Der EGMR stellte fest, dass im vorliegenden Fall nicht das Veröffentlichen von Information sanktioniert wurde, sondern die Wahl der Art und des Ortes der Berichterstattung – also Handlungen, die gegen die Hausordnung des Parlaments verstießen. Nichtsdestotrotz habe die Sanktion die journalistische Aktivität der Journalist/inn/en – nämlich die direkte Berichterstattung über die parlamentarische Arbeit – eingeschränkt.
Die ungarische Regierung hatte vorgebracht, dass die Aufnahmen nicht das Ziel verfolgt hätten, ein Thema von öffentlichem Interesse anzusprechen, sondern vielmehr Abgeordnete in einer von Sensationslust geprägten Art darstellen sollten. Deshalb verdienten diese Aufnahmen nicht den gleichen Schutz wie andere Arten der Parlamentsberichterstattung. Dem stimmte der EGMR nicht zu: Durch die Aufnahmen sollte die Reaktion der Abgeordneten auf die angeblich rechtswidrigen Zahlungen dokumentiert werden – ein Thema von beachtlichem öffentlichen Interesse. Der EGMR hob die Bedeutung der Pressefreiheit als Kern einer demokratischen Gesellschaft hervor und betonte, dass weder er selbst noch nationale Gerichte Journalist/inn/en vorschreiben könnten, wie sie ihre Berichterstattung gestalten.
Demgegenüber stehe jedoch das öffentliche Interesse des Schutzes des ordnungsgemäßen Ablaufs der parlamentarischen Arbeit und der Rechte der Abgeordneten. Die rechtliche Grundlage für den Entzug der Akkreditierungen verfolge eben diese – legitimen – Ziele, zu deren Erreichung sie auch geeignet sei.
Hierzu hatten die betroffenen Journalist/inn/en vorgebracht, dass nicht ersichtlich sei, wie die Aufnahmen die Funktionsweise des Parlaments beeinträchtigt hätten. Zudem war die ungarische Regierung der Ansicht, dass Staaten bei der Regelung der Funktionsweise von Parlamenten einen weiten Ermessensspielraum hätten. Der EGMR hielt fest, dass das störende Verhalten im vorliegenden Fall – im Unterschied zu früheren Urteilen (vgl. EGMR 17.5.2016, 42461/13 u.a., Karácsony u.a. gg. Ungarn; 9.2.2017, 67259/14, Selmani u.a. gg. Mazedonien) – außerhalb der Plenarsitzungen oder sonstiger politischer Diskussionen im Parlament gesetzt worden ist.
Nach Ansicht des EGMR kommt Parlamenten eine gewisse Unabhängigkeit bei der Regelung des Verhaltens im Parlament zu. Die gerichtliche Überprüfung solcher Regelungen durch den EGMR sollte daher begrenzt sein. Im vorliegenden Fall sei das Filmverbot auf klar definierte Bereiche beschränkt gewesen, die für das Funktionieren der Gesetzgebung direkt relevant erschienen.
Der Entzug der Presseakkreditierungen sei jedoch nicht verhältnismäßig gewesen: Denn ein Eingriff in das Recht auf Meinungsäußerungsfreiheit müsse von Verfahrensgarantien begleitet werden. Dieses Erfordernis müsse zwar – vor dem Hintergrund der Prinzipien der Parlamentsautonomie und der Gewaltentrennung – an den parlamentarischen Kontext angepasst werden. Jedoch seien gerade diese Prinzipien der Grund, warum den Journalist/inn/en kein Rechtsmittel zur Verfügung gestanden ist. Das Fehlen externer Kontrollinstanzen mache daher im vorliegenden Fall Verfahrensgarantien besonders relevant.
Die rechtliche Grundlage für den Entzug der Akkreditierung fordere keine Prüfung der möglichen Folgen der Sanktion oder der Relevanz der betroffenen journalistischen Aktivität. Zudem werde den betroffenen Personen keine Teilhabe am Entscheidungsprozess ermöglicht. Das konkrete Verfahren habe lediglich aus einem Brief an die Journalist/inn/en bestanden, der sie vom Entzug der Akkreditierung informierte. Außerdem hätten weder die rechtliche Grundlage noch der konkrete Entzug der Akkreditierung die Dauer des Verbots spezifiziert. Die folgenden Ersuchen der Abgeordneten, ihre Akkreditierung zurückzuerlangen, seien nicht beantwortet worden. Zudem biete die Hausordnung kein effektives Rechtsmittel gegen die Entscheidung des Parlamentspräsidenten, mit dem die Journalist/inn/en ihre Argumente vorbringen hätten können.
Die Hausordnung sei in der Folge zwar geändert worden, wodurch Verfahrensgarantien vorgesehen wurden (wie eine festgelegte Dauer des Entzugs von Akkreditierungen oder Rechtsmittel gegen eine solche Entscheidung). Die Änderungen seien jedoch erst im Juli 2017 in Kraft getreten und daher auf den vorliegenden Fall nicht anwendbar gewesen. Die Beschwerdeführer/innen seien daher in ihrem Recht auf Meinungsäußerungsfreiheit (Art. 10 EMRK) verletzt worden.
Vgl. zu diesem Verfahren die Pressemitteilung und den Volltext der Entscheidung (jeweils in englischer Sprache).