Fachinfos - Judikaturauswertungen 20.01.2022

Wiederholung der Bundespräsidentenwahl 2016 #2

Haftung des Wahlleiters für die Kosten einer Wahlwiederholung II (20. Jänner 2022)

OGH 22.10.2021, 8 ObA 99/20x

Der Oberste Gerichtshof (OGH) entschied in einem weiteren Verfahren, dass ein Wahlleiter nach dem Organhaftpflichtgesetz (OrgHG) für die Kosten der Wiederholung der Stichwahl des Bundespräsidenten aufgrund der rechtswidrigen Auszählung von Wahlkarten haftet. Aufgabe des Wahlleiters als funktionell für die Republik Österreich tätiges Organ sei es, für die Einhaltung der Wahlrechtsbestimmungen zu sorgen, daher sei auch der Schutzzweck der Norm, also der Rechtswidrigkeitszusammenhang, zu bejahen.

Sachverhalt

Der Beklagte war im Wahlverfahren zur Stichwahl für das Amt des Bundespräsidenten am 22. Mai 2016 Bezirkswahlleiter. In seinem Stimmbezirk erfolgte keine ordnungsgemäße Einberufung der Bezirkswahlbehörde und wurden die Wahlkarten entgegen § 14a Bundespräsidentenwahlgesetz (BPräsWG) in Abwesenheit der Beisitzer und außerhalb einer Sitzung der Wahlbehörde geöffnet und ausgezählt. Im nachfolgenden Wahlanfechtungsverfahren erkannte der Verfassungsgerichtshof (VfGH) die Vorgangsweise der Wahlkartenauszählung im Stimmbezirk des Beklagten als rechtswidrig und gab davon ausgehend und im Zusammenhang mit anderen rechtswidrigen Vorgängen der Wahlanfechtung statt.

Der Beklagte wurde in diesem Zusammenhang mit rechtskräftigem Urteil des Landesgerichtes Klagenfurt vom 26. Juli 2018 wegen des zweifachen Vergehens der falschen Beurkundung und Beglaubigung im Amt gemäß § 311 StGB zu einer Geldstrafe verurteilt.

Die Klägerin, die Bundesrepublik Österreich, begehrte vom Beklagten nach dem Organhaftpflichtgesetz (OrgHG) 36.000,00 EUR, einen Teil der Kosten der durch die Wahlaufhebung notwendig gewordenen Wahlwiederholung. Der Beklagte wandte ein, die verletzten Wahlrechtsbestimmungen hätten nicht den Zweck, Vermögensrechte von Dritten zu schützen. Zudem sähen die Normen des BPräsWG keine schadenersatzrechtliche Konsequenz bei Verstößen vor. Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Das Berufungsgericht gab der Berufung der Klägerin Folge und sprach aus, dass das Klagebegehren dem Grunde nach zu Recht besteht.

Entscheidung des Obersten Gerichtshofs

Der OGH gab der Revision des Beklagten nicht Folge und stellte fest, dass sämtliche Voraussetzungen eines Anspruchs nach dem OrgHG erfüllt sind. Dem Beklagten sei zur Last zu legen, dass er Vorschriften, die eine Teilnahme der Mitglieder der Bezirkswahlbehörde am Auszählungsvorgang ermöglichen sollten, formell nicht eingehalten, sondern eine in mehrfacher Hinsicht offenkundig dem Gesetz widersprechende Praxis geduldet hätte.

In seiner Entscheidung zur Wahlanfechtung erkannte der VfGH, dass die rechtswidrigen Vorgänge in vierzehn Stimmbezirken, die zu Unregelmäßigkeiten bei der Auszählung von insgesamt mehr als 77.769 Stimmen geführt haben (davon 3.498 Stimmen im Wahlbezirk des Beklagten), insgesamt von Einfluss auf das Wahlergebnis sein konnten und der zweite Wahlgang der Bundespräsidentenwahl u.a. daher aufzuheben war. Zum Vorbingen des Beklagten, dass die auf den Verantwortungsbereich des Beklagten entfallenden Wahlkartenstimmen für sich allein gar nicht zur Wahlaufhebung geführt hätten, hielt der OGH fest, dass die betroffenen Stimmen des Wahlbezirks des Beklagten tatsächlich nicht für sich allein, sondern nur gemeinsam mit den anderen für die Entscheidung zur Wahlwiederholung ursächlich waren. Auf summierte Einwirkungen seien aber die Grundsätze der Solidarhaftung anzuwenden.

Dem Argument des Beklagten, dass die Anteile an dem von mehreren Zusammenwirkenden verursachten Schaden bestimmbar wären, sei entgegenzuhalten, dass die Aufhebung des Wahlverfahrens nicht von der Gesamtzahl der festgestellten (teilweise auch nicht mehr exakt feststellbaren) rechtswidrigen Auswertungen abhänge, sondern bereits vom Überschreiten der Grenze der Relevanz für das Wahlergebnis. Schon aus diesem Grund könne der Gesamtschaden nicht anteilig der Anzahl der Briefwahlstimmen der einzelnen Stimmbezirke zugeordnet werden.

Zur vom Beklagten ins Treffen geführten Rechtsansicht, dass eine Haftung dem Grunde nach nicht in Frage komme, weil es nicht der Schutzzweck des BPräsWG sei, das Vermögen der Republik Österreich oder Dritter zu schützen, führte der OGH aus, dass im gegenständlichen Verfahren kein Amtshaftungsanspruch zu beurteilen ist, sondern der Beklagte als Organ von dem Rechtsträger belangt wird, für den er gemäß § 1 OrgHG in Vollziehung der Gesetze tätig war. Im Zusammenhang mit der Organhaftung komme es bei der Beurteilung des Schutzzwecks der Norm darauf an, ob die verletzte Norm den Sinn hatte, die Schädigung jener öffentlichen Interessen zu vermeiden, die das Organ für den Rechtsträger in seinem Zuständigkeitsbereich zu schützen hatte. Aufgabe des Beklagten als Wahlleiter und damit als funktionell für die Klägerin tätiges Organ sei es gewesen, für die Einhaltung der Wahlrechtsbestimmungen zu sorgen. Da er diese Pflicht nicht erfüllt habe, sei der Republik, für die er tätig wurde, unmittelbar ein Schaden entstanden, weil sie nach der Aufhebung des Wahlverfahrens durch den VfGH zur Wiederholung der Wahl verpflichtet gewesen sei.

Vgl. zu diesem Verfahren den Volltext der Entscheidung.