Fachinfos - Fachdossiers 14.05.2019

Welche Staatsziele gibt es in Österreich und was können sie bewirken?

Das vorliegende Fachdossier klärt zunächst, was Staatsziele sind und liefert darauf aufbauend einen Überblick über jene rechtlich verbindlichen Bestimmungen in Österreich, die als Staatsziele verstanden werden. (14.05.2019)

Welche Staatsziele gibt es in Österreich und was können sie bewirken?

Seit den 1980er-Jahren wurden mehrmals Staatszielbestimmungen in die Bundesverfassung aufgenommen. Zuletzt stand in der 26. GP ein neues Staatsziel „Wirtschaftsstandort“ zur Debatte, das aber nicht die notwendige Mehrheit fand. Zuletzt wurden 2013 mehrere Staatsziele in einem Bundesverfassungsgesetz neu festgelegt und zusammengefasst. Die weitreichendste Debatte über Staatsziele in Österreich hat im Ausschuss I „Staatsaufgaben und Staatsziele“ des Österreich-Konvents von 2003 bis 2005 stattgefunden. Besonders intensiv wurde dabei über Daseinsvorsorge diskutiert. 

Was sind Staatsziele?

Die politische Geschichte und die Philosophie haben sich seit jeher mit dem Zweck von Staaten befasst. An diese Debatten hat die Rechtswissenschaft angeknüpft. Sie ist bis zur Mitte des 20. Jhdts. davon ausgegangen, dass Staatszwecke allgemein anerkannt seien. Die Aufgabe von Verfassungen war daher weitgehend darauf beschränkt, die Staatsorganisation und die Rechte Einzelner im Staat zu sichern. Diese Auffassung hat sich jedoch in der Praxis der Verfassungsgebung in nahezu ganz Europa seit den 1970er-Jahren verändert.

Dafür führte etwa der Schweizer Verfassungsjurist Peter Saladin zwei maßgebliche Gründe an:

  • Gesellschaft und Politik sind vielfältiger und komplexer geworden, und es gibt ein verstärktes Interesse, Grundlagen und Ziele des Zusammenlebens verbindlich festzuhalten.
  • Staaten sind nur mehr einzelne Akteure von vielen. Internationalen Organisationen oder großen Wirtschaftsunternehmen wird teilweise mehr Macht und Einfluss zugeschrieben. Damit stellt sich die Frage, welche Aufgaben demokratischen Staaten noch zukommen.

Rechtsprechung und Wissenschaft haben darauf reagiert, indem man Grundprinzipien von Verfassungen herausgearbeitet hat. Ebenso hat man gezeigt, dass Grundrechte nicht nur den Einzelnen gegenüber dem Staat schützen. Sie verpflichten auch den Staat für die Rahmenbedingungen zu sorgen, die es braucht, um diese Rechte wahrnehmen zu können (z.B. Schulen, Gesundheitsversorgung, Medienförderung).

In der Verfassungspolitik hat man begonnen, einzelne Staatsziele oder auch Staatszielkataloge zu definieren. So legt z.B. die Schweizerische Bundesverfassung die Zwecke der Eidgenossenschaft fest. Die Charta der Grundrechte der EU umfasst sowohl individuelle Rechte als auch allgemeine Ziele.

Staatsziele sind rechtlich verbindlich. Sie verpflichten die Staatsorgane zu einem bestimmten Handeln. Sie sind somit beim Erlass neuer Gesetze und bei der Auslegung bestehender Gesetze durch Gerichte und Verwaltungsbehörden zu beachten. Staatsziele legen als Teil der Verfassung Rahmenbedingungen für politisches Handeln fest. Sie umfassen aber keine subjektiven Rechte, die von Einzelpersonen geltend gemacht werden können. Aus dem Staatsziel Umweltschutz folgt also kein individuelles Grundrecht auf eine saubere Umwelt.

Welche Staatsziele gibt es in Österreich?

In der Rechtswissenschaft und in der Rechtsprechung der Höchstgerichte werden diese Bestimmungen als Staatsziele verstanden:

