Fachinfos - Judikaturauswertungen 10.10.2019

Schwenken einer Fahne mit dem Schriftzug „ACAB“ im Fußballstadion

Hinzunehmen mit Blick auf die Bedeutung und Funktion der Meinungsäußerungsfreiheit. VfGH 18.6.2019, E 5004/2018 (10. Oktober 2019)

Sachverhalt

Der Beschwerdeführer hatte während eines Fußballspieles in einem Stadion eine Fahne (ein an einer Stange befestigtes Transparent) mit der Aufschrift „ACAB“ geschwenkt, weshalb ihm die Landespolizeidirektion Wien eine Geldstrafe wegen Verstoßes gegen den öffentlichen Anstand auferlegte. Das Verwaltungsgericht Wien bestätigte dies, da es der Ansicht war, der vorliegende Sachverhalt sei nicht vom Grundrecht auf Meinungsäußerungsfreiheit erfasst: Nicht jede Äußerung in jeder Form sei erlaubt, sondern die Grenzen des Anstandes zu beachten. 

Dagegen erhob der Beschwerdeführer eine auf Art. 144 B‑VG gestützte Beschwerde, in der er geltend machte, im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Freiheit der Meinungsäußerung verletzt zu sein. Mit dem Hochhalten der Fahne habe er seine kritische Haltung gegenüber der Polizei zum Ausdruck gebracht. Dass das Verhältnis zwischen Polizei und Fußballfans von zahlreichen Konflikten geprägt sei, sei bekannt. Vom Schutzbereich der Meinungsäußerungsfreiheit seien gerade auch Äußerungen umfasst, die verletzen, schockieren oder beunruhigen. Zudem sei auch der Rahmen, in dem eine Äußerung getätigt werde, zu berücksichtigen.

Entscheidung des Verfassungs­gerichtshofes

Der Verfassungsgerichtshof (VfGH) erachtete den Beschwerdeführer im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Freiheit der Meinungsäußerung verletzt. Art. 10 EMRK umfasse nicht nur sprachliche Mitteilungen von Nachrichten oder Ideen (auch etwa Plakate oder Aufdrucke), sondern ebenso andere Formen der Kommunikation wie Symbole oder sonstige Verhaltensweisen, wenn und insoweit diesen gegenüber Dritten ein kommunikativer Gehalt zukomme. Auch belästigende oder unter Umständen als störend oder schockierend empfundene Mitteilungen würden grundsätzlich von Art. 10 EMRK geschützt.

Der Beschwerdeführer habe durch das Schwenken der Fahne mit der Aufschrift „ACAB“ seine kritische Haltung gegenüber der Polizei geäußert und gebe in dieser Weise sein Bedürfnis nach Abgrenzung von der staatlichen Ordnungsmacht kund. Dass die Buchstabenfolge ACAB für den englischen Ausspruch „All Cops are Bastards“ stehe und ihre Verwendung in einem bestimmten Milieu eine die Polizei ablehnende Haltung zum Ausdruck bringen und die Distanz zur Polizei aufzeigen solle, sei auch der Polizei und (zumindest der Mehrheit) der im Stadion anwesenden Öffentlichkeit bekannt gewesen. 

Somit greife die Bestrafung des Beschwerdeführers zweifellos in das Grundrecht auf Freiheit der Meinungsäußerung ein. § 1 Abs. 1 Z 1 des Wiener Landes-Sicherheitsgesetzes, demzufolge gegen Personen, die den öffentlichen Anstand verletzen, eine Geldstrafe verhängt werden dürfe, könne als Einschränkung der Meinungsäußerung in einer demokratischen Gesellschaft zum Schutz der Moral und der Rechte anderer iSd Art. 10 EMRK notwendig sein. 

Jedoch habe das Verwaltungsgericht Wien der Bestimmung einen die besonderen Schranken des Art. 10 EMRK missachtenden Inhalt unterstellt: Der VfGH habe schon in VfSlg. 10.700/1985 ausgesprochen, dass die Äußerung einer Meinung als solche grundsätzlich keine Anstandsverletzung sein könne. Werde aber die Meinung in einer Art und Weise in der Öffentlichkeit geäußert, die einen Eingriff im Interesse der Aufrechterhaltung der Ordnung zwingend erscheinen lasse, könne eine Bestrafung wegen Anstandsverletzung zulässig sein. Bei der Beurteilung des tatbestandsmäßigen Verhaltens komme es daher nicht bloß auf den Wortlaut einer Äußerung allein an, sondern auch auf Art und Umstand der Äußerung.

Das Schwenken des Transparentes habe primär auf das angespannte Verhältnis zwischen manchen Fußballfans und der Polizei hinweisen und die ablehnende Haltung gegenüber dem Stand der Polizei als Teil der staatlichen Ordnungsmacht zum Ausdruck bringen sollen und stelle keine konkrete Beschimpfung von Polizeibeamt/inn/en dar.

In einer Gesamtansicht sei das Hochhalten von derartigen Transparenten bei einem Fußballspiel durch Fans nicht geeignet, den Tatbestand der Anstandsverletzung zu erfüllen. Anderes Verhalten im Fußballstadion könne durch andere Normen (etwa des Pyrotechnikgesetzes oder des SPG) strafbewehrt sein. Diese im Fußballstadion so geäußerte Kritik sei aber mit Blick auf die in einer demokratischen Gesellschaft besondere Bedeutung und Funktion der Meinungsäußerungsfreiheit bei Beachtung aller Umstände des Falles hinzunehmen.

Die Bestrafung wegen Verletzung des öffentlichen Anstandes sei daher unverhältnismäßig und verletze den Beschwerdeführer im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Freiheit der Meinungsäußerung.

Vgl. zu diesem Verfahren den Volltext der Entscheidung.