Fachinfos - Judikaturauswertungen 27.04.2023

Werbung für Volksbegehren innerhalb der Verbotszone ist unzulässig

VwGH 26.1.2023, Ra 2022/01/0220

Der Verwaltungsgerichtshof (VwGH) stellte fest, dass das Verbot jeder Art von Werbung in einer Verbotszone in Hinblick auf Volksbegehren weit zu verstehen ist und jede Handlung in der Verbotszone, die geeignet ist, in irgendeiner Weise den freien Willen von Stimmberechtigten zu beeinflussen, erfasst ist. Dies gelte unabhängig vom Verfahrensstadium des beworbenen Volksbegehrens.

Sachverhalt

Der am Verfahren Mitbeteiligte verteilte während des Eintragungszeitraumes für vier Volksbegehren innerhalb der Verbotszone rund um das Eintragungslokal Flugzettel und suchte das Gespräch mit den anwesenden Bürger:innen. Da er damit nach Ansicht des Bürgermeisters der Stadt St. Pölten gegen das Verbot der Wahlwerbung bzw. Werbung für Volksbegehren verstieß, verhängte dieser eine Geldstrafe.

Dagegen erhob der Mitbeteiligte Beschwerde, der das Landesverwaltungsgericht Niederösterreich (LVwG) stattgab. Begründend führte das LVwG aus, mit dem Inhalt der Flugzettel und den Gesprächen habe der Mitbeteiligte nicht auf die Volksbegehren der Eintragungswoche Bezug genommen, sondern auf mögliche künftige Volksbegehren. Aus dem Wortlaut und Zweck des § 58 Abs. 1 NRWO ergebe sich, dass unter „Wahlwerbung“ nur jene Werbung subsumiert werden könne, „die auf die konkrete Wahl dieses Wahltages Bezug“ nehme. In sinngemäßer Anwendung könnten daher nur jene Volksbegehren vom Verbot betroffen sein, hinsichtlich derer zu diesem Zeitpunkt gerade eine Eintragungsmöglichkeit bestehe. Dagegen richtete sich die außerordentliche Amtsrevision des Bürgermeisters der Stadt St. Pölten.

Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofs

Der VwGH erachtete die Revision für zulässig. Es fehle an Rechtsprechung insbesondere zur Frage, wie die Bedeutung der Wortfolge „jede Art der Wahlwerbung“ des § 58 Abs. 1 NRWO bei sinngemäßer Anwendung gemäß § 12 Volksbegehrengesetz (VoBeG) zu verstehen sei.

Aus dem klaren Wortlaut der Bestimmung („jede Art der“), der darin enthaltenen demonstrativen Aufzählung von Formen der Wahlwerbung und im Lichte einer verfassungskonformen bzw. teleologischen Auslegung ergebe sich ein weites Verständnis des Verbots der Wahlwerbung gemäß § 58 Abs. 1 NRWO. Wähler:innen dürften in der Freiheit ihrer Wahl nicht in rechtlicher oder faktischer Weise beeinträchtigt werden. Jegliche Handlung in der Verbotszone sei daher verboten, die geeignet sei, den wahren Wähler:innenwillen in irgendeiner Weise zu beeinflussen. Dabei sei von der bzw. dem durchschnittlichen, objektiven Wähler:in auszugehen.

Die für allgemeine Wahlen geltenden Grundsätze der Freiheit der politischen Willensbildung und Betätigung und der Reinheit bzw. Freiheit der Wahlen seien nach der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofs grundsätzlich auch auf das Verfahren für Volksabstimmungen zu übertragen. Daraus folgerte der VwGH, dass der Bedeutungsgehalt des § 58 Abs. 1 NRWO keine Änderung erfahren darf, wenn die Bestimmung gemäß § 12 VoBeG sinngemäß auf das Eintragungsverfahren für Volksbegehren angewendet wird. Das Verbot jeder Art von Werbung in Hinblick auf Volksbegehren sei daher auch weit zu verstehen. Auf das Verfahrensstadium des beworbenen Volksbegehrens komme es nicht an.

Ausgehend von dem vom LVwG festgestellten Sachverhalt hielt der VwGH fest, dass der Mitbeteiligte Handlungen gesetzt hat, die geeignet waren, den freien Willen der Stimmberechtigten, einem Volksbegehren im Eintragungsverfahren die Unterstützung zu erteilen, zu beeinflussen. Daher sei das Erkenntnis des LVwG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhalts aufzuheben gewesen.

Vgl. zu diesem Verfahren den Volltext der Entscheidung.