Parlamentskorrespondenz Nr. 241 vom 10.03.2016

Nationaler Qualifikationsrahmen kann starten

Bundesratsmehrheit hat keine Bedenken gegen lernorientiertes Kompetenz-Vergleichsschema

Wien (PK) - Eine klare Aufwertung des berufsbildenden Bereichs erwartet der Bundesrat vom Nationalen Qualifikationsrahmen (NQR). Nicht mehr wo, sondern was man gelernt hat, soll künftig eine stärkere Rolle spielen, so der Tenor. Das neue Vergleichsschema von Abschlüsse und Kompetenzen sei nämlich ergebnisorientiert ausgerichtet, wodurch der Bildungsbereich insgesamt transparenter werde, fasste Elisabeth Grimling (S/W) die vom Nationalrat bereits mehrheitlich beschlossene Regierungsvorlage zusammen. Die Länderkammer zog heute nach und machte mit den Stimmen der Koalitionsparteien den Weg frei zur Schaffung des NQR. Bildungsministerin Gabriele Heinisch-Hosek unterstrich, damit erhalte Österreichs Bildungswesen die hohe internationale Anerkennung, die es verdient.

Die Oppositionsparteien begrüßten zwar grundsätzlich den NQR-Kompetenzvergleich, der auf europaweiten Standards zur schulischen und außerschulischen Bildung beruht. Allerdings beanstanden FPÖ und Grüne die Organisation des NQR. Diese beinhalte eine "massive Bürokratie", befand Bundesrat Peter Samt (F/St) mit Hinweis auf die Koordinierungsstelle, den Beirat und eine 30-köpfige Steuerungsgruppe, die über die Einreihung von Qualifikationen auf der achtstufigen NQR-Skala entscheidet: "Da jubelt der Amtsschimmel". Abgesehen davon bezweifelt der Freiheitliche, dass die NQR-Initiative faktische Auswirkungen hat, da sie gesetzlich keine Zugangsberechtigungen, beispielsweise zu Universitäten, ermögliche. David Stögmüller (G/O) befürwortete zwar vom Konzept her die ihm zufolge "höchst überfällige" Realisierung des NQR, jedoch kritisierte er ebenfalls die Organisationsstruktur, zusammengesetzt aus Bundes- und LändervertreterInnen, als "aufgebläht".

In weiterer Folge debattierte die Länderkammer den aktuellen Reformkurs im Bildungsbereich. Ministerin Heinisch-Hosek sieht ihre Vorhaben im Schulbereich auch durch die Bildungsziele in der EU-2020-Wachstumsstrategie bestätigt, wie sie im EU-Jahresbericht ihres Ressorts festhält. Nämlichen Bericht nahm die Länderkammer mit breiter Mehrheit an.

Heinisch-Hosek: Berufsbildung in Österreich kann sich sehen lassen

Basis des Nationalen Qualifikationsrahmens bildet der 2008 geschaffene Europäische Qualifikationsrahmen für lebenslanges Lernen. Dieser besteht aus acht Referenzniveaus zur grenzüberschreitenden Zuordnung von Abschlüssen anhand von Lernergebnissen. Dazu zählen auch durch informelles Lernen erworbene Kompetenzen wie am Arbeitsplatz gewonnene Erfahrungen oder im Ausland gelernte Sprachen.

Bildungsministerin Gabriele Heinisch-Hosek will die heimische Qualifikationsübersicht nicht aufgrund der achtjährigen Umsetzungsdauer schlechtreden lassen. Acht Jahre habe die Implementierung der EU-Vorgaben in heimisches Recht gebraucht, da Wissenschaft und Wirtschaft sich auf gleiche Parameter zur Anerkennung einigen mussten. "Qualität vor Tempo" war laut Heinisch-Hosek die Maxime hier. Auch die NQR-Organisationsform ist für die Bundesministerin kein Grund, gegen die Vorlage zu stimmen, zumal Österreichs Steuerungsgremium im internationalen Vergleich relativ klein sei. "Die Spitzenleistungen in Österreich, gerade im berufsbildenden Bereich, können sich sehen lassen", führte die Bildungsministerin schließlich als Hauptargument für den Nationalen Qualifikationsrahmen ins Treffen. Österreichs Stellenwert im Bildungswesen werde mit dem NQR angemessen Rechnung getragen.

Auf Kritik bei der Opposition stießen neben den organisatorischen Rahmenbedingungen zum NQR vor allem die Einstufungsvorgaben. Namens der Freiheitlichen bemängelte Peter Samt konkret, dass HTL-IngenieurInnen trotz ihrer hochwertigen Ausbildung nicht auf der Stufe 6, also Bachelor-Niveau, verankert sind. Tatsächlich werde die Einreihung von HTL-Abschlüssen noch genau überdacht, beschwichtigte daraufhin Elisabeth Grimling (S/W). Bildungsministerin Heinisch-Hosek vermerkte zudem, dass die zuständige Steuerungsstelle noch nicht eingerichtet ist, weswegen die genaue Einordnung bestimmter Gruppen noch gar nicht erfolgen habe können. Grünen-Bundesrat Stögmüller zeigte sich in diesem Zusammenhang besorgt, bei den Entscheidungen über die Einreihung diverser Abschlüsse würden womöglich finanzkräftige private Weiterbildungsinstitute zu stark Einfluss nehmen.

