Parlamentskorrespondenz Nr. 874 vom 11.07.2022

Hauptausschuss genehmigt weitere Freigabe von Erdöl-Reserven

Maßnahme aufgrund drohender Versorgungsengpässe

Wien (PK) – Bereits Anfang Juni machte es ein Zwischenfall in der Raffinerie Schwechat notwendig, Diesel und Benzin aus den Pflichtnotstandsreserven für den Markt freizugeben. Nun hält Energieministerin Leonore Gewessler eine weitere Maßnahme für notwendig, um die Versorgung mit Treibstoff zu gewährleisten. Sie verordnet die Freigabe von 100.000 Tonnen Diesel und 45.000 Tonnen Halbfabrikaten aus den Reserven. Der Hauptausschuss des Nationalrats gab dafür heute mit breiter Mehrheit seine Zustimmung.

Erdöl-Reserven werden um 5,8 Tage reduziert

Mit den Stimmen von ÖVP, SPÖ, Grünen und NEOS genehmigte der Hauptausschuss die Verordnung der Energieministerin zur Freigabe von Pflichtnotstandsreserven (181/HA). Die zuständige Erdöl-Lagergesellschaft m.b.H. (ELG) muss ab 15. Juli innerhalb von zwei Monaten 100.000 Tonnen Diesel und 45.000 Tonnen Halbfabrikate aus ihren Reserven für den Markt zur Verfügung stellen. Die Halbfabrikate werden an die OMV zur Weiterverarbeitung in Fertigprodukte abgegeben, weil nur die OMV eine zur Verarbeitung notwendige Raffinerie betreibt. Die 100.000 Tonnen Diesel werden an alle Marktteilnehmer gemäß einem Verteilungsschlüssel verteilt.

Die Pflichtnotstandsreserven reduzieren sich damit um weitere 5,8 Tage. Als EU-Mitglied ist Österreich verpflichtet, Erdölvorräte zu halten, die den durchschnittlichen Importen von 90 Tagen entsprechen. Laut Erläuterungen ist die Maßnahme aber notwendig, um Ausfälle in der Versorgung mit Treibstoff, besonders in der nachfragestarken Urlaubssaison, zu verhindern. Denn die Situation sei aufgrund mehrerer Faktoren angespannt: Seit dem Zwischenfall in der Raffinerie wird zwar mit Hochdruck an der Behebung des Schadens gearbeitet, die OMV schränkte ihre Kund:innen auf 80% der vertraglichen Menge ein. Weil die Unternehmen täglich versuchen müssen, zusätzliche Mengen zu beschaffen, kann die Versorgung jeweils nur für ein paar Tage gesichert vorausgesagt werden. Die Situation in der OMV selbst hat sich indes weiter angespannt. So hat die Deutsche Bahn zugesicherte Zugtransporte kurzfristig storniert und noch nicht neu geplant. Aufgrund eines Blitzschlags fällt eine Dieselquelle in Deutschland aus. 200.000 Tonnen Halbfabrikate können aufgrund ihrer Qualität nicht verpumpt werden und im Hafen Koper (Slowenien) kommt es zu Personalausfällen. All diese Faktoren führen laut Ministerium zu einer Störung, die mit marktkonformen Maßnahmen nicht oder nicht rechtzeitig abgewendet werden könne, weshalb eine staatliche Lenkungsmaßnahme nötig sei.

Ministerin und Expert:innen von OMV und ELG geben Auskunft

Energieministerin Leonore Gewessler betonte im Ausschuss, dass ihr und allen Expert:innen bewusst sei, dass man mit der Pflichtnotstandsreserve gerade in so schwierigen Zeiten äußerst vorsichtig umgehen müsse. Aufgrund unvorhergesehener Ereignisse könne die OMV aber die kontinuierliche Versorgung des Treibstoffmarktes in den kommenden Monaten nicht gewährleisten. Mit der vorliegenden Verordnung komme Gewessler daher ihrer Verpflichtung nach, die Versorgung zu sichern. Sie unterstrich auch, dass alle freigegebenen Produkte nur in Österreich abgegeben und bezogen werden dürfen.

