Fachinfos - Judikaturauswertungen 10.01.2025

VwGH zu Versammlungen während Parlamentssitzungen

VwGH 6.11.2024, Ra 2023/01/0242

Das Landesverwaltungsgericht Tirol (LVwG) hatte mit am 29. März 2023 mündlich verkündetem, am 20. Juli 2023 schriftlich ausgefertigtem Erkenntnis, LVwG-2023/14/0482-4, ein Straferkenntnis der Landespolizeidirektion Tirol (LPD) betreffend eine nicht angezeigte Versammlung im Sitzungssaal des Tiroler Landtages aufgehoben (siehe die dazu veröffentlichte Judikaturauswertung vom 18.09.2023 "Keine nachträgliche Bestrafung für Versammlung in Tiroler Landtag"). Der Verwaltungsgerichtshof (VwGH) gab nunmehr einer von der LPD erhobenen Amtsrevision statt und hob das Erkenntnis des LVwG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhalts auf. Der VwGH hatte dabei die Frage zu klären, ob Versammlungen von Zuhörer:innen in Sitzungen gesetzgebender Organe der Anzeigepflicht nach dem Versammlungsgesetz 1953 unterliegen und ob die Möglichkeit der Ausübung der Sitzungspolizei durch das gesetzgebende Organ dieser Anzeigepflicht und der Strafbarkeit bei einem Verstoß dagegen entgegensteht.

Sachverhalt

Der Beschwerdeführer hatte sich mit drei weiteren Personen zu einer Protestaktion während einer Sitzung des Tiroler Landtages verabredet und dazu entsprechende Banner vorbereitet. Diese Aktion wurde zuvor nicht gemäß § 2 Abs. 1 Versammlungsgesetz 1953 als Versammlung bei der LPD angezeigt. Während der Sitzung des Tiroler Landtages am 15. Dezember 2022 standen der Beschwerdeführer und die drei weiteren Personen von ihren Sitzen im Besucherbereich des Sitzungssaales auf und hielten die vorbereiteten Banner hoch. "Als verlängerter Arm" (siehe die Entscheidung des LVwG) der Landtagspräsidentin im Rahmen der Ausübung der Sitzungspolizei gemäß § 19 Abs. 2 der Geschäftsordnung des Tiroler Landtages (GO‑LT) forderte eine Polizistin den Beschwerdeführer und die drei weiteren Personen auf, den Sitzungssaal zu verlassen. Sie leisteten dieser Aufforderung Folge.

Die LPD verhängte daraufhin mit Straferkenntnis vom 13. Jänner 2023 zwei Geldstrafen gemäß § 19 Versammlungsgesetz 1953 gegen den Beschwerdeführer, weil dieser sowohl gegen die Anzeigepflicht gemäß § 2 Abs. 1 Versammlungsgesetz 1953 verstoßen als auch die sogenannte Bannmeilenregelung gemäß § 7 Versammlungsgesetz 1953 übertreten habe.

Dagegen erhob der Beschwerdeführer Beschwerde an das LVwG, das der Beschwerde zur Gänze Folge gab, das Straferkenntnis aufhob und das Verwaltungsstrafverfahren einstellte. Begründend führte das LVwG insbesondere aus, dass die Protestaktion im Sitzungssaal und somit innerhalb der Räumlichkeiten des Tiroler Landtages stattgefunden habe. Der Beschwerdeführer habe als Besucher den Ablauf der Sitzung derart gestört, dass er gemäß § 19 Abs. 2 GO-LT aufgefordert worden sei, sich aus dem Sitzungssaal zu entfernen. Das angefochtene Straferkenntnis der LPD ahnde das Verhalten des Beschwerdeführers aber nach dem Versammlungsgesetz 1953, obwohl dieses bereits im Rahmen der durch die GO-LT abschließend geregelten Ausübung der Sitzungspolizei eingestellt worden sei. Für eine nachträgliche Bestrafung nach dem Versammlungsgesetz 1953 bleibe daher in Fällen wie dem vorliegenden kein Raum. Dies ergebe sich aus der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (VfGH), der dies in Bezug auf eine nachträgliche Bestrafung wegen Störung der öffentlichen Ordnung gemäß § 81 des Sicherheitspolizeigesetzes (SPG) während einer Sitzung des Nationalrates ausdrücklich ausgesprochen habe (VfSlg. 19.990/2015).

