Stenographisches Protokoll

721. Sitzung des Bundesrates der Republik Österreich

 

 

 

Mittwoch, 25. Mai 2005

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 


Stenographisches Protokoll

721. Sitzung des Bundesrates der Republik Österreich

Mittwoch, 25. Mai 2005

Dauer der Sitzung

Mittwoch, 25. Mai 2005: 9.03 – 11.46 Uhr

*****

Tagesordnung

1. Punkt: Vertrag über eine Verfassung für Europa samt Protokolle, Anhänge und Schlussakte

*****

Inhalt

Bundesrat

Ansprache des Präsidenten Mag. Georg Pehm ......................................................... 4

Redezeitbeschränkung gemäß § 47 Abs. 5 GO-BR ..................................................... 8

Personalien

Verhinderungen ................................................................................................................ 4

Ordnungsrufe ................................................................................................................... 4

Bundesregierung

Vertretungsschreiben ....................................................................................................... 5

Nationalrat

Beschluss ......................................................................................................................... 6

Ausschüsse

Zuweisungen .................................................................................................................... 6


Bundesrat
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721. Sitzung / Seite 2

Verhandlungen

1. Punkt: Beschluss des Nationalrates vom 11. Mai 2005 betreffend einen Ver­trag über eine Verfassung für Europa samt Protokolle, Anhänge und Schlussakte (851 d.B. und 919 d.B. sowie 7246/BR d.B.)             ................................................................................................................................. 6

Berichterstatter: Johann Höfinger .................................................................................. 6

Redner/Rednerinnen:

Dr. Peter Böhm ............................................................................................................... 8

Ludwig Bieringer .......................................................................................................... 10

Albrecht Konecny ........................................................................................................ 12

Stefan Schennach ........................................................................................................ 15

Bundeskanzler Dr. Wolfgang Schüssel ..................................................................... 17

Dr. Peter Böhm (tatsächliche Berichtigung) ................................................................ 21

Mag. John Gudenus ..................................................................................................... 22

Gottfried Kneifel ........................................................................................................... 26

Mag. Susanne Neuwirth .............................................................................................. 28

Eva Konrad ................................................................................................................... 31

Bundesministerin für auswärtige Angelegenheiten Dr. Ursula Plassnik ............. 32

Jürgen Weiss ................................................................................................................ 34

Ewald Lindinger ........................................................................................................... 37

Engelbert Weilharter .................................................................................................... 38

Dr. Ruperta Lichtenecker ............................................................................................ 39

Ludwig Bieringer (tatsächliche Berichtigung) ............................................................. 40

Annahme des Antrages des Berichterstatters, 1. gegen den vorliegenden Be­schluss des Nationalrates keinen Einspruch zu erheben und 2. dem gegen­ständlichen Beschluss des Nationalrates im Sinne des Bundesverfassungs­gesetzes über den Abschluss des Vertrages über eine Verfassung für Europa die verfassungsmäßige Zustimmung zu erteilen ................................................................. 41

Eingebracht wurden

Anfragebeantwortungen

des Bundesministers für Landesverteidigung auf die Anfrage der Bundesräte Ing. Reinhold Einwallner, Kolleginnen und Kollegen (2106/AB-BR/05 zu 2298/J-BR/05)

der Bundesministerin für auswärtige Angelegenheiten auf die Anfrage der Bundesräte Jürgen Weiss, Ing. Reinhold Einwallner, Kolleginnen und Kollegen (2107/AB-BR/05 zu 2300/J-BR/05)

des Bundesministers für Land- und Forstwirtschaft, Umwelt und Wasserwirtschaft auf die Anfrage der Bundesräte Elisabeth Kerschbaum, Kolleginnen und Kollegen (2108/AB-BR/05 zu 2296/J-BR/05)

des Bundesministers für Verkehr, Innovation und Technologie auf die Anfrage der Bun­desräte Jürgen Weiss, Kolleginnen und Kollegen (2109/AB-BR/05 zu 2304/J-BR/05)

der Bundesministerin für Inneres auf die Anfrage der Bundesräte Jürgen Weiss, Ing. Reinhold Einwallner, Kolleginnen und Kollegen (2110/AB-BR/05 zu 2302/J-BR/05)


Bundesrat
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der Bundesministerin für Inneres auf die Anfrage der Bundesräte Jürgen Weiss, Kolle­ginnen und Kollegen (2111/AB-BR/05 zu 2305/J-BR/05)

der Bundesministerin für Bildung, Wissenschaft und Kultur auf die Anfrage der Bun­desräte Jürgen Weiss, Kolleginnen und Kollegen (2112/AB-BR/05 zu 2301/J-BR/05)

des Bundesministers für Verkehr, Innovation und Technologie auf die Anfrage der Bundesräte Jürgen Weiss, Kolleginnen und Kollegen (2113/AB-BR/05 zu 2303/J-BR/05)

der Bundesministerin für Inneres auf die Anfrage der Bundesräte Albrecht Konecny, Kolleginnen und Kollegen (2114/AB-BR/05 zu 2299/J-BR/05)


 


Bundesrat
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09.02.57Beginn der Sitzung: 9.03 Uhr

 


Präsident Mag. Georg Pehm: Guten Morgen, sehr geehrte Damen und Herren!

Ich eröffne die 721. Sitzung des Bundesrates.

Das Amtliche Protokoll der 720. Sitzung des Bundesrates vom 14. April 2005 ist aufge­legen, unbeanstandet geblieben und gilt daher als genehmigt.

Als verhindert gemeldet sind die Mitglieder des Bundesrates Theodor Binna und Anna Elisabeth Haselbach.

09.03.52 Ansprache des Präsidenten

 


9.04.02

Präsident Mag. Georg Pehm: Hohes Haus! Sehr geehrte Damen und Herren! Im Zusammenhang mit der Abstimmung über einen von den Oppositionsparteien gestell­ten Neuwahlantrag in der Plenarsitzung vom 14. April 2005 ist es in diesem Haus zu einem klaren Fehlverhalten gekommen: Mitglieder des Bundesrates haben ein anderes Mitglied bei der Abstimmung über diesen Entschließungsantrag behindert. Das kann und wird der österreichische Bundesrat selbstverständlich nicht tolerieren.

Dieser Vorfall war auch Gegenstand einer eingehenden Beratung der Präsidial­kon­ferenz. Dazu lagen auch schriftliche Erklärungen der beiden Bundesrätinnen vor, in denen sie ihre Vorgangsweise bedauern.

Der Grundsatz des freien Mandats ist ein besonderer Baustein unserer Republik, den wir schützen wollen und schützen müssen. Das freie Mandat ist wertvoll.

Die Mitglieder der Präsidialkonferenz sind einhellig zur Auffassung gelangt, dass eine derartige Handlungsweise, wie sie von den zwei Bundesrätinnen vorgenommen wurde, dem parlamentarischen Verhalten nicht entspricht und dem Ansehen des Bundesrates abträglich ist.

Daher erteile ich den Bundesrätinnen Michaela Gansterer und Sissi Roth-Halvax gemäß § 70 Abs. 3 der Geschäftsordnung einen Ordnungsruf.

*****

Hohes Haus! Sehr geehrte Damen und Herren! Es sind dies tatsächlich besondere Tage in diesen Wochen und in diesen Monaten, denn Österreich, wir alle gedenken der besonderen Ereignisse vor 60 Jahren. Wir gedenken der Millionen Toten der men­schenverachtenden Hitler-Diktatur und des schrecklichsten aller Kriege. Wir gedenken der Millionen von Opfern in den Konzentrations- und Vernichtungslagern des National­sozialismus. Wir denken an die Befreiung unseres Landes, und wir feiern gemeinsam die Entstehung und die Erfolge der Zweiten Republik.

Zu den Erfolgen unserer Republik zählt nicht nur die Unterzeichnung des österreichi­schen Staatsvertrages vor 50 Jahren, sondern auch die Entscheidung für eine gemein­same Europäische Verfassung.

Mit der heutigen Ratifikation dieses Vertrages über eine Verfassung für Europa durch den österreichischen Bundesrat wird nach den leidvollen Erfahrungen der beiden Welt­kriege ein weiterer historischer Schritt gesetzt. Europa bekennt sich zu gemeinsamen Zielen wie Friede und Solidarität und zu gemeinsamen Werten wie Freiheit und Demokratie.


Bundesrat
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Diese Freude ist aber keineswegs ungetrübt, was ich sehr bedauere. Zwei Mitglieder dieses Hohen Hauses, Herr Bundesrat Ing. Siegfried Kampl und Herr Bundesrat Mag. John Gudenus, haben Aussagen getätigt, die zutiefst betroffen machen. Diese Äußerungen sind entschieden zu verurteilen! Derartige Aussagen sind absolut inakzep­tabel, sie beschädigen das Ansehen des österreichischen Bundesrates. Für Aussagen wie diese darf kein Platz in einem demokratischen Gremium sein.

Der Erste Präsident des Kärntner Landtages hat mir mit Schreiben vom 17. Mai 2005 mitgeteilt, dass Herr Bundesrat Kampl mit Ablauf des 31. Mai 2005 auf die Ausübung seines Mandates verzichtet. Herr Bundesrat Kampl hat damit die Konsequenzen gezogen, die von ihm erwartet wurden.

Hohes Haus! Zu dem vom Wiener Landtag entsandten Bundesrat Mag. Gudenus ist mir mit Schreiben von dessen Präsidenten ein einstimmiger Beschluss des Wiener Landtages vom 29. April 2005 übermittelt worden. Darin bringt der Wiener Landtag mit den Stimmen aller im Landtag vertretenen Parteien Folgendes zum Ausdruck – ich zitiere –:

„Der Wiener Landtag will im Bundesrat keinen Vertreter des Landes Wien, der Nazi-Verbrechen beharrlich leugnet oder verharmlost. Herr John Gudenus schadet mit seinen Ansichten als Bundesrat dem Ansehen des Bundesrates, dem Parlament, dem Land Wien und der Republik Österreich. Der Wiener Landtag fordert Herrn Bundesrat John Gudenus daher auf, unverzüglich von seinem Mandat als Bundesrat zurück­zutreten und seinen Platz frei zu machen für einen anderen Vertreter des Landes Wien, der die Verbrechen des Dritten Reichs verurteilt, der sich für Demokratie, Frei­heit, Menschenwürde und das Ansehen unseres Landes einsetzt und der sich damit des Amtes und seiner Verantwortung als Bundesrat würdig erweist.“

Es ist auch von Ihnen, Herr Bundesrat Gudenus, zu erwarten, dass Sie ebenfalls die ent­sprechenden Konsequenzen ziehen und auf Ihr Mandat verzichten. Der National­sozialismus, das Nazi-Regime selbst, die Verbrechen dieser Terrorherrschaft sind nicht zu relativieren! Sie sind nicht zu rechtfertigen! Sie sind nicht zu entschuldigen, und sie sind auch nicht auf irgendeine andere Art und Weise – nicht einmal in Ansätzen – abzuschwächen! (Die Bundesräte der SPÖ spenden stehend anhaltenden Beifall. – Beifall bei den Grünen sowie bei Bundesräten der ÖVP.)

9.09

Vertretung von Mitgliedern der Bundesregierung

 


Präsident Mag. Georg Pehm: Hoher Bundesrat! Ich gebe bekannt, dass das Bundeskanzleramt über Entschließung des Bundespräsidenten die Mitteilung gemacht hat, dass innerhalb des Zeitraumes vom 24. bis 27. Mai 2005 der Bundesminister für Land- und Forstwirtschaft, Umwelt und Wasserwirtschaft Dipl.-Ing. Josef Pröll durch die Bundesministerin für Inneres Liese Prokop und am 24. und 25. Mai sowie am 2. und 3. Juni 2005 der Bundesminister für Verkehr, Innovation und Technologie Hubert Gorbach durch die Bundesministerin für Justiz Mag. Karin Miklautsch vertreten wird.

09.10.14Einlauf und Zuweisungen

 


Präsident Mag. Georg Pehm: Hinsichtlich der eingelangten, entsprechend vervielfäl­tigten und verteilten Anfragebeantwortungen 2106/AB bis 2114/AB beziehungsweise jener eingelangten Verhandlungsgegenstände, die gemäß Artikel 42 Abs. 5 B-VG nicht dem Mitwirkungsrecht des Bundesrates unterliegen, verweise ich auf die im Sitzungs­saal verteilten Mitteilungen gemäß § 41 Abs. 1 Geschäftsordnung des Bundesrates, die dem Stenographischen Protokoll dieser Sitzung angeschlossen werden.


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Die schriftliche Mitteilung hat folgenden Wortlaut:

Liste der Anfragebeantwortungen (siehe S. 2);

Beschlüsse des Nationalrates, die gemäß Art. 42 Abs. 5 B-VG nicht dem Mitwirkungs­recht des Bundesrates unterliegen:

Beschluss des Nationalrates vom 11. Mai 2005 betreffend ein Bundesgesetz über die Leistung eines Beitrages zum Asiatischen Entwicklungsfonds (ADF-IX) und zum Technische Hilfe Sonderfonds der Asiatischen Entwicklungsbank (855 und 904/NR der Beilagen),

Beschluss des Nationalrates vom 12. Mai 2005 betreffend ein Bundesgesetz, mit dem das Bundesgesetz über die Geschäftsordnung des Nationalrates (Geschäftsord­nungs­gesetz 1975) geändert wird (588/A und 881/NR der Beilagen).

*****

 


Präsident Mag. Georg Pehm: Den eingelangten Kulturbericht 2003 der Bundes­minis­terin für Bildung, Wissenschaft und Kultur habe ich dem Kulturausschuss zugewiesen.

Eingelangt und von mir zugewiesen ist jener Beschluss des Nationalrates, der Gegen­stand der heutigen Tagesordnung ist. Der Ausschuss hat seine Vorberatungen darüber abgeschlossen und einen schriftlichen Ausschussbericht erstattet.

Ich habe diese Vorlage auf die Tagesordnung der heutigen Sitzung gestellt.

Wird zur Tagesordnung das Wort gewünscht? – Das ist nicht der Fall. Wir werden daher so vorgehen.

