Fachinfos - Judikaturauswertungen 11.09.2023

Unzulässiges Polizeihandeln bei einer Landtagssitzung

LVwG Vorarlberg 24.7.2023, LVwG-2-2/2023-R8 u.a.

Im Zuge einer Landtagssitzung ordnete der Präsident des Vorarlberger Landtags die Entfernung von Aktivist:innen von der Besuchertribüne an. Diese Anordnung erfolgte in Ausübung der Sitzungspolizei und somit im Rahmen der gesetzgebenden Gewalt. Die Beschwerdeführerin wurde sodann von Polizeibeamten unter Anwendung von Körperkraft aus dem Saal gebracht. Das Landesverwaltungsgericht Vorarlberg (LVwG) sprach aus, dass es für eine Mitwirkung der Polizeibeamten an der Vollziehung der Sitzungspolizei keine Rechtsgrundlage gab. Darüber hinaus habe der Polizeibeamte die Beschwerdeführerin durch das Ziehen an ihren Haaren in ihren Rechten verletzt.

Sachverhalt

Während einer Sitzung des Vorarlberger Landtags hielten sich mehrere Klimaaktivist:innen auf der Zuschauertribüne auf. Sie hielten Plakate hoch und die nunmehrige Beschwerdeführerin hielt eine Ansprache. Der Präsident des Vorarlberger Landtags ordnete – nach fruchtloser Mahnung – die Entfernung der Aktivist:innen aus dem Sitzungssaal an. Die Beschwerdeführerin wurde von Polizeibeamten aus dem Saal verbracht. Dabei wurde sie zunächst von einem Beamten am Handgelenk gezogen, wobei auch Teile ihres Haares mitgezogen wurden und sie zu Boden ging; schließlich wurde sie hinausgetragen.

Die Beschwerdeführerin erhob Maßnahmen- und Richtlinienbeschwerde an das LVwG: Sie machte im Wesentlichen eine unzulässige Anwendung von Körperkraft und eine diskriminierende, respektlose Vorgehensweise geltend.

Entscheidung des Landesverwaltungsgerichts Vorarlberg

Das LVwG gab der Beschwerdeführerin recht.

Zur Maßnahmenbeschwerde (Beschwerde gegen die Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt) führte das LVwG aus, dass nur Akte der Verwaltung bekämpfbar sind. Der Präsident des Vorarlberger Landtags sei nicht als Verwaltungsorgan tätig geworden, sondern als Organ der gesetzgebenden Gewalt. Die Anordnung und vorherige Androhung der Entfernung aus dem Sitzungssaal habe er in Ausübung der Sitzungspolizei getroffen, die ihm als Landtagspräsident obliege. Derartige Maßnahmen seien keinesfalls dem Bereich der Verwaltung zuzurechnen. Auch Hilfsdienste, die ihm dabei von untergeordneten Bediensteten in strikter Befolgung eines (Räumungs-)Auftrags geleistet werden, seien der Staatsfunktion Gesetzgebung zuzurechnen.

Der einschreitende Polizeibeamte sei zur Sicherung der Landtagssitzung im Landhaus Bregenz eingeteilt gewesen. Er sei kein dem Landtagspräsidenten untergeordneter Bediensteter und könne daher auch keine Hilfsdienste in dessen Unterordnung wahrnehmen, wenngleich er faktisch die Anordnungen des Landtagspräsidenten durchgeführt habe. Hinsichtlich der von ihm gegenüber der Beschwerdeführerin angewendeten Körperkraft liege daher ein Akt der Verwaltung vor.

Mangels rechtlicher Grundlage habe es für den Polizeibeamten keine Möglichkeit gegeben, bei der Vollziehung der dem Vorarlberger Landtagspräsidenten obliegenden Sitzungspolizei im Vorarlberger Landtag mitzuwirken. Dies sei auch die Rechtsansicht der Landespolizeidirektion Vorarlberg (als belangte Behörde). Andere Gründe für eine Festnahme der Beschwerdeführerin seien nicht erkennbar.

Aus diesem Grund erklärte das LVwG die durch den Polizeibeamten angewendete Körperkraft für rechtswidrig.

Auch der Richtlinienbeschwerde (Beschwerde wegen behaupteter Verletzung der Richtlinien für das Einschreiten der Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes) gab das LVwG statt. Die Bestimmung über die Achtung der Menschenwürde (§ 5 der Richtlinienverordnung) sei verletzt worden, weil der Polizeibeamte auch dann noch an den Haaren der Beschwerdeführerin gezogen habe, als ihm dies hätte auffallen müssen und er auch von einer anderen Person darauf aufmerksam gemacht worden war. Dies könne den Anschein erwecken, der Beamte habe die Beschwerdeführerin nur deswegen weiterhin an den Haaren gezogen, weil sie sich politisch aktiv betätigt hat. Nach der Richtlinienverordnung müsse aber schon der Schein der Voreingenommenheit vermieden werden.

Vgl. zu diesem Verfahren den Volltext der Entscheidung.