Parlamentskorrespondenz Nr. 472 vom 06.05.2015

Legistische Unterstützung der Abgeordneten im europäischen Vergleich

Enquete-Kommission zur Stärkung der Demokratie in Österreich

Wien (PK) - Die konkrete Ausgestaltung und Organisation der legistischen und wissenschaftlichen Unterstützung der Abgeordneten bei der Gesetzgebung stand im Mittelpunkt des zweiten Themenblocks der heutigen Enquete-Kommission zur Stärkung der Demokratie in Österreich. Dabei wurde nicht nur die österreichische Situation, sondern auch jene in Deutschland und in den Niederlanden beleuchtet.

Wagner: Unparteiische und fachliche Politikberatung im Mittelpunkt der Arbeit

Einen Einblick in die zentralen Herausforderungen, mit denen alle Serviceeinrichtungen für politische MandatarInnen konfrontiert sind, gab Gerlinde Wagner, die Leiterin des Rechts-, Legislativ- und Wissenschaftlichen Dienstes der Parlamentsdirektion. Da im Bereich der Exekutive eine Vielzahl an Fachleuten tätig ist, die eine hohe Spezialisierung aufweisen und zudem über Wissen verfügen, zu der die Außenwelt kaum Zugang hat, haben die Regierungen in der Regel einen Wissensvorsprung gegenüber den Parlamenten, gab sie zu bedenken. Außerdem hänge die Organisation und der Umfang der Beratung und Unterstützung der Abgeordneten ganz entscheidend davon ab, welche Rolle dem Parlament im jeweiligen politischen System zukommt und wie die zur Verfügung stehenden Ressourcen verteilt werden. Dennoch müssen unter diesen nicht ganz einfachen Rahmenbedingungen fachlich hochstehende, dem aktuellen wissenschaftlichen Stand entsprechende und vor allem objektive und nachvollziehbare Informationen bereitgestellt werden.

Im europäischen Vergleich zeige sich, dass der Schwerpunkt der Arbeit in juristischer Expertise und Beratung liege, wobei dies u.a. von Bibliotheken, Rechtsdiensten, wissenschaftliche Diensten, Unterstützungseinrichtungen in EU- und Budgetangelegenheiten oder Ausschusssekretariaten wahrgenommen wird. Teilweise werden sogar Vorprüfungen von Gesetzesentwürfen durchgeführt, was etwa in Portugal der Fall ist, informierte Wagner. Im österreichischen Parlament gebe es eine sehr breite Palette an Serviceangeboten, der Rechts-, Legislativ- und Wissenschaftliche Dienst sei zudem in den letzten fünf Jahren weiter ausgebaut worden, hob Wagner hervor. Die jüngste Einrichtung sei der Budgetdienst, der im Sommer 2012 eingerichtet wurde. Beim Vergleich mit ähnlich großen Ländern wie Österreich falle auf, dass es in Finnland, Estland, Irland, Schweden, Portugal und der Tschechischen Republik eine Kombination aus "schlanken" Ausschusssekretariaten und wissenschaftlichen Diensten gebe. Außerdem könne man sehen, dass sich die Schwerpunktsetzung der Unterstützung überall auf wenige parlamentsrelevante Rechtsgebiete konzentriert. Im Bereich der Zusammenarbeit mit externen wissenschaftlichen Einrichtungen kann u.a. Finnland als Vorbild dienen, urteilte Wagner. Es sei wichtig, das große Spektrum an Angeboten zu kennen und daraus zu lernen, um die bestmögliche Betreuung der Abgeordneten zu garantieren, war sie überzeugt.

Janistyn-Novak: Ständige Weiterentwicklung des Angebots im Sinne der Transparenz und Bürgerbeteiligung erfordert ausreichende Ressourcen

Aufbauend auf den Ausführungen von Gerlinde Wagner ging Parlamentsvizedirektorin Susanne Janistyn-Novak noch detaillierter auf die österreichische Situation ein und befasste sich vor allem mit den Herausforderungen bei der Umsetzung der in Diskussion stehenden Modelle zur Steigerung der Transparenz und Bürgerbeteiligung in der Gesetzgebung. In diesem Zusammenhang komme der Frage des Zugangs zu Information über den legislativen Prozess und deren Aufbereitung und Präsentation eine immer wichtigere Rolle zu. Bereits jetzt stelle die Parlamentsdirektion ein umfangreiches Internet-Angebot zur Verfügung, das von der vollständigen Darstellung der parlamentarischen Abläufe in Österreich und der Information über Initiativen auf EU-Ebene bis hin zu speziellen Seiten für Kinder und Jugendliche reicht. Ein zusätzliches Service bietet der Pressedienst durch die Kurzfassung von Gesetzesinitiativen in der Parlamentskorrespondenz, hob Janistyn-Novak hervor. Auch die Berichterstattung über die Ausschusssitzungen schaffe für diesen grundsätzlich nicht öffentlichen Teil des parlamentarischen Verfahrens ein hohes Maß an Transparenz. Darüber hinaus beantwortet das BürgerInnenservice zahlreiche Anfragen zu den verschiedensten Themen.

