Parlamentskorrespondenz Nr. 1079 vom 13.10.2016

Nationalrat gegen Fortsetzung der EU-Beitrittsverhandlungen mit der Türkei

Mehrheit der Abgeordneten präferiert maßgeschneiderte Partnerschaft

Wien (PK) – Die österreichische Regierung hat auf EU-Ebene bereits einen entsprechenden Vorstoß unternommen. Nun spricht sich auch der Nationalrat dafür aus, die EU-Beitrittsverhandlungen mit der Türkei nicht fortzusetzen und stattdessen eine "maßgeschneiderte Partnerschaft" anzustreben. Die Abgeordneten sind insbesondere über die aktuelle Menschenrechtslage in der Türkei und Eingriffe in die Unabhängigkeit der Justiz besorgt. In diesem Sinn fordern sie auch ein intensives Monitoring durch die Europäische Kommission, die die Beitrittsverhandlungen führt.

Angenommen wurde die vom Außenpolitischen Ausschuss empfohlene Entschließung, die auf einen Antrag der Koalitionsparteien zurückgeht, mit Stimmenmehrheit. Zwar sind sich die Fraktionen grundsätzlich einig, dass die Türkei derzeit nicht EU-reif ist, Grün-Abgeordnete Aygül Berivan Aslan fürchtet allerdings, dass ein Abbruch der Beitrittsverhandlungen radikal-islamistischen Kräften in der Türkei in die Hände spielen würde. Staatspräsident Erdogan könne dadurch jedenfalls nicht unter Druck gesetzt werden. Man dürfe die Augen nicht vor den Menschenrechtsverletzungen in der Türkei verschließen, betonte Aslan, die Fortführung der Beitrittsgespräche sind für sie aber der einzige Garant für die Kurden und andere Minderheiten in der Türkei. Statt die Gespräche abzubrechen, hält sie es für notwendig, den Friedensprozess zu reaktivieren.

Zu wenig weit geht die Resolution hingegen der FPÖ. In Sachen EU-Beitritt der Türkei werde seit Jahren "herumgeeiert", während die Beitrittsverhandlungen stetig weiterlaufen, kritisierte nicht nur Abgeordneter Wendelin Mölzer, sondern auch seine Fraktionskollegen Heinz-Christian Strache und Johannes Hübner. Für sie kommt nur ein umgehender Abbruch der Beitrittsverhandlungen mit der Türkei in Frage, ein entsprechender Antrag der FPÖ fand aber keine Mehrheit. Angesichts der Entwicklungen verstehe er nicht, warum EU-Kommissar Johannes Hahn und die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel weitere Verhandlungskapitel mit der Türkei öffnen wollen, meinte Strache.

Abgeordneter Hübner machte geltend, dass es, was einen EU-Beitritt der Türkei betrifft, nicht nur um Menschenrechte gehe. Die prinzipielle Frage sei, ob man einen außereuropäischen Staat in der EU wolle, noch dazu einen, der sich in einer Krisenregion befinde.

Mit ähnlichen Argumenten sprach sich auch SPÖ-Abgeordneter Josef Cap klar gegen einen EU-Beitritt der Türkei aus. Für Cap sind nicht nur die Menschenrechtsverletzungen besorgniserregend, er ortet auch einen Re-Islamisierungsprozess in der Türkei und warnte davor, dass sich die EU mit Agrarförderungen für die Türkei zu Tode finanzieren würde. Sämtliche Krisenherde der Region würden zudem zu Krisenherden am Rande der EU.

Seitens der ÖVP wies Reinhold Lopatka darauf hin, dass die Türkei ein wichtiger Nachbar der EU sei, sowohl was die wirtschaftlichen Beziehungen als auch die Kooperation in der Flüchtlingsfrage betrifft. Zudem sei das Land im Vergleich zu anderen Ländern der Region ein stabiles Land, hob er hervor. Die Menschenrechtslage sei allerdings katastrophal, die Türkei entferne sich immer mehr von den Menschenrechtsstandards der EU. Lopatka wies auch darauf hin, dass durch das umstrittene Immunitätsgesetz türkische Abgeordnete aufgrund regierungskritischer Aussagen inhaftiert werden können.

Nach Meinung der NEOS liegt der Ball insbesondere bei der Europäischen Kommission. Diese solle prüfen, ob die Türkei auf dem Gebiet der Menschenrechte, des Minderheitenschutzes, der Meinungsfreiheit und der Rechtsstaatlichkeit weiterhin die Mindestanforderungen erfüllt, die für die Anerkennung des Beitrittskandidaten-Status erforderlich sind, heißt es in einem Antrag der NEOS, der jedoch keine Mehrheit fand.

