Fachinfos - Fachdossiers 12.04.2024

Wie lassen sich Abgeordnetenberuf und Kinder vereinbaren?

Eine Abgeordnete, die ihr Baby im Sitzungssaal stillt: Was 1990 für breite öffentliche Aufmerksamkeit sorgte, kommt heute noch immer sehr selten vor. In den allermeisten Fällen gehen Mandatar:innen ihrer parlamentarischen Tätigkeit ohne für die Öffentlichkeit sichtbare Betreuungspflichten nach. Bei der Vereinbarkeit des Abgeordnetenberufs mit dem Elternsein geht es um zweierlei: einerseits um familienfreundliche Rahmenbedingungen am Arbeitsplatz (z. B.: Stillzimmer, Kinderbetreuung, Sitzungszeiten etc.), andererseits – und das betrifft vor allem Frauen – darum, wie sich eine "Auszeit" infolge der Geburt eines Kindes auf eine politische Karriere auswirken kann.

Aktuelle Zahlen zeigen, dass die Verantwortung für unbezahlte Care-Arbeit – in erster Linie die Betreuung von Kindern, aber auch Hausarbeit und die Pflege von Angehörigen – nach wie vor in einem äußerst großen Maße von Frauen übernommen wird (siehe dazu sowohl die Zeitverwendungserhebung der Statistik Austria als auch folgende Information der OECD). Diese geschlechtsspezifischen Unterschiede aus gesamtgesellschaftlicher Perspektive sind auch in Bezug auf die Frage relevant, wie viel Zeit zur Verfügung steht, um eine politische Karriere zu verfolgen. Das vorliegende Fachdossier beschäftigt sich daher mit der Frage, wie sich Abgeordnetenberuf und Elternsein vereinbaren lassen, und gibt einen Überblick über rechtliche Regelungen sowie politische Debatten in Österreich.

Fragestellungen in aktuellen wissenschaftlichen Debatten

Zur Vereinbarkeit von Beruf und Familie für Mitglieder von Parlamenten tragen verschiedene Aspekte bei, die Gegenstand wissenschaftlicher Debatten sind. Beispielsweise wird untersucht, ob sich die eigene "Betroffenheit" (also wenn ein:e Abgeordnete:r selbst Kinder hat) auf Inhalte bzw. Schwerpunktsetzung der eigenen politischen Tätigkeit auswirkt (z. B. Stensota 2018). Andere Studien analysieren, ob bzw. wie sich das Elternsein darauf auswirkt, wie (mögliche) Abgeordnete im Wahlkampf rezipiert werden (z. B. Stalsburg 2010). Aus demokratiepolitischer Sicht besonders interessant ist die Frage, ob sich Herausforderungen in der Vereinbarkeit von Abgeordnetenberuf und Familie unterschiedlich auf Frauen und Männer auswirken (z. B. Erikson & Verge 2022; Joshi & Goehrung 2021). In wissenschaftlichen Studien wurden vergleichsweise mehr Einschränkungen identifiziert, die sich auf die politischen Karrieren von Frauen und in weiterer Folge auch auf die Repräsentation von Frauen in Parlamenten auswirken können (z. B. Erikson & Josefsson 2022; Stalsburg 2010).  

Die "Wahrnehmung der Unvereinbarkeit" (Allen et al. 2016, S. 550; eigene Übersetzung) im Zusammenhang von Abgeordnetenberuf und Kindern gepaart mit der Tatsache, dass die Betreuung von Kindern nach wie vor überwiegend als Aufgabe von Frauen verstanden wird, ruft nach familienfreundlicheren Rahmenbedingungen, nicht nur, aber auch als Mittel zur Förderung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern (vgl. McKay 2011).

