Parlamentskorrespondenz Nr. 75 vom 17.02.2000

ÖVP UND FPÖ STIMMEN NEUER KOMPETENZVERTEILUNG IN REGIERUNG ZU

Änderung des Bundesministeriengesetzes passiert Verfassungsausschuss

Wien (PK) - Der Verfassungsausschuss des Nationalrates hat heute mit den Stimmen der Koalitionsparteien eine umfassende Neuverteilung der Kompetenzen innerhalb der Regierung beschlossen. Es wird zwölf Ministerien geben, neu sind ein Ressort für Verkehr, Innovation und Technologie und eines für öffentliche Leistung und Sport. Die Umweltagenden werden künftig vom Landwirtschaftsministerium wahrgenommen, Familie und Frauen wandern ins Bundesministerium für soziale Sicherheit und Generationen. Während ÖVP und FPÖ von einem modernen und effizienten Gesetz sprachen, übten SPÖ und Grüne massive Kritik an den neuen Zuständigkeiten. Insbesondere bemängelten sie, dass es in der neuen Regierung kein eigenes Frauenministerium und kein Umweltministerium gibt und dass die Bereiche Arbeitsrecht und Arbeitsmarkt künftig in die Kompetenz des Wirtschaftsministeriums fallen. Ein Abänderungsantrag von SP-Klubobmann Kostelka, im Sinne einer Verwaltungsvereinfachung sämtliche Doppel- und Dreifachzuständigkeiten abzuschaffen, fand keine Mehrheit.

Im Detail sieht die Änderung des Bundesministeriengesetzes, die von den Abgeordneten in der Fassung eines Abänderungsantrags verabschiedet wurde, folgende Kompetenzverteilung vor: Das neue Bundesministerium für Verkehr, Innovation und Technologie wird anders als das Verkehrsministerium bisher nicht nur für Eisenbahnen, Schifffahrt und Luftfahrt zuständig sein, sondern auch für die bislang in die Kompetenz des Wirtschaftsministeriums fallenden Bereiche Straßenverkehr und Straßenbau. Weiters werden in diesem Ministerium der Forschungsförderungsfonds für die gewerbliche Wirtschaft und der Innovations- und Technologiefonds sowie das Patentwesen angesiedelt und die Einrichtung eines Rates für Forschung und Technologieentwicklung in Aussicht genommen.

Weitreichende Zuständigkeiten erhält das Bundesministerium für soziale Sicherheit und Generationen. Neben den bisher wahrgenommenen Aufgaben Soziales und Gesundheit fallen künftig auch Familien, Frauen und Jugend in die Kompetenz des Ressorts, zudem übernimmt es den Komplex Gentechnologie, Lebensmittelkontrolle und Veterinärmedizin aus dem Bundeskanzleramt. Angelegenheiten des Arbeitsrechts, des Arbeitnehmerschutzes und des Arbeitsmarktes werden im Gegenzug aber vom Sozialministerium an das Wirtschaftsministerium abgegeben, das nunmehr Bundesministerium für Wirtschaft und Arbeit heißt. Auch der ERP-Fonds, bisher beim Bundesministerium für Wissenschaft und Verkehr, wird im Wirtschaftsministerium angesiedelt.

In den Aufgabenbereich des neuen Bundesministeriums für öffentliche Leistung und Sport fällt der öffentliche Dienst sowie Fragen der Verwaltungsorganisation und Verwaltungsreform. Das Bundesministerium für Unterricht und kulturelle Angelegenheiten übernimmt zusätzlich den Wissenschaftsbereich und wird zum neuen Bundesministerium für Bildung, Wissenschaft und Kultur.

Das Justizressort erhält zu seinen bisherigen Aufgaben den Konsumentenschutz dazu. Neuer Name des Landwirtschaftsministeriums ist Bundesministerium für Land- und Forstwirtschaft, Umwelt und Wasserwirtschaft, wobei künftig auch der Artenschutz - bisher Wirtschaftsministerium - und die Koordination in Nuklearfragen - bisher Bundeskanzleramt - in die Kompetenz des zuständigen Ministers fallen. Wie es in den Erläuterungen heißt, ist es Ziel der Änderung des Bundesministeriengesetzes, bestehende Kompetenzzersplitterungen zu beseitigen und die Aufteilung der Zuständigkeiten stärker als bisher an sachlichen Zusammenhängen zu orientieren.