Wie Christoph Vavrik erklärte, wurde der Antrag von den NEOS schon drei Monate vor dem Putsch in der Türkei eigebracht. Der Putsch war seiner Meinung nach die Nagelprobe für die Türkei, den diese nicht bestanden habe. Statt einen Schulterschluss mit der Zivilgesellschaft einzugehen, habe Erdogan die Demokratie weiter geschwächt. Den NEOS gehe es nicht darum, die Gespräche mit der Türkei zu kappen, sagte Vavrik, die Verhandlungen sollten sich aber auf eine maßgeschneiderte Partnerschaft konzentrieren.

Außenminister Sebastian Kurz sieht aufgrund der negativen Entwicklung in der Türkei keinen Grund, weitere Verhandlungskapitel mit der Türkei zu eröffnen. Es gebe klare Interessen, was die Zusammenarbeit mit der Türkei betrifft, erklärte er, man müsse aber auch die europäischen Werte hoch halten.

Gegen einen EU-Beitritt der Türkei sprachen sich auch die beiden fraktionslosen Abgeordneten Gerhard Schmid  und Rupert Doppler aus. Doppler ist überzeugt, dass Europa einen EU-Beitritt der Türkei nicht verkraften würde. Die Türkei sie kein verlässlicher Partner.

Breite Mehrheit gegen Beitritt Österreichs zur Visegrad-Gruppe

Nicht durchsetzen konnte sich die FPÖ mit einer Initiative, wonach Österreich die Kooperation mit den Staaten der "Visegrad-Gruppe" forcieren und das Ziel eines Beitritts ins Auge fassen sollte.

Diese Frage stelle sich nicht, hielt Außenminister Sebastian Kurz dazu fest. Die Visegrad-Staaten seien ein abgeschlossener Klub ohne Beitrittsmöglichkeit. Er habe sich aber von Beginn seiner Amtszeit an für eine Kooperation ausgesprochen und setze sich weiter für einen intensiven Austausch ein. Kurz verwies in diesem Zusammenhang auch auf die engen wirtschaftlichen Beziehungen Österreichs zu den Visegrad-Staaten.

Dem hielt der Antragsteller Johannes Hübner (F) entgegen, bei der Gruppe handle es sich um einen losen Verbund, der heute de facto einen Block innerhalb der EU mit Veto-Macht darstelle. An den Visegrad-Staaten sei das System der EU-Flüchtlingspolitik gescheitert. Er hält es für gut, der Gruppe beizutreten, und zeigte sich überzeugt davon, dass dies für Österreich bei entsprechendem Wollen möglich wäre.

Schützenhilfe bekam er dabei vom fraktionslosen Abgeordneten Marcus Franz, der einen geschichtlichen Rückblick machte und meinte, ursprünglich wollte man ein christliches Europa. Diese Haltung habe man gegen eine Toleranz, die Feigheit sei, und eine Liberalität, die Beliebigkeit sei, ausgetauscht. Es sei daher wichtig, diesem Klub beizutreten.

Sie sehe keinen Grund, eine eigene Veto-Macht innerhalb der EU zu installieren, replizierte die außenpolitische Sprecherin der Grünen, Tanja Windbüchler-Souschill auf die Ausführungen Hübners. Sie zweifelte daran, dass man mit diesen Staaten eine einheitliche Linie finden könne, zumal schon allein der Umgang mit Russland innerhalb der Gruppe unterschiedlich ist. In gleicher Weise argumentierte Harald Troch von der SPÖ, der den Antrag als eine außenpolitische Sackgasse und unredlich bezeichnete, da die politischen Vorstellungen der FPÖ mit Ausnahme der Migrationspolitik diametral zur Politik der Visegrad-Gruppe stünden. Troch erinnerte in diesem Zusammenhang nicht nur an die gegenüber Russland freundliche Haltung der FPÖ, sondern auch an deren Initiativen zur sektoralen Sperre des österreichischen Arbeitsmarkts. Dies betreffe in erster Linie Arbeitskräfte aus diesen Ländern, so Troch.

Schon allein der Diktion des Antrags könne man nicht zustimmen, meinte ÖVP-Mandatar Nikolaus Berlakovich, der hinter der Rhetorik das Ziel der FPÖ vermutet, die EU kippen zu wollen. Selbstverständlich sei die Zusammenarbeit wichtig, unterstrich er die Aussagen des Außenministers. Was die Migration betrifft, so sei Österreich ohnehin "Front-Runner" und engagierter als die Visegrad-Länder, betonte er im Hinblick auf die Schließung der Balkanroute. (Fortsetzung Nationalrat) gs/jan