Dabei gehe es nicht nur darum, dass ein bestimmter Anteil von Abgeordneten in Parlamenten weiblich ist, sondern auch darum, wer welche Rollen einnimmt. Die Rahmenbedingungen müssen es in gleichem Maße auch Frauen ermöglichen, eine kontinuierliche Karriere im Parlament anzustreben, weil es Zeit benötigt, um sich sowohl die notwendige Expertise als auch politische Unterstützung zu erarbeiten. Untersuchungen dazu, wie sich die Dauer politischer Karrieren im Parlament, z. B. infolge eines späteren Einstiegs in das parlamentarische Geschehen, im Verhältnis zum Einfluss der Abgeordneten auswirkt, finden sich z. B. bei Lawless und Theriault (2011), Vanlangenakker et al. (2013) oder, anhand eines Vergleichs von 78 Parlamenten, bei Joshi und Och (2019). Daraus wird z. B. ersichtlich, dass nur sehr langsam auch mehr Frauen, die jünger als 40 Jahre alt sind, den Abgeordnetenberuf ergreifen.

Politik als Beruf könnte demnach für jüngere Frauen attraktiver werden, wenn entsprechende Rahmenbedingungen die Vereinbarkeit von Abgeordnetenberuf und Kinderbetreuung erleichtern. Wissenschaftliche Betrachtungen stellen aber auch fest, dass sich Diskussionen auf politischer Ebene oft noch gar nicht um die konkrete Ausgestaltung bestimmter Regelungen drehen, sondern um viel Grundlegenderes. Einerseits gibt es unterschiedliche Ansichten dazu, inwiefern Parlamente überhaupt denselben Logiken wie andere Arbeitsplätze und -verhältnisse unterliegen. Andererseits wird diskutiert, wie sich folgendes Spannungsfeld auflösen lässt: Die verfassungsrechtliche Tatsache, dass ein politisches Mandat an eine Person gebunden ist (mehr dazu siehe unten), steht der gesellschaftspolitischen Realität gegenüber, dass sich die fehlende Möglichkeit, sich vertreten zu lassen, in einer Benachteiligung von Frauen niederschlägt (vgl. Bußjäger 2010, S. 48).

Familienfreundliche Parlamente

In den vergangenen Jahren haben sich Initiativen entwickelt, die unter dem Überbegriff familienfreundliche Parlamente bestimmte Maßnahmen oder Entwicklungen fördern, welche die Vereinbarkeit von Beruf und Kinderbetreuung verbessern. Diesbezüglich im Zentrum stehen etwa Karenzierungsmöglichkeiten,  Möglichkeiten, die Stimme von einem anderen Ort aus (zumeist dem eigenen Zuhause) abzugeben, Stimmrechtsübertragungen (temporär), Parlamente als familienfreundliche Arbeitsplätze sowie ein Kulturwandel in Bezug auf gesellschaftliche Erwartungen und Geschlechterrollen im unmittelbaren Arbeitsumfeld.

Wie Palmieri und Baker (2022) betonen, ist bei der Abwesenheit einer Karenzmöglichkeit neben z. B. infrastrukturellen Rahmenbedingungen wie dem Angebot von Kinderbetreuung vor allem eine Anpassung der Arbeitszeiten, insbesondere von Sitzungszeiten, ein wesentlicher Punkt. Allerdings muss dabei beachtet werden, dass diesbezüglich sehr unterschiedliche Bedürfnisse aufeinandertreffen können. Beispielsweise würde die Vereinbarkeit für Parlamentarier:innen, die in unmittelbarer Nähe zum Parlament wohnen, durch kürzere, dafür aber regelmäßige Arbeitszeiten verbessert werden. Parlamentarier:innen, die für Ausschuss- und Plenarsitzungen extra anreisen, dürften eher für eine Konzentration der Arbeitszeit an wenigen Tagen plädieren.

Mit der Familienfreundlichkeit von Parlamenten hat sich etwa die Inter-Parliamentary Union (IPU) im 2017 erschienenen Plan of Action for Gender-sensitive Parliaments auseinandergesetzt. Als "gender-sensitive" gelten demnach Parlamente, die in den Strukturen, der Arbeitsweise und den Methoden den Bedürfnissen und Interessen von Männern und Frauen gleichermaßen Rechnung tragen. Ein geschlechtersensibles Parlament beseitigt die Hindernisse, die einer uneingeschränkten Teilhabe von Frauen im Wege stehen – auch um ein positives Beispiel für die Gesellschaft als Ganzes zu geben. Ein anderes zentrales Dokument auf internationaler Ebene ist ein 2021 erschienener Leitfaden des Office for Democratic Institutions and Human Rights (ODIHR) der OSZE. Darin wurden die Ergebnisse einer Untersuchung zu geschlechtersensiblen Parlamenten veröffentlicht, in welcher Repräsentation, Gesetzgebung und Kontrolle der Parlamente aus Genderperspektive betrachtet werden (Realizing Gender Equality in Parliament: A Guide for Parliaments in the OSCE Region (2021)).

