Fachinfos - Judikaturauswertungen 20.07.2023

Strafmilderung bei Versammlung in Bannmeile: achtenswerter Beweggrund

Das Landesverwaltungsgericht Vorarlberg hat Umweltschutz als „achtenswerten Beweggrund“ angesehen und eine Strafe für das Abhalten einer Versammlung innerhalb der Bannmeile gemindert. (20. Juli 2023)

LVwG Vorarlberg 16.5.2023, LVwG-1-14/2023-R16

Das Landesverwaltungsgericht Vorarlberg (LVwG) stellte fest, dass der Beweggrund des Klimaschutzes im Rahmen der Strafbemessung als Milderungsgrund gemäß § 34 StGB anzuerkennen ist, wenn eine Person bestraft wird, weil sie mit einer unangemeldeten Kundgebung für den Klimaschutz im Umkreis von 300 m vom Sitz des versammelten Landtages gegen das Verbot einer Versammlung innerhalb der Bannmeile verstößt. Ein Absehen von der Einleitung bzw. Fortführung eines Strafverfahrens komme jedoch nicht in Betracht, weil das Verbot von Versammlungen innerhalb der Bannmeile die Aufrechterhaltung der öffentlichen Sicherheit schütze, die keinesfalls als Rechtsgut von geringer Bedeutung qualifiziert werden könne.

Sachverhalt

Gemäß § 7 Versammlungsgesetz 1953 darf während der Nationalrat, der Bundesrat, die Bundesversammlung oder ein Landtag versammelt ist, im Umkreis von 300 m von ihrem Sitze keine Versammlung unter freiem Himmel stattfinden. Entgegen dieser Bestimmung veranstaltete der Beschwerdeführer am 6. Juli 2023 weniger als 300 m vom Sitz des zu dieser Zeit versammelten Vorarlberger Landtags entfernt eine öffentlich zugängliche Versammlung zum Thema des Klimaschutzes. Daraufhin wurde er mit einer Geldstrafe in Höhe von 70 Euro bestraft.

In seiner Beschwerde gegen das Straferkenntnis bzw. in der mündlichen Verhandlung vor dem LVwG brachte der Beschwerdeführer vor, dass die Strafe viel zu hoch sei, da nicht berücksichtigt worden sei, dass „selbstlose, ehrhafte und dringende Beweggründe“ Anlass für sein Verhalten gewesen seien. Es liege mit dem vom Land Vorarlberg ausgerufenen Klimanotstand und dem Versäumnis, die erforderlichen Maßnahmen zu setzen, ein entschuldigender Notstand vor; die Aktion vor dem Landtag hätte daher nicht bestraft werden dürfen. Die Landtagsabgeordneten seien zudem zu keinem Moment daran gehindert gewesen, das Landtagsgebäude zu betreten.

Entscheidung des Landesverwaltungsgerichts Vorarlberg

Da der Beschwerdeführer lediglich die Höhe der Strafe bekämpfte, befasste sich das LVwG nur mit der Frage der Strafbemessung und ließ etwa die Frage, ob es sich überhaupt um eine Versammlung gehandelt hatte oder ein entschuldigender Notstand anzunehmen war, aus prozessualen Gründen außer Betracht. 

Das LVwG Vorarlberg gestand dem Beschuldigten den Milderungsgrund gemäß § 34 Z 3 StGB zu. Ein Absehen von der Fortführung des Strafverfahrens gemäß § 45 Abs. 1 Z 4 VStG verneinte das Gericht jedoch: 

Zunächst stellte das LVwG fest, dass es sich laut der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofs (VwGH) bei einem Milderungsgrund des § 34 Z 3 StGB um einen „achtenswerten Beweggrund“ handeln muss. Es müsse ein Handeln um übergeordneter – oder doch als übergeordnet angesehener – Interessen willen vorliegen. Die Förderung des Umweltschutzes sei durchaus als ein „achtenswerter“ Beweggrund in diesem Sinne zu qualifizieren. Da der Beschuldigte versucht habe, die Volksvertreter:innen darin zu bestärken, alle Maßnahmen gegen die Klimakatastrophe schnellstens in die Wege zu leiten, und das Land Vorarlberg seit 2019 den Klimanotstand ausgerufen habe, sei der Milderungsgrund zuzuerkennen. Die Geldstrafe wurde daraufhin von 70 Euro auf 40 Euro herabgesetzt.

Die Anwendung des § 45 Abs. 1 Z 4 VStG zur Einstellung des Verfahrens setze allerdings voraus, dass erstens die Bedeutung des strafrechtlich geschützten Rechtsgutes, zweitens die Intensität seiner Beeinträchtigung durch die Tat und drittens das Verschulden des Beschuldigten gering sein müssten. Das zu schützende Rechtsgut sei im vorliegenden Fall die Aufrechterhaltung der öffentlichen Sicherheit, da der ungestörte Verlauf der Sitzungen der gesetzesgebenden Organe gewährleistet werden müsse. Dabei handle es sich zweifelsfrei um ein geschütztes Rechtsgut, welchem erhebliche Bedeutung zukomme; keinesfalls dürfe davon gesprochen werden, dass die Bedeutung dieses strafrechtlich geschützten Rechtsgutes gering sei. Aus der Sicht des LVwG fehlte es daher an einer der in § 45 Abs. 1 Z 4 VStG genannten Voraussetzungen für die Einstellung des Strafverfahrens.

Vgl. zu diesem Verfahren den Volltext der Entscheidung.