In den letzten Jahren haben jedoch europaweit auch einige Klagen die Hürden für den Gerichtszugang genommen oder stießen von vornherein auf einen offeneren Gerichtszugang. Vier Fälle fanden besondere Aufmerksamkeit:
- In den Niederlanden gibt es zwar kein Verfassungsgericht, das – wie in Österreich – grund- und menschenrechtswidrige Gesetze aufheben kann. Allerdings eröffnet das niederländische Zivilgesetzbuch (Art. 3:305a) natürlichen Personen und Vereinigungen den Gerichtsweg, um Gemeinwohlbelange gegenüber dem Staat (und Privaten) geltend zu machen. Das Bezirksgericht (Rechtbank) in Den Haag verpflichtete bereits 2015 die niederländische Regierung zu einem ambitionierteren CO2-Reduktionsziel. 2019 wurde diese Entscheidung in letzter Instanz (Hoge Raad) bestätigt.
- Ein halbes Jahr später folgte der irische Oberste Gerichtshof (Supreme Court) mit der Aufhebung des nationalen Klimaschutzplans, weil er zu vage sei und interessierte Personen so nicht beurteilen könnten, ob die beabsichtigten Maßnahmen zur Erreichung des THG-Reduktionsziels bis 2050 realistisch und akzeptabel seien.
- Im März 2021 erklärte das deutsche Bundesverfassungsgericht (BVerfG) Bestimmungen des deutschen Klimaschutzgesetzes für verfassungswidrig, weil der Zielhorizont mit 2030 zu kurz gesetzt sei. Der Reduktionspfad müsse bis 2050 festgelegt werden, nicht zuletzt um die notwendige Planungssicherheit zu gewährleisten. Die THG-Minderungslast sei über die Zeiten bzw. Generationen verhältnismäßig zu verteilen. Die Grundrechte würden nämlich jetzt schon vor zukünftigen unverhältnismäßigen Freiheitseinschränkungen schützen.
- Einige Monate später befand der französische Staatsrat (Conseil d’État, das höchste Verwaltungsgericht), dass die bisher gesetzten und geplanten Maßnahmen der Regierung unzureichend seien. Er verpflichtete die Regierung, weitere Maßnahmen zu setzen, damit die durch das Europarecht und die französischen Gesetze bis 2030 festgesetzten jährlichen Obergrenzen für CO2-Emissionen eingehalten werden können. Im Laufe der Beweisaufnahme hatte selbst die Ministerin für Ökologiewende die Umsetzungsdefizite eingestehen müssen, wie das Urteil festhielt.
Die niederländische höchstgerichtliche Entscheidung war wesentlich auf das Recht auf Leben (Art. 2 Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK)) und das Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens (Art. 8 EMRK) gestützt. Auch wenn kein Staat allein den Klimawandel aufhalten und daher allein verantwortlich gemacht werden könne, so hätte doch jeder Staat seinen Anteil an der THG-Reduktion zu leisten.
Das deutsche BVerfG stützte sich auf die nationalen Grundrechte, die im Lichte des Staatsziels zum Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen und der Tiere (Art. 20a Grundgesetz) verstanden wurden. Gemäß dem BVerfG steht der Umstand, dass eine sehr große Zahl von Personen (von einer Rechtsvorschrift wie dem Klimaschutzgesetz) betroffen ist, einer individuellen Grundrechtsbetroffenheit nicht entgegen.
Das irische und das französische Höchstgericht beriefen sich auf das Europarecht bzw. nationale Gesetze. Hier finden Sie eine Übersichtstabelle zu den erwähnten Entscheidungen, aus der auch die Verfahrensdauer hervorgeht, zum Download als PDF:
Ausgewählte höchstgerichtliche Entscheidungen über Klimaklagen / PDF, 82 KB