Fachinfos - Judikaturauswertungen 07.02.2023

Konsultationsverfahren: (Mehrheits )Beschluss entscheidend

Für den Abschluss einer Konsultationsvereinbarung (§ 58 VO-UA) und das diesbezügliche Streitschlichtungsverfahren vor dem VfGH ist ein (Mehrheits-)Beschluss entscheidend (07. Februar 2023)

VfGH 2.12.2022, UA 94/2022

Der Verfassungsgerichtshof (VfGH) wies einen Antrag der Bundesministerin für Justiz (BMJ) zurück, weil eine aktuelle Meinungsverschiedenheit als Prozessvoraussetzung nicht vorlag. Hierfür fehlte nach der Entscheidung des VfGH im Zeitpunkt der Einbringung des Antrags gemäß Art. 138b Abs. 1 Z 6 B-VG ein formeller/förmlicher (Mehrheits-)Beschluss des ÖVP-Korruptions-Untersuchungsausschusses (UsA) über das Erfordernis des Abschlusses der von der BMJ verlangten Konsultationsvereinbarung.

Sachverhalt

Mit Schreiben vom 25. Oktober 2022 verlangte die BMJ beim Vorsitzenden des UsA gemäß § 58 Abs. 2 VO-UA wegen paralleler strafrechtlicher Ermittlung der Zentralen Staatsanwaltschaft zur Verfolgung von Wirtschaftsstrafsachen und Korruption (WKStA) die Einleitung eines Konsultationsverfahrens in Bezug auf die Befragung des als Auskunftsperson in den UsA geladenen ehemaligen Generalsekretärs des Finanzministeriums MMag. Thomas Schmid. Sie begründete ihr Verlangen im Wesentlichen damit, die Einvernahme der Auskunftsperson durch die WKStA sei noch nicht abgeschlossen und es bestehe daher bei einer Befragung im UsA die Gefahr der Gefährdung von Strafverfolgungsinteressen. Nach mehreren Besprechungen zwischen Vertreter:innen des BMJ und den Fraktionen im UsA, die ohne Ergebnis endeten, stellte die BMJ gemäß Art. 138b Abs. 1 Z 6 B-VG den Antrag an den VfGH, dieser möge feststellen, dass es erforderlich ist, eine Konsultationsvereinbarung mit dem von ihr vorgeschlagenen Inhalt abzuschließen bzw. eine bereits am 3. März 2022 zwischen der BMJ und dem Vorsitzenden des UsA abgeschlossene Konsultationsvereinbarung dahingehend auszulegen, dass sie einer Befragung der Auskunftsperson entgegensteht.

Entscheidung des Verfassungs­gerichtshofs

Der VfGH wies den Antrag zurück.

Die Regelungen der Art. 138b Abs. 1 Z 6 B-VG und § 58 Abs. 2-6 VO-UA seien so zu verstehen, dass der:dem Vorsitzenden des UsA im gesamten Konsultationsverfahren ausschließlich die Vorsitz- und Verfahrensführung, aber keine inhaltliche Entscheidungsbefugnis zukomme. Die Befugnis, inhaltliche Entscheidungen welcher Art immer zu treffen, sei ausschließlich Sache des UsA.

Im konkreten Fall lägen die Voraussetzungen für eine inhaltliche Entscheidung des VfGH nicht vor, weil noch keine Meinungsverschiedenheit entstanden sei. Dies sei deshalb der Fall, weil der UsA bis zur Einbringung des Antrags der BMJ beim VfGH keinen formellen/förmlichen, ausdrücklichen Beschluss über das Erfordernis des Abschlusses der von der BMJ verlangten Konsultationsvereinbarung und über die Auslegung der Konsultationsvereinbarung vom 3. März 2022 bzw. keine förmliche, ausdrückliche Bestreitung in Bezug auf diese Konsultationsvereinbarung gefasst habe. Ein solcher Beschluss bedürfe nicht der Einstimmigkeit, sondern (nur) der Mehrheit im UsA. Der (Verfassungs-)Gesetzgeber habe in Art. 138b Abs. 1 B-VG nämlich stets danach differenziert, ob ein bestimmtes (Verfahrens-)Recht sowohl der Mehrheit als auch der Minderheit eines UsA oder aber nur dem UsA (i.e. der Mehrheit eines UsA) zusteht.

Mangels eines solchen Beschlusses, der die Meinung des UsA unmissverständlich zum Ausdruck bringe, könne nicht von einer Meinungsverschiedenheit als Prozessvoraussetzung für das VfGH-Verfahren gesprochen werden. Daher sei der Antrag der BMJ unzulässig.

Ob und auf welche Weise die Minderheit, insbesondere die Einsetzungsminderheit, des UsA eine Behinderung des UsA durch den Abschluss einer rechtswidrigen Konsultationsvereinbarung oder durch eine rechtswidrige Auslegung einer solchen geltend machen kann, habe der VfGH im Verfahren gemäß Art. 138 Abs. 1 Z 6 B-VG nicht zu beurteilen.

Der Vollständigkeit halber wies der VfGH noch darauf hin, dass die durch die Einleitung des Konsultationsverfahrens bewirkte (höchstens dreimonatige) Hemmung in Bezug auf sämtliche (Verfahrens-)Handlungen des UsA bzw. in Bezug auf (Verfahrens‑)Handlungen im UsA, so etwa auch die Befragung von Auskunftspersonen, durch welche die Tätigkeiten der Strafverfolgungsbehörden in den benannten Ermittlungsverfahren berührt werden könnten, nach wie vor besteht. Die Hemmungsfrist ende vor Ablauf der drei Monate, wenn ein Beschluss entweder über das Erfordernis des Abschlusses einer Konsultationsvereinbarung oder über die Auslegung einer solchen gefasst werde.

Vgl. zu diesem Verfahren die Pressemitteilung und den Volltext der Entscheidung.