Fachinfos - Judikaturauswertungen 10.10.2019

Verletzung im Gleichheitsrecht

Anordnung einer Personenkontrolle und Abnahme von Mobiltelefonen bei Gericht. VfGH 11.6.2019, E 1666/2019.

Sachverhalt

Mit Bescheid vom 15. Mai 2018 gestattete der Vorsteher des Bezirksgerichtes Liezen (BG Liezen) sämtlichen Mitarbeiter/inne/n einer Rechtsanwaltskanzlei den Zugang zum Gericht ausschließlich (nur mehr) nach Passieren der Sicherheitsschleuse zur Personenkontrolle und sprach aus, dass sämtliche für eine Tonaufnahme geeigneten Gegenstände (inklusive Mobiltelefone) abzunehmen und bei der Sicherheitsschleuse zu verwahren seien. Die Rechtsvertreter  der Kanzlei hätten im Zuge einer Erstanhörung in einem Sachwalterschaftsverfahren vor dem BG Liezen unbemerkt vom Verhandlungsrichter Tonaufzeichnungen gemacht und dem zuständigen Richter sowie dem Gericht u.a. Links zur Abrufung der Aufnahmen auf einer Cloud-Box übermittelt. Diese Vorgangsweise verstoße gegen die Vorschriften der Prozessordnung, wonach unerlaubte Aufnahmen während einer Verhandlung als Störung anzusehen seien. Die Tonaufzeichnungen verstießen zudem gegen Punkt 2. der Hausordnung des BG Liezen, wonach ein generelles Verbot von Photo-, Film-, Video- und Tonaufnahmen im gesamten Gebäude ohne vorangehende Genehmigung durch den Gerichtsvorsteher besteht.

Das Bundesverwaltungsgericht wies die dagegen erhobene Beschwerde als unbegründet ab: Der Gerichtsvorsteher sei in Ausübung des Hausrechts befugt gewesen, ein Photografier- und Filmverbot sowie das Verbot von Video- und Tonbandaufzeichnungen für das BG Liezen vorzusehen und das Einbringen von für Tonaufnahmen geeigneten Geräten zu untersagen sowie den Zugang nur nach Personenkontrolle und Abnahme derartiger Geräte zu gestatten. Gemäß § 16 Abs. 3 Gerichtsorganisationsgesetz (im Folgenden: GOG) können „weitergehende“ Sicherheitsmaßnahmen „aus besonderem Anlass“ angeordnet werden.

In der gegen dieses Erkenntnis erhobenen Beschwerde machten die Beschwerdeführer die Verletzung in den verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz, auf Erwerbsausübungsfreiheit, auf ein faires Verfahren, auf Achtung des Privat- und Familienlebens, auf einen wirksamen Rechtsbehelf und ein unparteiisches Gericht, im Recht auf eine gute Verwaltung sowie im „Recht auf ungehinderte Ausübung der Rechtsvertretung und Wahrung der rechtlichen Interessen der vertretenen Mandanten bzw ihrem Recht auf ungehinderte Vertretung“ geltend.

Entscheidung des Verfassungs­gerichtshofes

Der Verfassungsgerichtshof (VfGH) stellte eine Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechts auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz fest und hob das Erkenntnis auf. Das Bundesverwaltungsgericht habe Willkür geübt, da es sein Erkenntnis zu Unrecht (insbesondere) auf § 16 Abs. 3 GOG gestützt hat:

§ 3 Abs. 1 GOG sieht Sicherheitskontrollen vor, wonach sich Personen, die ein Gerichtsgebäude betreten oder sich in einem solchen aufhalten, auf Aufforderung eines Kontrollorgans einer Kontrolle zu unterziehen haben, ob sie eine Waffe bei sich haben. Ausgenommen von diesen Sicherheitskontrollen sind die in § 4 Abs. 1 GOG aufgezählten Personengruppen, u.a. auch Rechtsanwält/inn/e/n und Rechtsanwaltsanwärter/innen, welche sich nur ausnahmsweise Sicherheitskontrollen zu unterziehen haben (§ 4 Abs. 2 und 3 GOG). § 16 Abs. 1 GOG sieht in Ergänzung dazu die Erlassung von Hausordnungen vor, die jedenfalls einen Hinweis auf das Waffenverbot und auf die Zulässigkeit von Sicherheitskontrollen zu enthalten haben. Aus besonderem Anlass kann die Dienststellenleitung gemäß § 16 Abs. 3 GOG weitergehende Sicherheitsmaßnahmen anordnen, wie insbesondere Personen- und Sachenkontrollen, Zugangs- und Hausverbote oder Identitätskontrollen.

Der VfGH hielt fest, dass die Bestimmungen des GOG, insbesondere die im vorliegenden Fall (einzig) maßgebliche gesetzliche Bestimmung des § 16 Abs. 3 GOG und die darauf (zulässigerweise) gestützten Teile der – der Publizität dienenden – Hausordnung des BG Liezen sohin, wie schon aus ihrem jeweiligen Wortlaut ersichtlich, ausschließlich im Dienste der Gewährleistung der Sicherheit des Gerichtsbetriebes stünden.

Auch wenn das von den Rechtsvertretern gesetzte Verhalten als den Verlauf der öffentlichen mündlichen Verhandlung störend anzusehen sein mag, liege dadurch jedenfalls nach den Umständen im vorliegenden Fall keine Beeinträchtigung der Sicherheit des Gerichtsbetriebes im Sinne der genannten Rechtsvorschriften vor. Nach Ansicht des VfGH kann es zwar besondere Konstellationen geben, in denen vergleichbare Maßnahmen im Interesse der Sicherheit im Sinne des § 16 GOG getroffen werden dürfen. Solche Voraussetzungen seien hier nicht vorgelegen: Im vorliegenden Fall sei es dem verhandlungsführenden Richter oblegen, im Rahmen der Sitzungspolizei für einen ordnungsgemäßen Ablauf der mündlichen Verhandlung zu sorgen (§ 197 ZPO). Bei (allenfalls auch künftigen) Verstößen durch die Rechtsvertreter stünde es dem Gericht offen, deren Verhalten bei der zuständigen Disziplinarbehörde anzuzeigen (§ 200 Abs. 3 ZPO) bzw. – sofern es sich nicht um eine/n Rechtsanwalt/-anwältin (oder Notar/in) handelt – mit den in den §§ 198 f. ZPO genannten Maßnahmen (Entfernung, Ordnungstrafen udgl.) gegen allfällige Störungen bzw. ungebührliches Verhalten vorzugehen.

Vgl. zu diesem Verfahren den Volltext der Entscheidung.