Was die Personalvertretungsorgane in den einzelnen Ressorts betrifft, ist im Gegensatz zur ursprünglichen Fassung des Antrags nunmehr vorgesehen, dass diese mit den betroffenen Bediensteten mitwechseln.

In der Debatte beklagte SP-Klubobmann Dr. KOSTELKA, dass jeglicher Versuch der Verwaltungsvereinfachung "konsequent unterlassen worden ist". Er regte an, sämtliche Doppel- und Dreifachzuständigkeiten, Kostelka zufolge über 1.400, abzuschaffen und nur jene, die wirklich notwendig seien, neu zu verankern. Ein vom ihm in dieser Frage vorgelegter Abänderungsantrag erhielt über seine Fraktion hinaus aber keine Zustimmung.

An der neuen Kompetenzverteilung kritisierte Kostelka die Abschaffung des Frauenministeriums sowie den Versuch, "Unvereinbares vereinbar zu machen". So würden die Interessen von ArbeitnehmerInnen unter jene der Wirtschaft gestellt, die Interessen des Umweltschutzes unter jene der Landwirtschaft.  Auch sei die Größe der Ressorts sehr unterschiedlich, während das neue Bundesministerium für öffentliche Leistung und Sport nicht einmal die Größe mancher Sektionen habe, müsse der Wirtschaftsminister Österreich in insgesamt sieben Ministerräten der EU vertreten.

Kostelka und seine Fraktionskollegen PENDL, SCHIEDER und Dr. KRÄUTER beschwerten sich überdies darüber, dass das vorliegende Gesetz bzw. der Abänderungsantrag unlesbar seien. Offensichtlich agiere die Koalition unter dem Motto "Wir tun was wir wollen, und wir sagen euch nicht warum", konstatierte Schieder. Insgesamt stehen Schieder zufolge "manchen vernünftigen Dingen" sehr viele unvernünftige Dinge gegenüber. Die Einteilung der Ministerien sollte seiner Auffassung nach eine gewisse Logik haben und nicht auf einzelne Personen und Parteien zugeschnitten werden.

Abgeordnete Dr. PETROVIC (G) machte darauf aufmerksam, dass sich die Regierung nicht bemüht habe, die Ressortzuständigkeiten in Österreich an die europäische Kompetenzlage "anzulehnen". Als Mangel an Feingefühl wertete sie die Entscheidung, aktive Arbeitsmarktpolitik und ArbeitnehmerInnenschutz ins Wirtschaftsressort einzugliedern und die "Querschnittsmaterien" Umwelt, Frauen und Konsumentenschutz zu schwächen. "Das ist kein europäischer Standard." So widerspricht laut Petrovic das Vorhaben, Frauen in das Ministerium für soziale Sicherheit und Generationen einzugliedern einer EU-Leitlinie zur Anhebung der Frauenerwerbsbeteiligung.

Ihre Fraktionskollegin Abgeordnete Dr. GLAWISCHNIG  vertrat die Meinung, dass die Kompetenzzersplitterung eher verstärkt wird. Das Gesetz sei in keiner Weise innovativ, unterstrich sie, die Zusammenlegung von Landwirtschaft und Umwelt sei "unsinnig und kontraproduktiv". So gebe es beim Einsatz von Pflanzenschutzmitteln, Düngemitteln oder Tierarzneimitteln Interessenskollisionen zwischen der Landwirtschaft und der Umwelt. Glawischnig sieht darüber hinaus nicht ein, warum man "den Verbraucherschutz zerschlägt" und die Agenden des Konsumentenschutzes von jenen der Lebensmittelkontrolle trennt und warum die Atompolitik künftig "nicht mehr Chefsache ist", sondern zum Landwirtschaftsministerium ressortiert.

Abgeordnete Dr. FEKTER (VP) meinte dem gegenüber, der Antrag sehe eine gravierende Kompetenzbereinigung vor, wesentliche Doppelgleisigkeiten würden abgeschafft. Damit sei mehr Effizienz bei den Zuständigkeiten gewährleistet. Fekter zufolge passen die Arbeitsinspektorate auch gut ins Wirtschaftsministerium, schließlich sei die Zusammenarbeit mit den Gewerbebehörden schon bisher hervorragend. Die SPÖ-Abgeordneten Kostelka und Kräuter hätten leider immer noch das Uraltfeindbild Unternehmer.

Auch Abgeordnete Dr. BAUMGARTNER-GABITZER (VP) qualifizierte das neue Bundesministeriengesetz als guten Entwurf. Durch die Neubündelung werde es zu Vereinfachungen im Aktenlauf kommen. Die schwere Lesbarkeit des Gesetzes begründete VP-Klubobmann Dr. KHOL mit dem vorhandenen Zeitdruck. Schließlich sei es notwendig, dass die neue Kompetenzverteilung bald stehe.