09.11.201. Punkt

Beschluss des Nationalrates vom 11. Mai 2005 betreffend einen Vertrag über eine Verfassung für Europa samt Protokolle, Anhänge und Schlussakte (851 d.B. und 919 d.B. sowie 7246/BR d.B.)

 


Präsident Mag. Georg Pehm: Wir gehen nun in die Tagesordnung ein und gelangen zum 1. Punkt.

Berichterstatter ist Herr Bundesrat Johann Höfinger. – Ich bitte Sie, Herr Bundesrat, um Ihren Bericht.

 


Berichterstatter Johann Höfinger: Sehr geehrter Herr Präsident! Herr Bundes­kanz­ler! Herr Staatssekretär! Hohes Haus! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich komme zum Bericht des Ausschusses für Verfassung und Föderalismus über den Beschluss des Nationalrates vom 11. Mai 2005 betreffend einen Vertrag über eine Verfassung für Europa samt Protokolle, Anhänge und Schlussakte.

Sehr geehrte Damen und Herren! Dieser Bericht liegt Ihnen in schriftlicher Form vor. Ich darf Ihnen aber auf Grund der historischen Bedeutung dieses Vertrages einige Kernelemente dieses Berichtes auch von hier aus zur Kenntnis bringen.

Der Europäische Konvent und die nachfolgende Regierungskonferenz haben mit dem nun vorliegenden Verfassungsvertrag die bisherige Architektur der Europäischen Union in rechtlicher und institutioneller Hinsicht neu geordnet.

Die wichtigsten Charakteristika des Verfassungsvertrages sind:

Die durch den Verfassungsvertrag neu konstituierte Europäische Union erhält eine eigene, alle Politiken umspannende einheitliche Rechtspersönlichkeit und tritt die


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Rechtsnachfolge der Europäischen Gemeinschaft und der bisherigen Europäischen Union an.

Die mit dem EU-Vertrag 1993 eingeführte Säulenstruktur wird abgeschafft. Die ver­schiedenen bisherigen Gemeinschaftspolitiken, die Gemeinsame Außen- und Sicher­heitspolitik sowie die polizeiliche Kooperation und justizielle Zusammenarbeit in Straf­sachen werden in einem einheitlichen rechtlichen und institutionellen Gefüge zusam­mengeführt. In einzelnen Punkten bleiben jedoch gewisse Unterschiede hinsichtlich der Handlungsformen und der Verfahren zur Erlassung von Maßnahmen in den verschie­denen Politikbereichen aufrecht. Sämtliche Übereinkünfte der Europäischen Union mit Drittstaaten oder internationalen Organisationen werden nach einem einheitlichen Ver­fahren ausgehandelt und abgeschlossen.

Den vier Teilen des Verfassungsvertrages ist eine Präambel vorangestellt.

Teil I enthält unter anderem Bestimmungen über die Gründung, Ziele, Werte und Symbole der Union, Grundrechte und Unionsbürgerschaft, die Rechtspersönlichkeit, den Vorrang des Unionsrechts, die Verteilung der Zuständigkeiten zwischen der Union und den Mitgliedstaaten, die Organe und Einrichtungen, die Rechtsakte und Rechts­setzungsverfahren für die Ausübung der Zuständigkeiten der Union, das demo­kratische Leben der Union, die Finanzen und die Zugehörigkeit zur Union ein­schließlich der Kriterien und Verfahren für den Beitritt zur Union sowie eine Bestimmung über den freiwilligen Austritt aus der Union.

Teil II enthält die – mit einigen Ergänzungen insbesondere in den „horizontalen“ Schluss­bestimmungen versehene – Charta der Grundrechte der Union.

Teil III ist der umfangreichste Teil des Verfassungsvertrags. Er enthält die Bestim­mungen über die Politikbereiche und die Arbeitsweise der Union. In weiten Teilen wer­den hier die Rechtsgrundlagen der geltenden Verträge übernommen. Die umfas­sendsten Neuerungen werden bei den Bestimmungen vorgenommen, die bislang die zweite und dritte Säule der EU regelten.

Teil IV enthält unter anderem Bestimmungen über die Aufhebung der früheren Verträge, die Rechtsnachfolge und die rechtliche Kontinuität im Verhältnis zur Euro­päischen Gemeinschaft und zur Europäischen Union, Übergangsbestimmungen für bestimmte Organe, die Bestimmungen über das In-Kraft-Treten, die Geltungsdauer sowie über das Verfahren bei künftigen Änderungen des Verfassungsvertrags.

Dem Verfassungsvertrag sind ferner 36 Protokolle und 50 Erklärungen, die gemäß Art. IV-442 Bestandteil des Vertrages sind, und Erklärungen beigefügt. Diese sind teilweise neu, zumeist aber an den Verfassungsvertrag angepasste Protokolle und Erklärungen zum EGV und zum EUV und deren Änderungsakten.

Der Vertrag über eine Verfassung für Europa gilt auf unbegrenzte Zeit und bedarf zum In-Kraft-Treten der Ratifikation durch alle Vertragsparteien gemäß ihren verfas­sungs­rechtlichen Vorschriften.

Die Genehmigung des Verfassungsvertrages erfolgt auf Grundlage des Bundesverfas­sungsgesetzes über den Abschluss des Vertrages über eine Verfassung für Europa.

Danach haben sowohl der Nationalrat als auch der Bundesrat ihre Beschlüsse jeweils mit erhöhten Zustimmungs- und Anwesenheitsquoren zu fassen. Die Bezeichnung einzelner Vertragsbestandteile oder des ganzen Vertrags als „verfassungsändernd“ kann – abweichend von Art. 50 Abs. 3 letzter Satz B-VG – unterbleiben. Das zitierte BVG sieht jedoch vor, dass auf den Verfassungsvertrag die Bestimmungen des B-VG über Staatsverträge anzuwenden sind, soweit es nicht besondere Bestimmungen enthält.


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So weit, wie gesagt, einige Kernelemente, ich komme daher zum Antrag:

Der Ausschuss für Verfassung und Föderalismus stellt nach Beratung der Vorlage am 23. Mai 2005 mit Stimmenmehrheit den Antrag,

1. gegen den vorliegenden Beschluss des Nationalrates keinen Einspruch zu erheben,

2. dem gegenständlichen Beschluss des Nationalrates im Sinne des Bundes­verfas­sungsgesetzes über den Abschluss des Vertrages über eine Verfassung für Europa die verfassungsmäßige Zustimmung zu erteilen.

 


Präsident Mag. Georg Pehm: Ich danke Ihnen für die Berichterstattung.

*****

Bevor wir in die Debatte eingehen, bringe ich den Antrag der Bundesräte Ludwig Bieringer, Albrecht Konecny, Engelbert Weilharter, Stefan Schennach, Kolleginnen und Kollegen gemäß § 47 Abs. 5 der Geschäftsordnung zur Abstimmung, wonach bei der Debatte über den Beschluss des Nationalrates vom 11. Mai 2005 betreffend einen Vertrag über eine Verfassung für Europa samt Protokolle, Anhänge und Schlussakte die Redezeit eines Bundesrates, einer Bundesrätin 20 Minuten je Wortmeldung nicht übersteigen darf.

Ich ersuche jene Bundesrätinnen und Bundesräte, die diesem Antrag ihre Zustimmung erteilen, um ein Handzeichen. – Das ist Stimmeneinhelligkeit. Der Antrag ist somit angenommen.

*****

Wir gehen in die Debatte ein.

Zu Wort gemeldet ist Herr Bundesrat Dr. Böhm. – Bitte.

 


9.18.02

Bundesrat Dr. Peter Böhm (Freiheitliche, Wien): Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr verehrter Herr Bundeskanzler! Sehr geehrter Herr Staatssekretär! Werte Damen und Herren des Hohen Hauses! Erlauben Sie mir zunächst eine persönliche Vorbemer­kung. Heute rede ich ausnahmsweise nicht ausschließlich namens meiner Fraktion zu Ihnen, sondern lege Ihnen als individuell verantwortlicher Mandatar wie auch als pro­fessioneller Jurist meine persönliche, von vielen Kollegen meiner Fraktion abweichen­de Auffassung dar.

Wir stehen heute, praktisch betrachtet, gewiss vor einer wahrhaft historischen Weichenstellung: Wollen wir diese EU-Verfassung oder wollen wir sie nicht? Oder wollen wir sie nicht so?

Aber wer ist hier das politische Subjekt? Wer ist dabei „wir“? – Die ehrliche Beant­wortung gerade dieser Frage ist für mein persönliches Votum ausschlaggebend. Weil es eben nicht die Stimmbürger sind, also nicht das Volk ist – und zwar weder im gesamteuropäischen Rahmen, für den sich der Herr Bundeskanzler sehr eingesetzt hatte, noch im österreichischen Rahmen –, werde ich der Ratifikation dieses, unsere Rechtsordnung meines Erachtens grundlegend verändernden Staatsvertrages nicht zustimmen können. Das sei vorweg gesagt.

Damit verkenne ich durchaus nicht den objektiven Fortschritt, den der vorliegende EU-Verfassungsvertrag, bei all seiner eigenen Problematik, seiner Komplexität und seinen Defiziten, gegenüber dem Vertrag von Nizza inhaltlich wie auch strukturell bedeutet. – Ein sachpolitischer Erfolg, für den ich den österreichischen Mitgliedern des EU-Ver-


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fassungskonvents, insbesondere auch unserem freiheitlichen Abgeordneten Dr. Rein­hard Bösch, aufrichtig danke und ihnen meine Anerkennung ausspreche.

Ohne Anspruch auf Vollständigkeit erwähne ich als Verbesserung unter anderem vor allem die Aufnahme der Grundrechte-Charta in den Verfassungsrang und die Stärkung des Europaparlaments. Schon dessen Aufwertung im Sinne einer Demokratisierung der Europäischen Union ist freilich so lange immer noch ambivalent zu beurteilen, als nicht zugleich die effektiven Mitwirkungsrechte der nationalen Parlamente ausreichend verankert sind. Ein Schritt auch in diese Richtung ist gewiss erfolgt.

Ganz allgemein und insofern weit darüber hinaus hätten wir Freiheitlichen uns viel mehr die Belebung des Subsidiaritätsprinzips, also eine so genannte Flexibilitäts­klausel, erwartet, die eher eine Kompetenzerweiterung der Europäischen Union in substantiellen Politikfeldern auf kaltem Wege ermöglicht, denn wir Freiheitlichen wollen das gerade auch von uns beklagte Demokratiedefizit der Europäischen Union nicht durch einen weiteren entscheidenden Schritt in Richtung hin zu einem Bundesstaat im Sinne eines Zentralstaates der Vereinigten Staaten von Europa anstatt eines Staaten­bundes behoben wissen. Wir bestehen vielmehr auf einem Europa der Vaterländer (Beifall der Bundesräte Mag. Gudenus und Ing. Kampl sowie bei Bundesräten der ÖVP) im Sinne des großen Staatsmannes De Gaulle und darauf, dass die Mitglied­staaten, also die Nationalstaaten, Herren der Verträge in einem Staatenverbund besonderer Art verbleiben, wie das vom deutschen Bundesverfassungsgericht in seinem bekannten Maastricht-Erkenntnis so treffend formuliert worden ist.

Das weit reichende Übergehen vom Einstimmigkeits- zum Mehrstimmigkeitsprinzip mag zwar die Handlungsfähigkeit der Europäischen Union erhöhen – gewiss wichtig im Spiel der Großen –, es schwächt aber die Position und den Einfluss der Kleinstaaten wie Österreich. Und eben das, mit Herr der Verträge zu sein und zu bleiben, ist daher mit dem vorliegenden Verfassungsvertrag völlig in Frage gestellt.

Es ist schon richtig, wenn sowohl der Verfassungsdienst des Bundeskanzleramtes als auch Professor Griller, den ich sehr schätze, betonen, dass dem Gemeinschaftsrecht bereits heute Anwendungsvorrang vor dem innerstaatlichen Recht zukommt, wenn auch bisher nur auf Grund der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs, und dass dieser Anwendungsvorrang nach eben dieser Rechtsprechung grundsätzlich selbst vor dem nationalen Verfassungsrecht nicht unbedingt Halt macht.

All dem haben wir uns zweifellos mit dem Beitritt zur Europäischen Union unter­worfen – ob es uns allen damals bekannt war oder nicht.

Insofern der Europäische Gerichtshof diesen Vorrang des Europarechts aber unein­geschränkt und vorbehaltlos beansprucht, hat er meines Erachtens seine Kompetenz als Gericht, das heißt als Recht sprechendes und nicht Recht setzendes Organ, ein­deutig überschritten. Denn darin läge eine ihm so weit gehend keineswegs zustehende Rechtsfortbildung, auf die sich die Mitgliedstaaten nicht im Mindesten politisch ver­ständigt haben.

Deshalb ist es herrschende österreichische Verfassungsdogmatik, dass der Beitritt zur Europäischen Union, der in Hinblick auf die damit verbundene Gesamtänderung der damaligen österreichischen Bundesverfassung offenkundig einer Volksabstimmung bedurfte, keineswegs alle weiteren Quantitätssprünge und Qualitätsveränderungen der Europäischen Union und damit sogleich des vom Gemeinschaftsrecht überlagerten österreichischen Bundesverfassungsrechts vorweg ein für alle Mal abdeckt. Vielmehr vertritt die herrschende Lehre des Verfassungs- und des Europarechts die Auffassung, dass es bisher unverändert einen integrationsfesten Wesenskern unserer Verfassung gab, der im Falle eines weiteren grundlegenden Eingriffs in ihn durch eine ent­sprechende Revision des EU-Rechts ohne neuerliche Volksabstimmung für uns


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unabdingbar war. Dazu zählen insbesondere die Grundprinzipien unserer Verfassung, soweit sie nicht bereits durch den EU-Beitritt selbst modifiziert worden sind.

Genau in diesen verbliebenen Wesenskern greift jedoch nach meiner festen Über­zeugung der vorliegende EU-Verfassungsvertrag erneut intensiv ein, denn die EU-Verfas­sung beansprucht künftig sogar explizit den Vorrang vor jeglichem nationalen Recht, also auch dem Verfassungsrecht der Mitgliedstaaten. Der Europäische Ge­richts­hof als Hüter dieser Verfassung hat dann stets das letzte Wort, auch gegenüber den Höchstgerichten, das heißt auch gegenüber den Verfassungsgerichten der Mitgliedstaaten – eine Prärogative, die das Deutsche Bundesverfassungsgericht bis heute nicht akzeptiert hat.

