Parlamentskorrespondenz Nr. 1234 vom 16.11.2016

Enquete #DigitaleCourage für Schulterschluss gegen Hass im Netz

Bundesratspräsident Lindner: 2017 soll Jahr der Lösungen und der digitalen Zivilcourage werden

Wien (PK) – Ein Schulterschluss für mehr Zivilcourage statt Hass, Ausgrenzung und Diskriminierung im Netz: Dazu soll heute die parlamentarische Enquete #DigitaleCourage auf Initiative von Bundesratspräsident Mario Lindner politisch und zivilgesellschaftlich beitragen. Im Sitzungssaal des Bundesrats treffen ExpertInnen aus beiden Bereichen zusammen, um Strategien zu diskutieren. Grundlage bildet unter anderem ein ebenfalls von Lindner initiiertes Grünbuch zum Thema.

Einleitungsreferate von Justizminister Wolfgang Brandstetter und Staatssekretärin Mona Duzdar bildeten den Auftakt, vertieft wurde das Thema durch Impulsreferate von den ExpertInnen Paul Sailer-Wlasits, Willi Mernyi, Lyane Sautner und Elke Rock. In Folge stehen heute auch zwei Panels zu den Themen "Opferschutz und Recht" und "Praxis in den Medien", Referate zu "Zivilcourage" und abschließende Statements der Fraktionen mit einer offenen Diskussionsrunde auf der Tagesordnung. Der Hashtag für Online-Beiträge lautet ebenfalls #DigitaleCourage, ORF III überträgt die gesamte Enquete live.

"Hass im Netz ist eine Herausforderung, vor der unsere gesamte Gesellschaft steht", sagte Bundesratspräsident Mario Lindner in seiner Begrüßung zum Auftakt der Enquete. Politik mit Verboten und Verordnungen alleine reiche nicht aus, um gegen Beschimpfungen und Ausgrenzung vorzugehen - es brauche dazu die Zivilgesellschaft. Genau diesen Weg, alle einzubinden, gehe der Bundesrat mit dieser Enquete, zusammen mit dem vorausgegangenen Arbeitsmeeting, mit den Vorschlägen des Lehrlingsparlaments, mit dem Grünbuch #DigitaleCourage. Es gehe darum, Zivilcourage zu zeigen, wenn jemand im Netz, in den Sozialen Medien beschimpft und bedroht wird. Dass dieses Problem besser heute als morgen gelöst wird, sei eine historische Verantwortung, so Lindner. 2017 soll das Jahr der Lösungen und der digitalen Zivilcourage werden, lädt der Bundesratspräsident jede und jeden ein, sich zu beteiligen.

Brandstetter: Österreich als friedlichen Ort des Zusammenlebens erhalten

Justizminister Wolfgang Brandstetter sprach seinen Dank für die Initiative aus, ein klares Signal gegen Hass und Hetze zu setzen. "Mit Angst und Verunsicherung darf man nicht spielen", so der Minister, und auf wesentliche Aspekte in der Thematik habe man bereits mit strafrechtlichen Regelungen – wie für Cybermobbing und höheren Strafandrohungen im Rahmen der Verhetzung - reagiert. Auch eine laufende Zunahme an Fällen mache die Notwendigkeit deutlich, entsprechende strafrechtliche Grenzen zu setzen. Statt weiterer Verschärfungen im Strafrecht sieht er den nächsten Schritt derzeit darin, die Betreiber der Online-Plattformen in die Pflicht zu nehmen und europaweite Regelungen gegen Gewalt und Hass im Netz zu finden. Neben einer Selbstverpflichtung der Sozialen Medien gegen die Phänomene der Hass-Postings arbeite man auch interministeriell weiter daran, Österreich als einen Ort des friedlichen Zusammenlebens zu erhalten, auch im Netz. Brandstetter hob die diesbezügliche Initiative von Staatssekretärin Mona Duzdar und auch die Europarats-Initiative zu "No-Hate-Speech" hervor und kündigte eine entsprechende Berücksichtigung der Ergebnisse der weiteren interministeriellen Arbeit und der heutigen Enquete an.

