Parlamentskorrespondenz Nr. 821 vom 06.10.2009

Parlament: Festveranstaltung zum 100. Geburtstag von Hertha Firnberg

Fischer: Firnberg verdient bleibende Anerkennung

Wien (PK) – Hertha Firnberg war nicht nur die erste sozialdemokratische Ministerin, sondern auch die erste Ministerin für Wissenschaft und Forschung Österreichs. Sie baute im Auftrag von Bundeskanzler Bruno Kreisky das Ressort auf, das sie danach beinahe 13 Jahre leiten sollte, und war maßgeblich für die Reorganisation und Demokratisierung der österreichischen Universitäten sowie die Forcierung der Wissenschaftspolitik verantwortlich. Im September dieses Jahres hätte sie ihren 100. Geburtstag gefeiert.

Aus diesem Anlass lud Nationalratspräsidentin Barbara Prammer heute Abend gemeinsam mit Wissenschaftsminister Johannes Hahn unter dem Titel "Wissenschaft und Forschung im Aufbruch" zu einer hochkarätig besetzten Festveranstaltung ins Parlament. Dabei ging es nicht nur um eine Würdigung der Ausnahmepolitikerin, sondern auch um aktuelle Herausforderungen in der Wissenschafts- und Forschungspolitik. Hauptredner war dabei Bundespräsident Heinz Fischer, der zwischen 1983 und 1987 selbst Wissenschaftsminister gewesen war. Zu den weiteren Laudatoren und Diskutanten zählten neben Prammer und Hahn der Industrielle Hannes Androsch und der Grazer Universitätsprofessor Helmut Konrad.

Nationalratspräsidentin Prammer unterstrich in ihrer Begrüßungsrede, Hertha Firnberg sei eine Frau gewesen, die das Leben vieler Österreicherinnen und Österreicher nachhaltig geprägt habe. Sie selbst sei 16 Jahre alt gewesen, als Firnberg Wissenschaftsministerin wurde und würde als ältestes Kind einer Arbeiterfamilie ohne die Politik Firnbergs heute vermutlich nicht hier stehen, meinte sie. Bereits frühzeitig sei Chancengleichheit für alle oberstes Ziel Firnbergs gewesen: weder das Geschlecht noch die Brieftasche der Eltern dürften für den Zugang zu Bildung ausschlaggebend sein. In diesem Zusammenhang erinnerte Prammer etwa an die Einführung von Gratis-Schulbüchern, die Schülerfreifahrt und die Abschaffung der Studiengebühren.

Firnberg habe "Bildung an und für sich" als Wert gesehen, betonte Prammer, und davor gewarnt, Bildung ausschließlich auf wirtschaftliche Interessen hinzuorientieren. Auch erachtet sie viele der damals aktuellen Themenkreise als bis heute relevant und brisant. So würden soziale Hierarchien nach wie vor Bildungschancen und Bildungsgrad beeinflussen, die frühe Trennung der Schülerinnen und Schüler zementiere soziale Ungleichheiten.

Besonders hob Prammer auch das frauenpolitische Engagement der "lösungsorientierten Realpolitikerin" Firnberg hervor und erinnerte daran, dass zwei der wesentlichsten Reformen in den siebziger Jahren auf die Bemühungen Firnbergs zurückgegangen seien: die Entkriminalisierung des Schwangerschaftsabbruchs durch die Fristenregelung und die Gleichstellung der Geschlechter durch die Familienrechtsreform. Firnberg sei überzeugt davon gewesen, dass es "keine Befreiung der Menschheit ohne Gleichstellung der Geschlechter" gebe.

Wissenschaftsminister Johannes Hahn ließ die Entwicklung auf dem Hochschulsektor zwischen 1970 und 2008 Revue passieren. Damals seien von den rund 56.000 Studierenden nur 26 Prozent Frauen gewesen. Am Ende von Firnbergs Amtszeit sei der Prozentsatz bereits auf 42 Prozent angewachsen gewesen, heute betrage er fast 54 Prozent von den rund 240.000 Studierenden, so Hahn. Es gelte, auch heute dafür Sorge zu tragen, dass die Bildungschancen für alle gleich seien, es gelte, die vorhandenen Potentiale entsprechend zu fördern, denn gerade in ökonomisch schwierigen Zeiten sei eine gute Ausbildung unabdingbar.

Mit ihren Vorarbeiten, wie etwa dem Universitätsgesetz 1975, habe Firnberg wichtige Grundlagen für die heimische Studienarchitektur gelegt, auf denen heute eine moderne Hochschulpolitik aufgebaut werden könne, betonte der Minister. Hahn erinnerte in diesem Zusammenhang an die seit 1. Oktober geltende Novelle zum Universitätsgesetz, wonach eine 40-prozentige Frauenquote für sämtliche Uni-Gremien festgeschrieben ist. Das sei mit Sicherheit ein wichtiger und notwendiger Schritt, um die Chancen für Frauen im Universitätsbereich nachhaltig auszubauen und die schrittweise Erhöhung des Frauenanteils zu beschleunigen, betonte Hahn, der sodann auf aktuelle wissenschaftliche Herausforderungen einging, wobei er meinte, es wäre spannend, den nötigen wissenschaftlichen Diskurs mit einer Persönlichkeit wie Hertha Firnberg zu führen.

