Parlamentskorrespondenz Nr. 917 vom 12.12.2006
"Wallenbergs Laufbursche" - Jonny Moser erinnert sich
Wien (PK) - Die Präsidentin des Nationalrates Barbara Prammer und der Picus Verlag luden heute zur Präsentation des Buches "Wallenbergs Laufbursche. Jugenderinnerungen 1938 – bis 1945" von Jonny Moser ins Hohe Haus. In Vertretung der Nationalratspräsidentin begrüßte die Vizepräsidentin des Bundesrates Anna Elisabeth Haselbach das zahlreiche und prominente Publikum mit dem Autor Jonny Moser sowie den beiden ehemaligen Bundesministern Erwin Lanc und Franz Hums sowie Vertretern des diplomatischen Korps an der Spitze.
Vizepräsidentin Haselbach betonte, dass die lebensnahen Schilderungen der Erlebnisse Jonny Mosers betroffen und nachdenklich machen und dass die Lektüre des Buches vor allem dazu dienen solle, um uns zu befähigen, in der Gegenwart die richtigen Schlüsse zu ziehen, damit sich das, was Generationen vor uns widerfahren ist, nicht wiederholt.
Der Präsident des Hauptverbandes des Österreichischen Buchhandels und Leiter des Wiener Picus Verlages Dr. Alexander Potyka wies darauf hin, dass die in der Reihe "Spuren in der Zeit" erschienen Bücher die Geschichte Überlebender zeichnen und dass sich in Jonny Mosers Lebenserinnerungen zeige, dass Heldentum und Zivilcourage keine einmalige pathetische Geste seien, sondern ein mühsamer, lang dauernder Prozess, was zur Bewusstseinsbildung und ‑erweiterung der Leser beitrage.
Universitätsprofessor Wolfgang Neugebauer, langjähriger wissenschaftlicher Leiter des Dokumentationsarchivs des österreichischen Widerstands, würdigte Jonny Moser als gelungenes Beispiel der Verbindung eines Zeitzeugen und eines Historikers, hob die Leistungen des Autors im Dokumentationsarchiv hervor und erinnerte überdies an das Engagement Mosers als Politiker der SPÖ.
Die Herausgeber Universitätsprofessor Albert Lichtblau und Eleonore Lappin vom Institut für Geschichte der Juden in Österreich präsentierten im Anschluss daran gemeinsam mit dem Autor einzelne Abschnitte des Werkes.
Raoul Wallenberg - Diplomat im Dienste der Humanität
Als die Nationalsozialisten im April 1938 darangingen, die jüdische Bevölkerung aus dem burgenländischen Parndorf nach Ungarn abzuschieben, begann auch die siebenjährige Flucht der Kaufmannsfamilie Moser und deren dreizehnjährigem Sohn Jonny Moser. Nach Arisierung des Besitzes und monatelangem Hausarrest in Parndorf übersiedelte die Familie zuerst nach Wien, wo Jonnys Vater, der anlässlich seiner Verheiratung mit einer Jüdin zum Judentum konvertiert war, verhaftet und in Ungarn interniert
+ wurde. Im Oktober 1940 flüchtete Jonny Moser mit seiner Mutter und Schwester nach Budapest, wo sie, wie viele anderen Juden aus Wien und dem Burgenland, zunächst als U‑Boote lebten, dann als Auswanderungswillige von den ungarischen Behörden den Flüchtlingsstatus und Asyl in einem Internierungslager erhielten.
Der Angriff der Japaner auf Pearl Harbor und die Kriegserklärung Deutschlands und Ungarns an die USA zerstörten die bereits weit gediehenen Ausreisepläne der Mosers in die USA. Jonny Moser und seine Familie wurden deportiert, es folgen drei Jahre Haft in Konzentrationslagern, in denen die Mosers mehrmals nur knapp der NS‑Vernichtungsmaschinerie und einer Deportation nach Auschwitz entgingen.
Im August 1944 wurden Jonny und seine Familie überraschend freigelassen, da auf Grund der innenpolitischen Entwicklungen in Ungarn bereits starker Widerstand gegen das deutsche Regime herrschte und sich Verwaltung und Beamtentum durch die Befreiung der jüdischen Häftlinge für den Fall der sich bereits abzeichnenden Niederlage Deutschlands die Sympathien der Siegermächte sichern wollten.
Vor diesem Hintergrund hatten sich einige in Budapest akkreditierte Diplomaten und internationale Geschäftsträger zusammengetan, um Juden zu retten, darunter das Rote Kreuz, die päpstliche Nuntiatur sowie die Schweizer und die schwedische Botschaft. Einer dieser Helfer war Raoul Wallenberg, zweiter Legationssekretär an der schwedischen Botschaft, der eigens nach Budapest gekommen war, um eine Rettungsaktion für ungarische Juden zu starten. Unter dem geheimen Titel "Abteilung A der schwedischen Gesandtschaft" erhielten gefährdete Personen einen "Schutzpass" und wurden in weiterer Folge in "geschützten Häusern" untergebracht, die unter der Exterritorialität Schwedens standen.