Duzdar: Netz von Hass und Gewalt für mehr Zivilcourage zurückerobern

Im Lauf der letzten Jahre wurde klar, welchen großen Einfluss die Gewalt-Phänomene im Netz heute mittlerweile sogar auf die Demokratie und den Rechtsstaat haben, betonte Staatssekretärin Mona Duzdar. Sie stimmte mit dem Justizminister überein, dass man sich mit Regulierungen für die entsprechenden Online-Plattformen auseinandersetzen müsse. Hass im Netz passiere aber nicht losgelöst von gesamtgesellschaftlichen Entwicklungen. Es gehe auch darum, im Alltag den Phänomenen aus Hass und Gewalt entgegenzutreten. Die vermeintliche Unsichtbarkeit im Netz verstärke aber diese Tendenzen, ebenso wie Falschinformationen oder Meinungsroboter Angst und Verunsicherung herbeiführen. Hass im Netz schlage auch auf konkrete Taten um, bedauerte Duzdar. Die Ohnmacht im Netz gegenüber dem Hass sei keine Randerscheinung, sondern ein ernstzunehmendes Problem. Neben den gesetzlichen Maßnahmen brauche es die starke Einbindung der Zivilgesellschaft, um das Internet von Hass zu befreien, zeigte sich die Staatssekretärin überzeugt, unter anderem mit der Initiative zur Digitalen Courage das Netz wieder zurückerobern zu können.

Sailer-Wlasits: Mehr Anfang als jetzt war nie

In seinem Impulsreferat sieht der Sprachphilosoph und Politikwissenschafter Paul Sailer-Wlasits Hatespeech in den Sozialen Medien im historischen Kontext nicht als neues Phänomen, sondern als neues Symptom einer langen kulturgeschichtlichen Entwicklung. Die Verwendung der Sprache spiele dabei eine gewichtige Rolle – so tragen sprachliche Angstbilder und Aufrüstung dazu bei, dass Hass manifest wird. Sprachentgleisungen und Sprachgewalt bereiten dabei eine neue Dimension des Übergangs vom Wort zur Tat vor. Insgesamt seien Gegenreden gegen Hatespeech in diesem Kontext auch positive Einzelmaßnahmen, es sollte aber an einer umfassenden Gegenhaltung gearbeitet werden, so Sailer-Wlasits. Eine zivilgesellschaftliche Ethik, vermittelt durch Vorbilder aus Politik, Bildungseinrichtungen und Medien würde Gegenhaltung und damit wirksame Gegenrede erzeugen. Die Grenze zwischen Meinungsfreiheit und Menschenwürde sei eine Bruchlinie, an die man sich nur behutsam annähern könne. Mehr Anfang als jetzt war nie, plädierte der Sprachphilosoph und Politikwissenschafter dafür, dass auch jeder Einzelne Verantwortung dafür übernimmt, welchen Gebrauch er von Sprache macht.

Mernyi: Zivilcourage mit Kernfrage "Was kann ich selber tun?"

Grundlegende Fragen zum Thema Zivilcourage warf der Vorsitzende des Mauthausen-Komitees Österreich, Willi Mernyi auf. Aus Studien zur Zivilcourage in Zeiten des NS-Widerstands berichtete er, dass die RetterInnen gegen den Nationalsozialismus nicht als solche geboren wurden, sondern sich konkret dafür entschieden haben, den Hass und die Gewalt zu bekämpfen. Das heutige Problem seien Phänomene wie die sogenannten "sozialen Gaffer" oder "Non-Helping-Bystander", und wie man diese dazu bringen könne, zivilgesellschaftliche Akteure zu werden. Politik müsse die Rahmenbedingungen schaffen, dass sich Menschen zur Zivilcourage persönlich angesprochen fühlen. Die Erkenntnis und Erleichterung nach Workshops mit Jugendlichen, dass man einfach "hinschauen" und mit einem einfachen Anruf bei der Polizei aktiv werden könne, bestätige, dass es speziell solche Rahmenbedingungen und Unterstützung brauche, wenn es um die Kernfrage der Zivilcourage geht: "Was kann ich selber tun?"

