Fachinfos - Judikaturauswertungen 11.08.2022

Verfassungsmäßigkeit einer polizeilichen Zuverlässigkeitsprüfung

Verfassungsmäßigkeit einer polizeilichen Zuverlässigkeitsprüfung von Fraktionsmitarbeiter:innen (11. August 2022)

Verfassungsgerichtshof Baden-Württemberg 4.4.2022, 1 GR 69/21

Die Hausordnung des Landtags von Baden-Württemberg regelt, dass Mitarbeiter:innen der Landtagsfraktionen und der Abgeordneten eine polizeiliche Zuverlässigkeitsprü­fung absolvieren müssen. Die AfD-Landtagsfraktion sah darin eine Einschränkung ihrer Rechte, die auch zu permanenter Überwachung ihrer Mitarbeiter:innen führe. Der Ver­fassungsgerichtshof von Baden-Württemberg (VerfGH BW) hat den Antrag zurückge­wiesen und auf die Bedeutung der Regelung für den Schutz von Leib und Leben aller im Landtag anwesenden Personen hingewiesen.

Sachverhalt

Die Präsidentin des Landtags von Baden-Württemberg erließ im Februar 2021 eine Än­derung der Hausordnung des Landtags. Seither erhalten Mitarbeiter:innen der Fraktio­nen und der Abgeordneten erst nach Durchführung einer polizeilichen Zuverlässigkeits­überprüfung durch das Landeskriminalamt uneingeschränkten Zugang zu den Räum­lichkeiten des Landtags. Ohne diese Überprüfung dürfen sie lediglich Büroräumlichkei­ten ihrer jeweiligen Fraktion betreten. Der Zugang erfolgt mittels eines elektronischen Zutrittskartensystems. Die polizeiliche Zuverlässigkeitsprüfung kann nur mit Einwilli­gung der Betroffenen erfolgen und wird ausschließlich durch Abfrage vorhandener Da­ten in polizeilichen Informationssystemen durchgeführt.

Die AfD-Fraktion im Landtag sah dadurch die verfassungsrechtlich gewährleisteten Rechte der Abgeordneten verletzt. Insbesondere sah sie eine Einschränkung ihrer Mög­lichkeiten, Mitarbeiter:innen frei auswählen und einsetzen zu können und die Gefahr, dass diese permanent überwacht würden.

Entscheidung des Verfassungs­gerichtshofs Baden-Württemberg

Der VerfGH BW hat den Antrag der AfD-Fraktion als unbegründet zurückgewiesen.

Der Verfassungsgerichtshof betont, dass das in Art. 27 Abs. 3 Landesverfassung Baden-Württemberg geregelte freie Mandat den Abgeordneten einen grundsätzlich freien und unkontrollierten Zugang zu den Räumlichkeiten des Landtags garantiere. Da­raus folge jedoch kein unbeschränktes Zutrittsrecht für deren Mitarbeiter:innen.

Jedoch könne eine Beschränkung der Zutrittsrechte von Mitarbeiter:innen, so der VerfGH BW, mittelbar zu einer nicht gerechtfertigten Beeinträchtigung der freien Man­datsausübung führen. Eine solche Beeinträchtigung könne auch durch die Fraktion gel­tend gemacht werden.

Der VerfGH BW hält fest, dass die polizeiliche Zuverlässigkeitsüberprüfung eine Frak­tion nicht unmittelbar daran hindere, eine bzw. einen bestimmte:n Mitarbeiter:in anzustellen. Al­lerdings könne diese Maßnahme dazu führen, dass die Abgeordneten bzw. die Fraktio­nen nicht mehr uneingeschränkt auf die Unterstützung durch ihre Mitarbeiter:innen in allen Räumlichkeiten des Landtags zurückgreifen können. Zudem könne es schwieriger werden, in Zukunft geeignete Mitarbeiter:innen zu gewinnen. Dagegen folge aus der Hausordnung keinesfalls eine permanente Überwachung der Mitarbeiter:innen. Die Überprüfung sei ausschließlich auf den Zeitpunkt der Entscheidung über die (Erweite­rung der) Zutrittsberechtigungen und die zu diesem Zeitpunkt vorliegenden Daten be­schränkt.

Der VerfGH BW erachtete diese Beschränkungen durch den Schutz anderer Verfas­sungsrechtsgüter für gerechtfertigt. Er stellte fest, dass die Freiheit des Mandats und der Fraktionstätigkeit nicht schrankenlos gewährleistet seien. Die Verfassung erkenne auch die Repräsentations- und Funktionsfähigkeit des Parlaments – deren Schutz das Hausrecht diene – als Rechtsgüter von Verfassungsrang an. Dazu gehöre auch der Schutz von Leib und Leben aller in den Landtagsgebäuden anwesenden Personen.

Entscheidend sei, dass solche Regelungen über eine (hinreichend bestimmte) gesetzli­che Grundlage verfügen und jegliche Form einer nachrichtendienstlichen Überwachung der Abgeordneten ausschließen würden. Diese Bedingungen sah der VerfGH BW für gegeben an. Die Eingriffe in die Rechte der Mitarbeiter:innen würden in einem ange­messenen Ausmaß erfolgen, da sie lediglich auf bereits vorhandene Daten abstellten. Zudem seien die Abgeordneten weiterhin frei, in den ihnen exklusiv zustehenden Frak­tions- und Büroräumlichkeiten jede Person ihrer Wahl anzustellen.

Vgl. zu diesem Verfahren die Pressemitteilung und den Volltext der Entscheidung.