Parlamentskorrespondenz Nr. 602 vom 09.06.2020

Gewessler hofft auf rasche Fortschritte bei EU-Verhandlungen, um Nachhaltigkeitsstrategie der EU mit Leben zu erfüllen

EU-Unterausschuss des Nationalrats diskutiert Vorhaben im Kontext des Europäischen Grünen Deals

Wien (PK) – Der EU-Unterausschuss des Nationalrats beriet sich heute mit der Bundesministerin für Klimaschutz, Umwelt, Energie, Mobilität, Innovation und Technologie Leonore Gewessler über den Grünen Deal der Europäischen Union und geplante EU-Maßnahmen, die diesen mit Leben erfüllen sollen. Auf dem Programm des Ausschusses stand daher neben dem Verordnungsvorschlag der EU-Kommission für ein Europäisches Klimagesetz auch die EU-Biodiversitätsstrategie für 2030 sowie der neue Aktionsplan für die Kreislaufwirtschaft zur Debatte. Die Abgeordneten wurden zudem über den aktuellen Entwurf des Europäischen Rats zur Änderung der Wegekostenrichtlinie der EU informiert. Laut Bundesministerin Gewessler bestehen gute Chancen auf eine baldige Einigung über die Richtlinie während der deutschen EU-Ratspräsidentschaft.

Europäischer Green Deal ist für Gewessler "Game-Changer"

Der europäische Grüne Deal oder Green Deal (EGD) stellt eine der sechs politischen Leitlinien der Europäischen Kommission (EK) dar, um die Agenda 2030 der Vereinten Nationen für den Klimaschutz umzusetzen. Damit soll Europa bis zum Jahr 2050 der erste klimaneutrale Kontinent werden. Österreich unterstützt laut der Bundesministerin für Klimaschutz, Umwelt, Energie, Mobilität, Innovation und Technologie Leonore Gewessler die Zielsetzungen des EGD. Dieser ist aus ihrer Sicht ein echter Game-Changer in der Geschichte der EU und sei eine historische Chance, die Wirtschaft der EU in Richtung Nachhaltigkeit umzugestalten und die EU als globalen Vorreiter für Umwelt- und Klimaschutz zu positionieren.

Anhand der Mitteilung der EU-Kommission zum EGD debattierte der EU-Unterausschuss des Nationalrats über die Inhalte der EU-Strategie. ÖVP und Grüne legten einen Antrag auf Stellungnahme zu der Mitteilung vor, der mehrheitlich angenommen wurde. Nur die FPÖ, die eine eigene Stellungnahme vorbereitet hatte, verweigerte die Zustimmung. Gefordert wird, dass die Europäische Union und ihre Mitgliedstaaten weiterhin an den ambitionierten Vorgaben des European Green Deal festhalten. In bilateralen und europäischen Kontakten soll das Ziel der europäischen Klimaneutralität bis 2050 eine wichtige Rolle spielen. Wichtig ist ÖVP und Grünen außerdem, dass der Übergang zu einer grünen und nachhaltigen Wirtschaft gerecht gestaltet wird.

Georg Strasser (ÖVP) sieht es als wesentlichen Aspekt, dass es sich hier um ein umfassendes Konzept handelt, in dem eine Balance von Ökonomie und Umwelt angestrebt wird. In der Lebensmittelproduktion sieht er für Österreich die Herausforderung, die regionale Versorgung mit Obst und Gemüse zu verstärken. Wichtig seien dabei Herkunftskennzeichnungen als Basis für die Kaufentscheidung der KonsumentInnen.

Nach Meinung von Julia Herr (SPÖ) bietet das Konzept eine große Chance. Allerdings müsse auch die budgetäre Umsetzung gesichert sein, hier habe sie Zweifel. Dem Antrag auf Stellungnahme der Koalition stimme ihre Fraktion zwar zu, doch sei er gerade in diesem Punkt zu wenig ambitioniert.

Walter Rauch (FPÖ) sieht im EGD vorerst "viel Rahmen, aber wenig Inhalt". Konkrete Maßnahmen seien noch kaum erkennbar. Er hätte sich gerade von den Grünen bei Themen wie Pestizide und Recycling mehr erwartet, offenbar würden sie sich aber gegenüber der ÖVP nicht durchsetzen. Sein Antrag auf Stellungnahme, der unter anderem die Forderung aufstellte, den Grünen Deal mit der Schaffung von Arbeitsplätzen zu verbinden, blieb in der Minderheit.