In all dem erkenne ich ebenso wie die renommierten Verfassungsgelehrten Professor Theo Öhlinger, Professor Heinz Mayer, Professor Bernhard Raschauer, Professor Stefan Weber, Innsbruck, Professor Geistlinger, Salzburg, und andere – alle sicherlich nicht der FPÖ zugehörig oder ihr auch nur nahe stehend – eine eindeutige Gesamt­änderung unserer Bundesverfassung, und zwar eben auch in ihrer durch den EU-Beitritt bereits modifizierten Gestalt.

Aus dieser verfassungstheoretischen Einsicht folgt für mich als Jurist – also nicht bloß als Mandatar, der sich die Befassung des Volkes, sei es europaweit, sei es nur in Österreich, aus demokratiepolitischen Gründen wünscht, nein, als Rechtslehrer, der das im Hörsaal vorträgt und der das daher in intellektueller Redlichkeit und politischer Moral auch hier im Hohen Hause vertreten muss –, dass es demnach einer Volksabstimmung bedarf. Eine solche ist bekanntlich im Falle einer Gesamtänderung der Bundesverfassung gemäß Artikel 44 Abs. 3 B-VG verpflichtend.

Freilich trifft in der gegenwärtigen Situation der Einwand zu, dass nur ein echter Gesetzesbeschluss des Nationalrates und nicht auch ein Beschluss des Nationalrates oder, wie heute, des Bundesrates über die Ratifikation eines Staatsvertrages einer Volksabstimmung unterzogen werden kann. Eben darum darf ich aber daran erinnern, dass ich selbst dem Ermächtigungsverfassungsgesetz zum Abschluss dieses EU-Ver­fassungsvertrages zwar bewusst zugestimmt habe, in Anerkennung seiner inhaltlichen Fortschritte, aber eben unter dem Vorbehalt, dass dieses Gesetz meines Erachtens im Anschluss daran einer obligatorischen Volksabstimmung bedürfe.

Da dieses meines Erachtens schon aus rechtsstaatlichen und demokratiepolitischen Erwägungen verfassungsgesetzlich gebotene Prozedere nicht eingehalten worden ist, erachte ich jedes darauf folgende legislative Vorgehen für verfassungswidrig. Sehen­den Auges werde ich persönlich daher einer Gesamtänderung unserer Bundesverfas­sung, die keinem Volksreferendum unterzogen worden ist, bewusst nicht zustimmen. Denn bei dieser ultimativen Preisgabe unserer verbliebenen Restsouveränität im Kern­bereich unserer Verfassung, also unseres staatlichen Grundgesetzes, mache ich als Volksvertreter, aber auch als Professor, das heißt, wörtlich übersetzt, als Bekenner meines wissenschaftlichen Berufes, und nicht zuletzt als österreichischer Patriot, kurz: als Freiheitlicher, nicht mit.

Dafür hoffe ich auf Ihr Verständnis und Ihren demokratiepolitischen Respekt. – Ich danke Ihnen. (Beifall der Bundesräte Mag. Gudenus und Ing. Kampl.)

9.30


Präsident Mag. Georg Pehm: Zu Wort gemeldet hat sich Herr Bundesrat Bieringer. – Bitte, Herr Bundesrat.

 


9.30.01

Bundesrat Ludwig Bieringer (ÖVP, Salzburg): Herr Präsident! Hoch geschätzter Herr Bundeskanzler! Sehr geehrte Frau Bundesministerin! Herr Staatssekretär! Meine sehr


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geehrten Damen und Herren! Hohes Haus! Österreich feiert in diesem Jahr: 60 Jahre Friede, 60 Jahre Zweite Republik, 50 Jahre Freiheit, 50 Jahre Bundesheer und 10 Jahre Beitritt zur Europäischen Union. Heute ratifizieren wir als die zweite Kammer des Hohen Hauses die Europäische Verfassung. Als wir das Ermächtigungsgesetz – soweit ich mich erinnern kann, einstimmig – beschlossen haben, haben wir gewusst, dass der zweite Schritt die Ratifizierung ist, die wir heute vorzunehmen haben. Ich bin froh darüber, dass die überwältigende Mehrheit dieses Hohen Hauses dieser EU-Verfassung die Zustimmung geben wird.

Ich glaube auch, dass das heute eine Sternstunde des Friedens ist, denn die Euro­päische Union, meine sehr geehrten Damen und Herren, ist nicht nur für mein Dafürhalten – und davon bin ich felsenfest überzeugt – die größte friedenssichernde Maßnahme, die jemals bei uns, auf diesem Kontinent, gegeben war.

Wenn wir uns zurückerinnern, hat der große Österreicher Coudenhove-Kalergi Anfang des 20. Jahrhunderts bereits von einem vereinten Europa geträumt. Er hat Visionen entwickelt, dass es dieses vereinte Europa einmal geben soll. – Seit 1. Mai 2004 ist dieses vereinte Europa einen großen – einen großen! – Schritt weitergekommen, und nur ein vereintes Europa – das muss uns klar sein – schafft einen dauerhaften Frieden, einen dauerhaften Frieden nicht nur für unser Land, sondern für den gesamten europäischen Kontinent.

Europa ist die Perspektive, meine Damen und Herren, die wir offensiv anstreben und auch leben müssen. Wir müssen positive Veränderungen vornehmen und Reformen umsetzen, um den Kontinent zu gestalten – und zwar so zu gestalten, wie wir glauben, dass es für die Sicherheit und für die Bürger einen Zusammenhang gibt, dass wir keine Sorge mehr in Zukunft haben. Meine Fraktion wird aus voller Überzeugung ja zu diesem Europa, ja zu dieser europäischen Verfassung sagen.

Die vier Teile dieses Verfassungsvertrages sind sehr klar und übersichtlich dargestellt.

Teil I des Verfassungsvertrages enthält unter anderem Bestimmungen über die Grün­dung, Ziele, Werte und Symbole der Union, Grundrechte und Unionsbürgerschaft, die Rechtspersönlichkeiten, den Vorrang der Unionsrechte, die Verteilung der Zuständig­keit zwischen der Union und den Mitgliedstaaten, die Organe und Einrichtungen der Union.

Teil II enthält die Charta der Grundrechte der Union.

Teil III – der umfangreichste Teil dieses Verfassungstextes – enthält die Bestimmungen über die Politikbereiche und die Arbeitsweise der Union.

Teil IV enthält unter anderem Bestimmungen über die Aufhebung der früheren Verträge und deren Rechtsnachfolge.

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Diese Verfassung bringt die EU den Bürgern der EU näher, diese Verfassung hat eine Transparenz für die notwendige Subsidiarität. Das – und ich sage das auch als Kommunalpolitiker –, was die kleine Einheit erledigen kann, soll die kleine Einheit erledigen, nur die großen Teile sollen in Europa erledigt werden. Auch das garantiert uns diese Verfassung, weil sie auf regionale und kommunale Strukturen Rücksicht nimmt. Es gibt mehr Mitwirkungsmöglichkeiten, und vor allem gibt es ein gleiches Recht für alle.

Auch die soziale Dimension, meine sehr geehrten Damen und Herren, wird mit dieser Verfassung gestärkt, und ebenso garantiert sie ein starkes, bürgernahes Europa.

Dass noch nicht alles ausgefeilt ist, ist uns allen klar; wir vermissen die direkt­demokratischen Entscheidungsbefugnisse, die nicht vorhanden sind. – Rom, meine Damen und Herren, ist auch nicht an einem Tag geschaffen worden, aber die Verträge


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von Rom haben nachhaltige Wirkung, und daher können wir hoffen, dass auch direktdemokratische Prinzipien in die EU-Verfassung aufgenommen werden.

Ich halte wirklich nichts davon, dass in 25 nationalen Staaten womöglich an 25 ver­schiedenen Tagen eine Volksabstimmung durchgeführt werden soll. Es soll nur an einem Tag in allen 25 Staaten die Möglichkeit dazu gegeben sein. – Das muss das nächste Ziel sein, das zu erreichen für dieses Europa gelten wird.

Wir glauben und sind davon überzeugt, dass es ein bürgernahes, starkes Europa werden wird, das die Handlungsfähigkeit nach innen und außen gestärkt hält. Diese Verfassung, meine Damen und Herren, garantiert für uns das Europa, das wir wollen, das Europa, das wir brauchen.

In diesem Sinne meine ich, dass es ein gutes Werk ist und dass wir heute, wenn wir die Hand erheben, um für dieses Europa abzustimmen, etwas Gutes tun – etwas Gutes für unser Land Österreich und etwas Gutes für ein vereintes Europa. – Glück auf für das vereinte Europa! (Allgemeiner Beifall.)

9.37


Präsident Mag. Georg Pehm: Zu Wort gemeldet hat sich Herr Bundesrat Professor Konecny. – Bitte, Herr Bundesrat.

 


9.37.29

Bundesrat Albrecht Konecny (SPÖ, Wien): Herr Präsident! Herr Bundeskanzler! Frau Außenministerin! Herr Staatssekretär! Meine Damen und Herren! Ja, es ist richtig: Diese Europäische Union, der Österreich jetzt seit zehn Jahren angehört, ist eine Erfolgsgeschichte. Sie ist – und das möchte ich unterstreichen – zunächst einmal ein großes europäisches Friedensprojekt, sie hat tiefe Spannungen in diesem Kontinent historisch überwunden, neue Partnerschaften geschaffen, und sie hat den institutio­nellen Rahmen dafür kreiert, dass die Vorstellung, es könnte zwischen jenen Staaten, die heute die Union bilden, nochmals Krieg geben, irgendwie absurd ist.

Sie ist auch eine ökonomische Erfolgsgeschichte. Das war, wenn ich das so sagen darf, zu einem guten Teil vor unserer Zeit, aber die Vorläufer der Europäischen Union gehen zurück im Kernbereich in die unmittelbare Nachkriegszeit. Das, was für uns der Wiederaufbau war, war in anderen, in den Kernstaaten der Union schon ein Stück Gemeinschaftspolitik. Und von dem, was damals erreicht wurde, profitieren auch wir heute.

Es ist ein Projekt, das schrittweise verwirklicht wurde. Von Jahr zu Jahr beziehungs­weise von zwei zu zwei Jahren hat es Reformen und Änderungen der Verträge gegeben. Diese brauchen dann üblicherweise recht lange, bis sie in Kraft treten. Und es war daher der Grundgedanke, dieses komplizierte, durch unendlich viele Kompro­misse auch ein wenig zerfledderte Rechtswerk, auf dem die Union aufbaut, in eine Verfassung zu gießen, auch ein Wort dafür zu verwenden, das dem europäischen Bürger und der europäischen Bürgerin vertrauter ist, an einem bestimmten Punkt der Entwicklung einfach notwendig.

Wir sollten bei dieser Beschlussfassung auch daran erinnern, dass der Text dieser Verfassung, den wir heute ganz ersichtlich beschließen werden, zwar letztendlich von den Regierungschefs entscheidend beeinflusst wurde, dass aber das Grundmuster – so wie schon davor die Festsetzung der Grundrechte der europäischen Bürgerinnen und Bürger – in einer anderen Art und Weise zustande gekommen ist, nämlich durch den Konvent, der nationale Parlamentarier, Europaparlamentarier, Regierungsvertreter „zusammengebunden“ hat zu einem sehr, sehr eindrucksvollen Entscheidungsprozess. Es war wohl auch kein Zufall, dass wir uns in unserem Land entschlossen haben, wenn


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auch in einer ein bisschen anderen personellen Besetzung, dieses Muster eines Dis­kussions- und Entscheidungsprozesses in Verfassungsfragen zu kopieren.

Der entscheidende Fortschritt dieses Textes dieser europäischen Verfassung sind sicher die textliche und die materielle Vereinheitlichung. Es ist in der Berichterstattung und von den bisherigen Rednern auf viele dieser Aspekte hingewiesen worden. Jawohl, der Gesetzgebungsprozess, das Zusammenwirken der Mitgliedstaaten, die Ent­scheidungsprozesse sind gestrafft, vereinfacht und vor allem durch die Ausweitung des Mehrheitsprinzips auch rationalisiert worden. Wer will, wird sich in diesem System des europäischen Verfassungsvertrages leichter zurechtfinden als in den bisherigen, ein bisschen dispersen Verträgen der Union.

Es gibt insbesondere durch die Übernahme und Verbindlichmachung der Grundrechts­charta auch einen entscheidenden inhaltlichen Fortschritt, aber es bleibt trotzdem – und darauf ist gerade angesichts mancher Debatten nicht nur in Österreich hinzu­weisen – eine Verfassung, ein Rahmen für politisches Handeln. Jede Verfassung, die ihre Aufgabe erfüllt, muss vieles, nicht gerade das und das Gegenteil davon, aber eine große Breite von Initiativen ermöglichen. Die Verfassung, die österreichische und die europäische, muss den Rahmen vorgeben, innerhalb dessen kontroverse politische Diskussionsprozesse und letztlich Entscheidungen stattfinden.

Um das ganz politisch anzusprechen: Jawohl, eine Europäische Verfassung muss eine konkrete sozialdemokratische wie eine neoliberale Politik ermöglichen. Das eine wie das andere kann und darf durch einen Verfassungsgesetzgeber nicht ausgeschlossen werden.

Ich spreche dieses Thema sehr bewusst an, weil ich weiß, dass es in anderen euro­päischen Staaten innerhalb der Linken darüber eine Debatte gibt. Es ist richtig und notwendig, auch in diesem Diskussionsprozess hier in Österreich auszusprechen, dass unserer festen Überzeugung nach jene irren, die diese Verfassung zu einem neolibe­ralen Projekt erklären, dass jene irren, die meinen, unter den Rahmenbedingungen dieser Verfassung sei nur eine bestimmte Art von Politik möglich. Nein, es wird ein Rah­men gesetzt – eine andere Politik braucht eine politische Mehrheit, eine Unterstüt­zung in der Gesamtheit und in den Mitgliedstaaten; keine Frage, dass meine Partei­freunde und ich uns darum bemühen werden –, aber es ist nichts in diesem Verfas­sungsvertrag, was eine Entwicklung zu einem sozialeren Europa, zu einer anderen Gewichtssetzung unmöglich macht und verhindert.

