Fachinfos - Judikaturauswertungen 14.03.2024

VfGH zu Untersuchungsgegenstand und Begründungspflicht

VfGH 29.2.2024, UA 1/2024 und UA 2-15/2024

Der Verfassungsgerichtshof (VfGH) hat seiner bisherigen Rechtsprechung zum Recht der parlamentarischen Untersuchungsausschüsse (UsA) in zwei Verfahren über die Rechtmäßigkeit von Bestreitungsbeschlüssen zu mehreren ergänzenden Beweisanforderungen neue Aspekte hinzugefügt: Zum einen hielt er fest, dass eine inzidente Prüfung der Verfassungskonformität des Untersuchungsgegenstandes weder auf Grund einer Anregung eines Viertels der Mitglieder eines UsA noch von Amts wegen in Betracht kommt. Zum zweiten entschied er, dass eine Antragslegitimation im Verfahren vor dem VfGH auch dann besteht, wenn alle oder einige Antragsteller:innen anderen Beschlüssen im selben Untersuchungsausschuss zugestimmt haben; ein Ausschluss der Antragslegitimation liege nur vor, wenn zum konkreten Verfahrensgegenstand zugestimmt wurde. Zum dritten stellte der VfGH klar, die Erfüllung der Behauptungs- und Begründungspflicht der bestreitenden Mehrheit im UsA könne sich auch aus der auszugsweisen Darstellung zur entsprechenden Sitzung des UsA ergeben.

Sachverhalt

Die Verfahren vor dem VfGH betrafen jeweils Anträge von Abgeordneten, mehrere Bestreitungsbeschlüsse betreffend Verlangen auf ergänzende Beweisanforderung als rechtswidrig zu erklären. Am 11. Jänner 2024 verlangte ein Viertel der Mitglieder des "ROT-BLAUER Machtmissbrauch"-UsA mehrere ergänzende Beweisanforderungen an vorlagepflichtige Organe. Einige dieser Beweisanforderungen wurden durch Beschluss des UsA sodann wegen mangelndem sachlichen Zusammenhang mit dem Untersuchungsgegenstand bestritten. Eine Begründung für diese Bestreitungsbeschlüsse findet sich nicht im Amtlichen Protokoll, ist aber aus der auszugsweisen Darstellung zur Sitzung des UsA erkennbar. Am 19. Jänner 2024 stellte das einschreitende Viertel der Mitglieder des "ROT-BLAUER-Machtmissbrauch"-UsA auf Art. 138b Abs. 1 Z 3 B-VG gestützte Anträge auf Feststellung der Rechtswidrigkeit dieser Bestreitungsbeschlüsse beim VfGH, in denen es jeweils auch die inzidente Prüfung der Verfassungskonformität des Untersuchungsgegenstandes des "ROT-BLAUER-Machtmissbrauch"-UsA durch den VfGH anregte. Der UsA erstattete hierzu jeweils eine Stellungnahme und legte dem VfGH auch die auszugsweise Darstellung zur Sitzung des UsA vor. Der VfGH entschied über diese Anträge in den beiden genannten Verfahren mit im Wesentlichen wortgleicher Argumentation.

Entscheidung des Verfassungs­gerichtshofs

Zur Zulässigkeit der Verfahren führte der VfGH – neben der Feststellung der Erfüllung aller übrigen Zulässigkeitsvoraussetzungen der Verfahren – aus, die Antragsteller:innen seien zur Einbringung der Anträge legitimiert gewesen: Der Umstand, dass Personen aus dem Kreis der Antragsteller:innen andere Punkte als den Verfahrensgegenstand des vom VfGH zu entscheidenden Verfahrens (den Bestreitungsbeschluss in Bezug auf die konkrete ergänzende Beweisanforderung) (mit)beschlossen hätten, habe keine Auswirkungen auf die Antragslegitimation der Antragsteller:innen. Gegenstand des Verfahrens sei ausschließlich dieser Bestreitungsbeschluss und zu diesem habe keine:r der Antragsteller:innen zugestimmt. Die Überlegungen aus dem Beschluss des VfGH vom 24. Jänner 2024 (UA 2/2023) seien auf die vorliegenden Verfahren nicht übertragbar, dort hätten einzelne Antragsteller:innen für eben jenen Beschluss im Geschäftsordnungsausschuss gestimmt, den sie in der Folge beim VfGH angefochten hatten. In ähnlicher Weise habe der VfGH die teilweise Zurückweisung eines Antrages in seinem Erkenntnis vom 2. Dezember 2022 (UA 95/2022) begründet.