Aus Sicht von Michel Reimon (Grüne) ist es wichtig, ein "Greenwashing" unter dem Deckmantel des Green Deal zu vermeiden. In EU-Handelsabkommen, vor allem mit Südamerika, müssten die Aspekte des Klimaschutzes einfließen. Es sei nichts damit gewonnen, wenn Europa seine landwirtschaftliche Produktion umstelle, das aber letztlich auf Kosten des Amazonas-Regenwaldes gehe. In diesem Punkt schloss sich Bernhard (NEOS) seinem Vorredner an und forderte eine Carbon-Border-Tax für Lebensmittelimporte. Was die Mittel für den EGD betreffe, so handle es sich kaum um frisches Geld, sondern größtenteils um Verschiebungen, merkte er kritisch an. Auch Christoph Matznetter (SPÖ) sah in CO2-Abgaben auf Importe eine richtige Strategie, um die Dekarbonisierung der Produktion voranzutreiben. Für Petra Steger (FPÖ) stellt sich unter anderem die Frage, wie verhindert wird, dass der EGD nur mehr Bürokratie ohne Effekte erzeugt. Auch müsse die Abwanderung von Unternehmen verhindert werden.

Aus Sicht von EU-Parlamentier Alexander Bernhuber (ÖVP) ist es wichtig, dass der EGD nicht nur die Landwirtschaft, sondern auch die Energieversorgung sei. Er warnte davor, dass Klimaziele mittels Produktionsverlagerungen erreicht werden, das sei nicht der Sinn der Sache.

Umweltministerin Leonore Gewessler betrachtet es als ermutigendes Zeichen, dass trotz der erschwerten Bedingungen für die Arbeit der EU in der COVID-19-Krise die Arbeit am Green Deal vorangetrieben wurde. Zweifellos habe sich die aktuelle Situation auf die Diskussion ausgewirkt. Der Aspekt der Abhängigkeit von Importen und die Rückholung von wichtigen Produktionen nach Europa werde nun wesentlich stärker diskutiert. Die Carbon-Border-Tax sei im Regierungsprogramm enthalten, betonte die Ministerin. Nochmals unterstrich sie, dass sie keinen Widerspruch von Ökonomie und Umweltschutz sehe. Das Gegenteil sei der Fall, da der Umstieg auf nachhaltige Produktion die Wettbewerbsfähigkeit der Zukunft sicherstelle.

Europäisches Klimagesetz als wichtiger Baustein des Green Deal

Das "Europäische Klimagesetz " wurde vom EU-Unterausschuss des Nationalrats zum Anlass für eine Auseinandersetzung über die Erreichung des EU-Ziels der Klimaneutralität bis 2050. Zum geplanten Klimagesetz hat die Kommission einen Verordnungsvorschlag vorgelegt, der auf der ressourceneffizienten Wachstumsstrategie des europäischen Green Deals aufbaut. Vorgesehen ist unter anderem die Festlegung eines "Zielpfads" von 2030 bis 2050. Der Kommission soll laut Vorschlag die Aufgabe übertragen werden, bestehende Strategien und Rechtsvorschriften der EU im Hinblick auf ihre Vereinbarkeit mit dem Ziel der Klimaneutralität zu überprüfen und die Verordnung durch delegierte Rechtsakte zu ergänzen, indem sie auf EU-Ebene den Zielpfad für die schrittweise Verwirklichung des Ziels für 2050 festlegt. Umweltministerin Leonore Gewessler betonte, die EU müsse eine Vorreiterrolle einnehmen und ambitionierte Vorgaben für die Erreichung der Ziele der Pariser Klimakonferenz machen.

Für Martin Engelberg (ÖVP) ist die Bewahrung der Wettbewerbsfähigkeit der österreichischen Wirtschaft wichtig. Alois Stöger (SPÖ) nahm nochmals Bezug auf das Gesamtkonzept des Green Deals. Ein wichtiger Aspekt für eine nachhaltige Wirtschaftsweise stellt die Rückeroberung wichtiger Industrieproduktionen für Europa dar, ist er überzeugt.

Die Anwendung eines delegierten Rechtsakts anstelle eines ordentlichen Gesetzgebungsverfahrens wird in Österreich grundsätzlich kritisch gesehen. Umweltministerin Gewessler wies darauf hin, dass die EK in der Frage des delegierten Rechtsaktes zuletzt Flexibilität angedeutet habe. Der Bundesrat habe in der Frage des delegierten Rechtsakts bereits eine begründete Stellungnahme an die EU-Organe gerichtet, erinnerte der FPÖ-Abgeordnete Rauch. Er sprach sich klar dagegen aus, Atomkraftwerksprogramme in die Erreichung der Klimaziele einzubeziehen. Lukas Hammer (Grüne) sagte, die EU müsse das Zugpferd zur Erreichung der Klimaziele bleiben, und brachte einen von ÖVP und Grünen formulierten Antrag auf Stellungnahme des Ausschusses ein. In der Stellungnahme, die von allen Fraktionen außer den Freiheitlichen unterstützt wurde, werden ambitionierte Klimaziele für die EU gefordert.

