sei die Versammlung im Vorhinein nicht gemäß § 2 Abs. 1 VersG bei der Versammlungsbehörde – der LPD – angezeigt worden. Eine Bestrafung gemäß § 19 VersG wegen Verstoßes gegen die Anzeigepflicht käme daher sowohl gegen den Beschwerdeführer als auch gegen die drei weiteren Personen als gleichberechtigte Veranstalter:innen grundsätzlich in Betracht.

Eine Anwendung des § 7 VersG scheide hingegen aus: Gemäß dieser sogenannten Bannmeilenregelung darf, während der Nationalrat, der Bundesrat, die Bundesversammlung oder ein Landtag versammelt ist, im Umkreis von 300 Metern von ihrem Sitze keine Versammlung unter freiem Himmel stattfinden. Eine Bestrafung wegen Übertretung dieser Regelung komme bei einer Versammlung im Sitzungssaal eines Landtages jedoch schon auf Grund des eindeutigen Wortlautes nicht in Betracht. Verboten seien nur Versammlungen "unter freiem Himmel", nicht im Sitzungssaal selbst.

Die Protestaktion habe im Sitzungssaal und somit innerhalb der Räumlichkeiten des Tiroler Landtages stattgefunden. Der Beschwerdeführer habe als Besucher den Ablauf der Sitzung am 15. Dezember 2022 derart gestört, dass er gemäß § 19 Abs. 2 dritter Satz GO-LT aufgefordert worden sei, sich aus dem Sitzungssaal zu entfernen. Das angefochtene Straferkenntnis der LPD ahnde das Verhalten des Beschwerdeführers aber nach dem VersG, obwohl dieses bereits im Rahmen der durch die GO-LT abschließend geregelten Ausübung der Sitzungspolizei eingestellt worden sei. Für eine nachträgliche Bestrafung nach dem VersG bleibe daher in Fällen wie dem vorliegenden kein Raum. Dies ergebe sich aus der Rechtsprechung des VfGH, der dies in Bezug auf eine nachträgliche Bestrafung wegen Störung der öffentlichen Ordnung gemäß § 81 des Sicherheitspolizeigesetzes während einer Sitzung des Nationalrates ausdrücklich ausgesprochen habe (VfSlg. 19.990/2015).

Im Ergebnis gab das LVwG daher der Beschwerde des Beschwerdeführers Folge, hob das angefochtene Straferkenntnis auf und stellte das Verwaltungsstrafverfahren ein.

Vgl. zu diesem Verfahren den Volltext der Entscheidung.