In der Sache wies der VfGH die Anträge, die Bestreitungsbeschlüsse seien rechtswidrig, im Ergebnis allesamt wegen ausreichender Erfüllung der Behauptungs- und Begründungspflicht der bestreitenden Mehrheit im UsA ab. Im Einzelnen führte er dazu im Wesentlichen das Folgende aus:

Der VfGH hält zusammengefasst – unter Berufung auf seine bisherige Rechtsprechung – erneut fest, dass die Begründungspflicht aus § 25 Abs. 3 zweiter Satz VO-UA für ein Verlangen auf ergänzende Beweisanforderung mit einer – bereits im parlamentarischen Verfahren zu erfüllenden – Behauptungs- und Begründungspflicht des UsA bei Bestreitung dieses Verlangens auf ergänzende Beweisanforderung korrespondiere (die Mehrheit habe die Bestreitung substantiiert und nachvollziehbar zu begründen, um der Minderheit eine Überprüfung und eine allfällige Antragstellung beim VfGH zu ermöglichen). Dazu führt der VfGH – erstmals – aus, diese Behauptungs- und Begründungspflicht des UsA leite er unmittelbar aus Art. 138b Abs. 1 B-VG iVm Art. 53 B-VG ab.

Weiters wird – wiederum unter Verweis auf die bisherige Rechtsprechung – ausgesprochen, diese Begründung des UsA müsse aus dem Abstimmungsvorgang bzw. aus dem Beschluss im UsA ersichtlich sein und die Anforderungen an diese Begründung seien unterschiedlich danach zu beurteilen, ob das Verlangen des Viertels der Mitglieder des UsA offenkundig vom Umfang des Untersuchungsgegenstandes gedeckt sei oder nicht. Außerdem dürfe die Begründungspflicht nicht überspannt werden.

Neu sei nun aber, dass die Begründung für den Bestreitungsbeschluss sich nicht – wie in allen bisher beim VfGH geführten Verfahren – aus dem Amtlichen Protokoll (Antrag und Bestreitung als Beilage zu diesem) ergebe. Aus dem Amtlichen Protokoll ergebe sich vorliegend nur der Bestreitungsbeschluss, nicht aber auch dessen Begründung. Eine Begründung finde sich in der (vom UsA dem VfGH vorgelegten) auszugsweisen Darstellung.

Der VfGH wertet dies als dokumentierte Begründung: Aus der in der auszugsweisen Darstellung dokumentierten Beratung in der Sitzung werde (auch durch den entsprechenden Hinweis des Vorsitzenden im Rahmen der Abstimmung) deutlich, dass die näher begründenden Ausführungen des betroffenen Abgeordneten Teil des Bestreitungsbeschlusses gewesen seien. Die auszugsweise Darstellung habe zwar nicht dieselbe Beweiskraft wie das Amtliche Protokoll, es seien jedoch im vorliegenden Fall keine Anhaltspunkte ersichtlich, dass die auszugsweise Darstellung nicht dem tatsächlichen Verlauf der Beratungen entspreche. Auch die Antragsteller:innen hätten dies nicht vorgebracht. Zudem sei diese auszugsweise Darstellung den Antragsteller:innen so zeitgerecht zur Verfügung gestanden, dass sie in der Lage gewesen seien, ihren Antrag beim VfGH fristgerecht und in Kenntnis der Bestreitungsbegründung einzubringen.