Gegen diese Entscheidung richtete sich nunmehr die Amtsrevision der LPD, die zu ihrer Zulässigkeit unter anderem geltend machte, dass Rechtsprechung des VwGH zur Frage fehle, ob auch Versammlungen am Sitz gesetzgebender Körperschaften – hier des Landtages – während diese tagen, der Verpflichtung zur vorherigen Anzeige gemäß § 2 Abs. 1 Versammlungsgesetz 1953 unterliegen und ob die Möglichkeit der Ausübung der Sitzungspolizei durch das gesetzgebende Organ dieser Anzeigeverpflichtung und der Strafbarkeit bei einem Verstoß dagegen entgegensteht.

Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofs

Der VwGH hielt die Revision aufgrund des – oben wiedergegebenen – Vorbringens für teilweise zulässig, nämlich soweit sie sich dagegen richtete, dass das LVwG der Beschwerde gegen die Bestrafung wegen Unterlassung der Versammlungsanzeige gemäß § 2 Abs. 1 Versammlungsgesetz 1953 Folge gegeben, diese aufgehoben und das Strafverfahren eingestellt habe (nicht jedoch soweit die Bestrafung gemäß § 7 Versammlungsgesetz 1953 aufgehoben wurde). Zwar habe der VwGH zwischenzeitig – implizit – bejaht, dass auch Versammlungen von Zuhörer:innen in Sitzungen gesetzgebender Organe grundsätzlich der Verpflichtung zur vorherigen Anzeige unterliegen (Hinweis auf VwGH 8.4.2024, Ro 2024/01/0001), doch fehle Rechtsprechung dazu, inwieweit dies – ebenso wie die Bestrafung des Verstoßes gegen die Anzeigepflicht – mit der den Organen des Landtages vorbehaltenen Ausübung der Sitzungspolizei in Einklang zu bringen sei.

Die Revision sei auch begründet: Die Ausübung der Sitzungspolizei im Tiroler Landtag sei – so der VwGH unter erneutem Hinweis auf die Regelungen der GO-LT – der Staatsfunktion Gesetzgebung zuzurechnen und vorbehalten. Solche Akte in Ausübung der Sitzungspolizei in Beratungen von Landtagen und Nationalrat (und Bundesversammlung) sowie die Handhabung ihrer jeweiligen Geschäftsordnung stellten nach der Rechtsprechung der Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts keine Verwaltungsakte dar. Unter Hinweis auf die bisherige Judikatur des VfGH und des VwGH sei festzustellen, dass insbesondere Akte des jeweils in der Beratung die Sitzungspolizei ausübenden Organs (regelmäßig der bzw. des Vorsitzenden) daher nicht im Verwaltungsrechtsweg bekämpfbar seien.

In dem vom LVwG herangezogenen Erkenntnis VfSlg. 19.990/2015 habe der VfGH die nachträgliche Bestrafung wegen Störung einer Nationalratssitzung durch einen Besucher gemäß § 81 SPG wegen des der Gesetzgebung vorbehaltenen Vollzugsbereichs dementsprechend als ausgeschlossen angesehen.

Anders als in der diesem Erkenntnis zugrunde liegenden Konstellation sei es für den vorliegenden Fall aber wesentlich, dass dem Beschwerdeführer vor dem LVwG nicht ein während der laufenden Sitzung des Tiroler Landtages gesetztes Verhalten vorgeworfen worden sei. Es sei ihm vielmehr angelastet worden, dass er es entgegen § 2 Abs. 1 Versammlungsgesetz 1953 unterlassen habe, die Versammlungsanzeige zu erstatten. Dadurch sei ihm aber eine der Landtagssitzung zeitlich wie örtlich vorgelagerte Pflichtwidrigkeit angelastet worden. Es fehle daher an einem Konnex des die Strafbarkeit auslösenden Verhaltens zur Möglichkeit, diesem durch Ausübung der Sitzungspolizei nach der Geschäftsordnung und dem Hausrecht entgegenzutreten. Ein der Gesetzgebung vorbehaltener Vollzugsbereich könne der Ahndung der Unterlassung der Versammlungsanzeige durch die Versammlungsbehörde daher nicht entgegenstehen. Die Strafbarkeit wegen Verletzung der Anzeigepflicht sei nicht deswegen ausgeschlossen gewesen, weil die Abhaltung der Versammlung für die laufende Landtagssitzung in Aussicht genommen war. Dem Beschwerdeführer vor dem LVwG sei im Straferkenntnis der belangten Behörde nämlich die Unterlassung der Versammlungsanzeige und nicht die Durchführung der nicht angezeigten Versammlung während der Landtagssitzung vorgeworfen worden.