Derartige Vorbehalte schmälerten die positive Einstellung der Regierungsparteien nicht. Für die SPÖ betonte Grimling, mit dem NQR setze man einen "wesentlichen Schritt" zur Weiterentwicklung des Bildungssystems. Von der Berufsbildung bis zur Erwachsenenbildung biete sich nun eine weitaus bessere überregionale Vergleichbarkeit, und zwar bemessen nach Kompetenzen und Fertigkeiten. Die Lernergebnisorientierung, mit der in einem Lernprozess tatsächlich erworbene Qualifikationen entscheidend sind, gewinne an Bedeutung, was auch die anstehende Bildungsreform wirkungsvoll unterstütze. Gerade die Wirtschaft heiße den NQR gut, ergänzte Sonja Zwazl (V/N), denn: "Es geht um die transparente Vergleichbarkeit im internationalen und im nationalen Bereich", etwa zur Erleichterung von Bildungsnachweisen für MitarbeiterInnen heimischer Unternehmen. Obwohl Österreich dank der dualen Ausbildung mit Verknüpfung von Theorie und Praxis weltweit Anerkennung erhält, so Zwazl, nicht zuletzt aufgrund der Erfolge von AbsolventInnen in länderübergreifenden Wettbewerben, vermisst die ÖVP-Mandatarin bislang eine adäquate Anerkennung im Inland. Das sollte das Kompetenzvergleichsraster NQR nun ändern.

Bildungspolitik und ihre aktuellen Herausforderungen

Österreichische Bildungspolitik im Kontext der EU war dann das Thema im Bundesrat. Die EU-Jahresvorschau in diesem Bereich setzt auf Erhöhung des Bildungsniveaus von SchülerInnen und Verbesserung der Chancen- und Geschlechtergerechtigkeit im Bildungswesen sowie auf lebenslanges Lernen. Generell fällt dem Bildungssektor eine Schlüsselrolle in der EU-Wachstumsstrategie zu.

Was das Ziel, die Schulabbrecherquote in der Union auf unter 10% zu senken, liegt Österreich mit 7% weit unter diesem Wert. Man will sich damit aber nicht zufrieden geben, bekräftigte Bildungsministerin Gabriele Heinisch-Hosek gegenüber der Länderkammer. Die 5% jener SchülerInnen, die abgebrochen haben, will man mit Hilfe ihrer Eltern anleiten, etwas zu tun. Diese Jugendlichen brauchen Begleitung, und das wird das Gesetz zur Ausbildungspflicht bringen, zeigte sie sich überzeugt. In der 2013 erarbeiteten nationalen Strategie zur Senkung des Schulabbruchs werden beispielsweise Maßnahmen gegen soziale Ausgrenzung und Jugendarbeitslosigkeit gebündelt. Um benachteiligte Gruppen speziell zu fördern, widmet man dem Kindergarten besonderes Augenmerk. Weitere Schritte betreffen Übergangshilfen in der Schuleingangsphase, die Weiterentwicklung der Sprachförderung, Schulautonomie, evidenzbasierte Qualitätssicherung und inklusive Modellschulen. Als ebenfalls entscheidend in diesem Zusammenhang hält die Bildungsministerin die Neue Mittelschule, den Ausbau schulischer Ganztagsbetreuung und die PädagogInnenausbildung NEU.

Vor dem Hintergrund der Flüchtlingsbewegungen nach Europa wollen die EU-Mitglieder unter der niederländischen Ratspräsidentschaft Wege finden, um der Radikalisierung Jugendlicher vorzubeugen.

Grenzüberschreitende Bildungsmöglichkeiten eröffnet seit 2014 Erasmus+. Konkret gefördert werden damit die Lernmobilität von Lehrenden, SchülerInnen, Studierenden und Personen in der beruflichen Erstausbildung, die Zusammenarbeit von Bildungseinrichtungen und politische Reformen sowie die Anwendung von Transparenz- und Anerkennungsinstrumenten. Bis 2020 stellt die EU 14,7 Mrd. € bereit. Heinisch Hosek wies darauf hin, dass auch 2015 sämtliche diesbezügliche Fördergelder abgeholt werden konnten. Diese Initiative wird auch von der sonst kritischen FPÖ unterstützt.

Ansonsten verlief die Debatte über den Bericht nicht ganz harmonisch. Vor allem traten die Auffassungsunterschiede im Hinblick auf die Gesamtschule wieder zu Tage. So sprach sich Monika Mühlwerth (F/W) gegen diese Schulform aus. Beispiele aus Deutschland und Italien zeigten, dass die Gesamtschule schlechtere Ergebnisse bringe als die Gymnasien und auch die sozialen Unterschiede verstärkt würden. Auch im internationalen Ranking würden die differenzierten Schulsysteme besser abschneiden. Mühlwerth kritisierte scharf, dass viele Schulabgänger schlecht lesen und schreiben können und daher viele Betriebe keine geeigneten Lehrlinge finden. Mühlwerth vertrat die Auffassung, dass Bildung nicht nur der Lieferant für den Arbeitsmarkt sein könne.

"Bildung, Bildung und wieder Bildung, ist der Schlüssel für ein positives Leben", war sich Anneliese Junker (V/T) mit allen anderen einig und sie pflichtete Mühlwerth bei, dass Menschen, die handwerklich tätig sein wollen, auch über eine entsprechende schulische Bildung verfügen müssen. Im Hinblick auf die unterschiedlichen bildungspolitischen Vorstellungen der Koalitionsparteien appellierte Junker aber, sich vom "Kasteldenken" zu befreien.(Fortsetzung Bundesrat) rei/jan


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