Fachinfos - Judikaturauswertungen 08.07.2020

Verletzung der AfD im Recht auf Chancengleichheit

Sachverhalt

Am 14. September 2018 erschien auf der Internetseite des Bundesministeriums des Innern, für Bau und Heimat (Bundesinnenministerium) ein Interview mit dem Bundesinnenminister, in welchem er Kritik an der Bundestagsfraktion Alternative für Deutschland (AfD) äußerte und ihr Verhalten unter anderem als „staatszersetzend“ bezeichnete. 

Die Bundespartei AfD (Antragstellerin) sah sich in ihrem Recht auf Chancengleichheit der Parteien aus Art. 21 Abs. 1 Satz 1 des Grundgesetzes (GG) verletzt und leitete ein Organstreitverfahren beim Deutschen Bundesverfassungsgericht (Dt. BVerfG) ein: Für Staatsorgane gelte, dass sie auch außerhalb der Wahlkampfzeiten das Neutralitätsgebot zu beachten hätten. In einem föderalen System fände gleichsam ständig ein Wahlkampf statt. Neutrale Informations- und Öffentlichkeitsarbeit stünde der Bundesregierung zwar zu, sie dürfte allerdings nicht staatliche Ressourcen einsetzen, um die politische Willensbildung zu beeinflussen. Dies habe der Bundesinnenminister getan, als er besagtes Interview unter Verwendung des Dienstwappens auf der Internetseite des Bundesinnenministeriums veröffentlichte und es als Verlautbarung in seiner Eigenschaft als Bundesminister dargestellt habe. 

Der Bundesinnenminister entgegnete, dass es sich um keine spezifische Amtsausübung gehandelt habe. Die Äußerungen seien an die AfD-Bundestagsfraktion und nicht an die Bundespartei adressiert gewesen. Außerdem habe er keinen Aufruf zu einem bestimmten Wahlverhalten in Bezug auf die AfD gemacht. Die Kritik sei eine Reaktion auf das Verhalten der AfD-Bundestagsfraktion gegenüber dem Bundespräsidenten in einer Haushaltsdebatte gewesen und damit allgemeinpolitischer Natur.

Entscheidung des Deutschen Bundesverfassungsgerichts

Das Dt. BVerfG hielt fest, dass die streitbefangenen Äußerungen nicht auf die AfD-Bundestagsfraktion beschränkt waren, sondern auch die Antragstellerin betroffen haben. Durch die Veröffentlichung des Interviews auf der Internetseite des Bundesinnenministers sei die Antragstellerin in ihrem Recht auf chancengleiche Teilnahme am politischen Wettbewerb der Parteien aus Art. 21 Abs. 1 Satz 1 GG verletzt.

Mit diesem Recht unvereinbar sei jede parteiergreifende Einwirkung von Staatsorganen zugunsten oder zulasten einzelner Parteien. Die Bundesregierung und ihre einzelnen Mitglieder hätten in ihrer Informations- und Öffentlichkeitsarbeit das Neutralitätsgebot einzuhalten. Inhabern eines Ministeramtes sei es allerdings nicht versagt, außerhalb der amtlichen Funktion am politischen Meinungskampf teilzunehmen. Die Beurteilung, ob eine Äußerung in Ausübung eines Ministeramtes stattgefunden habe, sei je nach Einzelfall zu treffen. Das Dt. BVerfG betonte dabei, dass digitale Kanäle staatlicher Organe dabei einen weiteren Wettbewerbsvorteil für Regierungsparteien böten.

Im Ergebnis unterschied das Dt. BVerfG zwischen den Äußerungen des Bundesinnenministers im Interview und der Veröffentlichung des Interviews auf der Internetseite des von ihm geführten Ministeriums. Die Erklärungen im Interview habe er nicht als Bundesminister sondern als Parteipolitiker getätigt und die Antragstellerin dadurch nicht in ihrem Recht auf Chancengleichheit verletzt. Die Äußerungen seien daher als Teilnahme am politischen Meinungskampf nicht zu beanstanden.

Anders sei die Veröffentlichung des Interviews zu beurteilen. Hierbei habe der Bundesinnenminister auf Ressourcen zurückgegriffen, die ihm nur aufgrund des Regierungsamtes zur Verfügung stehen. Durch ihren Einsatz habe er den Wettbewerb zwischen den Parteien zum Nachteil der Antragstellerin verändert. Die Antragstellerin sei dadurch in ihrem Recht auf Chancengleichheit der Parteien aus Art. 21 Abs. 1 Satz 1 GG verletzt.

Vgl. zu diesem Verfahren den Volltext der Entscheidung.