Fachinfos - Judikaturauswertungen 11.08.2022

Offenlegung eines abgehörten Telefongesprächs zwischen Politikern

Offenlegung eines abgehörten Telefongesprächs zwischen dem Premierminister und einem Bürgermeister war verhältnismäßig (11. August 2022)

EGMR 14.6.2022, 70489/17, Algirdas Butkevicius gg. Litauen

Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) stellte fest, dass der frühere litauische Premierminister nicht im Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens (Art. 8 EMRK) verletzt wurde. Die Offenlegung eines abgehörten Telefongesprächs zwischen diesem und einem Bürgermeister über eine Angelegenheit von öffentlichem Interesse sei trotz Auswirkungen auf den Ruf des Premierministers rechtmäßig und ver­hältnismäßig gewesen.

Sachverhalt

Der Fall betraf ein im Zuge (später eingestellter) korruptionsstrafrechtlicher Ermittlun­gen mit gerichtlicher Bewilligung abgehörtes Telefongespräch zwischen dem damaligen Premierminister von Litauen, Algirdas Butkevičius, und einem Bürgermeister. Der Inhalt dieses Telefongesprächs wurde im Rahmen einer öffentlichen Sitzung der Anti-Korrup­tions-Kommission des Seimas (Parlament der Republik Litauen) gegenüber Journa­list:innen offengelegt. Die vom Premierminister gegen diese Offenlegung ergriffenen innerstaatlichen Rechtsmittel waren nicht erfolgreich. Butkevičius erhob Beschwerde an den EGMR und brachte eine Verletzung seines Rechts auf Achtung des Privat- und Fa­milienlebens gemäß Art. 8 EMRK vor.

Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte

Der EGMR hielt fest, dass mit der Offenlegung des Telefongesprächs zwar durchaus Auswirkungen auf den Ruf des Premierministers verbunden waren. Jedoch sei der Ein­griff in dessen durch Art. 8 EMRK geschützte Rechte auf Achtung des Privatlebens und der privaten Korrespondenz nicht so gravierend gewesen, als dass dieser als unverhält­nismäßig zu qualifizieren sei. Es habe eine hinreichende Abwägung zwischen der Repu­tation bzw. der Ehre von Herrn Butkevičius einerseits und dem Recht der Presse, über eine Angelegenheit von öffentlichem Interesse zu berichten, andererseits stattgefun­den.

Der EGMR teilte auch die Rechtsansicht der litauischen Behörden bzw. Gerichte, wo­nach die Staatsanwaltschaft die Regelungen des Strafprozessrechts nicht verletzt habe, indem sie der Anti-Korruptions-Kommission die Ermittlungsergebnisse ohne Hinweis auf eine etwaige Vertraulichkeit des Materials übermittelte. Dies entspreche auch der Rechtsprechung des litauischen Verfassungsgerichts. Allgemein betonte der EGMR den Stellenwert einer öffentlichen Kontrolle in Fällen möglicher politischer Korruption.

Vgl. zu diesem Verfahren die Pressemitteilung und den Volltext der Entscheidung (je­weils in englischer Sprache).