Sie können mir glauben, dass wir Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten einer Verfassung nicht zustimmen würden, die hier eine Blockade bestimmen würde, die uns die Erreichung des Ziels, für das wir eintreten, ein soziales Europa, unmöglich machen würde.

Die zweite Dimension, die anzusprechen ist, geht über den Verfassungstext hinaus. Herr Professor Böhm hat De Gaulles Wort vom „Europa der Vaterländer“ zitiert. Ich glaube, dass das eine Parole der Vergangenheit ist. Wenn wir weiterhin glauben, die Europäische Union als ein bloßes Staatenbündnis begreifen zu können, in dem die Vaterländer entscheiden und diese nationale Dimension nicht transzendiert wird, dann wird der europäische Prozess zum Stillstand kommen. Und wenn wir – und das gehört zu den tragischsten Erscheinungen – die Diskussion über die Union immer nur im nationalen Kontext führen, dann werden wir auch keinen Schritt weiterkommen.

Meine französischen Freunde, die ich mehrfach getroffen habe, haben in den letzten Wochen immer traurig gesagt: Jedes Mal, wenn Raffarin im Fernsehen das Wort ergreift, verliert das Ja wieder 2 Prozent. Es ist nämlich überhaupt keine Frage, dass am Sonntag dort zu einem guten Teil nicht über die Europäische Verfassung, sondern über die ganz konkrete französische Regierung abgestimmt wird.


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In Österreich haben wir erfreulicherweise eine andere Situation, sonst würde ja die Verfassung vielleicht auch ein Nein riskieren, nämlich dass wir die Diskussion so führen konnten, dass wir tatsächlich über die Europäische Verfassung abstimmen und nicht über die Bundesregierung.

Aber genau darum geht es: Wir haben es nicht zuwege gebracht, einen europäischen politischen Diskurs zu entwickeln, der von der engstirnigen Sicht: Was bewirke ich mit meiner Haltung oder meiner Stimme?, oder auch von der sehr kurzsichtigen Stellung­nahme: Was ist „gut“ – unter sechs Anführungszeichen – für mein Land?, wegkommt.

Es ist eine tendenziell falsche Sicht, Debatten so zu führen, als würden ein paar Millionen Euro, die nicht überwiesen werden oder die man doch zurückbekommt, über das Wohl und Wehe des eigenen Landes entscheiden. Umwegrentabilität, um das einmal so zu nennen, die dynamische Weiterentwicklung des europäischen Projektes bringt allen Mitgliedstaaten auf lange Sicht gesehen ungleich mehr Vorteile als das engstirnige Beharren auf scheinbar nationalen Interessen.

Weit über diesen Verfassungsvertrag hinaus wird es wohl notwendig sein – das ist auch eine Einladung –, einen europäischen politischen Diskurs zu entwickeln, der die nationale Begrenzung und auch den nationalen Egoismus durchdringt und letztlich überwindet.

Es geht nicht darum, das einzelne Vaterland – auch nicht das österreichische! – inner­halb eines europäischen Kontexts, der uns letztlich gleichgültig ist, möglichst gut zu positionieren. Es geht darum, das gemeinsame Ganze, die Union so zu entwickeln und so zu positionieren, dass sich die positiven Auswirkungen auch auf unser Vaterland auswirken.

Wenn wir selbstverständlich dieser Verfassung zustimmen, weil sie ein Schritt in die richtige Richtung ist – über Details möchte ich hier nicht diskutieren, man kann sich, von einem spezifischen politischen Standpunkt ausgehend, andere Formulierungen und andere Regelungen vorstellen, aber darum geht es nicht; es ist ein Schritt in die richtige Richtung –, dann wissen wir auch, dass dieser Schritt zwar von uns beschlos­sen werden wird, dass das aber noch nicht bedeutet, dass er auch getan ist.

Ich glaube, wir sollten unsere sehr, sehr eindeutige Mehrheitsbildung in diesem Haus und im Nationalrat unseren französischen Freunden jedweden politischen Couleurs auch ein wenig kommunizieren. Dass wir das ein paar Tage vor jenem Sonntag beschließen, ist zwar eine Frage unseres politischen Fristenlaufes, aber es ist letztlich auch eine Geste und eine Einladung an ein großes, die europäische Einigung bisher zentral mittragendes Land, sich für das große Ganze und nicht für das kleinliche Innenpolitische zu entscheiden und doch mit einem Ja zu stimmen. Denn wir alle werden darunter zu leiden haben, wenn zwar eine Mehrheit der Mitgliedstaaten – darin besteht kein Zweifel –, aber eben nicht die Gesamtheit der Mitgliedstaaten bereit ist, diesen Vertrag zu ratifizieren.

Es ist nicht so, dass die Europäische Union dazu verdammt ist, pausenlos neue Beschlüsse zu fassen. Es ist das jener Verfassungsvertrag, der im ganz klassischen Sinn den Sprung von der Quantität zur Qualität macht, eine wesentliche Veränderung des Charakters der Union nach sich zieht, und das kann man nur bejahen.

Zumindest unser Aktionsfeld, wenn schon nicht das emotionale Vaterland, ist Europa. In einem weltweiten Spiel der Kräfte kann nur diese größere gemeinsame Einheit als Faktor auftreten. Und wenn wir – bei allen Abstimmungsnotwendigkeiten zwischen uns – gemeinsame Interessen durchsetzen wollen, dann können wir das nur als Euro­päer tun.


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Daher kein taktisches Ja zu diesem Vertrag, nichts relativierend, sondern aus ganzem Herzen ein Ja zu dieser Verfassung, weil sie Europa weiterbringt, weil sie die Chance bietet, dass Europa tatsächlich zu einem weltweit agierenden Faktor wird, und das auf der Basis von demokratischen und sozialen Werten, die uns allen teuer sind. (Beifall bei der SPÖ, den Grünen und der ÖVP.)

9.52


Präsident Mag. Georg Pehm: Zum Wort gemeldet hat sich Herr Bundesrat Schen­nach. – Bitte, Herr Bundesrat.

 


9.52.02

Bundesrat Stefan Schennach (Grüne, Wien): Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrter Herr Bundeskanzler! Sehr geschätzte Frau Außenministerin! Sehr geehrter Herr Staatssekretär! Bevor ich in die Materie eingehe, nur ein Wort: Herr Präsident, namens meiner Fraktion bedanke ich mich für die Klarstellungen, die Sie gleich nach Eröffnung der heutigen Sitzung getroffen haben.

Meine Damen und Herren! Das, was uns hier vorliegt, ist das Fundament für eine Verfassung, ein Fundament, das nicht vollständig, aber in seiner Unvollständigkeit ohne Alternative ist. Dieses Fundament – 60 Jahre nach Ende des Zweiten Weltkrie­ges, nur 10 Jahre nach dem Beitritt Österreichs zur Europäischen Union, nur knapp nach der großen EU-Erweiterung zur EU der 25 und vor dem nächsten Schritt der Erweiterung – bietet Europa die Chance, das, was auf dem Fundament zu bauen ist, in einem Prozess durch die Bürgerinnen und Bürger Europas entsprechend zu gestalten.

Ja, es ist ein Wermutstropfen dabei, nämlich dass wir dieses Fundament nicht der Bevölkerung in ganz Europa, den europäischen Bürgerinnen und Bürgern in den jeweili­gen nationalen Ländern an einem Tag, also zur gleichen Zeit, im Rahmen einer Volksabstimmung vorlegen können. Dadurch würde das Fundament wesentlich gestärkt werden.

Aber da haben wahrscheinlich Ängste mitgespielt, Ängste über nationale Abstim­mungs­niederlagen beziehungsweise das Nicht-durchringen-Können dazu, dass es keine nationalen Blockade-Minderheiten geben kann, sondern nur eine gemeinsame europäische Mehrheit oder eine gemeinsame europäische Minderheit. Das wäre ein großes Ziel gewesen, das uns jedoch verwehrt geblieben ist.

Bei aller Freude, dass wir dieses Fundament und damit diesen ersten Verfassungs­schritt heute hier mit großer Mehrheit beschließen und abschließen: Sehr geschätzter Herr Bundeskanzler! Die Bundesregierung hat die Ersatzdebatte in Österreich – diese wäre zumindest zu führen gewesen – nicht erfüllt. Ich merke immer, wenn ich an Diskussionsrunden teilnehme, gerade in Diskussionen mit jungen Menschen, die Lust und das Interesse an dieser Verfassung, an dem, was drinsteht. Die öffentliche Debatte über diese Verfassung in Österreich bestreitet sozusagen Frankreich – seien wir ehrlich, die bestreitet Frankreich. In Frankreich geht der Riss durch die Parteien, durch die Familien, durch die Altersgruppen und durch die Gesellschaft.

Wäre diese Debatte in Frankreich nicht, würde dieser große Schritt 60 Jahre nach Kriegsende nahezu unbemerkt von der österreichischen Bevölkerung hier beschlossen werden.

Herr Kollege Böhm! Würden wir diese Verfassung ablehnen, der Weg zurück zu den Nizza-Verträgen wäre schrecklich und würde eine Lähmung in Europa auf Jahrzehnte hinaus bedingen. Deshalb ein Ja, aber auch aus einem ganz bestimmten Grund ein Ja: weil es nun eine Grundrechte-Gemeinschaft gibt, einen Kodex gemeinsamer Werte, weil Prinzipien wie Nachhaltigkeit, Völkerrecht und so weiter verankert sind, weil wir auch zu einer europäischen Volksgruppenpolitik kommen, sodass wir nicht mehr dieser


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Lächerlichkeit ausgesetzt sind, dass man Jahre braucht, um drei, vier zweisprachige Ortstafeln aufzustellen. Es wird nun auch eine fortschrittliche, den Menschenrechten verpflichtete europäische Volksgruppenpolitik Eingang finden.

Es ist heute das Wort „Vaterländer“ gefallen. Man sollte 60 Jahre nach dem Krieg nicht vergessen, dass es gerade die Frauen waren, die diese Republik aufgebaut haben, und dass die Bundeshymne nach wie vor auf die Erwähnung der Leistungen der Töchter verzichtet, indem sie nur an die Leistungen der Söhne erinnert. (Beifall bei den Grünen und bei Bundesräten der SPÖ.)

Es wäre ein besonderes Zeichen, Herr Bundeskanzler, wenn gerade in diesem Gedenk- und Gedankenjahr die Bundeshymne einer Modifikation unterzogen würde, nämlich in Anerkennung der Leistungen der Frauen und der Töchter dieser Republik. Genau das ist jetzt auch in den Werten der Union, nämlich die Nichtdiskriminierung, der Grundsatz der Gleichheit von Männern und Frauen, in diesem Grundrechtskatalog festgeschrieben.

Aber es gibt natürlich Mängel in dieser Verfassung. Diese Verfassung entstand in 17 Monaten, nachdem zahlreiche Regierungskonferenzen gescheitert waren.

Herr Kollege Böhm, die Mehrheit des Konvents – das ist besonders wichtig auch für die Legitimität – waren gewählte Parlamentarier und nicht Regierungsmitglieder, nicht Staats- und Regierungschefs. Damit erhöht sich die Legitimität dessen, was uns hier als Fundament angeboten wurde.

Ich sage hier ganz kritisch: Es fehlt natürlich etwas ganz Besonderes, und das ist die soziale Ordnung. Eine europäische Sozialcharta, eine soziale Grundordnung fehlt. Natürlich – und da erwarte ich mir viel vom Haus – hat ein Fundament Antworten auf Gefahren – es gibt ja Positives, aber es gibt auch sehr große Gefahren der Globalisierung – nicht parat. Diese Antworten finden wir heute nicht. Und nach wie vor sind wesentliche Aufgaben im Rahmen der Regierungszusammenarbeit zu erledigen, und nach wie vor – und hier distanziere ich mich ganz eindeutig vom Begriff der „Vaterländer“ – bleibt das nationale Veto.

Ich bin so froh, dass mit diesem Fundament ein Schritt geschafft wurde, nämlich eine Verfassung für ein erstes demokratisches supranationales Gebilde. Damit löst sich Europa endgültig von jenen Geistern, die über diesen Kontinent über Jahrhunderte infolge nationalstaatlichen Denkens Krieg, Verwüstung und Tod gebracht haben. Und deshalb ist es auch wichtig, dass das Motto, das in dieses Fundament gemeißelt wird, auch ein Symbol für die Zukunft ist: einig in der Vielfalt – einig in der Vielfalt der Regionen, einig in der Vielfalt der Kulturen. Das kommt in dieser Verfassung zum Ausdruck, wenn auch noch ungenügend.

Meine Damen und Herren! Mit diesem Fundament ist auch die Einigung Europas nicht abgeschlossen, keinesfalls. Ein geeintes Europa ohne ein gemeinsames Staatsgebilde von Brüssel bis Athen, das den gesamten Balkan, die einzige tatsächlich nach wie vor nur durch die internationale Gemeinschaft befriedete und geführte Region, nicht umfasst, ist kein einig Europa. Wir benötigen mehr denn je diese Anstrengung, damit alle Länder des Balkans, und zwar nicht in einer Perspektivenlosigkeit, die vielleicht ganze Generationen umfasst, sondern in absehbarer Zeit, also jener Balkan, der erst vor zehn Jahren durch Krieg verwüstet wurde, in dieses Friedensprojekt Europa – und es ist letztlich das herausragendste Kennzeichen, ein Friedensprojekt zu sein – hineingeführt werden und es zu jener tieferen Integration kommt, welche notwendig ist.

Meine Damen und Herren! Es wurde viel Kritik geübt, öffentlich und von ganz bestimm­ter Seite; auch Kollege Konecny hat es schon gesagt. Es ist nicht der Entwurf und nicht der Blankoscheck neoliberalen Ungeistes, es ist nicht die Aufforderung zur Aufrüstung,


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es ist nicht die totale Entmachtung regionaler Politik, und es ist vor allem kein Freibrief für grenzenlose Globalisierung – nein, im Gegenteil, es ist die Sicherung demokra­tischer Rechte, der Kontrollbefugnisse, zum Beispiel der Kontrollbefugnisse des Euro­päischen Gerichtshofes, der Stärkung des Parlamentarismus und so weiter.