Raoul Wallenberg stellte auch der Familie Moser die begehrten Schutzpässe aus und setzte Jonny Moser zunächst für Botengänge ein. Wallenberg schätzte Jonnys couragiertes Verhalten und nahm ihn in sein Mitarbeiterteam auf, das großteils aus Freiwilligen bestand und die Schützlinge mit Wohnungen, Verpflegung und medizinischer Versorgung unterstützte.
Als im Herbst 1944 der ungarische Reichsverweser Horthy zur Abdankung gezwungen wurde und sich die Regierung Szálasi an die Macht putschte, verschlechterten sich die Verhältnisse dramatisch. Die rechtsradikalen "Pfeilkreuzler" akzeptierten die Schutzbriefe nicht und gingen daran, die Judenfrage in Eigenregie zu lösen. Jonny Moser war einer von jenen, auf die sich Raoul Wallenberg nun verlassen konnte, wenn es darum ging, durch entschlossenes, mutiges Auftreten Gefangene zu befreien.
Als die Rote Armee im Spätherbst 1944 vor Budapest stand, wurden Tausende arbeitsfähige Juden für den Arbeitseinsatz in Deutschland requiriert und unter grausamsten Bedingungen Richtung Deutschland getrieben. Die meisten kamen bei diesen Märschen um, auch Jonny Moser entging mehrmals nur knapp dem Tod. Erst die Eroberung Budapests durch die Rote Armee zu Jahresende 1944 setzte dem Terror der Pfeilkreuzler ein Ende. Nachdem der Stadtteil Pest gefallen war, begab sich Wallenberg in der Hoffnung, dass diejenigen, die den Terror überlebt hatten, nun bald in Sicherheit sein werden, am 18. Jänner ins Hauptquartier eines sowjetischen Marschalls, um die weitere Vorgangsweise zu klären. Seither ist Wallenberg spurlos verschwunden. Jonny Moser und seine Familie Moser konnten nach Kriegsende nach Wien zurückkehren, wo sie sich eine neue Existenz schufen.
Auschwitz hat keiner von uns überlebt
Sein Buch "Wallenbergs Laufbursche" widmete Jonny Moser seinen heute in den USA lebenden Söhnen. Der Autor bettet seine Erinnerungen in die Geschichte Österreichs und Ungarns zwischen 1938 und 1945 ein. Bei seinen äußerst detailreichen Schilderungen stützte er sich auf tagebuchähnliche Notizen, die er auch mit Skizzen der Internierungslager versah, womit auch historische Authentizität gegeben ist. Präzise historische Ausführungen wechseln unmittelbar mit der Schilderung seiner ganz persönlichen Erlebnisse, Erfahrungen und Reflexionen.
Bei der Darstellung der abenteuerlichen Erlebnisse auf der Flucht und während des Krieges oder des entbehrungs‑ und risikoreichen Lebens seiner Familie verzichtet der Autor Moser auf jede Bitterkeit und Anklage. Das Buch erschüttert durch das Dargestellte selbst. Wenn Jonny Moser etwa beschreibt, wie es ihm wieder einmal gelungen war, seine Familie durch mutiges Auftretens vor der Deportation nach Auschwitz zu retten. Am Gendarmerieposten, bei dem er sich melden musste, glitt der letzte Deportationszug vorbei: "Ich hörte ein 'Jonny! Jonny! Leb wohl!' Es müssen Kameraden aus dem Lager ... gewesen sein. Erkennen konnte ich keinen der Rufenden, das ließen die ... vernagelten Luken der Viehwaggons nicht zu. Aber heute noch höre ich die Zurufe in meinen Ohren klingen. Es waren Abschiedsgrüße Todgeweihter. Keiner aus unserer Csepeler Gruppe, der deportiert wurde, hat Auschwitz überlebt."
Raoul Wallenberg wird von Jonny Moser als bescheidener und scheuer Mann beschrieben, der aber entschlossen und selbstbewusst auftreten konnte, wenn es darum ging, sein ehrgeiziges humanitäres Vorhaben gegen Widerstand in die Tat umzusetzen. Wörtlich schreibt Moser: "Er war sprachgewandt und ließ sich emotionell nicht zu unüberlegten Handlungen oder Aussagen hinreißen. Wallenberg wirkte auf mich sympathisch, zudem besaß er eine ungeheure charismatische Ausstrahlung."
Jonny Moser studierte nach seiner Rückkehr Geschichte an der Universität Wien. Seit 1964 ist er Vorstandsmitglied des Dokumentationsarchivs des österreichischen Widerstands. Er veröffentlichte zahlreiche Werke zur nationalsozialistischen Judenverfolgung in Österreich und lebt heute als freischaffender Historiker in Wien.
"Wallenbergs Laufbursche" ist im Rahmen der Reihe "Spuren in der Zeit. Lebensgeschichtliche Erinnerungen von österreichischen Juden und Jüdinnen ab der 2. Hälfte des 19. Jahrhunderts" im Picus Verlag erschienen. Das Werk umfasst 392 Seiten, sein Erscheinen wurde vom Renner‑Institut, dem Nationalfonds der Republik Österreich für Opfer des Nationalsozialismus und vom Land Burgenland gefördert. (Schluss)
HINWEIS: Fotos von dieser Veranstaltung / diesem Besuch finden Sie – etwas zeitverzögert – auf der Website des Parlaments im Fotoalbum : www.parlament.gv.at