Fachinfos - Judikaturauswertungen 12.04.2021

Zugang zu Informationen über Bezugsfortzahlungen

Meinungsäußerungsfreiheit: Recht eines Journalisten auf Zugang zu Informationen über Bezugsfortzahlungen an ehemalige Abgeordnete. VfGH 4.3.2021, E 4037/2020 (12. April 2021)

Sachverhalt

Der Beschwerdeführer Martin Thür ist Journalist und wandte sich in dieser Eigenschaft am 19. Juli 2019 mit einem Auskunftsbegehren gemäß dem Auskunftspflichtgesetz an die Parlamentsdirektion. Er wollte wissen, welche Abgeordneten in den Jahren 2017, 2018 und 2019 die Gehaltsfortzahlung nach Erledigung ihres Mandates in Anspruch genommen hatten und für wie lange. Da ihm diese Auskunft nicht erteilt wurde, stellte er einen Antrag auf Erlass eines entsprechenden Bescheides. Der Präsident des Nationalrates erließ daraufhin am 19. November 2019 einen Bescheid, mit dem er das Auskunftsbegehren aus Gründen des Datenschutzes und der Amtsverschwiegenheit abwies. In der Begründung des Bescheides wurde jedoch mitgeteilt, wie viele Bezugsfortzahlungen im betroffenen Zeitraum pro Jahr gewährt und welcher Gesamtbetrag dafür pro Jahr aufgewendet worden war.

Das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) wies die vom Beschwerdeführer gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde mit Erkenntnis vom 1. Oktober 2020 ab und führte dazu begründend aus, das Interesse der betroffenen ehemaligen Abgeordneten überwiege das Auskunftsinteresse des Beschwerdeführers. Die begehrten Informationen beträfen vorwiegend persönliche und private Umstände.

Dagegen erhob der Beschwerdeführer eine Erkenntnisbeschwerde an den Verfassungsgerichtshof (VfGH), in der er die Verletzung seines Rechts auf Meinungsäußerungsfreiheit gemäß Art. 10 EMRK behauptete. Das BVwG habe den anzuwendenden einfachgesetzlichen Bestimmungen einen verfassungswidrigen Inhalt unterstellt, indem es entgegen der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte (EGMR) davon ausgegangen sei, dass die Geheimhaltungsinteressen der vom Auskunftsersuchen betroffenen ehemaligen Abgeordneten das Interesse des Journalisten an der Auskunft überwögen und das Recht auf Information aus diesem Grund verneint habe.

Entscheidung des Verfassungs­gerichtshofes

Der VfGH ging in der vorliegenden Entscheidung von seiner bisherigen Judikatur ab, wonach aus Art. 10 Abs. 1 EMRK keine Verpflichtung des Staates resultiere, den Zugang zu Informationen zu gewährleisten oder selbst Informationen bereitzustellen. Unter Berufung auf die Rechtsprechung des EGMR nahm er nunmehr an, Art. 10 EMRK begründe zwar keine generelle Verpflichtung in diesem Sinne, ein Recht auf Zugang zu Informationen könne jedoch nach Maßgabe der in der Rechtsprechung des EGMR entwickelten Kriterien im Einzelfall bestehen.

Ein Recht auf Zugang zu Informationen sei demnach gewährleistet, wenn entweder die Offenlegung der Information von einem Gericht rechtskräftig angeordnet worden oder der Zugang zu Informationen für die Ausübung der Freiheit des Erhalts und der Weitergabe von Informationen maßgeblich sei. Im letzten Fall sei insbesondere von Bedeutung, ob das Sammeln der Informationen ein relevanter Vorbereitungsschritt für journalistische oder andere Aktivitäten sei, ob die Offenlegung der begehrten Informationen im öffentlichen Interesse notwendig sein könne – insbesondere weil sie für eine Transparenz über die Art und Weise der Führung von Amtsgeschäften und über Angelegenheiten, die für die Gesellschaft als Ganzes interessant seien, sorge –, ob der Grundrechtsträger als Journalist oder Nichtregierungsorganisation oder in einer anderen Funktion als „public watchdog“ im öffentlichen Interesse tätig werde und schließlich ob die begehrte Information bereit und verfügbar und daher kein weiteres Sammeln notwendig sei.

Für den vorliegenden Fall ging der VfGH davon aus, dass diese Kriterien erfüllt sind. Der Beschwerdeführer stelle sein Auskunftsbegehren erkennbar im Rahmen journalistischer Recherchen und werde als „public watchdog“ tätig. Die begehrte Auskunft diene einem nachvollziehbar dargelegten Interesse an der Transparenz politischer Tätigkeiten und sei jedenfalls geeignet, zu einer Angelegenheit von öffentlichem Interesse beizutragen. Das Auskunftsbegehren sei daher vom Schutzbereich des Art. 10 Abs. 1 EMRK erfasst und seine Abweisung greife in diesen ein.

Der Eingriff verfolge mit dem Schutz der Rechte anderer auch ein legitimes Ziel, er sei allerdings nicht verhältnismäßig erfolgt. Das BVwG habe die Interessenabwägung gemäß Art. 10 Abs. 2 EMRK nicht gesetzmäßig vorgenommen: Die begehrte Auskunft betreffe personenbezogene Daten und ihre Erteilung stelle einen Eingriff in das Datenschutzrecht der betroffenen Personen dar. Es bestehe allerdings kein Zweifel daran, dass an der Tätigkeit von Abgeordneten und damit auch an der Kenntnis ihrer Bezüge ein gewichtiges Interesse der Öffentlichkeit bestehe. Obwohl die Bezugsfortzahlungen das Ausscheiden aus dem Nationalrat und das Nichtvorliegen einer Erwerbstätigkeit voraussetzten und damit auch an private Umstände anknüpften, stellten sie doch letztlich eine Fortsetzung der Bezüge der Abgeordneten dar und könnten insofern nicht getrennt vom (ehemaligen) Nationalratsmandat betrachtet werden. An der Kenntnis solcher Fortzahlungen bestehe in gleicher Weise wie bei Bezügen aktiver Abgeordneter ein gewichtiges Interesse der Öffentlichkeit. Das entgegenstehende Interesse der ehemaligen Abgeordneten an Geheimhaltung trete demgegenüber in den Hintergrund. Das Auskunftsinteresse des Beschwerdeführers überwiege und die Verweigerung der Auskunft stelle daher einen unverhältnismäßigen Eingriff in das Auskunftsrecht dar. Für diesen Interessenausgleich spiele es keine Rolle, dass der Beschwerdeführer Auskunft über die Gesamthöhe der Fortzahlungen und die Gesamtzahl der Empfänger/innen erhalten habe.

Es liege aus diesen Gründen eine Verletzung der Meinungsäußerungsfreiheit des Beschwerdeführers vor.

Vgl. zu diesem Verfahren die Pressemitteilung und den Volltext der Entscheidung.