Dennoch habe im Gefolge einer Versammlungsanzeige die Versammlungsbehörde in verfassungskonformer Anwendung des Versammlungsgesetzes 1953 den nach der Rechtsprechung alleine der Staatsfunktion Gesetzgebung zukommenden Vollzugsbereich zu achten. Unzulässig sei daher Verwaltungshandeln, das in die der Staatsfunktion Gesetzgebung vorbehaltene Sitzungspolizei eingreife. Demnach sei es insbesondere nicht zulässig, dass die Versammlungsbehörde eine zur Abhaltung während der Sitzung eines gesetzgebenden Organs angezeigte Versammlung untersage. Dies würde nämlich bedeuten, dass eine Verwaltungsbehörde darüber befinde, welche Personen als Besucher:innen an Sitzungen gesetzgebender Organe teilnehmen und ob diese dort Meinungsbekundungen äußern dürfen oder nicht. Dies sei alleine eine Frage der Ausübung der Sitzungspolizei, die alleine den Organen der Gesetzgebung zustehe und daher nicht durch eine allfällige Untersagung gemäß § 6 Versammlungsgesetz 1953 vorweggenommen werden dürfe.

Umgekehrt sei es der Versammlungsbehörde ebenso verwehrt, in dem der Staatsfunktion Gesetzgebung vorbehaltenen Vollzugsbereich aus Eigenem Vorkehrungen im Interesse der reibungslosen bzw. ungestörten Durchführung einer solchen Versammlung zu treffen. Denn auch Maßnahmen im Interesse der Abhaltung der Versammlung – etwa die Beistellung von die Versammlungsteilnehmer:innen schützenden Parlamentsordner:innen im Besucher:innenraum des Sitzungssaales – seien in den der Sitzungspolizei unterliegenden Räumlichkeiten der Staatsfunktion Gesetzgebung vorbehalten und hätten von deren Organen verfügt zu werden.

Dennoch blieben die Aufgaben der Sicherheits- bzw. Versammlungsbehörde unberührt, deren (erleichterter) Erfüllung die Verpflichtung zur Anzeige auch von zur Abhaltung in Sitzungen gesetzgebender Organe in Aussicht genommenen Versammlungen diene. Zu denken sei insoweit beispielsweise an die "Verbotszone" gemäß § 7 Versammlungsgesetz 1953: Der Gesetzgeber habe mit dieser Regelung erkennbar das Ziel eines vorausschauenden Schutzes der Sitzungen gesetzgebender Organe durch die Versammlungsbehörde verfolgt. Dem diene auch die Verpflichtung zur Anzeige von zur Abhaltung in Sitzungen gesetzgebender Organe in Aussicht genommenen Versammlungen, zumal dies der Behörde ermögliche, Vorbereitungen für die Erfüllung der ihr außerhalb des Vollzugsbereichs der Gesetzgebung obliegenden Aufgaben zur Bewältigung der sich daraus ergebenden Herausforderungen zu treffen.

Das LVwG habe somit die Rechtslage dadurch verkannt, dass es davon ausging, dass der Bestrafung des Beschwerdeführers wegen Unterlassung der Anzeige der zur Durchführung in der Sitzung des Tiroler Landtages in Aussicht genommen Versammlung ein der Gesetzgebung vorbehaltener Vollzugsbereich entgegenstehe, weshalb die Entscheidung insoweit aufzuheben sei.

Vgl. zu diesem Verfahren die Pressemitteilung und den Volltext der Entscheidung.