Zur inhaltlichen Erfüllung der Behauptungs- und Begründungspflicht im konkreten Fall führte der VfGH sodann an: Da der sachliche Zusammenhang zwischen der ergänzenden Beweisanforderung und dem Untersuchungsgegenstand nicht offenkundig sei, wäre das verlangende Viertel der Mitglieder des UsA gehalten gewesen, diesen sachlichen Zusammenhang näher darzulegen. Eine solche Darlegung fehle (UA 1/2024: der bloße Verweis auf staatsanwaltliche Verfahren sei nicht hinreichend, zumal der VfGH aus der bloßen Anführung von staatsanwaltschaftlichen Geschäftszahlen jedenfalls nicht in die Lage versetzt werde, die Streitigkeit zu entscheiden; ungeachtet der Frage, ob die Mitglieder des UsA über diese Geschäftszahlen nähere Informationen gewinnen könnten, könne es der auf Grund der Aktenlage entscheidende VfGH jedenfalls nicht, weshalb ihre Anführung nicht ausreichend zur Darlegung des sachlichen Zusammenhanges im Verlangen sei; UA 2‑15/2024: der bloße Verweis darauf, dass sich die Verbundenheit der ÖVP mit der SPÖ bzw. der FPÖ auf Grund näher angeführter Regierungs- und Arbeitsprogramme ergebe, genüge nicht). Angesichts dessen erwiesen sich die Bestreitungsbeschlüsse des UsA als auch inhaltlich ausreichend begründet und damit nicht rechtswidrig.

Zur Geltendmachung der Verfassungswidrigkeit des Untersuchungsgegenstandes führte der VfGH aus, es sei festzuhalten, dass die Einsetzung eines UsA bzw. die Festlegung des Untersuchungsgegenstandes auch dann rechtswirksam sei, wenn der Untersuchungsgegenstand gegen die Bestimmungen des Art. 53 B-VG verstoßen sollte; ein im Lichte des Art. 53 B-VG unzulässiger Untersuchungsgegenstand bewirke daher nicht dessen absolute Nichtigkeit. Entgegen der Anregung der Antragsteller:innen komme für den VfGH in diesem Verfahren die inzidente Prüfung des Untersuchungsgegenstandes des eingesetzten UsA nicht in Betracht. Dem VfGH sei es im Verfahren nach Art. 138b Abs. 1 Z 3 B-VG verwehrt, auf Grund einer Anregung eines Viertels der Mitglieder eines UsA (oder gar von Amts wegen) die Übereinstimmung des Untersuchungsgegenstandes mit den Vorgaben der Verfassung zu prüfen. Dies ergebe sich aus der Entscheidung des Verfassungsgesetzgebers in Art. 53 Abs. 1 iVm Art. 138b Abs. 1 Z 1 B-VG. Danach könne nur ein Beschluss des Geschäftsordnungsausschusses des Nationalrates, mit dem ein (Minderheits‑)Verlangen eines Viertels der Mitglieder des Nationalrates, einen UsA einzusetzen, für ganz oder teilweise unzulässig erklärt wird, durch ein dieses Verlangen unterstützendes Viertel seiner Mitglieder wegen Rechtswidrigkeit angefochten werden. Damit habe der Verfassungsgesetzgeber eine abschließende Regelung getroffen, unter welchen Voraussetzungen Mitglieder des Nationalrates die Einsetzung eines UsA bekämpfen könnten. Würde nun der VfGH in einem auf Grund eines Antrages eines Viertels der Mitglieder eines UsA nach Art. 138b Abs. 1 Z 3 B-VG eingeleiteten Verfahren auf Grund einer Anregung im Antrag incidenter die Rechtmäßigkeit des Untersuchungsgegenstandes prüfen, würde dies der angeführten Entscheidung des Verfassungsgesetzgebers zuwiderlaufen bzw. diese unterlaufen.

Vgl. zu diesen Verfahren die Pressemitteilung und den Volltext der Entscheidung UA 1/2024 bzw. den Volltext der Entscheidung UA 2-15/2024.