Situation für Parlamentarier:innen in Österreich

Abgeordnete zum Nationalrat haben als gewählte Volksvertreter:innen eine spezielle Rechtsstellung aufgrund der Verfassung (freies Mandat). Die Mitglieder des Nationalrates (wie auch die Mitglieder des Bundesrates) sind bei der Ausübung dieses Berufs an keinen Auftrag gebunden (Art. 56 Bundes-Verfassungsgesetz). Sie erhalten vom Staat sogenannte Bezüge, beginnend mit dem Tag der Angelobung bis zum Tag des Ausscheidens. Damit unterscheiden sie sich wesentlich von Arbeitnehmer:innen, die gegen Entgelt eine vereinbarte Arbeitsleistung schulden.

Mutterschutz und Karenz

In Österreich gelten allgemeine Bestimmungen, welche die Gesundheit werdender und stillender unselbstständig erwerbstätiger Mütter schützen sollen (Mutterschutz). Neben den unselbstständig erwerbstätigen Müttern haben auch Väter einen rechtlichen Anspruch auf Karenz gegenüber ihren Arbeitgeber:innen (Elternkarenz). Dabei handelt es sich um eine Freistellung von der Arbeitsleistung gegen Entfall des Arbeitsentgelts. Während dieser Zeit kann Kinderbetreuungsgeld beantragt werden.

Nachdem gewählte Mandatar:innen, die Mütter oder Väter werden, wie erwähnt keine Arbeitnehmer:innen sind, gelten für sie andere Regelungen. Sofern nicht spezielle Gesetze – wie etwa auf Landesebene (siehe unten) – Ansprüche für Parlamentarier:innen regeln, haben sie keine Möglichkeit, sich explizit für Kinderbetreuungszwecke von ihrem Abgeordnetenberuf freistellen zu lassen.

Im österreichischen Parlament gibt es weder für die Abgeordneten zum Nationalrat noch für die Mitglieder des Bundesrates ausdrückliche Regelungen, die eine Freistellung oder Karenzierung aus Anlass der Geburt eines Kindes bzw. für Kinderbetreuung vorsehen. Möglich ist, sich über die allgemeine Regelung für Verhinderungsfälle zu entschuldigen, wenn man nicht an Sitzungen teilnimmt (§ 11 Abs. 2 GOG-NR). Jedenfalls nicht einschlägig, obwohl der Name es nahelegen könnte, ist das sogenannte Mandat auf Zeit (Art. 56 Abs. 2 bis 4 B-VG). Diese Bestimmung sieht vor, dass Abgeordnete vorübergehend auf ihr Mandat verzichten können, um ein Amt in der Bundesregierung zu übernehmen. Endet diese Funktion in der Bundesregierung, haben sie den Anspruch, ihr Mandat wieder zu übernehmen. Diese Regelung ist jedoch auf das Verhältnis zwischen Nationalrat und Bundesregierung zugeschnitten und steht nicht in Zusammenhang mit der Vereinbarkeit des Mandats mit familiären Verpflichtungen.

Im Gegensatz zum Parlament bestehen für einige Landtage Regelungen, die Müttern und Vätern eine Karenzierung bzw. Beurlaubung ermöglichen. Auf Landesebene war Tirol Vorreiter; dort haben Abgeordnete zum Landtag seit 2001 die Möglichkeit, sich für Betreuungszwecke beurlauben zu lassen. 2007 folgte Vorarlberg. Als Grund für eine Karenzierung gilt unter anderem die Betreuung eines Kindes, welches das erste Lebensjahr noch nicht vollendet hat. Für die Dauer der Karenzierung kann ein Ersatzmitglied berufen werden. Dem oder der karenzierten Abgeordneten gebühren während dieser Zeit keine Bezüge. Ähnliche Bestimmungen gibt es seither auch in Salzburg, der Steiermark, Kärnten und dem Burgenland.