Sautner: Gesellschaftliche Rahmenbedingungen im Kontext beachten

Lyane Sautner, Universitätsprofessorin für Strafrecht und Rechtspsychologie an der Johannes Kepler Universität Linz sieht die Ursachen der Hasskriminalität nicht allein in den neuen Kommunikationstechnologien, sondern auch in den Prozessen des gesellschaftlichen Wandels. Man müsse daher auch bei den gesellschaftlichen Bedingungen ansetzen, die den Nährboden für Hasskriminalität bilden, nämlich den verbreiteten Vorurteilen gegenüber bestimmten Bevölkerungsgruppen. Das Regelwerk der strafrechtlichen Verbote sei bereits weitgehend engmaschig, es gehe hier darum, die bestehenden Regelungen auch effektiv zu machen. Überlegenswert scheint ihr zudem eine Umgestaltung der Beleidigung in ein Ermächtigungsdelikt, wenn diese für eine größere Zahl an Menschen wahrnehmbar und betreffend die öffentliche Meinung herabsetzend ist. Insgesamt setze die Anonymität im Internet die Hemmschwelle für Übergriffe herab, analysierte die Universitätsprofessorin die spezielle Situation im Internet. Verstärkt würde dies durch den potentiell größeren Adressatenkreis und die Nachhaltigkeit im Netz, wo Informationen kaum mehr restlos beseitigt werden können.

Rock: Mangelnde Aufklärungsarbeit und Spielregeln gegen Flut aus Beschimpfungen

Sichtlich nach wie vor stark persönlich betroffen berichtete die Ö3-Moderatorin Elke Rock, vormals Lichtenegger, von einer Flutwelle aus Hass, Demütigung, Perversionen und Morddrohungen, die auf Facebook im April 2014 auf sie einstürzten. Der Anlass war eine – heute von ihr als überspitzt und unglücklich formuliert bezeichnete - Aussage zu einer damals unbekannten österreichischen Band, die aus dem Referenzrahmen genommen und via Youtube und Facebook verbreitet wurden. Die Flut aus Beschimpfungen ähnelten einer digitalen Hexenjagd, so die Ö3-Moderatorin. Insgesamt sei im Netz durch die fehlenden Grenzen, mangelnden Spielregeln oder tatsächlichen Konsequenzen die Gefahr groß, dass solche Wellen an Hass und Gewalt jederzeit jeden Einzelnen treffen können, dies passiere im Netz auch bereits jeden Tag tatsächlich. Im persönlichen Kontakt gebe es gewisse Regeln, die im Netz nicht mehr greifen. Umso mehr gelte es, solche Hasswellen zu verhindern. Sie plädierte dafür, mehr Aufklärungsarbeit zu leisten, um Wege zu finden, wie man sich wehren kann. Auch die Spielregeln für die Kommunikation im Netz sollten definiert werden, so Elke Rock, die zu ihrer emotionalen Rede aus Sicht einer persönlich Betroffenen im Sitzungssaal des Bundesrats deutliche Unterstützung in Form einer Welle an langanhaltendem Applaus fand. (Fortsetzung Enquete) mbu

HINWEISE: Die Enquete wird auf der Website des Parlaments www.parlament.gv.at via Livestream übertragen.

Weitere Informationen zu Enquete, Initiative und Grünbuch "#DigitaleCourage" finden Sie auf der Website des Parlaments in den "Aktuellen Themen" unter www.parlament.gv.at/PAKT/AKT/SCHLTHEM/SCHLAG/J2016/239EnqueteZivilcourage.shtml.

Fotos stehen im Anschluss an die Enquete auf der Website des Parlaments unter www.parlament.gv.at/aktuelles/mediathek/fotos zur Verfügung.


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