Der EGMR beschränkte seine Prüfung auf die Frage, ob der Beschwerdeführer in seinem Recht auf freie Meinungsäußerung gemäß Art. 10 EMRK verletzt wurde. Dabei prüfte er in einem ersten Schritt, ob es einen Eingriff in das Grundrecht des Beschwerdeführers gab. Diese Frage bejahte er mit Blick auf die mögliche abschreckende Wirkung des Strafverfahrens und der in diesem Rahmen ergangenen Beschlüsse für den Beschwerdeführer. Diese hätten für ihn nicht nur hypothetische Risiken mit sich gebracht, sondern tatsächliche und wirksame Einschränkungen: Durch die Verfahrensaussetzungen von fünf bzw. drei Jahren habe sich der Beschwerdeführer während dieser Zeiträume nicht sicher sein können, ob er bei Äußerungen zu ähnlichen Fragen strafrechtlich verfolgt werden würde.
In einem zweiten Schritt prüfte der EGMR, ob der Grundrechtseingriff gerechtfertigt war. Dies verneinte er: Zwar habe der Eingriff auf einer gesetzlichen Grundlage beruht und mehreren in Art. 10 Abs. 2 EMRK aufgezählten Zielen gedient, nämlich dem Interesse der nationalen und der öffentlichen Sicherheit sowie der Aufrechterhaltung der Ordnung und der Verbrechensverhütung.
Allerdings sei der Eingriff in einer demokratischen Gesellschaft nicht notwendig gewesen und habe daher den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht verletzt. Der EGMR erinnerte daran, dass Art. 10 Abs. 2 EMRK einen sehr engen Beurteilungsspielraum für Einschränkungen politischer Äußerungen oder Diskussionen in Angelegenheiten des öffentlichen Interesses eröffnet. Die Mitgliedstaaten dürften das Recht der Öffentlichkeit, über solche Äußerungen informiert zu werden, grundsätzlich nicht einschränken – auch nicht mit Blick auf die in Art. 10 Abs. 2 EMRK aufgezählten Ziele, nämlich den Schutz der territorialen Unversehrtheit, der öffentlichen Sicherheit, der Aufrechterhaltung der Ordnung oder der Verbrechensverhütung. Einschränkungen seien nur ausnahmsweise zulässig, wenn die betreffenden Äußerungen zu Gewalt anspornen.
Im vorliegenden Fall habe der Beschwerdeführer Demirtaş seine Ideen und Meinungen zu einer Frage geäußert, die in einer demokratischen Gesellschaft zweifellos von öffentlichem Interesse sei: Er habe die Behörden und die Öffentlichkeit angerufen, die mögliche Rolle des inhaftierten PKK-Chefs bei der Findung einer friedlichen Lösung der Kurdenfrage zu berücksichtigen und folglich dessen Haftbedingungen zu verbessern, damit er diese Rolle einnehmen kann. Der EGMR sah in den Äußerungen des Beschwerdeführers weder einen Aufruf zu Gewalt, bewaffnetem Widerstand oder Aufstand, noch beurteilte er sie als Hassrede.
Vor diesem Hintergrund folgerte der EGMR, dass die angefochtene Maßnahme keinem dringenden sozialen Bedürfnis entsprach, gegenüber den verfolgten berechtigten Zielen nicht verhältnismäßig und daher in einer demokratischen Gesellschaft nicht notwendig war.
Vgl. zu diesem Verfahren die Pressemitteilung (in englischer Sprache) und den Volltext der Entscheidung (in französischer Sprache).