Bundespräsident Heinz Fischer erinnerte eingangs seiner Ausführungen an das grundlegende Werk von Georgi Plechanow, "Die Rolle der Persönlichkeit in der Geschichte", in welchem dieser die These vertreten habe, dass das historische Geschehen kaum von Personen, sondern von einer Vielzahl anderer Faktoren abhänge. Man bekomme aber, so Fischer, immer wieder bewiesen, wie sehr es auf den subjektiven Faktor, auf das Wollen und Wirken Einzelner ankomme, und das bekomme man auch im Falle Hertha Firnbergs zu spüren.

Der Präsident sprach davon, dass jeder sein persönliches Bild von Firnberg in seinem Bewusstsein habe. Er, Fischer, habe sie 1962 im Parlament kennengelernt als eine Frau, die vielseitig interessiert gewesen sei und auch im Europarat bereits eine wichtige Rolle gespielt habe. Firnberg sei im Finanz-, im Unterrichts-, im Justizausschuss und im Außenpolitischen Ausschuss, dessen stellvertretende Vorsitzende sie gewesen sei, hoch aktiv gewesen und zählte ab 1967 mit Karl Waldbrunner, Hannes Androsch, Leopold Gratz, Rudolf Häuser und Anton Benya zu den wesentlichen Stützen Bruno Kreiskys.

Der Präsident ließ die Jahre vor 1970 Revue passieren, welche die sozialistische Fraktion als eine Zeit erlebt habe, in der es eine höchst intensive parlamentarische Arbeit gegeben habe, bei der Firnberg federführend war. Anschließend durchleuchtete Fischer die Vorgänge rund um die Gründung des Wissenschaftsministeriums und die anschließende 13-jährige Amtstätigkeit Firnbergs in diesem Ressort, das sie, so Fischer, erhobenen Hauptes, mit Festigkeit, und manchmal auch mit der nötigen Strenge, geführt habe. In diesem Zusammenhang verwies Fischer aber auch auf die anderen politischen Aktivitäten Firnbergs, so etwa auf die Debatte rund um die Fristenlösung.

1983 habe Firnberg ihr Amt an ihn, Fischer, übergeben und sich aus der Politik verabschiedet. Sie sei gleichwohl bis zuletzt aktiv geblieben, wobei sie sich aber niemals aufgedrängt habe. Vieles blieb von ihrem Wirken erhalten, sie verdiene, so schloss der Präsident, darob bleibende Anerkennung.

Im Anschluss wurden Filmdokumente zu Hertha Firnberg gezeigt. Hannes Androsch, Helmut Konrad und SPÖ-Wissenschaftssprecherin Andrea Kuntzl diskutierten mit den Gästen über Hertha Firnbergs Vermächtnis: Wissenschafts- und Forschungspolitik für das 21. Jahrhundert.

Leben und Wirken Hertha Firnbergs

Hertha Firnberg wurde am 18. September 1909 als Tochter eines Arztes und einer Beamtin geboren. Sie besuchte in Hernals ein Gymnasium, wo sie sich 1926 den sozialdemokratischen Mittelschülern (VSM) anschloss, deren stellvertretende Vorsitzende sie bald wurde. Nach der Matura bezog sie mit ihrer Schwester ein Siedlungshaus in Favoriten und begann an der Universität Wien Jus zu studieren. Später wechselte sie auf die philosophische Fakultät und promovierte nach einem Studienaufenthalt an der Uni Freiburg in Wien zum Thema "Lohnarbeit im Mittelalter".

Die Zeit der Diktaturen überstand Firnberg unbeschadet. Sie arbeitete für einen Modeverlag als Buchhalterin, wobei sie bald zur Prokuristin aufstieg. Nach dem Zweiten Weltkrieg trat sie der SPÖ bei und wechselte in die Arbeiterkammer, wo sie bald führende Funktionen innehatte. 1959 wurde sie in den Bundesrat entsandt, vier Jahre später in den Nationalrat gewählt. 1967 folgte sie Rosa Jochmann als Vorsitzende der sozialistischen Frauen, eine Funktion, die sie bis 1981 innehatte.

Nach dem Wahlsieg Bruno Kreiskys bei den Nationalratswahlen 1970 avancierte Firnberg zur Bundesministerin. Sie baute das Wissenschaftsressort auf, das sie bis zum April 1983 leiten sollte. Mit dem Ende der Ära Kreisky zog sich auch Hertha Firnberg aus dem aktiven politischen Leben zurück. Sie starb am 14. Februar 1994 in Wien. (Schluss)

HINWEIS: Fotos von der Festveranstaltung finden Sie – etwas zeitverzögert – auf der Website des Parlaments im Fotoalbum : www.parlament.gv.at.