Fachinfos - Judikaturauswertungen 07.02.2023

Zeitung muss Tatsachenbehauptungen auf Wahrheitsgehalt überprüfen

Die EMRK wird durch die Verurteilung einer Zeitung für die Veröffentlichung eines Artikels, wonach ein Beamter die Wahl eines Abgeordneten verhindern wollte, nicht verletzt (07. Februar 2023)

EGMR 6.10.2022, 55069/11, Khural und Zeynalov gg. Aserbaidschan

Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) stellte fest, dass Zeitungen in ihrer Funktion als „public watchdogs“ verpflichtet sind, Tatsachenbehauptungen auf ihren Wahrheitsgehalt hin zu überprüfen. Die Beschwerde einer aserbaidschanischen Zeitung, die sich aufgrund einer gerichtlichen Verurteilung wegen Verletzung des guten Rufes eines hochrangigen Beamten an den EGMR wandte, war daher nicht erfolgreich.

Sachverhalt

Die aserbaidschanische Zeitung Khural veröffentlichte im Mai 2010 einen Artikel über den Leiter der aserbaidschanischen Präsidentschaftskanzlei, Ramiz Mehdiyev. Darin wurde behauptet, dass Mehdiyev einen bestimmten Politiker gehasst und versucht habe, seine Wahl zum Abgeordneten zu verhindern. Mehdiyev habe dem Artikel zufolge danach auch versucht zu erwirken, dass das Mandat des Politikers annulliert werde.

Mehdiyev klagte Khural, da diese unwahren Behauptungen seine Ehre und seinen beruflichen Ruf verletzen würden. Die aserbaidschanischen Gerichte stellten fest, dass die Behauptungen jeder sachlichen Grundlage entbehrt hätten, und trugen Khural auf, die Behauptungen zu widerrufen und eine Geldstrafe zu zahlen. Khural wandte sich an den EGMR und behauptete, dadurch im Recht auf freie Meinungsäußerung (Art. 10 EMRK) verletzt worden zu sein.

Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte

Der EGMR stellte eingangs fest, dass die Entscheidungen der aserbaidschanischen Gerichte einen Eingriff in das Recht auf freie Meinungsäußerung darstellten, der gesetzlich vorgesehen war und das legitime Ziel verfolgte, den guten Ruf oder die Rechte anderer zu schützen, insbesondere den guten Ruf von Mehdiyev.

Der EGMR wiederholte, dass nationale Gerichte eine Abwägung zwischen dem Recht auf Schutz des guten Rufes und dem Recht auf freie Meinungsäußerung vornehmen und ihre Entscheidungen auf relevante und ausreichende Gründe stützen müssen. Dem EGMR zufolge haben die aserbaidschanischen Gerichte verabsäumt, diese Abwägung vorzunehmen, sodass der EGMR sie in seiner Entscheidung selbst vornehmen musste und dabei unter anderem zu folgendem Ergebnis gelangte:

Die Behauptungen im Zeitungsartikel hätten als Beitrag zu einer Debatte von öffentlichem Interesse angesehen werden können, da sie sich auf Themen wie die Parlamentswahlen bezogen hätten und Mehdiyev als Leiter der aserbaidschanischen Präsidentschaftskanzlei ein bekannter hochrangiger Regierungsbeamter gewesen sei. Auch wenn einige Behauptungen mit subjektiven Gefühlen und Emotionen aufgeladen gewesen seien und daher als Werturteile angesehen werden haben können, habe der Artikel vorwiegend konkrete Daten, Personen und Ereignisse wiedergegeben, die der EGMR als Tatsachenbehauptungen wertete. Die Zeitung Khural habe nicht ausreichend nachgewiesen, dass sie diese Tatsachenbehauptungen auf ihren Wahrheitsgehalt hin überprüft hat. Khural habe in ihrer Funktion als „public watchdog“ die Pflicht, nach Treu und Glauben zu handeln, um im Einklang mit der journalistischen Ethik korrekte und zuverlässige Informationen zur Verfügung zu stellen. Khural sei daher ihren Pflichten und Verantwortlichkeiten gemäß Art. 10 EMRK nicht ausreichend nachgekommen.

Der EGMR stellte somit fest, dass Khural nicht im Recht auf freie Meinungsäußerung (Art. 10 EMRK) verletzt wurde.

Vgl. zu diesem Verfahren die Pressemitteilung und den Volltext der Entscheidung (jeweils in englischer Sprache).