Tabelle: Überblick der Staatsziele in Österreich

Staatsziel Bestimmung Bundesgesetzblatt
Gleichbehandlung von Behinderten Art 7 Abs 1 B-VG 1997, BGBl I 87/1997
Gleichstellung von Mann und Frau Art 7 Abs 2 B-VG 1998, BGBl I 68/1998
Schutz der Volksgruppen Art 8 Abs 2 B-VG 2000, BGBl I 68/2000
Umfassende Landesverteidigung Art 9a B-VG 1975, BGBl 368/1975
Gesamtwirtschaftliches Gleichgewicht Art 13 Abs 2 B-VG 1987, BGBl 212/1986
Tatsächliche Gleichstellung von Mann und Frau bei der Haushaltsführung des Bundes, der Länder und Gemeinden Art 13 Abs 3 B-VG 2009, BGBl 1/2008
Sozialpartnerschaft Art 120a Abs 2 B-VG 2008, BGBl 2/2008
Bildung Art 17 StGG 1867, RGBl 142/1867
Bildung Art 2 Erstes Zusatzprotokoll EMRK 1985, BGBl 210/1958
Immerwährende Neutralität BVG vom 26. Oktober 1955 über die Neutralität Österreichs 1955 BGBl 211/1955
Verbot nationalsozialistischer Wiederbetätigung Staatsvertrag betreffend die Wiederherstellung eines unabhängigen und demokratischen Österreich (Staatsvertrag von Wien) 1955 BGBl 152/1955
Rundfunk als öffentliche Aufgabe Art 1 BVG Rundfunk 1974 BGBl 396/1974
Umfassender Umweltschutz BVG über den Umfassenden Umweltschutz 1984-2013, BGBl 491/1984
Umfassender Umweltschutz § 3 BVG über die Nachhaltigkeit, den Tierschutz, den umfassenden Umweltschutz, die Sicherstellung der Wasser- und Lebensmittelversorgung und die Forschung (BVG Nachhaltigkeit) Seit 2013, BGBl I 111/2013
Nachhaltigkeit § 1 BVG Nachhaltigkeit 2013, BGBl I 111/2013
Tierschutz § 2 BVG Nachhaltigkeit 2013, BGBl I 111/2013
Sicherstellung der Wasser- und Lebensmittelversorgung §§ 4 und 5 BVG Nachhaltigkeit 2013, BGBl I 111/2013
Forschung § 6 BVG Nachhaltigkeit 2013, BGBl I 111/2013

Die gesamte Tabelle samt Verlinkungen auf die gesetzlichen Bestimmungen der Staatsziele finden Sie hier zum Download als PDF: Tabelle / PDF, 121 KB

Wie gehen die Höchstgerichte mit Staatszielen um?

Die Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts haben sich in ihrer bisherigen Rechtsprechung mehrmals mit dem Staatsziel Umfassender Umweltschutz bzw. Nachhaltigkeit befasst.

In seiner Entscheidung zur 3. Piste am Flughafen Wien hat der VfGH ausdrücklich auf seine lange Tradition Bezug genommen, das BVG Umweltschutz zur Prüfung von Gesetzen und Verordnungen heranzuziehen (VfSlg 20.185/2017, Rn. 206). Der VfGH betonte, dass aus diesem Staatsziel kein absoluter Vorrang von Umweltschutzinteressen gegenüber anderen Entscheidungskriterien abgeleitet werden könne, die die Verwaltung zu beachten habe. Es sei jedoch verfassungsrechtlich geboten, den umfassenden Umweltschutz bei der Interpretation der Interessen, die nach dem Luftfahrgesetz (LFG) wahrzunehmen seien, einzubeziehen. Ebenso müsse das auch bei der nachfolgenden Gewichtung dieser Interessen erfolgen. Diese Einbeziehung könne aber nicht jene Interessen, die nach dem LFG zu beachten seien, erweitern. Das war einer der Gründe, weshalb der VfGH die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts, die Genehmigung der 3. Piste aus Klimaschutzgründen zu versagen, aufhob.

In seiner Rechtsprechung verweist der VfGH auf die Entscheidung VfSlg 12.009/1989. Damit bestätigte der VfGH § 5 Abs. 2 Z 6 Binnenschiffahrts-Konzessionsgesetz, wonach eine Konzession für Schiffahrtsunternehmen nur erteilt werden durfte, wenn der Bedarf nicht von bestehenden Unternehmen gedeckt werden konnte. Die Beschwerdeführer sahen darin eine Einschränkung ihrer Erwerbsfreiheit. Der VfGH hielt hingegen fest, dass die Regelung auch dem Umweltschutz diene, wie die Bundesregierung im Verfahren vor dem VfGH vorgebracht hatte. Das Staatsziel Umweltschutz sei durch den Motorbootverkehr auf Seen in mehrfacher Weise gefährdet, besonders in kleineren Gewässern. Eine weitgehende Beschränkung des Motorbootverkehrs auf den österreichischen Seen liege daher im öffentlichen Interesse.

Der Verwaltungsgerichtshof hat z.B. 1991 das Verbot von Heliskiing durch den Landeshauptmann von Tirol mit dem Staatsziel Umweltschutz geprüft (VwSlg 13.466 A/1991). Der Landeshauptmann hatte seine Entscheidung mit öffentlichen Interessen, die der Genehmigung entgegenstanden, begründet. Der VwGH bestätigte, dass die Bezugnahme auf das BVG Umfassender Umweltschutz zu Recht erfolgt sei. Dieses diene der Konkretisierung der öffentlichen Interessen, die nach dem Gesetz zu beachten seien. Ein Gutachten habe die Beeinträchtigung der Umwelt (u.a. durch Lärm und Luftverschmutzung) dargelegt, aber auch eine Abwägung mit entgegenstehenden öffentlichen Interessen sei durch die Behörde vorgenommen worden.