Der EGMR betonte eingangs, dass die Zuweisung von Mandaten eine zentrale Frage der Demokratie ist und dass den Mitgliedstaaten dabei grundsätzlich ein weiter Spielraum zukommt. Er hob jedoch hervor, dass er überprüfen kann, ob die Mitgliedstaaten in diesem Zusammenhang willkürlich vorgingen.
Für den Erfolg eines Wahlprozesses ist es dem EGMR zufolge essentiell, dass eine Neuauszählung von Stimmzetteln in einem fairen Verfahren stattfinden kann. Das Recht auf freie Wahlen wäre in Gefahr, wenn substantiierte Unregelmäßigkeiten im Wahlverfahren nicht effektiv überprüft werden könnten.
Im konkreten Fall habe der Wahlprüfungsausschuss des wallonischen Parlaments in seinem Bericht festgestellt, dass die Mandate bei einer Neuauszählung der Stimmzettel in Mugemangangos Wahlkreis möglicherweise anders zu verteilen gewesen wären und dass ihm unter Umständen ein Mandat zugewiesen hätte werden müssen. Die Wahlanfechtung sei demnach nicht von vornherein unbegründet gewesen. Es sei daher zu prüfen, ob die behaupteten Unregelmäßigkeiten effektiv überprüft worden sind.
In diesem Zusammenhang unterstrich der EGMR, dass die nationale Rechtsordnung angemessene und ausreichende Garantien enthalten muss, durch die Willkür bei Wahlanfechtungen hintangehalten wird. Solche Garantien würden sicherstellen, dass die Rechtsstaatlichkeit gewahrt bliebe, dass die Integrität einer Wahl gesichert werde und dass das Parlament stets ausreichend legitimiert sei, ohne der Kritik ausgesetzt sein zu müssen, nicht korrekt zusammengesetzt zu sein. Seien diese Garantien nicht gegeben, stehe das Vertrauen der Wähler/innen in das Parlament auf dem Spiel.
Im vorliegenden Fall seien sowohl der Wahlprüfungsausschuss als auch das Plenum des wallonischen Parlaments ausschließlich aus Mitgliedern zusammengesetzt gewesen, die im Zuge der Wahl gewählt worden waren, deren Rechtmäßigkeit Mugemangango angefochten hatte. Dem EGMR zufolge können Abgeordnete definitionsgemäß nicht politisch neutral sein. In einem System, wie jenem in Belgien, wo das Parlament als einzige und letzte Instanz über Wahlanfechtungen zu entscheiden hat, müsse besondere Acht darauf gelegt werden, dass die nationale Rechtsordnung – im Wege von Verfahrensbestimmungen für Wahlanfechtungen – unparteiliche Entscheidungen sicherstellt.
Eben dies sei im Konkreten aber nicht gegeben gewesen: Bei der Abstimmung im Plenum des wallonischen Parlaments seien nämlich alle als gewählt geltenden Abgeordneten, auch jene aus Mugemangangos Wahlkreis, stimmberechtigt gewesen. Im Ergebnis hätten also auch Mugemangangos direkte politische Gegner/innen an der Abstimmung über seine Wahlanfechtung teilnehmen können – Personen also, die ihre Mandate möglicherweise verloren hätten, wenn der Wahlanfechtung stattgegeben worden wäre, und deren Interessen folglich jenen von Mugemangango direkt entgegengesetzt gewesen seien.
Dazu kam dem EGMR zufolge, dass die belgische Rechtsordnung nicht ausreichend klar festlegt, nach welchen Kriterien das Plenum des wallonischen Parlaments Wahlanfechtungen behandeln muss, und nicht näher regelt, welche Wirkung einer allfälligen Neuauszählung von Stimmzetteln zukommen würde.
Schließlich seien Mugemangango auch nicht ausreichend Verfahrensgarantien zur Verfügung gestanden: Seine Anhörung in der öffentlichen Sitzung des Wahlprüfungsausschusses sei nicht gesetzlich vorgesehen gewesen, sondern ihm lediglich ad hoc ermöglicht worden. Das Plenum des wallonischen Parlaments habe zudem nicht näher begründet, aus welchen Gründen es dem Antrag des Wahlprüfungsausschusses auf Neuauszählung der Stimmzettel nicht nachgekommen ist.
Der EGMR kam daher zum Schluss, dass Mugemangango in seinem Recht auf freie Wahlen (Art. 3 1. ZPEMRK) verletzt wurde.