Der EGMR stellte fest, dass die Verurteilung von Sanchez auf einer gesetzlichen Grundlage beruhte und zum Schutz der Ehre und der Rechte anderer erfolgte. In der Folge kam er zu dem Schluss, dass der Eingriff in das Recht auf freie Meinungsäußerung auch verhältnismäßig war:
Die Kommentare auf der Facebook-Seite von Sanchez seien eindeutig unrechtmäßig gewesen: Sie hätten sich auf eine bestimmte Personengruppe (Musliminnen und Muslime) bezogen und diese mit Straffälligkeit und Unsicherheit in der Stadt Nîmes bzw. mit Begriffen wie „DrogendealerInnen und Prostituierte“ assoziiert, sodass ein Gefühl der Verachtung und der Feindseligkeit provoziert worden sei.
Die Äußerungen seien im Vorfeld einer Wahl erfolgt, d.h. in einem Zeitpunkt, in dem die freie politische Debatte von besonderer Bedeutung sei: Die Freiheit der politischen Debatte sei aber nicht absoluter Natur. Toleranz und die Anerkennung der gleichen Würde aller Menschen seien die Grundlage einer demokratischen und pluralistischen Gesellschaft. Es könne daher grundsätzlich geboten sein, Äußerungen zu sanktionieren, die Hass, der auf Intoleranz gestützt ist, verbreiten, bestärken oder rechtfertigen.
Im konkreten Fall seien die Äußerungen auf einer Facebook-Seite veröffentlicht worden, die frei zugänglich war und im Kontext einer Wahl verwendet wurde, um die breite WählerInnenschaft zu erreichen. Auch wenn Internet-Seiten den Zugang der Öffentlichkeit zu aktuellen Informationen und die Kommunikation generell wesentlich erleichtern würden, so würden sie doch gewisse Risiken bergen, da auch eindeutig unrechtmäßige Äußerungen (wie etwa ehrschädigende, hassverbreitende und zur Gewalt aufrufende Äußerungen) in einer zuvor nicht da gewesenen Einfachheit verbreitet werden könnten.
Der Umstand, dass Sanchez ein gewählter Volksvertreter ist, mildere seine Verantwortung nicht. Im Gegenteil sei es geboten, dass PolitikerInnen in ihren öffentlichen Auftritten darauf achten, keine Äußerungen zu verbreiten, die geeignet sind, Intoleranz zu provozieren. PolitikerInnen seien im Besonderen gehalten, die Demokratie und ihre Prinzipien zu verteidigen, und zwar insbesondere im Kontext einer Wahl, die ohnehin bereits von lokalen Spannungen geprägt ist.
Sanchez habe die Äußerungen zwar einige Tage vor seiner Anhörung von seiner Facebook-Seite gelöscht – dies allerdings erst drei Monate, nachdem sie veröffentlicht worden waren. Dies könne nicht als rechtzeitige Löschung erachtet werden. Auch die Veröffentlichung des Posts von Sanchez, wonach die UserInnen auf den Inhalt ihrer Kommentare achten sollten, ändere nichts. Dem EGMR zufolge bestehe eine gemeinsame Verantwortung der BetreiberInnen einer Facebook-Seite und der NutzerInnen.
BetreiberInnen einer Facebook-Seite haben dem EGMR zufolge besondere Pflichten, und zwar umso mehr, wenn sie nicht von der Möglichkeit Gebrauch machen, den Zugriff auf ihre Seiten zu beschränken, sondern sie der breiten Öffentlichkeit zur Verfügung stellen.
Schließlich sei der Eingriff in das Recht auf freie Meinungsäußerung auch wegen der Höhe der Strafzahlung (3.000 Euro) nicht unverhältnismäßig gewesen. Der EGMR kam daher zum Ergebnis, dass Sanchez nicht in seinem Recht auf freie Meinungsäußerung (Art. 10 EMRK) verletzt wurde.
Vgl. zu diesem Verfahren die Pressemitteilung (in englischer Sprache) und den Volltext der Entscheidung (in französischer Sprache).