Fachinfos - Judikaturauswertungen 27.01.2021

VfGH: Niederösterreichische Gemeindeordnung rechtskonform

NÖ Staatsbürgerschaftsvorbehalt für Mitglieder des Gemeindevorstandes ist unionsrechts- und verfassungskonform. VfGH 25.11.2020, W I 9/2020 (27. Jänner 2021)

Sachverhalt

Der neu gewählte Gemeinderat der Stadtgemeinde Mödling wählte in seiner ersten Sitzung im Jänner 2020 den Gemeindevorstand (Stadtrat). Der Wahl waren Nominierungen der im Gemeinderat vertretenen Wahlparteien vorausgegangen. Die Nominierung eines deutschen Staatsbürgers war vom Vorsitzenden mit Verweis auf den österreichischen Staatsbürgerschaftsvorbehalt in § 98 Abs. 1 NÖ Gemeindeordnung (NÖ GO) nicht akzeptiert worden, worauf ein Ergänzungsvorschlag gemacht wurde. Nach erfolgloser Anfechtung der Wahl zum Gemeindevorstand bei der Bezirkswahlbehörde begehrten drei Gemeinderatsmitglieder, darunter der von der Wahl ausgeschlossene deutsche Staatsbürger, und die zugehörige Wahlpartei beim Verfassungsgerichtshof (VfGH) die Aufhebung der Wahl nach Art. 141 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) wegen Verletzung von Unions- und Verfassungsrecht: Der Staatsbürgerschaftsvorbehalt für den Gemeindevorstand in der NÖ GO sei unsachlich. So könnten gemäß § 26 Statut der Landeshauptstadt Graz auch Unionsbürger/innen zu Stadträt/inn/en gewählt werden; Art. 40 Grundrechte-Charta (GRC) und Art. 22 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) räumten Unionsbürger/inne/n in ihrem Wohnsitz-Mitgliedstaat das aktive und passive Wahlrecht bei Kommunalwahlen ein.

Entscheidung des Verfassungs­gerichtshofs

Der VfGH ließ nur die Anfechtung des von der Wahl zum Gemeindevorstand ausgeschlossenen Wahlwerbers gemäß § 67 Abs. 2 Verfassungsgerichtshofgesetz zu. Eine Anfechtung durch eine Wahlpartei sei nicht vorgesehen, für eine Anfechtung durch Gemeinderät/inn/e/n bedürfe es eines Zehntels der Mitglieder des Gemeinderates, in diesem Fall also fünf, sie sei aber insgesamt nur von drei Gemeinderatsmitgliedern eingebracht worden.

In der Folge wurde die Anfechtung (in der Sache) abgewiesen: § 98 Abs. 1 NÖ GO, wonach ein/e Wahlwerber/in für den Gemeindevorstand österreichische/r Staatsbürger/in sein müsse, sei verfassungs- und unionsrechtskonform.

Die Ausgestaltung des Wahlrechts liege in der Zuständigkeit des jeweiligen Landesgesetzgebers. Eine unterschiedliche Inanspruchnahme dieser Kompetenz könne von vornherein nicht unsachlich sein.

Die Regelung sei aber auch für sich genommen nicht unsachlich. Art. 117 Abs. 2 B-VG, der Vorgaben für die Wahl zum Gemeinderat mache, ermächtige nur den Landesgesetzgeber, auch Staatsangehörigen anderer Mitgliedstaaten der Europäischen Union das aktive und passive Wahlrecht einzuräumen. Mache er davon Gebrauch, so blieben dennoch seine Gestaltungsmöglichkeiten für die Wahl des Gemeindevorstands offen, zumal Art. 117 Abs. 5 B-VG hier weitaus weniger Vorgaben mache als Art. 117 Abs. 2 B-VG. Ein Staatsbürgerschaftsvorbehalt für den Gemeindevorstand sei durchaus sachlich, da die Gemeindeordnung ihm hoheitliche, über den eigenen Wirkungsbereich der Gemeinde hinausgehende Aufgaben einräume, er den/die Bürgermeister/in vertreten könne, wie er auch als Berufungsinstanz fungiere. Daher sei es angemessen, ein hohes Maß an Verbundenheit seiner Mitglieder zum Staat vorauszusetzen.

Art. 40 GRC räume keine über Art. 22 AEUV hinausgehenden Rechte ein. In diesem Sinne sei für den Umfang der Ausübung des Kommunalwahlrechts die einschlägige Richtlinie maßgeblich. Die Kommunalwahlrichtlinie stelle aber nur auf „unmittelbare“ Wahlen ab, d.h. die Wahl eines Gemeindeorgans durch das Gemeindevolk selbst. Der Gemeindevorstand würde aber nach der NÖ GO vom Gemeinderat gewählt. Deshalb liege kein Verstoß gegen das Unionsrecht vor. Im Übrigen würde es auch die Kommunalwahlrichtlinie erlauben, wäre sie anwendbar, für die Wählbarkeit von Exekutivorganen einer lokalen Gebietskörperschaft die österreichische Staatsbürgerschaft vorauszusetzen.

Vgl. zu diesem Verfahren die Pressemitteilung und den Volltext der Entscheidung.