Parlamentskorrespondenz Nr. 562 vom 24.05.2016

Soziale Medien verändern den demokratischen Diskurs

Diskussionsveranstaltung mit MedienexpertInnen über Digitalisierung der Medien und Politik

Wien (PK) – Soziale Medien wie Facebook, Twitter und Co. haben längst Eingang in unseren Alltag gefunden und sind allgegenwärtig. Das wirft eine Reihe von Fragen auf, etwa, ob wir es mit einer neuen Form der politischen Partizipation zu tun haben und ob digitale Medien ein Fortschritt für die Demokratisierung der Gesellschaft sind, oder ob sie im Gegenteil Populismus und Polarisierung vorantreiben. Zu diesen Fragestellungen hatte Zweiter Nationalratspräsident Karlheinz Kopf heute Abend MedienexpertInnen ins Hohe Haus eingeladen. Im Rahmen der Diskussionsreihe "Demokratie – Quo Vadis?" erläuterten sie ihre Einschätzungen der demokratiepolitischen Relevanz sozialer Medien.

Wie wichtig digitale Medien auch in Österreich mittlerweile geworden sind, habe sich gerade im Präsidentschaftswahlkampf 2016 gezeigt, erklärte Kopf in seiner Begrüßung. Er habe daher eine Studie zur Relevanz sozialer Medien für den Ausgang der Bundespräsidentenwahl in Auftrag gegeben, die an diesem Abend präsentiert werde.

Brodnig: Soziale Medien setzen auf Emotionalisierung

Ingrid Brodnig, Medienredakteurin des Nachrichtenmagazins Profil, umriss in einem Impulsreferat, worin für sie die Herausforderungen der sozialen Medien für den öffentlichen und politischen Diskurs bestehen. Gerade an politischen Parteien zeige sich, dass bestimmte Formen der Kommunikation im Internet erfolgreicher sind als andere, nämlich Strategien der Polarisierung und Emotionalisierung. Deshalb seien populistische Gruppen in den sozialen Medien derzeit erfolgreicher als Parteien, die traditionellen Politikmodellen folgen.

Eine der Gefahren der sozialen Medien sei es auch, dass die KonsumentInnen sich in Blasen oder "Echokammern" zurückziehen, in denen sie nur mehr die Bestätigung ihrer vorgefassten Meinungen finden. Hier entstehen Gefahren für die Offenheit der Meinungsbildung und des Diskurses. Zudem erreiche man mit aggressiven Botschaften oder Falschmeldungen mehr Aufmerksamkeit. Diesen Entwicklungen sei man aber nicht völlig ausgeliefert, sondern es gebe sehr wohl Gegenstrategien dagegen, ist Brodnig überzeugt. Auch im Internet dürfe man nicht ungestraft Unwahrheiten über andere verbreiten.

Domsich: Soziale Medien für politische Kommunikation heute unverzichtbar

Eine Reihe der Befunde Brodnigs sah Johannes Domsich in den Ergebnissen seiner Studie zur Relevanz sozialer Medien für den Ausgang der Bundespräsidentenwahl 2016 bestätigt. Vor allem das soziale Netzwerk Facebook stand im Mittelpunkt der Studie. Domsich kommt zu dem Befund, dass auf dem Feld der Politik mittlerweile nur konkurrieren kann, wer die Kommunikation über soziale Medien in Anspruch nimmt und diese auch entsprechend beherrscht.

Im Wahlkampf der beiden Kandidaten zur Stichwahl kamen unterschiedliche Strategien des Auftritts in sozialen Medien zur Anwendung. Der eine Zugang gab Inhalte vor, in der anderen Strategie waren die User eingeladen, ihre Beiträge einzubringen. Quantitativ waren beide Zugänge ähnlich erfolgreich, stellt Domsich fest. Emotionalität und Demokratiekritik spielten jedenfalls eine bedeutende Rolle. Daraus ergab sich die festgestellte "Lagerbildung". Letztlich ergab sich daraus sehr wenig Bewegung in der Meinungsbildung. Trends und Tendenzen blieben während des Wahlkampfs von Anfang bis zum Ende relativ unverändert.

Die Fragen der Wirkung der sozialen Medien in der politischen Kommunikation sind dabei seiner Meinung nach mit der klassischen Meinungsforschung nicht mehr fassbar. Aus seiner Beobachtung sozialer Medien leitet Domsich ab, dass die klassische Politik dort kein Referenzsystem mehr bildet. Vielmehr ist eine Orientierung an eigenen Problemsituationen erkennbar. Dabei entsteht ein "Alles und Nichts" und eine neue Unübersichtlichkeit. Das Resultat ist das Ende von Zielgruppen und traditionellen Schichten. Neue Gruppen bilden sich und artikulieren sich anhand ihrer Problemwahrnehmung.

Digitalisierung verändert ökonomische Rahmenbedingungen für Medien

Die Relevanz sozialer Medien, aber auch der klassischen Medien für den demokratischen Diskurs war in der anschließenden Podiumsdiskussion der Medienexperten unbestritten. Die Moderation übernahm Michael Fleischhacker, Chefredakteur der Online-Zeitung NZZ.at, der die Frage aufwarf, wie die klassischen Medien angesichts eines veränderten Umfelds überleben und ihren Informationsauftrag wahrnehmen können.

Der Journalist Claus Reitan vertrat dabei eine kritische Sicht der Digitalisierung. Diese führe dazu, dass klassische Modelle des Qualitätsjournalismus abgebaut werden. Damit gefährde man aber die Qualität der freien demokratischen Meinungsäußerung, die eine wichtige Errungenschaft aus mehreren Jahrhunderten demokratischer Entwicklung ist. Reitan forderte bessere Rahmenbedingungen für Qualitätsjournalismus ein. Der Staat müsse dazu den Journalismus jedoch nicht durch Presseförderung unterstützen. Vielmehr reiche es, wenn er ihm dieselben Rahmenbedingungen wie jeder anderen Branche garantierte, forderte er pointiert.

Universitätsprofessor Josef Trappel, der sich an der Universität Salzburg mit Medienpolitik und Medienökonomie befasst, verwies auf die massiven ökonomischen Veränderungen, die das Internet hervorgerufen hat. Onlineangebote wie Google und Co. ziehen unterdessen einen Großteil der Werbegelder an sich. Damit ändern sich Rahmenbedingungen der klassischen Medien. Um überleben zu können, brauchen diese einen Mix an Finanzierungsmöglichkeiten, wie Werbeeinnahmen, Sponsoring, Pay Walls, aber auch öffentliche Finanzierung, solange sie eine gewisse Grenze nicht überschreitet.

Stefan Kaltenbrunner, Chefredakteur der Online-Publikation KURIER.at war der Ansicht, dass klassische Medien und digitale Medien sehr wohl koexistieren können. Allerdings sei man erst am Anfang einer Entwicklung und eines Lernprozesses, wie der Umgang mit sozialen Medien gelingen kann. (Schluss) mbu/sox

HINWEIS: Fotos von dieser Veranstaltung finden Sie im Fotoalbum auf www.parlament.gv.at.