Es ist aber auch ein Bekenntnis zu einer gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungs­politik. Hier sei doch noch einmal daran erinnert, dass im Vorfeld des österreichischen Beitritts festgestellt wurde, dass die österreichische Neutralität das unverwechselbare Markenzeichen Österreichs für eine gemeinsame europäische Sicherheits- und Außen­politik ist.

Herr Bundeskanzler! Würden heute hier beide Oppositionsparteien sagen, wir wollen Ihnen einen Denkzettel verpassen, dann hätten Sie heute bereits die erste europäische Blamage, nämlich keine Mehrheit für dieses Verfassungsgesetz, denn auf Grund der zwei Gegenstimmen aus den Regierungsfraktionen hätten Sie heute, würde die Oppo­sition verantwortungslos handeln, keine Mehrheit. Nützen Sie diese Situation, dass heute die Opposition ein klares, sachliches Bekenntnis zu diesem gemeinsamen Fundament ablegt, als Anstoß dazu, darüber nachzudenken, was Sie möglicherweise während der EU-Ratspräsidentschaft mit dieser instabilen Regierung, mit der Sie Österreich in die EU-Ratspräsidentschaft führen, erwartet! (Zwischenruf bei der ÖVP.) Das hat sehr wohl etwas damit zu tun, Frau Kollegin, denn es sei doch erlaubt, den Herrn Bundeskanzler darauf hinzuweisen, dass, würde die Opposition heute anders und verantwortungslos handeln, es heute bereits ein Signal an Europa gäbe, die österreichische Bundesregierung bekommt eines der wichtigsten europäischen Projekte nicht durch. (Zwischenruf des Bundesrates Mag. Himmer.)

Sie können sich in diesem Fall auf die klare und eindeutige Politik der Opposition im Gegensatz zur unklaren und diffusen Politik Ihres Regierungspartners verlassen. (Beifall bei den Grünen und der SPÖ.)

10.06

 


Präsident Mag. Georg Pehm: Zum Wort gemeldet hat sich Herr Bundeskanzler Dr. Wolfgang Schüssel. – Bitte, Herr Bundeskanzler.

 


10.06.04

Bundeskanzler Dr. Wolfgang Schüssel: Hohes Haus! Zunächst herzlichen Dank für die Gnade, dass Sie dem zustimmen, was der Nationalrat fast einstimmig genehmigt hat, die Regierung einstimmig beschlossen hat, woran der Konvent mitgewirkt hat und worin alle Fraktionen mit eingebunden waren. Wir hatten sogar ein eigenes „Feuer­wehr-Komitee“, das jeden einzelnen Regierungs- und Verhandlungsschritt kontrolliert und begutachtet hat. Ich bin wirklich dankbar, Herr Bundesrat Schennach, dass Sie jetzt das mittragen, was Ihr Fraktionskollege Voggenhuber als ein leuchtendes Beispiel europäischen Handelns begrüßt hat. Heute ist wirklich ein positiver Tag. Ich freue mich sehr, dass um 10.06 Uhr diese großartige Meldung durchgekommen ist. (Beifall bei der ÖVP.)

Zweiter Punkt: Sie wissen natürlich genau, dass wir für eine Verfassungsänderung und für einen verfassungsändernden Staatsvertrag eine Zweidrittelmehrheit brauchen. Daher kommt es nicht auf einen an, sondern es braucht dazu wirklich eine satte Ver­fassungsmehrheit, so wie auch die seinerzeitige Beschlussfassung über das Ermäch­tigungsgesetz, das im Nationalrat sogar einstimmig und hier mit größtmöglicher Mehr­heit beschlossen wurde, eine solche gebraucht hat.

Etwas möchte ich schon zurechtrücken, weil ich es ein wenig seltsam finde, dass gerade im Parlament – und der Bundesrat ist die zweite Kammer des Parlaments – eine ganz merkwürdige Unterscheidung gemacht wird, nämlich: Der Konvent ist gut,


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denn dort haben Parlamentarier mitgewirkt, aber die öffentliche Debatte haben Parla­mentarier offensichtlich nicht mehr mit zu tragen, sondern dies ist ausschließlich Sache und Verantwortung der Regierung.

Also bitte, mit Verlaub, ich darf an Folgendes erinnern: Wir haben vor Beginn des Konvents eine Expertenrunde gemacht. Dort sind übrigens einige interessante Ideen geboren worden, die dann von Österreich in den Konvent und schließlich sogar in den Text eingebracht wurden. So ist etwa die Idee zur Einführung des Klagsrechts der einzelnen Bürger beim Europäischen Gerichtshof, sofern sie direkt von einer euro­päischen Entscheidung durch ein EU-Organ betroffen sind, bei einer solchen öffentlichen Anhörung von Experten entstanden.

Wir haben mehrere öffentliche Veranstaltungen mit jungen Leuten abgehalten. Die Medien haben mitgespielt. Wir hatten sechs oder sieben öffentliche Debatten im EU-Hauptausschuss, wir haben im Nationalrat und im Bundesrat öffentlich darüber debattiert, und wir haben gerade im letzten Monat jedem Haushalt die Eckpunkte dieser europäischen Verfassung zugemittelt. Die Außenministerin und ich haben das veranlasst. Wir haben derzeit 10 000 Exemplare dieser Verfassung abgesetzt; auf Anfrage bekommt jeder österreichische Bürger diese Verfassung zugeschickt.

Ich kann nicht verstehen, warum man jetzt sehnsüchtig nach Frankreich blickt. Haben Sie wirklich das Gefühl, dass das die große europäische Debatte ist, die wir alle haben wollen? – Ich glaube nicht, denn da wird einerseits darüber debattiert, ob der Premierminister gehen soll oder ob die sozialdemokratische Opposition gespalten ist. (Bundesrat Gruber: Das ist ein Missverständnis!) – Nein, ich weiß das schon, aber es ist ja bewusst in den Medien in Frankreich so diskutiert worden. In Irland wird beispielsweise darüber geredet, ob nicht die Abtreibung durch die Hintertür über die Verfassung eingeführt werden soll. Manche fürchten sich vor einem neoliberalen Europa. Da kommen natürlich auch manche Geister, die man gerufen hat, jetzt durch die Hintertür zurück.

Für mich ist Europa niemals ein neoliberales Projekt gewesen, sondern zuallererst ein Friedenprojekt, dann ein soziales und auch ein wirtschaftlich leistungsstarkes Projekt, weil dort die soziale Marktwirtschaft, Copyright Europäische Union, verwirklicht ist wie nirgendwo sonst auf der Welt. Das, so glaube ich, sind die Punkte, die letztlich auch den Charme und die Bedeutung dieser europäischen Verfassung ausmachen. Des­wegen sind wir in Österreich mit überwältigender Mehrheit dafür, meine Damen und Herren. (Beifall bei der ÖVP und bei Bundesräten der Freiheitlichen.)

Noch ein Punkt: Herr Bundesrat! Sie haben gemeint, wir sollen die Bundeshymne ändern. Ich bin prinzipiell dagegen, dass man Dichterworte nachträglich ändert, weil es eben gerade passt. Paula von Preradović ist eine große österreichische Dichterin. Bleiben wir also dabei! Warum gerade ein grüner Abgeordneter jetzt „das Schöne“ aufgeben will, weil sich zufällig die „Söhne“ darauf reimen, verstehe ich nicht. Ich glaube, um das Schöne beizubehalten, nehmen wir auch die Söhne in Kauf und denken letztendlich dabei mit, dass diese Formulierung eigentlich alle Kinder Öster­reichs betrifft. (Beifall bei der ÖVP und den Freiheitlichen.)

Einige Punkte sind mir wichtig, darauf möchte ich sehr deutlich eingehen.

Herr Bundesrat Böhm! Sie wissen, dass ich Sie sehr schätze, als Rechtslehrer, als Politiker, als ruhigen, besonnenen Debattenredner hier im Hohen Haus. Ich muss Ihnen aber ganz offen widersprechen, Ihre Analyse ist meiner subjektiven Einschät­zung nach ganz einfach nicht richtig.

Sie sagen, dass durch diese neue Verfassung eine Gesamtänderung der österreichi­schen Verfassung bewirkt wird. Dann frage ich präzise: Wodurch? Ehrlich gesagt, mir


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gefällt auch der Begriff „Europa der Vaterländer“ nicht. Das ist wirklich de Gaulle, 40 Jahre oder 35 Jahre her, da gibt es modernere Vokabel. Aber ich weiß, was Sie meinen.

Die Herren der Verträge, die Herren der wichtigsten Entscheidungen oder die Frauen, die Mütter, sind nach wie vor die Mitgliedstaaten. Wenn es um die Frage einer neuen Verfassung, einer Verfassungsänderung geht, um die Frage der Erweiterung, um die Frage der Finanzen, um die wichtigsten Fragen etwa in der Außenpolitik oder in der Verteidigungspolitik: alles einstimmig, alles Sache der Mitgliedstaaten.

Das ist übrigens einer der großen Vorwürfe von glühenden Europäern, die sagen: An dieser Verfassung ist zu kritisieren, dass sie nicht weit genug geht, dass sie eben nicht in allen Bereichen Mehrstimmigkeit vorsieht, was ich gar nicht will. Ich glaube, dass es nach wie vor bestimmte Bereiche geben muss, wo es Einstimmigkeit braucht, etwa in Fragen der Weiterentwicklung der Verträge, Finanzen, auch Verteidigungsfragen. Da bin ich hundertprozentig dieser Meinung. Aber es gibt manche, die sagen, diese Verfassung sei deswegen nicht das Gelbe vom Ei, weil sie die Mitgliedstaaten, den Rat zu stark mache.

Sie meinen, der Vorrang des europäischen Rechts sei neu. – Bitte, Herr Professor, das können Sie nicht ernstlich behaupten. Als wir der Europäischen Union beigetreten sind, hat jeder in Österreich, der sich irgendwie mit der Frage der Europäischen Union beschäftigt hat, gewusst, wir treten einer Wirtschaftsgemeinschaft bei, die ein Gemein­schaftsrecht hat. Grundprinzip ist, dass dieser Wirtschaftsraum nur dann funktioniert, wenn es gleiche Spielregeln gibt. Das muss der Europäische Gerichtshof überwachen und daher gilt das Supremat, der Vorrang, vor dem nationalen Recht und vor der nationalen Rechtsprechung. Das haben wir gewusst und das haben wir auch gesagt.

Manche haben das auch kritisiert. Die haben gesagt: Deswegen wollen wir nicht in die Europäische Union. Das respektiere ich, das ist eine klare Position. Aber wenn Sie jetzt sagen, weil wir das, was gelebtes Recht ist seit Anbeginn der Wirtschaftsgemeinschaft und seit dieser Binnenmarkt entstanden ist, hineinschreiben, deswegen sei das eine Gesamtänderung der Verfassung, dann muss ich dem entgegenhalten, Herr Bundesrat und Herr Professor, das stimmt ganz einfach nicht. Da wird etwas Selbstverständliches hineingeschrieben. Das hat auch der Präsident des Verfassungsgerichtshofes Karl Korinek öffentlich bestätigt. Das ist keinerlei qualitative Weiterentwicklung. Das hat keine zusätzliche Bedeutung für uns. Es ist aber ein wichtiger Grundbestandteil, damit die Europäische Union überhaupt funktionieren kann. Das kann es also nicht sein!

Der zweite Vorwurf, der immer wieder erhoben wird, wenngleich nicht in diesem Haus: Wir geben damit die Neutralität auf. – Da ist jahrelang formuliert worden, da ist doch jahrelang nach Formeln, Kompromissen gesucht worden, die letztlich auch Eingang gefunden haben. Wir wollen zwar eine europäische Verteidigungs- und Sicherheits­politik, aber trotzdem soll der nationale Charakter der Sicherheitspolitik nicht berührt werden.

NATO-Mitglieder bleiben NATO-Mitglieder, wenn sie das wollen. Andere, die beitreten wollen, können dies tun. Allianzfreie, neutrale Staaten, wie die Iren, die Schweden, die Finnen, die Österreicher, können ihren Weg weiterhin gehen. Wir haben dazu auch die Verfassung geändert, damit wir an europäischen Aktionen teilnehmen können, die durchaus auch Kampfeinsätze sein können – allerdings immer basierend auf der UNO-Charta, auf den Grundprinzipien, die uns, so glaube ich, allen selbstverständlich sind. Da ist nichts, was zusätzlich eine Abschwächung unseres gemeinsamen Konsenses bedeutet. Deswegen kann dieser Punkt keine Gesamtänderung der Verfassung sein.

Jetzt sage ich Ihnen auch ganz offen dazu: Man kann natürlich die Position vertreten, dass man über eine solche Frage in jedem Fall eine Volksabstimmung machen sollte,


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aus politischen Gründen. Ich bin anderer Meinung. Die österreichische Bundes­verfassung ist durch die gewählten Abgeordneten beschlossen worden. Sie wurde keiner Volksabstimmung unterzogen. Sie ist deswegen aber nicht weniger wert.

Und, meine Damen und Herren, ich warne davor, dass ausgerechnet im Hohen Haus Entscheidungen der gewählten demokratischen Volksvertreter quasi abgewertet wer­den, weil nicht zusätzlich noch eine Volksabstimmung oder Volksbefragung statt­findet. Dagegen wehre ich mich! Für mich ist das der erste Schritt, mit dem man dann möglicherweise Beschlüsse in anderen Bereichen abwertet und damit die gewählte Volksvertretung auf eine mindere Stufe stellt, und das will ich nicht. (Beifall bei der ÖVP.)

Wir haben uns als Regierung dazu bekannt. Man kann das, wie ich meine, auch parteiübergreifend sagen – es gab einstimmige Entschließungsanträge, ich weiß nicht, ob im Bundesrat, jedenfalls aber im Nationalrat –, dass wir gemeinsam eine euro­päische Volksabstimmung oder Volksbefragung vorschlagen, und zwar nicht aus juris­tischen Gründen, sondern aus einem ganz anderen Grund.