EU-Biodiversitätsstrategie wird von Österreich unterstützt

In engem Zusammenhang mit dem Europäischen Green Deal steht die EU-Biodiversitätsstrategie 2030, die von der Kommission zeitgleich mit der "Farm-to-Fork"-Initiative vorgelegt wurde. Die Strategie hat zum Ziel, geschädigte Ökosysteme und die Biodiversität in der EU bis ins Jahr 2030 wiederherzustellen sowie die Ursachen der Biodiversitätsverluste zu bekämpfen, etwa durch Reduktion der Pestizide um 50%. Weitere Elemente sind die Stärkung des Schutzgebietsnetzwerks der EU und das Aufhalten des Artenverlusts. Außerdem sollen die Strukturen zur Überprüfung der Umsetzung gestärkt werden. Das Klimaschutzministerium wertet die Zielsetzung positiv. Die für die EU-Biodiversitätsstrategie vorgesehen Mittel in der Höhe von 20 Mrd. € pro Jahr sollen auch dem Klimaschutz dienen. Umweltministerin Gewessler nannte die Strategie einen mutigen Schritt der EU, die hier die Bereitschaft zeige, sich schwierigen Themen zu stellen. Die Biodiversitätsstrategie müsse mit der Agrarpolitik der EU verknüpft werden, um Wirkung zu zeigen. Die Situation sei jedenfalls dramatisch, sie hoffe daher, dass der EU-Rat bald Schlussfolgerungen verabschiedet, damit Maßnahmen folgen können.

Zur Mitteilung der EU-Kommission zur EU-Biodiversitätsstrategie unter dem Motto "Mehr Raum für die Natur in unserem Leben" wurde ein von den Abgeordneten Reinhold Lopatka (ÖVP) und Astrid Rössler (Grüne) vorgelegter Antrag auf eine Mitteilung an die EU-Kommission einstimmig angenommen. Ein wesentlicher Aspekt ist dabei, dass sich die EU im Bereich des europäischen Handels und der Entwicklungszusammenarbeit dafür einsetzen soll, dass mehr Finanzmittel für biodiversitätsfreundliche Maßnahmen bereitgestellt werden und ihre Politik die biologische Vielfalt nicht schädigt.

Julia Herr (SPÖ) und Walter Rauch (FPÖ) verwiesen auf die Wichtigkeit der Pestizidreduktion. ÖVP-Abgeordneter Strasser betonte, es sollte keine einseitigen Schuldzuweisungen geben. Die österreichische Landwirtschaft sei immer bereit, ihren Beitrag zu leisten, sei aber in der Lebensmittelproduktion und Wertschöpfungskette nicht der alleinige Faktor. Auch die Bioproduktion sei den Marktbedingungen unterworfen, gab er zu bedenken. So müssten Bio-Fleischprodukte mit Billigimporten konkurrieren. Aus Sicht von Rössler (Grüne) ist der dramatische Biodiversitätsverlust zweifellos stark mit Fragen der landwirtschaftlichen Produktion verbunden, umfasst aber unterdessen alle Bereiche, von der Waldwirtschaft bis zum Hausgarten. NEOS-Abgeordneter Bernhard zeigte sich skeptisch über die Ausweitung von Schutzgebieten und forderte, dass Grundstückseigentümer angemessen entschädigt werden.

Aktionsplan für die Kreislaufwirtschaft soll Recycling stärken

Weiterer zentraler Baustein des Green Deals ist ein neuer Aktionsplan für die Kreislaufwirtschaft zur Erreichung des Klimaneutralitätsziels bis 2050, der ebenfalls von Österreich begrüßt wird. Die Wirtschaft soll mit dem Vorhaben der Kommission auf eine "grüne Zukunft" vorbereitet werden. Die drei Fokusbereiche sind der Schutz der Umwelt, die Einführung neuer Rechte für VerbraucherInnen sowie die Stärkung der europäischen Wettbewerbsfähigkeit. Die EU-Kommission plant die Vorlage einer Rechtssetzungsinitiative für nachhaltige Produktpolitik. Laut Bundesministerin Gewessler ist das Recht auf Reparatur von Produkten hier ein zentraler Punkt. Ebenso wichtig ist die Schaffung eines EU-Marktes für Sekundärrohstoffe bzw. Abfallexporte. Erste Schritte für Österreich seien Gespräche über ein Pfand auf Getränkeverpackungen. Zudem werde Österreich dem "European Plastics Pact" (Europäischer Plastik Pakt) beitreten, teilte die Umweltministerin mit. Österreich müsse aufgrund von EU-Vorgaben jedenfalls eine Erhöhung der Sammelquote für Kunststoff sowie beim Recycling von Getränkeflaschen erreichen.

