Der EGMR teilte zunächst den Einwand der georgischen Regierung nicht, wonach die Beschwerdeführer:innen den innerstaatlichen Instanzenzug nicht ausgeschöpft hätten. Im Hinblick auf die in den Beschwerden insbesondere im Zusammenhang mit Art. 3 EMRK erhobenen Vorwürfe exzessiver bzw. gezielter Polizeigewalt und der fraglichen Wirksamkeit der – sowohl zum Zeitpunkt der Beschwerdeerhebungen als auch zum Entscheidungszeitpunkt – andauernden strafrechtlichen Ermittlungen, von denen die Vorwürfe jedoch grundsätzlich umfassten seien, sei der Einwand zu verwerfen. Auch sonst sah der EGMR die Beschwerden des Großteils der Beschwerdeführer:innen in Bezug auf Art. 3 EMRK als zulässig an.
Anschließend setzte sich der EGMR mit den prozeduralen Aspekten von Art. 3 EMRK auseinander, indem er seine subsidiäre Rolle sowie die Notwendigkeit betonte, nicht gleich einem erstinstanzlichen Gericht Tatsachenfeststellungen zu treffen. Es gehe vielmehr um die Beurteilung, ob in Bezug auf die von den Beschwerdeführer:innen erhobenen Vorwürfe auf innerstaatlicher Ebene hinreichend ermittelt worden sei. Im Wesentlichen hätten die Vorwürfe einerseits die Verwendung von Gummigeschossen, andererseits weitere Misshandlungen im Zuge der Demonstrationsauflösung und damit jeweils zusammenhängende Verletzungen betroffen. In beiderlei Hinsicht stellte der EGMR einstimmig eine Verletzung der prozeduralen Aspekte des Verbots der unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung gemäß Art. 3 EMRK im Hinblick auf die als unwirksam qualifizierten strafrechtlichen Ermittlungen fest, die zum Entscheidungszeitpunkt seit mehr als viereinhalb Jahren angedauert hatten.
Hinsichtlich der inhaltlichen Aspekte von Art. 3 EMRK führte der EGMR aus, dass die Vorgänge im Zuge der – unstrittig zunächst friedlichen, später aber eskalierenden – Demonstration, die zu deren Auflösung geführt hätten, eindeutig als Gefahr für die öffentliche Ordnung anzusehen gewesen seien, die den Einsatz von Polizeigewalt, einschließlich der Verwendung von Gummigeschossen durch einzelne Polizeikräfte, grundsätzlich habe rechtfertigen können. Unstrittig sei auch, dass der Großteil der Beschwerdeführer:innen sich während der Vorgänge friedlich verhalten habe, aber durch Gummigeschosse verletzt worden sei. Der EGMR habe letztlich insbesondere zu beurteilen, ob die Verletzungen der Beschwerdeführer:innen bloß eine ungewollte Konsequenz eines grundsätzlich rechtmäßigen bzw. verhältnismäßigen Einsatzes von Polizeigewalt gewesen seien oder ob in dieser Hinsicht eine ungerechtfertigte bzw. exzessive Gewaltausübung stattgefunden habe, die eine Verletzung von Art. 3 EMRK darstelle. Dahingehend seien aber im Hinblick auf das vor dem EGMR notwendige Beweismaß ("ohne begründeten Zweifel") weitere Ermittlungen auf innerstaatlicher Ebene erforderlich. Die bisherigen strafrechtlichen Ermittlungen seien – wie bereits festgestellt – als unzureichend anzusehen.
Der EGMR beschloss daher mehrheitlich (vgl. das Sondervotum von Richter Gnatovskyy, das der Entscheidung im Volltext unten angehängt ist), keine Entscheidung zur Begründetheit der Beschwerden im Hinblick auf die inhaltlichen Aspekte von Art. 3 EMRK sowie zur Zulässigkeit bzw. Begründetheit der Beschwerden in Bezug auf Art. 10 und 11 EMRK zu treffen, da die strafrechtlichen Ermittlungen noch nicht abgeschlossen seien und der Sachverhalt auf innerstaatlicher Ebene weiter geklärt werden müsse. Er betonte in diesem Zusammenhang erneut seine subsidiäre Rolle im Rechtsschutzsystem der EMRK sowie die geteilte Verantwortlichkeit zwischen den Vertragsstaaten und ihm selbst im Hinblick auf die Einhaltung der in der EMRK garantierten Rechte. Schließlich entschied der EGMR einstimmig, dass in Anbetracht der übrigen Ausführungen keine Notwendigkeit einer Prüfung der Beschwerden in Bezug auf Art. 13 EMRK bestehe.
Die Entscheidung ist noch nicht rechtskräftig (vgl. Art. 44 Abs. 2 EMRK).
Vgl. zu diesem Verfahren die Pressemitteilung und den Volltext der Entscheidung.