Die Frage der Vereinbarkeit in der österreichischen Politik

Abseits der oben erwähnten wissenschaftlichen Debatten erlangt das Thema Vereinbarkeit von politischem Mandat und Familie in Österreich nur anlassbezogen öffentliche Aufmerksamkeit. Das ist vor allem dann der Fall, wenn eine bekannte Politikerin schwanger oder gerade Mutter geworden ist oder sich eine Politikerin oder ein Politiker eine – meist vergleichsweise sehr kurze – Auszeit von der politischen Tätigkeit nimmt, um ein Kind zu betreuen. Die am stärksten öffentlich diskutierten Fälle betrafen bis dato weibliche Regierungsmitglieder (siehe z. B. "Köstinger wünscht sich Karenzregelung für Politiker" oder "Justizministerin geht in die Babypause - Kogler übernimmt Ressort") oder männliche Politiker (siehe z. B. "Strache geht ein paar Wochen in Karenz" oder "Politik und Papamonat: Warum Michael Schickhofer putzt und kocht").

Nur aus der Forderung der damaligen Umwelt- und Landwirtschaftsministerin Elisabeth Köstinger nach einer Karenzregelung für Politiker:innen (s. o.) ergab sich eine weiterführende Diskussion. Im Zuge dessen forderte die Präsidentin der Politischen Akademie der ÖVP Bettina Rausch-Amon eine Karenzregelung für Parlamentarier:innen. Etwas später, in einem APA-Interview anlässlich 100 Jahre Frauenwahlrecht in Österreich (siehe "Sobotka und Bogner für mehr Frauen in der Politik"), unterstrich Nationalratspräsident Wolfgang Sobotka, dass Karenzregelungen vor allem für Abgeordnete schwer umzusetzen seien. Die damalige Bundesministerin für Frauen, Familien und Jugend Juliane Bogner-Strauß brachte die Idee einer "Stimmrechtsübertragung [...] für eine gewisse Zeit" (ebd.) ins Spiel. Der Idee einer Politiker:innenkarenz hielt der Parlamentsklub der NEOS in einer OTS-Aussendung entgegen, dass eine Karenzvertretung für gewählte Abgeordnete verfassungsrechtliche Probleme (s. o.) mit sich bringen würde. Außerdem bestünde "die Gefahr, dass hier ein weiteres Politikerprivileg (sic!) geschaffen wird".

Beispiele auf anderen politischen Ebenen zeigen, dass die Frage möglicher Karenzregelungen zu parteiübergreifenden Initiativen führen kann. 2023 forderten vier Abgeordnete des EU-Parlaments, Claudia Gamon von der Fraktion Renew Europe, Lara Wolters und Adriana Maldonado López von der Fraktion der Progressiven Allianz der Sozialdemokraten, und Leila Chaibi von der Fraktion Die Linke u. a. die Möglichkeit, digital von zu Hause aus abzustimmen bzw. Kolleg:innen zu nominieren, die in ihren Namen abstimmen können.

2024 forderten drei Grazer Gemeinderätinnen (von ÖVP und Die Grünen) einen Anspruch auf Karenz für Gemeinderäte und Gemeinderätinnen mit einem Ersatz auf Zeit (siehe Schwangere Gemeinderätinnen fordern Karenzregelung für Mandatare). Den Wunsch nach der Möglichkeit vor allem für Bürgermeister:innen, in Karenz zu gehen, formulierte auch der Präsident des Oberösterreichischen Gemeindebunds im Zusammenhang mit einer möglichen Novellierung der Gemeindeordnung (siehe: "Karenz-Modell als Köder für künftige Bürgermeister"). Auf die rechtliche Situation von Gemeinderät:innen und Bürgermeister:innen wird in diesem Fachdossier aus Platzgründen nicht näher eingegangen.

Daraus lässt sich schließen, dass die Vereinbarkeit von Beruf und Familie und das Bedürfnis, dass Familie keine Nachteile für eine politische Karriere mit sich bringt, ein Thema ist, das Menschen mit Kinderbetreuungspflichten quer über Parteigrenzen hinweg bewegt.

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