Fachinfos - Judikaturauswertungen 18.08.2023

Keine unzulässige Beeinflussung der Wahlwerbung durch Staatsorgane

VfGH 15.6.2023, W I 4/2023

Die Wähler:innengruppe "Vision Österreich – Landespartei Kärnten", Kurzbezeichnung „VÖ“ („VÖ“) stellte unter Anführung mehrerer Gründe einen Antrag auf Aufhebung und Nichtigerklärung der gesamten Landtagswahl. Zum einen seien sie „medial boykottiert“ und „ausgegrenzt“ sowie „diffamiert“ worden. Zum anderen hätten unzulässige Wahlwerbung und falsch beschriftete Wahlzettel die Wahl beeinflusst. Die Kärntner Landeswahlbehörde hielt dem entgegen, dass die Wähler:innengruppe nicht anfechtungslegitimiert sei. Der Verfassungsgerichtshof (VfGH) bestätigte zwar die Anfechtungslegitimation, gab der Anfechtung im Übrigen aber aus inhaltlichen Gründen nicht statt.

Sachverhalt

Am 5. März 2023 fand die Wahl des Kärntner Landtages statt. Anschließend reichte der Zustellungsbevollmächtigte der Wähler:innengruppe "VÖ" eine Wahlanfechtung ein. Die Wähler:innengruppe behauptete, dass sie im Wahlkampf zur Kärntner Landtagswahl „von Medien boykottiert“, „von Podiumsdiskussionen und ‚Elefantenrunden‘ ausgeschlossen“ und „vom ORF sowie von privaten Medien diffamiert“ worden sei. Sie argumentierte, dass dies eine Verletzung der staatlichen Äquidistanzpflicht und des Gebots der Freiheit der Wahlen darstelle. Insbesondere war die Wähler:innengruppe nicht zu einer von der Bildungsdirektion Kärnten veranstalteten Podiumsdiskussion zur Kärntner Landtagswahl am 23. Februar 2023 eingeladen worden, während die im Landtag und im Nationalrat vertretenen Parteien eingeladen worden waren.

Ein weiteres Argument der Wähler:innengruppe war, dass das Land Kärnten vor der Landtagswahl eine Erhöhung des „Kärnten Bonus Plus 2023“ angekündigt habe. Hierin liege ebenfalls eine unzulässige Wahlwerbung zugunsten der in der Landesregierung vertretenen Parteien. Des Weiteren wurde angeführt, dass das vorgesehene Muster für den Stimmzettel fehle. Die Wähler:innengruppe behauptete, dass die Wahlvorschläge der genannten Parteien unzulässig seien, da in der Kärntner Landtagswahlordnung (K‑LTWO) keine Grundlage dafür bestehe, den Namen des Listenführers bzw. der Listenführerin in den Wahlvorschlag aufzunehmen. Die Wahlvorschläge würden außerdem nicht dem Parteinamen entsprechen. Dadurch seien die genannten Parteien unsachlich gegenüber jenen bevorzugt worden, die sich an die Parteibezeichnung im Parteienverzeichnis gehalten hätten.

Die Wähler:innengruppe führte auch an, dass die Parteibezeichnung des Wahlvorschlags „Bündnis für Kärnten, Bündnis Zukunft Österreich, Gemeinsam für Fresach, Eine Gute Option, Freistaat Kärnten, Liste Jörg“ auf dem amtlichen Stimmzettel falsch abgedruckt worden sei. Statt „Fresach“ sei „Friesach“ angeführt worden. Da die Gemeinde Friesach mehr Einwohner:innen als die Gemeinde Fresach habe, sei der genannte Wahlvorschlag aufgewertet worden, was zu beträchtlichen Stimmenverschiebungen geführt habe.

Zuletzt bezeichnete die Wähler:innengruppe das Vorzugsstimmensystem nach der K‑LTWO als verfassungswidrig. Sie argumentierte, dass die bzw. der Spitzenkandidat:in einer Wähler:innengruppe nur in dem Wahlkreis Vorzugsstimmen erhalten könne, in dem sie bzw. er selbst angetreten sei. Dies habe zu einer Verzerrung des Wahlergebnisses geführt und das aktive und passive Wahlrecht in Bezug auf die Vergabe von Vorzugsstimmen eingeschränkt, was einen Verstoß gegen das Homogenitätsgebot gemäß Art. 95 Abs. 2 B-VG darstelle.

Die Landeswahlbehörde bestritt in ihrer Gegenschrift zunächst die Anfechtungslegitimation des Zustellungsbevollmächtigten: In der Anfechtung sei der Zustellungsbevollmächtigte und nicht die Wähler:innengruppe selbst als Anfechtungswerber auf dem Deckblatt genannt. Die Anfechtung sei daher zurückzuweisen. Die Landeswahlbehörde betonte außerdem, die Einladungspolitik zu Veranstaltungen des ORF und von Schulen liege außerhalb ihres Einflussbereichs. Sie wies auch darauf hin, dass der „Kärnten Bonus Plus 2023“ keine Wahlwerbung für bestimmte Parteien darstelle, sondern auf einer ausdrücklichen gesetzlichen Grundlage beruhe, um soziale Notlagen zu vermeiden. Die Maßnahme sei neutral und habe keinen Einfluss auf die Wahl gehabt. Auch die anderen Behauptungen der Wähler:innengruppe hätten keinen Einfluss auf die Wahl ausgeübt.

Entscheidung des Verfassungs­gerichtshofs

Zunächst stellte der VfGH fest, dass die Wähler:innengruppe "VÖ" anfechtungslegitimiert ist; es schade nicht, dass der Zustellungsbevollmächtigte in der Anfechtung als „Anfechtungswerber“ bezeichnet werde, es gehe aus der Anfechtung klar hervor, dass er auch als Zustellungsbevollmächtigter der gesamten Wähler:innengruppe einschreitet. Insoweit seien auch die anderen Zulässigkeitsvoraussetzungen der Anfechtung gegeben.

