Fachinfos - Judikaturauswertungen 10.10.2019

Regelung über Schutzbereich für Versammlungen ist verfassungsgemäß

Verfassungsmäßigkeit des § 7a Versammlungsgesetz 1953 über den Schutzbereich einer Versammlung. VfGH 17.6.2019, G 271/2018 (10. Oktober 2019)

Sachverhalt

Das Verwaltungsgericht (VwG) Wien beantragte gemäß Art. 140 Abs. 1 Z 1 lit. a B‑VG die Aufhebung des § 7a Versammlungsgesetz 1953 (VersG). Die angefochtene Bestimmungen regelt den Schutzbereich einer Versammlung, also jenen Bereich, der für die ungestörte Abhaltung einer rechtmäßigen Versammlung erforderlich ist. Den Umfang des Schutzbereiches hat die Behörde festzulegen. Wurde von der Behörde (noch) nichts anderes festgelegt, gelten 50 Meter im Umkreis um die Versammelten als Schutzbereich.

Das VwG Wien brachte vor, § 7a VersG widerspreche dem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Versammlungsfreiheit gemäß Art. 12 StGG und Art. 11 EMRK. Die Bestimmung lasse – im Gegensatz zu § 6 VersG (Untersagung einer Versammlung) und § 13 VersG (Auflösung einer Versammlung) – keine Einzelfallprüfung zu. Die Versammlungsbehörde habe gemäß § 7a Abs. 4 VersG eine Versammlung vielmehr jedenfalls im Umkreis von 50 m um die Versammelten zu untersagen.

Entscheidung des Verfassungs­gerichtshofes

Der Verfassungsgerichtshof (VfGH) hielt die Bedenken ob der Verfassungsmäßigkeit des § 7a VersG für nicht zutreffend und wies den Antrag ab.

Der Staat sei verpflichtet, die Ausübung des Versammlungsrechtes zu gewährleisten. Wie auch die Gesetzesmaterialien belegen würden, habe der Gesetzgeber mit der Einführung des § 7a VersG bezweckt, das Grundrecht der Versammlungsfreiheit zu schützen. Durch ein Auseinanderhalten von Versammlungen, deren Teilnehmer/innen gegenläufige Interessen verfolgen würden, könnten Versammlungen vor Gegendemonstrationen geschützt werden. Ein eindeutig abgesteckter Schutzbereich schaffe für alle Beteiligten Klarheit darüber, wo die Freiheit des einen ende und die des anderen beginne.

Das VwG Wien gehe offenbar davon aus, dass der Umfang des Schutzbereiches einer jeden Versammlung stets mindestens 50 Meter betragen müsse. Diese Auffassung sei jedoch nicht zutreffend: 

§ 7a VersG lege zwar einen Höchstumfang von 150 Metern, jedoch keinen absolut geltenden Mindestumfang fest. Vielmehr treffe die Bestimmung eine Regelung für die Fälle, in denen die Versammlungsbehörde von der ausdrücklichen Festlegung eines anderen Schutzbereiches abgesehen oder einen Schutzbereich noch nicht festgelegt habe bzw. nicht festlegen habe können. 

Die Behörde werde nicht von ihrer gemäß § 7a Abs. 2 VersG bestehenden Verpflichtung entbunden zu überprüfen, welcher Schutzbereich für die Versammlung „unter Berücksichtigung der örtlichen Gegebenheiten, der Anzahl der erwarteten Teilnehmer sowie des zu erwartenden Verlaufes“ – also unter Berücksichtigung der Gegebenheiten der jeweils angezeigten Versammlung – angemessen und auch erforderlich sei. Das absolut geltende Versammlungsverbot im Schutzbereich einer rechtmäßigen – also dem VersG entsprechend angezeigten – Versammlung werde somit stets im Einzelfall zu ermitteln sein.

Dadurch werde gerade im Falle gleichzeitig stattfindender Versammlungen mit unterschiedlichen Positionen und gegensätzlichen Meinungen deren Abhaltung, somit die Ausübung des Versammlungsrechtes aller, gewährleistet.

Dass nicht angezeigte (Spontan-)Versammlungen vorerst von Gesetzes wegen einen Schutzbereich von 50 Metern im Umkreis um die Versammelten hinzunehmen hätten, sei vor dem Hintergrund und dem Verständnis dieser Regelung jedenfalls nicht unverhältnismäßig. Selbst in solchen Fällen obliege es der Versammlungsbehörde, sich innerhalb angemessener Zeit einen Überblick über die konkreten Umstände zu verschaffen und gegebenenfalls einen anderen Schutzbereich ausdrücklich festzulegen.

Vgl. zu diesem Verfahren den Volltext der Entscheidung.