Was generell die Zugänglichkeit von Informationen betrifft, so werde laufend an der Verbesserung der sprachlichen, graphischen und technischen Aufbereitung gearbeitet. Für einen weiteren Ausbau dieses Angebots wären aber zusätzliche personelle Ressourcen erforderlich, die derzeit nur bedingt gegeben sind, räumte Janistyn-Novak ein. Diese Bedenken meldete sie auch hinsichtlich der Vorschläge im Demokratiepaket 2013 - Aufwertung von Volksbegehren, Einführung von Volksbefragungen nach besonders hoch unterstützen Volksbegehren sowie Verbesserungen bei parlamentarischen Bürgerinitiativen – an. Auch wenn vieles davon in das bestehende Informationsangebot eingefügt werden könnte, wären manche Aufgaben mit einem sehr hohen zeit- und personalintensiven Aufwand verbunden. Wenn zudem ein weiterer Ausbau von Enquete-Kommissionen erwünscht ist, müssen die entsprechenden organisatorischen, personellen und technischen Voraussetzungen geschaffen und das Zusammenwirken zwischen Parlamentsdirektion und Klubs neu definiert werden, konstatierte Janistyn-Novak. Schließlich müsste für die Beteiligung von BürgerInnen ebenso wie für die Einladung von Fachleuten zu Ausschüssen und Enquete budgetäre Vorkehrungen getroffen werden.

Deutschland: Wissenschaftliche Dienste leisten wichtigen Beitrag zur Gesetzgebung

Der Direktor des Deutschen Bundestags, Horst Risse, informierte ausführlich über die formale und materielle Unterstützung der Abgeordneten durch die Bundestagsverwaltung, die von der Prüfung der Gesetzesentwürfe auf ihre verfahrensrechtliche Zulässigkeit und juristische Korrektheit, der rechtlichen Beratung von MandatarInnen und des Präsidenten bis hin zur individuellen Beratung der Abgeordneten durch die wissenschaftlichen Dienste reicht. Da die Gutachten der wissenschaftlichen Dienste höchster Objektivität und Neutralität verpflichtet sind, besitzen sie in der Tat ein beachtliches Ansehen in der deutschen Öffentlichkeit, hob Risse hervor. Auf breite Resonanz stießen beispielsweise die Ausarbeitungen zum Thema Föderalismusreform. Zu den Grundregeln der Dienste gehöre es, keine Plenarvorlagen, Gesetzentwürfe oder politische Konzeptionen für einzelne Abgeordnete zu entwerfen, erläuterte der Bundestagsdirektor. Aufgrund der zunehmenden Bedeutung des EU-Rechts wurde vor zwei Jahren eine Europaabteilung eingerichtet, die vor allem die Ausschüsse berät. Weiters gibt es in Deutschland auch Ausschusssekretariate, die in der Regel über einen kleinen Mitarbeiterstab verfügen.

Niederländisches Parlament: Auch einzelne Abgeordnete können die Angebote des Rechtsdienstes nutzen

Einen interessanten Einblick in die Arbeit des niederländischen Rechtsdienstes gaben sodann Bas Houtmann und Laura Clifford Kocq van Breugel. Ebenso wie in Österreich stellt das "Amt für Legistik", in dem neun MitarbeiterInnen beschäftigt sind, allen Mitgliedern des Abgeordnetenhauses und der Parlamentsverwaltung juristische Beratung in einer Vielzahl von Rechtsfragen zur Verfügung. Houtmann wies darauf hin, dass bei den parlamentarischen Debatten über Gesetzesvorschläge immer ein Jurist anwesend ist. Auf Wunsch der MandatarInnen werden in Zusammenarbeit mit der betroffenen Abteilung auch konkrete Gesetzesanträge und Änderungsentwürfe ausgearbeitet, erläuterte Laura Clifford Kocq van Breugel. Eine spezielle Einrichtung stellt die Gesetzgebungsakademie dar, wo sich die Juristen in Spezialgebieten weiterbilden können. Damit soll die Qualität der Gesetzgebung und der Rechtsstaatlichkeit verbessert werden, betonte Houtmann. (Schluss Demokratie-Enquete) sue

HINWEIS: Die Anhörungen der Enquete-Kommission sind öffentlich und werden via Live-Stream auf www.parlament.gv.at übertragen. Über den Twitter-Hashtag #EKDemokratie können BürgerInnen ihre Ideen direkt in die Diskussion einbringen. Auch Stellungnahmen per E-Mail zu den einzelnen Diskussionsblöcken sind möglich, senden Sie diese bitte mit dem jeweiligen Betreff an: demokratie@parlament.gv.at. Mehr Informationen finden Sie auf www.parlament.gv.at .

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