Eine Expertin der OMV berichtete über den Vorfall und die Folgen für das Unternehmen. Es handle sich um die größte Krise in der Geschichte der Raffinerie Schwechat, sagte sie. Als Reaktion habe man nach unverzüglicher Information der Ministerin ein Krisenteam aufgestellt und ein alternatives Versorgungssystem aufgebaut. Die Reparatur der Anlage laufe derzeit in einem Drei-Schichtbetrieb. Die Expertin zeigte sich zuversichtlich, dass spätestens Ende September mit dem Hochfahren der Anlage begonnen werden kann.

Ein Vertreter der Erdöl-Lagergesellschaft m.b.H. (ELG) informierte, dass die freizugebenden Mengen sehr schnell in den Markt gebracht werden können, weil sie zu großen Teilen bereits in den Tanklagern der OMV bzw. der anderen Vertragspartner lagern. Die ELG verstehe sich als Hüterin der Reserven für Krisenzeiten, sprach sich der Experte dafür aus, die Bestände nicht leichtfertig ohne Prüfung freizugeben.

Hitzige Debatte um Energiereserven

Harsche Kritik am Vorgehen der Ministerin kam von der Opposition, allen voran der SPÖ. Alois Schroll (SPÖ) etwa sprach von einem Vertrauensverlust. Seine Fraktion sei sich ihrer Verantwortung bewusst und werde deshalb für die Verordnung stimmen. Das Vertrauen in die Ministerin sei aber bei Null. Gewessler habe in unterschiedlichen Gremien, die zusammengetreten seien, als die OMV sich bereits mit einem Brief an das Ministerium gewandt hatte und die Freigabe von Reserven gefordert hatte, nichts über den Ernst der Lage gesagt, kritisierte Schroll. Auch sein Fraktionskollege Kai-Jan Krainer sprach von einem Vertrauensbruch und kündigte an, kein zweites Mal eine Zustimmung zu geben, wenn nicht ab sofort offen mit dem Parlament kommuniziert werde. Christoph Matznetter (SPÖ) kritisierte das Vorgehen ebenfalls. Aus seiner Sicht ist die "Notstandsreserve 'Vertrauen' ziemlich aufgebraucht". Matznetter wollte zudem wissen, wie es um die Pläne zur Wiederauffüllung der Reserven stehe.

Die OMV habe in mehreren Briefen um die Freigabe von Reserven ersucht, berichtete die Ministerin. Ihre Aufgabe sei es aber, solche Ersuchen genau zu prüfen und nur umzusetzen, wenn sie unbedingt notwendig seien. Sie gebe Reserven nur nach Betrachtung aller möglichen Alternativen frei, so Gewessler. Nichts Anderes habe sie auch öffentlich gesagt. Die Wiederauffüllung der Reserven werde von der ELG mit den Unternehmen vertraglich vereinbart, legte Gewessler dar. Die OMV-Vertreterin gab Auskunft über den Plan zur Rückgabe der Anfang Juni freigegebenen Reserven. Die erste Hälfte werde bis Jahresende, die zweite bis spätestens Ende März 2023 zurückgegeben. Laut dem Experten der ELG komme es hier auf das Timing an. Es sei nicht sinnvoll, Reserven freizugeben und gleich danach in einer angespannten Marktsituation wieder zurückzufordern.

Wie die SPÖ signalisierten auch die NEOS ihre Zustimmung. Auch ihre Fraktion erwarte sich aber ein paar Antworten, sagte Karin Doppelbauer. Es sei für sie nicht nachvollziehbar, warum die Abgeordneten so im Dunkeln gelassen werden, forderte sie Transparenz im Umgang mit der Krise. Sie wollte wissen, ob eine Reparatur des Defekts in der Raffinerie Schwechat bis Ende September realistisch sei. Wie ihr Fraktionskollege Helmut Brandstätter interessierte sie sich zudem für die Pläne, norwegisches Gas nach Österreich zu bringen. Brandstätter zitierte Berichte, laut denen man einen großen Teil des Bedarfs mit norwegischem Gas abdecken könne. Vor diesem Hintergrund äußerte er Unverständnis, dass das nicht kommuniziert werde. So könnte man schließlich der Bevölkerung die Ängste nehmen, meinte er.