Wenn sich Europa zum ersten Mal einen Verfassungsvertrag gibt, das erste gemein­same Projekt dieser 25, dann ist das letztlich ein so bedeutsamer Schritt, eine so interessante Erneuerung, dass man das, auch um ein Europabewusstsein, ein Gemein­schaftsbewusstsein der 470 Millionen europäischen Bürger zu erreichen, einem Referendum unterziehen sollte.

Ich selbst habe mit Lamberto Dini, dem italienischen Außenminister, im Jahr 1996 be­reits einen solchen Vorstoß gemacht. Wir haben damals drei Dinge vorgeschlagen, die heute fast prophetisch zu sein scheinen.

Das Erste war die Schaffung einer europäischen Volksinitiative, eines Volksbegeh­rens – das ist jetzt in der neuen Verfassung drinnen –, das Zweite die Möglichkeit eines europäischen Referendums und das Dritte eine Art Monitoring-Mechanismus, der die Sanktionen quasi überflüssig gemacht hätte. Hätten wir diese drei Dinge verwirklicht, Europa stünde sicherlich besser da.

Kein Mensch hat damals auf uns gehört. Ich glaube, wir haben damals durchaus manches geahnt, was gerade heute viele europäische Bürger auch wollen, fühlen und wofür wir Österreicher – und dafür brauchen wir uns nicht zu genieren – etwas früher eingetreten sind.

Für eine solche europaweite Abstimmung wäre ich jederzeit zu haben gewesen. Wir haben das im Europäischen Rat dreimal vorgeschlagen. Das, was jetzt stattfindet, ist die schlechteste Variante: ein Fleckerlteppich von neun individuellen Referenden bei insgesamt 25 Ratifikationen durch die Parlamente, 26 mit dem Europäischen Parlament, und de facto eineinhalb bis fast zwei Jahre Standstill, weil jeder mit Argusaugen oder mit schreckgeweiteten Augen auf das nächste Referendum blickt. Keiner traut sich jetzt irgendeine Entscheidung zu treffen, alles bleibt in der Schublade. Gut für Europa ist das nicht!

Noch einmal: Herr Professor, wenn Sie dieser Meinung gewesen wären, hätten Sie das eigentlich im März sagen müssen. Das ist aber nicht der Fall gewesen, aus guten Gründen: Weil wir uns auf diese europaweite Linie festgelegt haben. Und dieser Vertrag – nehmen Sie es, wie Sie wollen – ist mit Sicherheit eine Weiterentwicklung von Nizza, ein besserer Vertrag, aber ganz sicher keine Gesamtänderung der öster­reichischen Bundesverfassung. Kein einziger Punkt davon! Es sind Weiterentwick­lungen. Deswegen brauchen wir selbstverständlich auch eine Verfassungsmehrheit und deswegen laden wird selbstverständlich auch dazu ein, dass wir diesen Weg, so wie auch in der Vergangenheit, gemeinsam gehen.


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Und ich bitte Sie wirklich herzlich: Überlegen Sie es sich noch einmal! Ehrlich gesagt, mir ist die Zustimmung jedes Einzelnen hier im Hause wichtig. Wir hatten im Nationalrat bisher die breiteste Zustimmung von allen europäischen Ländern. Natürlich ist es jetzt nicht bedeutsam, ob einer oder zwei vielleicht dagegen stimmen, aber als Signal, auch als österreichisches Signal hinaus nach Europa halte ich das für unerhört wichtig. Deswegen werbe ich um die Stimme jedes Einzelnen, weiß mich auch durchaus im Konsens und habe ein gutes Gefühl dabei, dass wir in der Information aller Fraktionen, in der Einbindung beider Kammern, in der Einbindung der Bundesländer weit gekommen sind.

Es hat ja einen Grund, warum etwa gestern der Präsident des Ausschusses der Regionen Straub öffentlich gesagt hat, dass der Ausschuss der Regionen diesen neuen Verfassungsvertrag ausdrücklich begrüßt, weil eine Subsidiaritätsbremse drin­nen ist, weil darin die nationalen Parlamente gestärkt werden.

Wir haben besprochen, ob man nicht unter Umständen während der österreichischen Präsidentschaft erstmals sogar einen interinstitutionellen Kontakt herstellt, weil das durch diese Verfassung erstmals ermöglicht wird.

Es hat einen Grund, wenn die europäischen Gewerkschaften zustimmen: Weil die Vollbeschäftigung im Zielkatalog verankert ist, weil viele soziale Regeln – Kampf gegen die Ausgrenzung, Integration – in diesem Verfassungsvertrag drinnen sind. Ich glaube daher, das österreichische Parlament, der Nationalrat und heute der Bundesrat, kann mit gutem Gewissen dieser Weiterentwicklung zu einem europäischen Verfassungs­recht zustimmen.

Ich lade Sie wirklich dazu ein. Denn es wird überall beachtet werden, wenn wir jetzt, wenige Tage vor den Referenden in Holland und in Frankreich, eine solche Entschei­dung treffen. Das ist, so glaube ich, ein ermutigendes Signal, und ich ersuche Sie darum. (Beifall bei der ÖVP und bei Bundesräten der Freiheitlichen.)

10.20


Präsident Mag. Georg Pehm: Zu einer tatsächlichen Berichtigung hat sich Herr Bundesrat Professor Böhm zu Wort gemeldet. Ich möchte Sie darauf hinweisen, Herr Bundesrat, dass eine tatsächliche Berichtigung die Dauer von 5 Minuten nicht über­schreiten darf. Sie hat sich überdies auf die Wiedergabe der zu berichtigenden Behauptung und die Darstellung des zu berichtigenden Sachverhaltes zu beschrän­ken. – Bitte, Herr Bundesrat.

 


10.21.15

Bundesrat Dr. Peter Böhm (Freiheitliche, Wien): Herr Präsident! Sehr verehrter Herr Bundeskanzler! Zunächst wollte ich mich für den Ausdruck Ihrer Wertschätzung sehr herzlich bedanken und das natürlich in höchstem Maße erwidern. Ich stimme auch weitestgehend mit Ihren Ausführungen überein.

Wenn ich mich zu einer tatsächlichen Berichtigung gemeldet habe, so beruht das auf folgenden Gründen: Zur Neutralität habe ich überhaupt nicht Stellung genommen. Das war für mich kein Anlass, hier eine Gesamtänderung anzunehmen.

Es ist auch nicht richtig, dass ich mich schon im März hätte äußern müssen. Ich habe es getan. Ich habe ausdrücklich gesagt, dass ich dem Verfassungs­ermächtigungs­gesetz explizit zugestimmt habe, weil ich eben inhaltlich nicht gegen diese Verfassung bin. Ich habe aber damals bereits angemerkt, dass ich persönlich – und ich bin damit nicht allein, es sind ja einige renommierte Verfassungsrechtler, die mir ideologisch gar nicht besonders nahe stehen, der gleichen Meinung – darin eine Gesamtänderung erblicke. Daher habe ich gemeint, es hätte schon das Verfassungsgesetz dann einem nachfolgenden Referendum unterzogen werden sollen.


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Was ich aber jedenfalls berichtigen muss, ist der Hinweis, ich hätte im bloßen generellen Anwendungsvorrang des Europarechts die Gesamtänderung erblickt. Ich habe ausdrücklich darauf hingewiesen, dass der Anwendungsvorrang des Gemein­schaftsrechts stets Stand war, bereits zum Zeitpunkt unseres Beitritts, und dass wir das gewusst haben, zumindest die Informierten.

Ich sagte nur, dass die herrschende Verfassungslehre trotzdem der Meinung war, dass es ungeachtet der Modifikationen durch das vorrangige Gemeinschaftsrecht, die auch bis in unsere Verfassung hinein reichen, noch immer einen integrationsfesten Wesenskern unserer Verfassung gebe, und sollte dieser nochmals modifiziert werden, müsse das erneut einer Volksabstimmung unterzogen werden.

Nun gebe ich zu, das ist ein unbestimmter Rechtsbegriff, das ist eine politische und verfassungsdogmatische Wertungsfrage, ob ein solcher neuerlicher Quantensprung, eine solche neuerliche Änderung der Dimension eingetreten ist. Ich persönlich bin dieser Meinung.

Ich möchte es noch einmal betonen: Nichts gegen die EU-Verfassung als solche – diese begrüße ich inhaltlich, und so, bitte, wäre mein Votum nicht zu verstehen –, aber ich bin nach wie vor der Meinung, es ist ein neuerlicher Qualitäts- und Quantensprung eingetreten, der eine obligatorische Volksabstimmung erfordert. Ausschließlich das ist der Grund meiner Ablehnung. Ich habe in inhaltlicher Hinsicht überhaupt nichts gegen diese Verfassung, und ich stimme Ihnen auch ausdrücklich zu, dass ich eine europaweite, einheitliche Volksabstimmung vorgezogen hätte. – Danke. (Beifall bei Bundesräten der Freiheitlichen.)

10.24


Präsident Mag. Georg Pehm: Zu Wort gemeldet hat sich Herr Bundesrat Mag. Gude­nus. – Bitte, Herr Bundesrat.

 


10.24.54

Bundesrat Mag. John Gudenus (Freiheitliche, Wien): Kolleginnen und Kollegen! Herr Bundeskanzler! Frau Bundesministerin! Herr Staatssekretär! Gestatten Sie mir als einem der wenigen Kontraredner einige vielleicht auch überzeichnete Überlegungen zur Ablehnung dieser vorgelegten Verfassung; es ist ja ein dickes Buch.

Einleitend zwei Zitate. Das eine stammt vom Deutschen Wilhelm Röpke, dem großen liberalen Ökonomen, der gegen die Nazis kämpfte. Röpke schrieb: „Europa zu zentralisieren und es zu einem Block zu verschmelzen, wäre nichts anderes als ein Verrat an Europa und dem europäischen Erbe – ein Verrat, der dadurch nur noch verschlimmert würde, dass er im Namen Europas ausgeführt würde.“ Dieser Verrat findet meines Erachtens jetzt leider statt.

Das zweite Zitat. Ein gebildeter Mann wie der Historiker und Diplomat Salvador de Madriaga meinte noch 1958 in der „Neuen Zürcher Zeitung“, Wien müsse zur neuen Hauptstadt des neuen Europas gemacht werden, das er mit Prophetenblick schon vereint sah. – Diese Überlegung findet leider nicht statt.

Der vorliegende Vertrag greift tief in die nationalen Verfassungen ein und beraubt sie ihrer Autonomie. Obwohl damit ein Grundpfeiler der Demokratie angetastet wird, erhal­ten nicht alle Bürger das Recht, über ihre staatliche Zukunft direkt abzustimmen. – Auch die österreichische Bevölkerung nicht, obwohl 52 Prozent der Befragten ange­ben, dass sie es gerne hätten, wenn eine Volksabstimmung stattfände.

Staatsspitzenpolitiker meinen aber, eine Volksabstimmung über die Europäische Ver­fassung würde Populisten eine Bühnen bieten. Umso demokratisch erfrischender wirkt da die Initiative des Deutschen CSU-Bundestagsabgeordneten Peter Gauweiler. Gauweiler stützt sich auf die Rechtsanalyse des Erlangener Staatsrechtprofessors und


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langjährigen EU-Kritikers Karl Schachtschneider, der den EU-Verfassungsvertrag in der vorliegenden Form als nicht mit dem Deutschen Grundgesetz vereinbar sieht.

Ich sehe diesen Verfassungsvertrag nicht in Einklang mit unserer Bundesverfassung, ebenso wie Professor Mayer und weitere Universitätsprofessoren, aber unter anderem auch Heinz-Christian Strache von der FPÖ-Wien und auch ein Landeshauptmann in Österreich.

Es ist für viele kein Nein zu Europa, sondern ein Nein zu jenem allzu selbstver­ständ­lichen Ja, von dem die Europapolitiker ausgehen. Das von oben herab gewollte Europa, eine gut gemeinte Simulation einer Elite, muss ab und zu plebiszitär auf die Realitätsebene der Völker hinunter projiziert werden. Statt vom Staatsbürger und Volk hinauf in die politischen Instanzen führt der Weg von oben mit rhetorischen Fragen immer öfter hinab. Europa ist nur eine Episode jener Tendenz kollektiven Souveräni­tätsverlustes, der die Völker zu Statisten des ritualhaften Ja-Sagens und den Staats­bürger zur Geisel des Machtspiels macht. Das ist eine demokratische Form des Staatsterrorismus. Ich kann es nicht anders bezeichnen.

Allein schon die Präambel zu diesem Verfassungsvertrag ließe sich langatmig philo­sophisch abhandeln. Aber das will ich heute hier nicht tun. Schon ihr erster Absatz beginnt mit allgemeinen Floskeln. Da heißt es: „Schöpfend aus dem kulturellen, religiösen und humanistischen Erbe Europas, aus dem sich die unverletzlichen und unveräußerlichen Rechte der Menschen sowie Freiheit, Demokratie, Gleichheit und Rechtsstaatlichkeit als universelle Werte entwickelt haben“ ... – Warum nennt man es nicht beim Namen, worum es hier konkret geht? Warum sagt man nicht: Schöpfend aus dem kulturellen Erbe Europas, der Antike und dem Humanismus des Christen­tums, der im Laufe der Geschichte zu den Grundsätzen von Freiheit, Demokratie, Gleichheit und Rechtsstaatlichkeit führte?

Man wird vielleicht einwenden, dass sich heute die Menschen vom Christentum und damit von der Gottesliebe entfernt haben. Aber man sollte dann wenigstens der Wahrheit die Ehre geben und sagen, dass es das Christentum war, in dem der moderne Humanismus seine historischen Wurzeln hat, womit man zugleich zum Nachdenken darüber anregt, ob es weise war, dies verdrängen zu wollen, anstatt sich damit auseinander zu setzen.

Wie viele Widersprüche gibt es zu diesem Europa, zur EU, zur Verfassung? Wie viele Minister und Abgeordnete haben diese Verfassung auch wirklich gelesen? Wer bislang zustimmte, tat dies meist aus parteipolitischer Raison oder aus pragmatischen Überlegungen. Ich will niemandem absprechen, dass der eine oder andere diese Verfassung auch wirklich gelesen hat, aber ich gebe zu, es ist eine Aufgabe – eine harte Aufgabe! –, diese Verfassung zu lesen. (Vizepräsident Weiss übernimmt den Vorsitz.)

