Fachinfos - Judikaturauswertungen 10.10.2019

Verletzung im Recht auf freie Wahlen

Keine Möglichkeit zu effektiver Wahlwerbung durch späte Registrierung als Kandidaten. EGMR 11.7.2019, 28508/11 u.a., Abdalov u.a. gg. Aserbaidschan (10. Oktober 2019)

Sachverhalt

Die Beschwerdeführer – drei aserbaidschanische Staatsangehörige – wollten bei den aserbaidschanischen Parlamentswahlen am 7. November 2010 kandidieren. Die Wahlkommissionen ihrer Wahlkreise erachteten jedoch einige der von ihnen gesammelten Unterschriften für ungültig, weshalb sie nicht die 450 für die Kandidatur benötigten Unterstützungsunterschriften erreichten. Noch vor Abschluss der daraufhin eingeleiteten Rechtsmittelverfahren begann am 15. Oktober 2010 der offizielle Wahlkampf.

Letztendlich wurden die Beschwerdeführer als Kandidaten registriert: Der erste Beschwerdeführer bekam seinen Registrierungsausweis am 4. November, der zweite am 2. November und der dritte am 5. November, dem letzten Tag des Wahlkampfes. Der 6. November musste aufgrund eines gesetzlichen Verbotes von jeglicher Wahlwerbung frei bleiben. Da sie so spät registriert worden waren, baten die Beschwerdeführer um die Verschiebung des Wahltermins in ihren Wahlkreisen, was jedoch abgelehnt wurde. Keiner der Beschwerdeführer wurde ins Parlament gewählt.

Die Beschwerdeführer erhoben daraufhin Beschwerden bei den Wahlbehörden und Gerichten und beantragten, die Wahlergebnisse in ihren Wahlkreisen für ungültig zu erklären. Sie gaben an, aufgrund der späten Registrierung den anderen Kandidat/inn/en gegenüber im Wahlkampf benachteiligt gewesen zu sein. Die Beschwerden wurden abgewiesen, woraufhin die Beschwerdeführer Individualbeschwerden beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) einbrachten. Sie argumentierten, dass ihnen die Registrierung als Kandidaten willkürlich verwehrt wurde. Zudem habe sie die verspätete Registrierung daran gehindert, an der Wahl unter den gleichen Voraussetzungen wie andere Kandidat/inn/en teilzunehmen, da kaum Zeit für Wahlwerbung verblieben sei. Sie stützten sich dabei auf das Recht auf freie Wahlen gemäß Art.­3 des 1.­Zusatzprotokolls zur EMRK (ZPEMRK). Darüber hinaus machten sie eine Verletzung des Rechts auf eine wirksame Beschwerde gemäß Art.­13 EMRK geltend.

Entscheidung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte

Der EGMR stellte fest, dass Kandidat/inn/en durch eine rechtzeitige Registrierung die Möglichkeit erhalten, während des Wahlkampfes ihre Botschaft zu vermitteln. Gleichzeitig bekämen dadurch auch die Wähler/inn/en alle notwendigen Informationen, um am Tag der Wahl eine freie Entscheidung treffen zu können.

Der erste und der zweite Beschwerdeführer hätten nur einen bzw. drei ganze Tage für die Wahlwerbung übrig gehabt, während dem dritten Beschwerdeführer praktisch keine Zeit mehr geblieben sei.

Obwohl die drei Beschwerdeführer letztendlich als Kandidaten registriert worden waren, sah der EGMR in der Verweigerung der Registrierung und dem folgenden Verfahrensgang Parallelen zu früheren Verfahren, in denen er Defizite im aserbaidschanischen Wahlverfahren festgestellt hatte.

Diverse verfahrensrechtliche Fristen und Schritte im Rechtsmittelverfahren würden Überschneidungen der Beschwerdeverfahren mit der Wahlkampfphase zulassen. Da die Wahlkampfphase 2010 sogar noch verkürzt worden sei, sei es für die Beschwerdeführer umso wichtiger gewesen, rasche Entscheidungen zu erlangen.

Die Verzögerungen in den Rechtsmittelverfahren seien den Wahlbehörden und Gerichten zuzurechnen. Diese hätten ihre Entscheidungen mehrmals verspätet getroffen und dabei zum Teil auch gegen die gesetzlich vorgesehene Entscheidungsfrist verstoßen.

In den vorliegenden Fällen gehe es nicht um die Beschränkung von Wahlwerbung oder Medienpräsenz an sich, sondern um das subjektive Recht der Beschwerdeführer, frei und effektiv und unter fairen und demokratischen Bedingungen zu kandidieren. Da die Registrierung so kurz vor der Wahl erfolgt sei, hätten sie keinen vernünftigen Zeitraum für effektive Wahlwerbung zur Verfügung gehabt. Diese Situation sei durch die Defizite im Registrierungsprozess (einem Mangel an Vorkehrungen gegen Willkür) und die verzögerten Rechtsmittelverfahren verursacht worden.

Das subjektive Wahlrecht der Beschwerdeführer sei dadurch in einem solchen Ausmaß beschnitten und seine Wirksamkeit derart beeinträchtigt worden, dass Art. 3 des 1. ZPEMRK verletzt worden sei. Bei diesem Ergebnis sei es nicht erforderlich, die Beschwerden auch im Hinblick auf Art. 13 EMRK zu prüfen.

Darüber hinaus sprach der EGMR aus, Aserbaidschan habe seine Pflichten gemäß Art. 34 EMRK nicht erfüllt, da beim Anwalt des zweiten und dritten Beschwerdeführers Unterlagen betreffend die anhängigen Verfahren beschlagnahmt worden waren. Dies habe die beiden Beschwerdeführer in der Ausübung ihrer Rechte zur Erhebung einer Individualbeschwerde an den EGMR behindert.

Vgl. zu diesem Verfahren die Pressemitteilung und den Volltext der Entscheidung (jeweils in englischer Sprache).