Die Expertin der OMV zeigte Verständnis für Doppelbauers Frage nach der Machbarkeit der Reparatur. Man wickle so viele Arbeitsschritte wie möglich parallel zueinander ab und sei daher zuversichtlich, die Reparatur bis Ende September abgeschlossen zu haben, sagte sie. Das norwegische Gas könne tatsächlich einen beträchtlichen Teil des Bedarfs decken, sagte sie und nannte eine Größe von etwa 20 Terawattstunden für die Saison 2022/23. Offen seien aber noch die Pipelinekapazitäten. Hier laufe gerade eine Auktion, bei der sich die OMV entsprechende Kapazitäten sichern wolle. Auch Bundesministerin Gewessler wies auf die laufende Versteigerung hin. Sie habe immer gesagt, dass es nicht ohne norwegisches Gas gehen werde. Ihre Linie und die der Bundesregierung sei aber, Maßnahmen erst zu kommunizieren, wenn sie fix sind. Nur so könne sich die Bevölkerung auch wirklich darauf verlassen.

Klare Ablehnung der Verordnung kam von der FPÖ. Notstandsreserven sollten für die kritische Infrastruktur bewahrt werden, argumentierte etwa Dagmar Belakowitsch (FPÖ). Sie wollte etwa wissen, wie alt der vom Zwischenfall betroffene Kessel in der Raffinerie war und ob es Notfallpläne für ein solches Szenario gegeben habe. Sie äußerte wie ihre Fraktionskollegen Christian Hafenecker und Walter Rauch Skepsis über die weiteren Ereignisse, die laut Begründung des Ministeriums zu Engpässen führen. Es werde von einer Verkettung von Umständen berichtet, die eigenartig seien, so Hafenecker. Er stellte etwa auch in Frage, ob es tatsächlich einen Blitzeinschlag beim deutschen Diesellieferanten gegeben habe. All diese Dinge müsse man besser erklären, bevor man auf strategische Reserven zugreifen, sagte Hafenecker. Rauch fand die Schilderungen zu Engpässen in Eisenbahntransporten, Logistik und Personal unglaubwürdig. Das Vertrauen in das System sei nicht vorhanden, meinte er.

Der betroffene Kessel in der Raffinerie sei schon älter, das genaue Alter habe sie nicht bei der Hand, so die Vertreterin der OMV. Vorsorge werde insofern getroffen, als dass Tanklager für die Zeiträume der regelmäßigen Wartungen der Anlage bereitstehen. Aus Sicht der OMV könne sie sich keinen größeren Ernstfall vorstellen, als den Schaden an der Anlage. Zu den Verfügbarkeiten der Züge der Deutschen Bahn führte die Expertin an, dass es sich um eine Vereinbarung in Krisenzeiten handle und man deshalb außerordentliche Lösungen finden müsse.

Zuversichtlicher zeigte sich Andreas Hanger (ÖVP). Aus seiner Sicht könne man die Probleme mit der Anlage und der Logistik in den Griff bekommen. Zu fehlendem Glück sei auch noch viel Pech dazugekommen, fasste Lukas Hammer (Grüne) etwa mit Blick auf den Blitzeinschlag die Ereignisse zusammen. Es sei notwendig, ein weiteres Mal Reserven freizugeben. Es sei aber ebenso notwendig, dies genau zu prüfen und nicht leichtfertig zu entscheiden. Hammer wollte wissen, ob es bereits neue Erkenntnisse zur Unfallursache in der Raffinerie Schwechat gebe. Man sei nun zur Bruchstelle vorgedrungen und habe Metallproben genommen, die nun untersucht werden, sagte die OMV-Vertreterin. Wenn die Ergebnisse da seien, könne man feststellen, was den Riss verursacht hat. (Schluss Hauptausschuss) kar