Fachinfos - Judikaturauswertungen 23.05.2023

Korruptionsvorwurf gegenüber einem Politiker auf Twitter zulässig

OLG Wien 15.12.2022, 18 Bs 61/22k

Das Oberlandesgericht Wien (OLG) stellte fest, dass die Äußerung, ein führender Politiker sei korrupt, im konkret gegebenen Gesamtzusammenhang von der angesprochenen Rezipientin bzw. dem angesprochenen Rezipienten als kritische Bewertung des Handelns des Politikers und nicht als Vorwurf der Begehung eines strafbaren Korruptionsdelikts verstanden wird. Derartige Kritik sei insbesondere vor dem Hintergrund des zur Äußerung anlassgebenden Ereignisses vom Recht auf freie Meinungsäußerung gedeckt.

Sachverhalt

Der Privatangeklagte postete am 3. März 2021 auf Twitter folgenden Text: „@othmar_karas ist eben noch ein Konservativer, den ich, obwohl links stehend, akzeptiere. So wie Busek oder Mauthe. Die jetzige türkise Führung ist nur mehr korrupt und machtgeil. Und wenn mich auch der laptoplose B. [im Original Nachname des Privatanklägers] verklagt, diese Partei ist vergesslich oder korrupt.“
Der namentlich erwähnte Privatankläger, zu diesem Zeitpunkt Minister und führender Politiker der adressierten  Österreichischen Volkspartei, brachte daraufhin eine Privatanklage wegen übler Nachrede sowie einen Antrag auf medienrechtliche Entschädigung ein.

Das Erstgericht sprach den Privatangeklagten des Vergehens der üblen Nachrede gemäß § 111 Abs. 1 und 2 StGB schuldig, da er die Behauptung verbreitet hätte, der Privatankläger sei ein korrupter Politiker, und verurteilte ihn zu einer teilbedingten Geldstrafe. Darüber hinaus verurteilte das Erstgericht den Privatangeklagten zur Bezahlung einer Entschädigung gemäß § 6 Abs. 1 Mediengesetz und verpflichtete ihn zur Urteilsveröffentlichung.

Entscheidung des Oberlandesgerichts Wien

Das OLG gab der Berufung des Privatangeklagten Folge und hob das angefochtene Urteil zur Gänze auf, da es der Ansicht war, dass der inkriminierte Tweet vom Recht auf freie Meinungsäußerung gedeckt war.

Zunächst bestätigte das OLG die vom Erstgericht festgestellte Betroffenheit des Privatanklägers. Der Ansicht des Privatangeklagten folgte es nicht, wonach die bzw. der Leser:in den Tweet so verstanden habe, dass mit den Wortfolgen „korrupt und machtgeil“ sowie „vergesslich und korrupt“ nicht der Privatankläger, sondern die Österreichische Volkspartei gemeint war.

Weiters hielt das OLG fest, dass zur Ermittlung des objektiven Bedeutungsinhalts einer inkriminierten Äußerung neben der Äußerung selbst der Gesamtzusammenhang, der situative Kontext sowie das anlassgebende Ereignis zu berücksichtigen sind. Nicht relevant sei, was der Äußernde vielleicht subjektiv gemeint habe, sondern es sei auf die Sicht des angesprochenen Rezipient:innenkreises abzustellen. Nach Ansicht des OLG versteht die bzw.der angesprochene Rezipient:in den inkriminierten Tweet nicht dahingehend, dass dem Privatankläger damit ein strafbares Handeln im Sinn des Korruptionsstrafrechts vorgeworfen werden soll oder er eines „Korruptionsdelikts“ überführt ist, sondern erblickt darin eine kritische Bewertung des Handelns der „türkisen Führung“ einschließlich des Privatanklägers, vor allem im Vergleich zu früheren ÖVP-Politikern.

Das OLG führte aus, dass Kritik, die sich auf unbestrittene oder erwiesene Tatsachen stützt, nicht tatbildlich im Sinn der §§ 111 ff StGB ist, solange kein Wertungsexzess vorliegt. Lediglich Unwerturteile, die kein wahres Tatsachensubstrat zur Grundlage haben, seien, soweit sie die Grenzen des Tolerablen überschreiten, tatbestandsmäßig. Es müsse somit sorgfältig zwischen kritischen Werturteilen, die im Lichte der Meinungsfreiheit sanktionslos bleiben und beleidigenden Tatsachenbehauptungen, für die im Falle ihrer Unwahrheit gehaftet wird, unterschieden werden. Das OLG betonte, dass bei der Beurteilung der Frage, ob die gegenständliche Veröffentlichung dem Recht auf Kritik und freie Meinungsäußerung gemäß Art. 10 EMRK unterliegt, zusätzlich zu beachten ist, dass nach der Judikatur des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) die Grenzen zulässiger Kritik an Politiker:innen weiter sind als bei Privatpersonen – besonders, wenn sie selbst öffentliche Äußerungen tätigen, die geeignet sind, Kritik auf sich zu ziehen. Wertungen gegenüber Politiker:innen würden daher in höherem Maß den Schutz des Grundrechts der freien Meinungsäußerung genießen.

Schließlich kam das OLG zum Ergebnis, dass vor dem Hintergrund der gerichtsnotorischen medial präsenten Ergebnisse der strafrechtlichen Ermittlungen gegen den Privatankläger, der bei ihm durchgeführten Hausdurchsuchung und seiner Aussage vor dem parlamentarischen Untersuchungsausschuss, dass er als Minister keinen Laptop, sondern ein Handy als Arbeitsmittel verwendet habe, ein hinreichendes, wenn auch dünnes Tatsachensubstrat vorlag. Die – auch den Privatankläger als Teil der „türkisen“ Führungsriege mitumfassende – inkriminierte Äußerung sei daher vom Recht auf freie Meinungsäußerung gedeckt. Die inkriminierten Formulierungen könnten zwar eine grob formulierte Unmutsäußerung und Wertung sein, doch schütze Art. 10 EMRK nicht nur stilistisch hochwertige, sachlich vorgebrachte und niveauvoll ausgeführte Bewertungen, sondern jedwedes Unwerturteil, das nicht in einem Wertungsexzess gipfelt.

Vgl. zu diesem Verfahren die Fundstelle MR 2022, 311, in der Passagen der Entscheidung abgedruckt sind.