Der Ausschuss interessierte sich vor allem für die Ausgestaltung der Pläne zur Erhöhung der Recyclingquote. Für Carmen Jeitler-Cincelli (ÖVP) wirft ein Pfandsystem und das Recycling von Plastik und anderen Stoffen viele systemische Fragen auf. Hier gehe es um nachvollziehbare Zertifikate, um gerechten Wettbewerb und um Planungssicherheit für österreichische Unternehmen. Walter Rauch (FPÖ) sieht das Pfand als Anreiz für mehr Mülltrennung, besonders in Wien müsse diese verstärkt werden. Aus Sicht von Julia Herr (SPÖ) hat die Frage der Kreislaufwirtschaft auch eine globale Dimension. Sie brachte einen Antrag auf Stellungnahme ihrer Fraktion ein, die eine entsprechende Neuausrichtung der EU-Außenhandelspolitik fordert. Laut SPÖ sollte unter anderem in Freihandelsabkommen ein Nachhaltigkeitskapitel mit einem Durchsetzungsmechanismus ausgestattet werden und die Ratifikation und Umsetzung der Verpflichtung des Pariser Klimaabkommens in allen Handelsabkommen verankert werden. Dieser Antrag blieb aber in der Minderheit. Michel Reimon (Grüne) sah in dem Antrag der SPÖ gute Ansätze, allerdings enthalte er formale Fehler. NEOS-Abgeordneter Michael Bernhard meinte ebenfalls, eine Neuausrichtung der EU-Handelsverträge sei durchaus sinnvoll. Die Tatsache, dass Reparaturen oft teurer seien als Neuanschaffungen, verweise auf Fehler im Steuersystem. Auch Rössler (Grüne) meinte, Reparaturen müssten steuerlich begünstigt, Lebensmittelverschwendung verringert werden.

Gewessler hofft auf baldige Einigung zu Wegekostenrichtlinie der EU

Die EU setze die Arbeit an der Änderung der Richtlinie über die Erhebung von Gebühren für die Benutzung von TEN-Verkehrswegen (Autobahnen und Schnellstraßen) durch schwere Nutzfahrzeuge (Wegekostenrichtlinie), intensiv weiter fort, informierte Bundesministerin Gewessler die Abgeordneten. Der aktuelle Entwurf des kroatischen Ratsvorsitzes sehe nun, anders als im ursprünglichen Vorschlag der EK, die Möglichkeit vor, bei Kooperation von zumindest zwei Mitgliedstaaten den Querfinanzierungszuschlag auf bis zu 50 % der Infrastrukturgebühr erhöhen zu können. Das entspreche einer österreichischen Forderung und werde ausdrücklich positiv bewertet, betonte Gewessler. Sie habe zwar gehofft, dass ein Abschluss noch unter dem derzeitigen Ratsvorsitz möglich sein werde. Nun gehe sie aber davon aus, dass Deutschland alles daransetzen werde, während seiner Ratspräsidentschaft eine Einigung herbeizuführen. Einheitliche Rahmenbedingungen für den grenzüberschreitenden schweren Güterverkehr auf den hochrangigen Straßen in Europa seien vor dem Hintergrund der Klimaziele und der Transitfrage enorm wichtig. Das betreffe vor allem auch die Brennerstrecke.

Positive Reaktionen auf den Vorschlag kamen von den Abgeordneten Walter Rauch (FPÖ) und Michael Bernhard (NEOS). SPÖ-Verkehrssprecher Alois Stöger kritisierte hingegen die Wegekostenrichtlinie grundsätzlich und bezeichnete sie als "überholtes neoliberales Konzept". Die Verlagerung auf die Schiene könne nur durch klare gesetzliche Vorgaben für den Güterverkehr über große Strecken erreicht werden, meinte er. Abgeordneter Hermann Weratschnig von den Grünen konnte diesem Zugang zwar einiges abgewinnen, er verwies aber auch auf die geplante Einhebung von Querfinanzierungszuschlägen auch außerhalb von Bergregionen mit der Möglichkeit der gleichzeitigen Einhebung von Querfinanzierungszuschlägen und Gebühren für externe Kosten. Das sei für Österreich von größter Wichtigkeit, vor allem in Hinblick auf den Transitverkehr. (Schluss EU-Unterausschuss) sox