Manche meinen, ein Nein in Frankreich oder anderswo hätte zur Folge, dass die EU mit dem missratenen Vertragswerk von Nizza weiterwursteln müsse. – Eine zwar zu­tref­fende, aber angesichts des voluminösen und kaum lesbaren neuen Vertragswerkes nicht besonders überzeugende Begründung.

Wie bei den vorangegangenen Änderungen des heutigen EG-Vertrages fand eine intensive Diskussion über die Finalität der EU nicht statt – und es ist das auch mit dem neuen Vertrag offen. Erst im Juni oder Juli dieses Jahres will Nationalratspräsident Khol Europa gewidmete Sitzungen im Nationalrat abhalten. – Danke vielmals, Herr Präsident! Etwas spät, muss ich aber sagen.

Manche, nein: viele, üben Kritik an Zentralisierung und Überregulierung. Und das ist durchaus berechtigt. Brüssel gilt zunehmend als Synonym für andere Angstvokabel wie


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„Neoliberalismus“, „Sozialdumping“ oder „Globalisierung“. Daher scheint es nur folge­richtig zu sein, den Kern der europäischen Integration, den Binnenmarkt, anzugreifen.

Ich sehe schon die nächsten aus Brüssel kommenden Übel: die Diskussion über die Beitragserhöhung, die uns als Steuerzahler wirklich treffen wird, die Verdoppelung der Entwicklungshilfe, die Dienstleistungsrichtlinie als mögliche Quelle für Sozialdumping, die Verpflichtung zu vermehrten militärischen Anstrengungen. – In diesem Punkt wider­spreche ich dem Herrn Bundeskanzler, der das ja eigentlich eher ausgeschlossen hat und auf die Neutralität unseres Landes – ich weiß nicht, auf welche – hinweist.

Es erstaunt, dass, was die internationalen Beziehungen betrifft, die Erwähnung der NATO im Verfassungstext drinnen ist. Seit wann muss die Zugehörigkeit zu einem Bündnis in einem Grundgesetz festgeschrieben sein?! Wo bleibt da wirklich die Neu­tralität, Herr Bundeskanzler und verehrte Kollegen, die so sehr meinen, dass die Neutralität bei uns gut aufgehoben sei?!

Diese Verfassung stellt eine Ermächtigung für Brüssel, für die dortige Verwaltung dar. Die Europäische Verfassung droht, aus diesem Europa eine Despotie zu machen. Jede Verfassung – so auch die der EU, die jetzt zur Ratifikation ansteht – begründet eine neue Staatlichkeit. Die EU lässt sich sozusagen zum Superstaat krönen und schickt sich an, ihre Mitglieder zu „Protektoraten“ zu degradieren, auch ohne Truppen­einmarsch. Ein Uralt-Traum der Berufseuropäer erfüllt sich, falls die betroffenen Nationen mitspielen und dieser Rechtsgrundlage sowie ihrer fortschreitenden Entstaat­lichung zustimmen.

Was ist daran so verwerflich?, könnte man fragen. – Erstens das Verfahren und zweitens – und noch fataler – die bereits heute absehbaren Folgen. So war es mit den gescheiterten Reichsverfassungen 1848, 1920 und 1929. Das Volk hatte sie hinzunehmen; Mitreden oder gar Ablehnung stand nicht auf der Tagesordnung. – Einer solchen Meinung ist auch heute hier Herr Bundeskanzler Dr. Schüssel gewesen. Ich bedauere es, das hier feststellen zu müssen.

Viele unserer jetzigen Volksvertreter halten es mit den Vorgängen aus monarchischen und paternalistischen Zeiten: Auch sie glauben, besser zu wissen, was dem Souverän gut tut – und er daher wollen sollte.

Die vom Volk mit der Wahrnehmung seiner Interessen Beauftragten plagen offen­sichtlich keine Zweifel an ihrer Allwissenheit. Warum da also noch das Volk oder Sachverständige zu fragen? So etwas verbreitet doch nur Unruhe und Verwirrung!

Der europäische Superstaat, der mit jeder neuen Kompetenzverlagerung auf die Organe der EU entsteht, zerstört unten in jedem Mitgliedstaat ein Stück gewachsener und gelebter Demokratie, das er oben, auf seiner Ebene, nicht wieder herstellen kann! Seine höchsten Organe – der EU-Ministerrat und die Kommission in Brüssel – sind Exekutive und Legislative in einem, das Europäische Parlament ist eine Parteien­vertreterversammlung ohne gesetzgeberische Kompetenz und ohne ausreichende Kontrollfunktion politischen Hauptakteuren gegenüber!

Auch da muss ich dem Herrn Bundeskanzler widersprechen, der ja geradezu so tut, als ob die Brüsseler Einrichtungen eigentlich eine Übersteigerung beziehungsweise Ver­vollständigung der Demokratie in Europa darstellen würden. Dieses Europa garantiert keines der beiden zentralen Verfassungsgebote, an denen Immanuel Kant in seinem Traktat zum „Zum ewigen Frieden“ den wahren Unterschied zwischen einer reinen Republik und einer Despotie ausmacht: Erstens die unverhandelbaren Freiheitsrechte der Bürger gegenüber dem Staat – das ist sehr wichtig! – und zweitens die unabdingbare Gewaltenteilung, die den Bürger vor Übergriffen schützt. Wo immer Gesetzgeber, Regierung und Richter nicht mehr getrennt sind – wie das eben jetzt in


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Europa der Fall ist –, kann, so Kant in seiner Rechtslehre, keine rechtsmäßige Verfas­sung entstehen.

Der mächtigste Verbündete dieses Europa sind big business und Hochfinanz. Dieses monetär subventionierte und egalisierte Währungseuropa bietet den standortbeweg­lichen Großkonzernen und Finanzinvestoren weit größere Globalisierungsvorteile als der große Weltmarkt mit seinen nach wie vor drohenden Währungs- und Finanzrisiken.

Diesbezüglich anerkenne ich – da zu Recht geäußert – die Bedenken mancher Kirchen­vertreter sowie vieler Sozialpolitiker, aber auch die Bedenken manch anderer. Und ich erwähne in diesem Zusammenhang Heinz-Christian Strache, aber auch viele sozialdemokratische Politiker sowohl in Deutschland als auch in Österreich. Das große Kapital wandert mit Produktions- und Arbeitsplätzen aus, während der an den Standort Österreich gebundene Mittelstand – der ohnehin schon ausgezehrte Mittelstand! – die Zeche der sich eintrübenden Konjunkturaussichten zahlt.

Der Mittelstand kann nicht auswandern, verliert aber fortwährend Nachfrage, Kund­schaft und Wettbewerbsvorteile. Österreich wird für seine noch immer hohe Produk­tivität gestraft und kann – wegen der Billigkonkurrenz armer EU-Länder – seinen hart erarbeiteten hohen Lebens- und Sozialstandard nicht mehr aufrecht­erhalten. Gleich­zeitig wandern, angelockt vom doch noch beträchtlichen Wohlstand bei uns, billige Arbeitskräfte aus den neuen Niedriglohnländern der östlichen EU-Peripherie ein.

Der Arbeitsmarkt, das sensibelste aller Konjunkturbarometer, zeigt unmissverständlich an, wie es um die Zukunft bestellt ist. – Sehr, sehr düster.

Wann endlich wird Politikern – wie das alle Mittelständler wissen – klar sein, dass dieses Europa die marktwirtschaftlichen Gesetze auf den Kopf stellt und der Markt­wirtschaft jegliche soziale Dimension nimmt?! Dem Volk werden Wohlstandsopfer abverlangt, die weder nötig noch zu verantworten sind.

Europas Völker haben nicht Demokratie, Rechts- und Sozialstaat erkämpft, um sie in einem Superstaat der Bürokraten und Krisen zu verlieren!

Dieser Verfassungsvertrag wird einen europäischen Bundesstaat schaffen und die existentielle Eigenstaatlichkeit Österreichs weitgehend einschränken.

Daher: Einen solchen Schritt kann nur das Volk selbst gehen! Deshalb ist die Lesung eines Gesetzes, mit dem einem solchen Vertrag zugestimmt wird, verfassungs- und, wie ich meine, auch staatswidrig.

Ich möchte noch auf einen signifikanten Aspekt hinweisen, und zwar auf die Sprache dieses Vertragswerkes. Bisher haben die Verträge die Sprache des Völkerrechts benützt, jene Sprache also, in der Staaten miteinander verkehren. – Dieser Verfas­sungsvertrag hingegen spricht die Sprache des Staatsrechts, also die Sprache, in der ein Staat sozusagen verfasst wird.

Es geht folglich nicht mehr um den Verbund von Staaten, sondern um eine Integration zu einem Staat, Kollegen und Kolleginnen! Mit diesem gesamten Vertrag und den, ebenfalls verbindlichen, Nebentexten – Protokollen, Erklärungen und so weiter – geht man den Schritt über den Rubikon vom europäischen Staatenverbund hin zum euro­päischen Bundesstaat.

Der Vertragstext regelt die Organisation des Bundesstaates. Er beschreibt typisch bundesstaatliche Zuständigkeiten, nämlich ausschließlich Zuständigkeiten für die Währungsunion und die Handelspolitik sowie geteilte Zuständigkeiten für fast alle Bereiche des Lebens, insbesondere den Binnenmarkt; ebenso die Sozial-, die Wirtschafts-, die Umweltpolitik, den Verbraucherschutz, die Verkehrs- und


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Energiepolitik, insbesondere auch die Justiz- und Polizeipolitik, nämlich den Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts.

Das heißt nicht, dass die bisherigen Nationalstaaten, also die Mitgliedstaaten, zuguns­ten der Union verschwinden, aber diese werden in ihrer existentiellen Staatsfunktion, welche nicht von den Völkern getrennt werden darf, wesentlich beschnitten.

Doch nach unserer Verfassung geht alle Staatsgewalt vom Volke aus. Wann wird das österreichische Staatsvolk gefragt? Wo sind die zwanzig Bundesräte, die es erzwingen könnten, dass das österreichische Staatsvolk gefragt würde?

Nach Artikel IV-445 des Verfassungsvertrages können darüber hinaus auch durch Beschlüsse des Europäischen Rates, also durch die Staats- und Regierungschefs in Verbindung mit den Präsidenten des Rates und der Kommission, die Vertragsbestim­mungen über die Wirtschaft einschließlich der Währungsunion, aber auch die für Polizei und Justiz verändert werden, ohne dass darüber noch die nationalen Parla­mente oder gar die Völker abzustimmen hätten. Man will dafür weder das umständliche Konventsverfahren durchführen noch die Parlamente und schon gar nicht die Völker befragen. Diese Kompetenz-Kompetenz ist verfassungsrechtlich nicht hinnehmbar! Die Völker verlieren ihre Hoheit weitestgehend an die EU-Bürokratie.

Ich erkenne in dieser so genannten EU-Verfassung ein radikales Abgehen von jenem Europa, welches die großartigen Gründerväter der Zweiten Republik 1945 und besonders 1955 anlässlich des Staatsvertrages vor Augen hatten.

Ich stehe hier, und ich kann nicht anders, als gegen diese Verfassung zu stimmen! (Beifall des Bundesrates Dr. Böhm.)

Eine Bemerkung in eigener Sache: Träfen die Anschuldigungen der Wiener Landtags­resolution, die hier verlesen worden ist, gegen mich zu, wäre ich heute sicher angeklagt. (Beifall des Bundesrates Dr. Böhm.)

10.42


Vizepräsident Jürgen Weiss: Nächster Redner ist Herr Bundesrat Kneifel. Ich erteile ihm das Wort.

 


10.42.19

Bundesrat Gottfried Kneifel (ÖVP, Oberösterreich): Sehr geehrter Herr Präsident! Herr Staatssekretär! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Würde ich jetzt auf die zahlreichen von meinem Vorredner gemachten Feststellungen eingehen, dann müsste ich, wenn ich das in Form einer tatsächlichen Berichtigung machen würde, wahrschein­lich bis Mitternacht hier stehen. Das tue ich nicht, um Ihre Geduld nicht mehr zu beanspruchen.

Ich bitte auch, in den Couloirs mitzuteilen, dass mein Vorredner zu Ende gesprochen hat und dass sich der Saal somit wieder füllen kann.

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die heutige Debatte zeigt, dass Europa in Bewegung ist. Europa ist in Bewegung und war schon immer in Bewegung. Die Frage ist, in welche Richtung sich Europa immer bewegt hat. Europa ist in Bewegung – das ist an sich nur ein physikalischer Begriff und eine physikalische Feststellung. Ich glaube, dass in der Vergangenheit die Bewegung oft in die falsche Richtung gegangen ist. Die Geschichte Europas war immer eine Geschichte der Kriege, die Erinnerung an Europa war immer verbunden mit einer Erinnerung an Verwundete, an Tote. Das Gedenkjahr ist ein Beispiel dafür.

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Europa hat in der Vergangenheit nicht nur Kriege produziert, sondern dieser Kontinent hat Kriege auch exportiert, und zwar in die ganze Welt hinaus – darum heißen sie ja auch Weltkriege, die von Europa


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ausgegangen sind. Was nützt das herrlichste Land, was nützen die schönsten Landschaften, die besungen werden, was nützen die blühenden Städte und Gemein­den, die traumhaften Straßen und Plätze unseres Landes, was nützen innovative Betriebe, Beschäftigung, Wohlstand und Sicherheit, wenn alles durch Kriege in Schutt und Asche fällt?

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ein berühmter Sozialdemokrat, nämlich kein geringerer als Karl Renner, hat am 26. November 1909 in diesem Hause hier gesagt: Nationen werden immer miteinander streiten. Sie werden mit Heugabeln aufeinander losgehen, sie werden sich die Fenster der Häuser, in denen sie wohnen, einschlagen. Aber es ist ein Unterschied, wie man Konflikte austrägt und wie man miteinander streitet: ob man das auf dem Schlachtfeld macht und Menschen aufeinander zutreibt mit dem Ziel, einander zu vernichten, oder ob man am grünen Tisch die Themen erörtert und die Konflikte austrägt mit dem Ziel, gute Lösungen für das Land und für Europa herbeizuführen.