Die Anfechtungslegitimation des Zustellungsbevollmächtigten als Wahlwerber selbst (als Spitzenkandidat seiner Partei) verneinte der VfGH allerdings: Es könne nicht erkannt werden, von welchen Wahlvorschlägen er persönlich ausgeschlossen worden sei. Zudem sei das Vorzugsstimmensystem nach der K-LTWO verfassungsrechtlich unbedenklich. Insoweit wies der VfGH die Anfechtung daher zurück. 

In der Sache stellte der VfGH fest, das Vorbringen der Wähler:innengruppe „VÖ“, in mehreren Punkten liege eine unzulässige Wahlwerbung vor, aus der sich die Rechtswidrigkeit des Wahlverfahrens ergebe, erweise sich in allen Punkten als unbegründet: 

Aus dem Grundsatz des freien Wahlrechts werde insbesondere auch die – von staatlichen Organen unbeeinflusste – Freiheit der Wahlwerbung abgeleitet. Die Wahlwerbung dürfe nicht durch staatliche Organe sinnwidrig beschränkt und die bzw. der Wähler:in in ihrer bzw. seiner Freiheit nicht in rechtlicher oder faktischer Weise beeinträchtigt werden. Eine sinnwidrige Beschränkung der Wahlwerbung sei insbesondere auch dann anzunehmen, wenn wahlwerbende Parteien durch staatliche Organe ohne sachliche Rechtfertigung gegenüber anderen wahlwerbenden Parteien begünstigt oder benachteiligt würden. Allerdings sei nicht schlechterdings alles, was auf die Chancen einer wahlwerbenden Partei bei einer Wahl von Einfluss sein kann, für die Rechtmäßigkeit der Wahl von Bedeutung. 

Es sei nicht entscheidend, ob eine Beeinflussung der Wahlwerbung durch staatliche Organe mit hoheitlichen Mitteln oder im Rahmen der Privatwirtschaftsverwaltung erfolge; würden die zum Schutz der Wahlfreiheit gezogenen Schranken durch staatliche Organe überschritten, sei dies – im Rahmen des Vorbringens in der Anfechtungsschrift – im Verfahren gemäß Art. 141 B-VG vom VfGH aufzugreifen. 

Differenzierungen zugunsten von in allgemeinen Vertretungskörpern repräsentierten Parteien seien dabei – so die ständige Rechtsprechung des VfGH – aber nicht unsachlich. Vor diesem Hintergrund könne auch im vorliegenden Fall keine Unsachlichkeit darin erblickt werden, dass zu öffentlichen Debatten nur die im Nationalrat und im Kärntner Landtag vertretenen Parteien eingeladen wurden. 

Soweit eine Verletzung des rundfunkrechtlichen Objektivitätsgebotes durch die „Wahlberichterstattung des ORF“ behauptet werde, sei damit keine im Wahlanfechtungsverfahren gemäß Art. 141 B-VG aufzugreifende (unzulässige) Einflussnahme auf die Wahlwerbung geltend gemacht. Dasselbe gelte für die unsubstantiiert vorgebrachten Behauptungen von Rechtsverletzungen auf Grund der Berichterstattung anderer Medien. 

Die Ankündigung des Sozialprojekts „Kärnten Bonus Plus“ könne keine Beeinflussung der Wahlwerbung im Sinne der Rechtsprechung des VfGH sein, zumal nur Informationen erfolgt seien und keinerlei Werbung für oder gegen bestimmte Wähler:innengruppen vorgenommen worden seien. 

Die von der Wähler:innengruppe „VÖ“ als Anfechtungswerberin behaupteten Rechtswidrigkeiten im Zusammenhang mit der Bezeichnung von Wahlparteien auf amtlichen Stimmzetteln seien ebenso wenig festzustellen. Wahlwerbende Parteien seien von politischen Parteien im Sinne des Parteiengesetzes 2012 zu unterscheiden. Für die Zulässigkeit der Parteibezeichnung in einem Wahlvorschlag komme es nicht auf eine Übereinstimmung mit dem Namen einer politischen Partei im Parteienverzeichnis nach dem Parteiengesetz 2012, sondern allein auf die für den Inhalt des Wahlvorschlages maßgeblichen Bestimmungen der jeweiligen Wahlordnung an. Diese seien im vorliegenden Fall nicht verletzt. 

Weiters stellte der VfGH in Antwort auf das Vorbringen der Wähler:innengruppe „VÖ“ fest, dass die Parteibezeichnung einschließlich der Kurzbezeichnung ein unteilbares Ganzes sei. Wahlrechtliche Bestimmungen im Zusammenhang mit Parteibezeichnungen dienten insbesondere dem Zweck, Verwechslungen und Missverständnisse zu verhindern. Die Gefahr von Verwechslungen oder Missverständnissen sei für den VfGH im vorliegenden Fall aber nicht ersichtlich. 

Hinsichtlich der Einrichtung des Vorzugsstimmensystems führte der VfGH aus, es gebe keine spezifischen bundesverfassungsrechtlichen Vorgaben für ein solches System; die Ausgestaltung liege im Ermessen des Wahlgesetzgebers. Das Vorzugsstimmensystem mit einer Vorzugsstimme für eine Person auf der Parteiliste eines Wahlkreises werfe aber keine verfassungsrechtlichen Bedenken auf.

Vgl. zu diesem Verfahren die Pressemitteilung und den Volltext der Entscheidung.