Der EuGH stellte zunächst – entgegen dem Vorbringen der rumänischen Regierung – klar, dass die vorgelegten Fragen zulässig seien.
In der Sache gelangte der EuGH zu folgendem Ergebnis:
Er stellte zum einen fest, dass die genannten Bestimmungen der Richtlinie 89/391/EWG in Verbindung mit dem unionsrechtlichen Effektivitätsgrundsatz und Art. 47 GRC (Recht auf einen wirksamen Rechtsbehelf) einer Rechtslage wie im vorliegenden Fall der rumänischen entgegenstehen. Eine Auslegung durch ein nationales Verfassungsgericht (hier: des rumänischen Verfassungsgerichtshofs), wonach eine rechtskräftige verwaltungsgerichtliche Entscheidung über die Einstufung eines Ereignisses als Arbeitsunfall als Vorfrage Bindungswirkung vor den zuständigen Strafgerichten entfalte, sei mit dem Unionsrecht nicht vereinbar. Dies jedenfalls dann, wenn wie im vorliegenden Fall die Strafgerichte unter anderem auch über die zivilrechtliche Haftung wegen der einer bzw. einem Angeklagten (hier: MG) zur Last gelegten Taten zu entscheiden hätten, die Rechtslage aber den Angehörigen des Opfers des Ereignisses (hier: den Nebenkläger:innen) in keinem der durchgeführten Verfahren rechtliches Gehör – als Element des Rechts auf einen wirksamen Rechtsbehelf – ermöglichte. Zwar seien für die Festlegung der Verfahren betreffend die Haftung der Arbeitgeberin bzw. des Arbeitsgebers im Falle von Pflichtverletzungen im Hinblick auf die Sicherheit und den Schutz von Arbeitnehmer:innen die Mitgliedstaaten zuständig. Diese Verfahren dürften jedoch nicht die Ausübung der durch das Unionsrecht verliehenen (Grund-)Rechte beeinträchtigen.
Zum anderen führte der EuGH aus, dass der Grundsatz des (Anwendungs‑)Vorrangs des Unionsrechts dahin auszulegen sei, dass er einer Rechtslage wie im vorliegenden Fall der rumänischen ebenfalls entgegenstehe: Wenn nämlich nationale Gerichte (hier: die zuständigen Strafgerichte) unter Androhung von Disziplinarverfahren gegen ihre Mitglieder eine Entscheidung des nationalen Verfassungsgerichts auch dann nicht von Amts wegen unangewendet lassen dürfen, wenn sie in Anbetracht der Rechtsprechung des EuGH der Auffassung sind, dass diese Entscheidung die den Einzelnen aus dem Unionsrecht (hier: der Richtlinie 89/391/EWG) erwachsenden Rechte verletze, sei dies mit dem Unionsrecht nicht vereinbar. Insoweit bestätigte der EuGH ausdrücklich, dass es einer bzw. einem nationalen Richter:in möglich sein müsse, von der Anwendung einer Entscheidung des Verfassungsgerichts ihres bzw. seines Mitgliedstaats (hier: des rumänischen Verfassungsgerichtshofs) abzusehen, wenn diese dem Unionsrecht entgegensteht. Die bzw. der betreffende Richter:in dürfe daher in einem solchen Fall auch nicht disziplinarrechtlich belangt werden.
Vgl. zu diesem Verfahren die Schlussanträge des Generalanwalts, die Pressemitteilung und den Volltext der Entscheidung.