Abgeordneter Ing. WESTENTHALER (FP) beurteilte die Neuverteilung der Zuständigkeiten ebenfalls positiv. Seiner Ansicht nach ist das neue Bundesministerium für öffentliche Leistung und Sport enorm wichtig und bedeutungsvoll, er verstehe nicht, warum es daran Kritik gebe. Zum Bundesministerium für Wirtschaft und Arbeit merkte Westenthaler an, die SPÖ habe offensichtlich die Weiterentwicklung in diesem Bereich verschlafen. Man müsse vom klassengesellschaftlichen Kampf weg kommen hin zu einem Partnerschaftsdenken zwischen Wirtschaft und Arbeit. "Wir wollen ein Miteinander und kein Gegeneinander". Insgesamt qualifizierte der FPÖ-Klubobmann das Gesetz als modern und effizient.

Staatssekretär MORAK hielt fest, dass die neue Kompetenzverteilung besser und konziser sei als die alte. So würde mit der Zusammenlegung von Landwirtschaft und Umwelt quasi ein Lebensministerium geschaffen. Schließlich stehe im Agrarbereich die landwirtschaftliche Nutzung nicht mehr allein im Vordergrund, sondern werde durch Landschaftspflege und Nachhaltigkeit im Sinne eines ökosozialen Ansatzes ergänzt. Weiters würden erstmals Schiene und Straße in einem Ressort zusammengefasst.

Am meisten getroffen habe ihn, so Morak, die Kritik am Bundesministerium für Wirtschaft und Arbeit. Wirtschaft und Arbeit seien grundsätzlich kein Gegensatz, bekräftigte er, Wirtschaft ohne Arbeit und vice versa werde es in diesem Jahrhundert nicht geben.

Aus dem Bundeskanzleramt hat man sich laut Morak bemüht, ein Koordinationsministerium zu machen. Deshalb sei es in Einzelkompetenzen "abgeschlankt" worden, während man die Koordinationsaufgaben erweitert habe. So würde die Informationstätigkeit der Bundesregierung konzentriert.

Der VP-FP-Antrag auf Änderung des Bundesministeriengesetzes passierte in der Fassung des von Abgeordneter Baumgartner-Gabitzer eingebrachten Abänderungsantrags mit den Stimmen der Koalitionsparteien den Verfassungsausschuss. Ebenfalls mit VP-FP-Mehrheit wurde ein im Rahmen der Beratungen über das Bundesministeriengesetz eingebrachter VP-FP-Antrag auf Novellierung des Bundeshaushaltsgesetzes beschlossen. Dabei geht es im Wesentlichen darum, die entsprechenden haushaltsrechtlichen Vorschriften darauf abzustimmen, dass künftig das Bundesministerium für öffentliche Leistung und Sport für den öffentlichen Dienst zuständig ist.

VÖLKERMORD AM ARMENISCHEN VOLK: MENSCHENRECHTSAUSSCHUSS

WIRD RESOLUTIONSENTWURF DER GRÜNEN BEHANDELN

Weiters befasste sich der Ausschuss mit einem Entschließungsantrag der Grünen, in dem Abgeordnete Dr. PETROVIC die Anerkennung der Massaker an der armenischen Bevölkerung in den Jahren 1915 bis 1917 auf dem Gebiet des damaligen osmanischen Reiches als Völkermord durch Österreich verlangt. Die Grünen weisen darauf hin, dass andere nationale Parlamente bereits einen solchen Schritt gesetzt haben, und wünschen sich eine entsprechende Erklärung der Bundesregierung aus Anlass der 85. Wiederkehr der Massaker am 24. April 2000.

Der Ausschuss empfahl einstimmig eine Zuweisung des Antrags an den Menschenrechtsausschuss durch den Präsidenten in der nächsten Plenarsitzung. In ihren Wortmeldungen gingen die Abgeordneten SCHIEDER (SP), Dr. KHOL (VP) und Dr. PETROVIC (G) davon aus, dass jedenfalls noch vor dem 24. April eine Beschlussfassung über den Antrag stattfinden werde.

Zu Beginn der Sitzung des Verfassungsausschusses war FPÖ-Abgeordneter Dr. Martin Graf zu einem der Obmannstellvertreter des Verfassungsausschusses gewählt worden. (Schluss)