Fachinfos - Judikaturauswertungen 11.08.2022

Parlamentarisches Fragerecht

Niedersächsischer StGH 8.2.2022, 1/21

Im Niedersächsischen Landtag stellten Abgeordnete eine parlamentarische Anfrage an die Landesregierung zur Erteilung von Abschussgenehmigungen von Wölfen durch Lan­desbehörden (sog. Wolfsentnahme). Die Landesregierung verweigerte die Beantwor­tung der Fragen zur Gänze, weil den in den Vollzug der Wolfsentnahme eingebundenen Personen sonst umfangreiche Repressalien im persönlichen Bereich drohen würden. Der Niedersächsische Staatsgerichtshof (StGH) gab den Abgeordneten in einem Organ­streitverfahren zum Teil Recht: Die Landesregierung hätte die gestellten Fragen jeden­falls insoweit beantworten müssen, als dies nicht zur Identifizierbarkeit der in den Voll­zug eingebundenen Personen führen könne.

Sachverhalt

Drei Landtagsabgeordnete richteten am 8. Februar 2021 im Rahmen ihres parlamenta­rischen Fragerechts eine sog. Kleine Anfrage an die Niedersächsische Landesregierung. Darin begehrten sie in zwei Fragen Auskunft darüber, (1.) in wie vielen Fällen, von wel­cher Behörde und (2.) jeweils mit welcher Begründung Ausnahmegenehmigungen für die Entnahme von Wölfen erteilt wurden.

Die Landesregierung verweigerte die Auskunft, da dem Informationsinteresse der Ab­geordneten grundrechtlich geschützte Geheimhaltungsinteressen Dritter entgegen­stünden. Konkret sei im Fall der Beantwortung der Fragen aufgrund der Erfahrungen aus der Vergangenheit zu befürchten, dass den in den Vollzug der Wolfsentnahme ein­gebundenen Personen umfangreiche Repressalien drohen würden. Betroffen sei so­wohl der Bereich der Sozialen Medien, wie auch der Vollzug der Entnahme vor Ort. Da den Staat grundrechtliche Schutzpflichten träfen – hier bezogen auf das allgemeine Persönlichkeitsrecht sowie die körperliche Unversehrtheit nach dem deutschen Grund­gesetz –, sei die Erteilung der gewünschten Auskunft zu verweigern gewesen.

Dagegen setzten sich die Abgeordneten in einem Organstreitverfahren vor dem StGH zur Wehr. Sie erachteten sich durch die Verweigerung der Auskunft in ihrem Interpel­lationsrecht nach Art. 24 der Niedersächsischen Verfassung (NV) verletzt. Die befürch­tete Verletzung schutzwürdiger Interessen der in den Vollzug der Wolfsentnahme ein­gebundenen Personen liege nicht vor. Jedenfalls hätte die Landesregierung eine Teil­antwort geben müssen, etwa durch Nennung der Zahl der erteilten Abschussgenehmi­gungen.

Entscheidung des Niedersächsischen Staatsgerichtshofs

Der StGH folgte dem Antrag teilweise. Die Voraussetzungen für die Verweigerung der Antwort lägen nur zum Teil vor. Insoweit die Landesregierung auch solche Auskünfte verweigerte, die keine Identifizierung betroffener Dritter ermöglichen, habe jene gegen ihre Auskunftspflicht nach der NV verstoßen.

Die Landesregierung habe zutreffend ermittelt, dass einer vollumfänglichen Beantwor­tung der Fragen grundsätzlich schutzwürdige Interessen Dritter entgegenstünden. Denn durch die begehrte Nennung der konkret eingebundenen Behörde, der Kennung eines Wolfes, des Territoriums sowie des Rudels könnten – auch im Fall einer Schwär­zung personenbezogener Daten in der Auskunftserteilung – sowohl zuständige Behör­denmitarbeiter:innen als auch berechtigte Jäger:innen und Tierhalter:innen ausfindig gemacht werden. Die Beurteilung der Landesregierung, den grundrechtlich geschützten Interessen dieser Personen gegenüber dem Informationsinteresse der Abgeordneten Vorrang zu geben, sei verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. Denn im Hinblick auf vorgelegte Postings in sozialen Netzwerken sowie tätliche Übergriffe gegenüber Jagdausübungsberechtigten in der Vergangenheit durften, so der StGH, die betroffe­nen Grundrechte als ernsthaft gefährdet angesehen werden. Soweit die Beantwortung eine Identifizierung der genannten Personen ermöglicht hätte, habe die Landesregie­rung die Auskunft somit zu Recht verweigert.

Dagegen habe es die Landesregierung in rechtswidriger Weise unterlassen zu prüfen, wie weit die betroffenen Interessen zur Verweigerung einer Antwort berechtigen wür­den (vgl. den Wortlaut des Art. 24 NV: „soweit“). Wenn nämlich Anfragen aus mehreren Fragen bestehen bzw. verschiedene Einzelinformationen begehrt werden, habe die Landesregierung – im Hinblick auf die Bedeutung parlamentarischer Anfragen im Sys­tem der Gewaltenteilung – selbstständig die Möglichkeit von Teilantworten zu prüfen. Eine Pflicht zur Erteilung von Teilantworten bestehe immer dann, wenn dies (1.) dem Informationsinteresse der Abgeordneten bei objektiver Betrachtung entspricht und (2.) der geltend gemachte Verweigerungsgrund der Erteilung von Teilantworten nicht ent­gegensteht.

Der StGH führt bezüglich der ersten Voraussetzung aus, dass beide Fragen der Abge­ordneten auch auf eine nur teilweise Beantwortung gerichtet sind. Denn die begehrten Auskünfte seien voneinander abgrenzbar und hätten auch für sich genommen einen Informationswert. Andererseits stünde der geltend gemachte Verweigerungsgrund (die Gefährdung schutzwürdiger Interessen von Behördenmitarbeiter:innen, berechtigten Jäger:innen und Tierhalter:innen) der Erteilung von Teilantworten insoweit nicht ent­gegen, als die betroffenen Personen durch die Beantwortung nicht identifiziert werden könnten. Dies gelte insbesondere für Auskünfte hinsichtlich der Zahl und des Datums erteilter Genehmigungen, die Angabe der gerissenen Nutztierart, die Art des Grund­schutzes, für Angaben zu Zaunart und -höhe und für Schwachstellen des Herdenschut­zes sowie die Schadenshöhe.

Der StGH kommt zum Ergebnis, dass die Landesregierung, indem sie die Beantwortung der Fragen vollständig verweigert und keine Teilantworten erteilt hat, die Abgeordne­ten in ihrem parlamentarischen Fragerecht verletzt hat.

Vgl. zu diesem Verfahren die Pressemitteilung und den Volltext der Entscheidung.