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Renner hat Recht gehabt! Und wir haben aus der Geschichte gelernt. Die neue Verfassung für Europa ist quasi eine Betriebs­anleitung für den Wiedereintritt Europas in die Weltgeschichte – so würde ich das bezeichnen. Und Europa ist immer in Bewegung! Bundeskanzler Schüssel hat einmal gesagt, Europa ist ein fahrendes Laboratorium. Und wir sind die Laboranten! Mir fällt in diesem Zusammenhang ein Spruch ein, der auf der Turmuhr von Herzogsdorf, einer Gemeinde im Mühlviertel, steht, der nicht dazu geeignet ist, für das Sprichwort von der „Kirchturmpolitik“ herzuhalten. Dort steht nämlich: „Wir sind die Zeit“. – Sind wir gut und arbeiten wir gut, sind die Zeiten gut! Und wenn wir diese Verfassung mit gutem Geist erfüllen, mit positiven Problemlösungen und mit klaren Perspektiven für Europa, dann braucht uns um die Zukunft eigentlich nicht bange zu sein.

Ich stimme mit Kollegem Konecny überein, der gesagt hat: Diese Verfassung ist ein Rahmen. Wir müssen ihn ausfüllen mit verschiedenen Politiken, mit den besten Vorschlägen, die es für diesen Kontinent gibt, mit den besten Ideen, und wir sollen dafür in einen Wettbewerb eintreten. Es liegt an uns: „Wir sind die Zeit“! Und wenn wir gut sind und gute Ideen haben und diese umsetzen, werden auch die Zeiten für Europa sehr, sehr gut werden.

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Europa behauptet sich mit dieser Verfassung als ein sehr pragmatischer Interessenverband, der von diesen guten Ideen zusam­mengehalten wird. Ich glaube, wir sollten diese Verfassung für Europa auch nicht überfrachten und alles, was gut und teuer ist, in sie hineinstopfen, weil wir sonst die Erwartungen, die Sehnsüchte und Hoffnungen der Europäerinnen und Europäer und unserer Bürgerinnen und Bürger nicht erfüllen können. Ich denke, diese Verfassung ist ein sehr guter Schritt in die richtige Richtung.

Ich möchte mich ausdrücklich bedanken bei allen Beteiligten in allen Parteien, die im Konvent, im Europäischen Parlament, bei allen Diskussionsrunden in allen Gremien bis hinauf in die Regierungskonferenz dazu beigetragen haben, dass wichtige österreichi­sche Anliegen in dieser Verfassung auch enthalten sind. Das ist keine Selbstver­ständlichkeit! Wir haben hier unsere Arbeit geleistet, und die ist gut geleistet worden. Ich bedanke mich dafür beim Bundeskanzler als Chef unserer Regierung und bei der Außenministerin für alle, die hier mitgewirkt haben.

Ich erinnere nur an die Verankerung des Minderheitenschutzes und des Grundsatzes der Gleichheit von Frauen und Männern sowie der Nichtdiskriminierung im Werte­katalog, die ausdrückliche Verankerung des Prinzips der Gleichheit der Mitglied­staaten. Die Kontrolle rechtsverbindlicher Beschlüsse des Europäischen Rates durch den Europäischen Gerichtshof wäre ohne österreichische Einflussnahme nicht in diese


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Verfassung eingeflossen. Der verbesserte Grundrechts- und Datenschutz wurde schon genannt. Ich erwähne weiters die Verankerung des Sozialgipfels für Wachstum und Beschäftigung – eine ganz wichtige Thematik, die auf unsere Initiative hin aufgenom­men wurde –; Verfassungsbestimmungen zur Energie, die ausdrücklich die Erhaltung und Verbesserung der Umwelt sowie die Förderung der Entwicklung neuer und erneuer­barer Energien hervorheben; den europäischen Tierschutz, ein Anliegen, das uns mehrfach in diesem Haus beschäftigt hat; die Verankerung der Preisstabilität als Verfassungsziel neben sozialer Marktwirtschaft, Vollbeschäftigung und Wirtschafts­wachstum; die Beibehaltung des Rotationssystems im Rat; weiterhin das Erfordernis der Einstimmigkeit in sensiblen, für den Bürger wichtigen Bereichen wie Wasser­versorgung, Bodennutzung et cetera. – Man könnte diese Liste noch fortsetzen.

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Zum Abschluss noch eine persönliche Perspektive: Ich wurde im Jahre 1948 geboren. Mein Vater ist aus russischer Kriegs­gefangenschaft genau ein Jahr vorher nach Hause gekommen. Und wenn ich meine eigene Familiengeschichte durchforste, dann bin ich vier Generationen nachgefolgt: Mein Vater war sieben Jahre lang im Krieg und davon vier Jahre in russischer Kriegsgefangenschaft; mein Großvater war ebenfalls zwei Jahre lang im Ersten Weltkrieg als Arzt in einem Lazarett tätig; mein Urgroßvater Isidor Kneifel ist in der Schlacht bei Königgrätz schwer verwundet worden; mein Ururgroßvater war auch in kriegerische Handlungen mit einbezogen. – Ich habe dann einfach aufgehört, denn es ist einfach entmutigend, wenn man solche Familiengeschichten – die in jeder einzelnen Familie, auch von Ihnen, vorkommen können – hört. Es ist entmutigend!

Und wenn die einzige Belustigung in einer Runde zu fortgeschrittener Stunde, wenn die Großfamilie zusammenkommt, darin besteht, dass der Großvater und der Vater über Schützengräben-Erlebnisse berichten, dann ist das keine Perspektive für unsere Jugend und schon gar nicht für Europa!

Dieser Vertrag ist ein Beweis und ein Dokument dafür, dass wir es anders machen wollen, dass wir aus der Geschichte gelernt haben, dass wir es besser haben wollen! Und wir haben diese Aufgaben gemacht, wir haben aus der Geschichte gelernt, und ich danke allen, die dabei mithelfen, dieses Vertragswerk auch mit Leben zu erfüllen, gemäß dem Motto: „Wir sind die Zeit“! Wenn wir gut sind, wird es auch gute Zeiten für Europa geben! (Beifall bei der ÖVP, bei Abgeordneten der SPÖ und bei den Grünen.)

10.52


Vizepräsident Jürgen Weiss: Als Nächster erteile ich Frau Bundesrätin Mag. Neu­wirth das Wort.

 


10.52.32

Bundesrätin Mag. Susanne Neuwirth (SPÖ, Salzburg): Sehr geehrter Herr Präsident! Herr Bundeskanzler! Frau Außenministerin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Auch ich erspare es Ihnen – und auch mir, ehrlich gesagt –, die vielen Unsinnigkeiten, Falschaussagen und Missinterpretationen zu kommentieren, die uns Herr Gudenus heute zuteil werden hat lassen. Ich bin überzeugt, die Zukunft wird zeigen, dass derartige Meinungen und Menschen bald Vergangenheit sein werden. (Beifall bei der SPÖ.)

Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Ich weiß nicht, wie es Ihnen in diesen letzten Tagen und Wochen vor der heutigen Ratifikation gegangen ist, aber bei mir sind jedenfalls unzählige Mails eingegangen, in denen ich aufgefordert wurde, einerseits gegen die Europäische Verfassung zu stimmen und mich andererseits für eine Volks­abstimmung einzusetzen. Ich habe diese Mails nicht einfach gelöscht. Ich habe mich bemüht, den Menschen darzulegen, warum ich als Mandatarin, als Bundesrätin mit großer Überzeugung für die Ratifikation dieser Europäischen Verfassung eintrete und


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warum es in Österreich keine Volksabstimmung geben wird. Es ist natürlich ein Wermutstropfen, dass es keine Volksabstimmung in ganz Europa über diese Verfas­sung gibt, dass es nicht möglich ist, alle Bürgerinnen und Bürger gemeinsam abstim­men zu lassen. Dafür hat sich Österreich ja immer stark gemacht. Aber ich bin überzeugt davon, dass diese Verfassung besser ist als das, was wir bisher hatten, nämlich ein Vertragseuropa.

Natürlich können mit dieser Verfassung nicht alle Grundprobleme Europas gelöst werden, aber diese gemeinsame Verfassung ist ein wichtiger Schritt zu besseren Spielregeln innerhalb der Europäischen Union. Dennoch gibt es mir zu denken, dass es uns bei vielen Menschen noch immer nicht gelingt, das Misstrauen zu entkräften und sie zu überzeugen, dass in dieser Verfassung zum Beispiel gerade sozialen Fragen, also Fragen, die Menschen im täglichen Leben berühren, ein hoher Stellen­wert eingeräumt wird. Dazu gehören die Ziele Vollbeschäftigung, Bekämpfung von sozialer Ausgrenzung und Diskriminierung, Förderung von sozialer Gerechtigkeit und sozialem Schutz, Gleichstellung von Frauen und Männern – diese wurde bereits angesprochen –, die Solidarität zwischen den Generationen, der Schutz der Rechte des Kindes und auch eine Verankerung der Sozialpartnerschaft – alles Ziele, die auch uns Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten besonders wichtig sind. Es wird an uns allen gemeinsam liegen, diese Ziele nicht nur schöne Worte sein zu lassen, sondern ihnen auch Taten folgen zu lassen. Vielleicht schaffen wir es damit, wieder mehr Menschen von der Wichtigkeit eines gemeinsamen Europas zu überzeugen.

Sehr geehrte Damen und Herren! Gerade als Vertreterin eines Bundeslandes finde ich es besonders wichtig, dass der Vertrag den Regionen und Gemeinden eine stärkere Rolle sowohl im Hinblick auf die Demokratie in der Union als auch beim gemein­schaftlichen Entscheidungsprozess zuweist. Mein Kollege Bieringer, auch aus Salz­burg, hat darauf ja schon hingewiesen. Mit Hilfe des Prinzips Subsidiarität soll sichergestellt werden, dass, wenn die Union von ihrer Zuständigkeit Gebrauch macht, sie nur dann tätig wird, wenn ihr Tätigwerden sich als wirklich erforderlich erweist und einen zusätzlichen Nutzen zur Aktion der Mitgliedstaaten erbringt. Dieses Prinzip besagt, dass die Entscheidung auf einer möglichst bürgernahen Ebene zu treffen ist, wobei stets zu überprüfen ist, ob ein gemeinschaftliches Vorgehen angesichts der nationalen, regionalen oder lokalen Möglichkeit wirklich gerechtfertigt ist.

Auch dem Prinzip der Verhältnismäßigkeit liegt dieselbe Absicht zugrunde, nämlich die ordnungsgemäße Wahrnehmung der Zuständigkeiten sicherzustellen. Dabei ist zu beachten, dass das Tätigwerden der Union inhaltlich und in der Form nicht über das für die Erreichung der Ziele des Vertrags erforderliche Maß hinausgeht. In der Verfassung wird die Anwendung der beiden Grundsätze jetzt noch verstärkt. Legt die Kommission einen Vorschlag vor, so muss sie nachweisen, dass sie den beiden Grundsätzen Rechnung getragen hat, und sie wird verpflichtet, auch die finanziellen Auswirkungen von Rechtsvorhaben auf die Mitgliedstaaten und die Regionen darzustellen.

Zum ersten Mal ist auch vorgesehen, dass die nationalen Parlamente die Vorschläge überprüfen können und die Möglichkeit haben, eine mit Gründen versehene Stellung­nahme abzugeben, wenn sie der Meinung sind, dass das Subsidiaritätsprinzip nicht gewahrt wurde. Ich erwarte, dass Österreich von dieser Möglichkeit Gebrauch macht, wann immer es notwendig ist. Eine letzte Kontrollmöglichkeit ist nach der Verabschie­dung von Rechtsakten gegeben, und zwar mit dem Klagerecht vor dem Gerichtshof.

Sehr geehrte Damen und Herren! Auch der Städtebund begrüßt die Ratifizierung der EU-Verfassung und fordert dabei auch seine Einbindung in die Subsidiaritätsprüfung des Parlaments. Besonders erfreulich ist es, dass gerade die österreichische Gemeindeautonomie Vorbild für die europaweiten Regelungen gewesen ist. Für die Gemeinden – und denen sind wir im Bundesrat ja sehr nahe – sind vor allen Dingen


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folgende Bestimmungen von größter Bedeutung: Erstmals wird die lokale und regionale Selbstverwaltung ausdrücklich erwähnt; die bereits von mir und meinem Vorredner Bieringer erwähnte Definition des Subsidiaritätsprinzips, wonach die Euro­päische Union nur tätig werden kann, wenn die in Betracht genommenen Ziele weder auf zentraler noch auf regionaler oder lokaler Ebene verwirklicht werden können, sondern besser auf der Unionsebene zu verwirklichen sind; darüber hinaus werden Konsultationsverpflichtungen in der Form festgelegt, dass – ich zitiere – „die Organe einen offenen, transparenten und regelmäßigen Dialog mit den repräsentativen Ver­bänden und der Zivilgesellschaft pflegen“.

Zu den repräsentativen Verbänden zählt in Österreich selbstverständlich auch der Österreichische Städtebund beziehungsweise auf Grund seiner gesamteuropäischen Präsenz der Rat der Gemeinden und Regionen Europas, dessen Mitglied der Öster­reichische Städtebund ist. Österreich stellt derzeit mit dem Städtebundpräsidenten Bürgermeister Dr. Michael Häupl auch den Präsidenten dieses Rates.

Weitere wichtige Punkte sind: eine ausführliche Begründungspflicht bei Entwürfen zu europäischen Gesetzgebungsakten hinsichtlich der Grundsätze der Subsidiarität und der Verhältnismäßigkeit mit einer Abschätzung der finanziellen Auswirkungen; der Aus­schuss der Regionen wird ein Klagerecht wegen Subsidiaritätsverletzung erhalten; und letztlich soll für die Leistungen von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse, wie die Daseinsvorsorge – zum Beispiel Wasser, Abwasser –, eine neue rechtliche Grundlage geschaffen werden. Derzeit nämlich sind diese Leistungen, obwohl sie für die Bürger von essentiellem Interesse sind, praktisch ausschließlich dem Wettbewerbsrecht ausgesetzt. Dies ist jedoch im Hinblick auf die erforderliche Nachhaltigkeit und Qualität der Leistungserbringung sowie die Bürgernähe nicht akzeptabel.

Der Österreichische Städtebund erwartet sich von Bund und Ländern, dass die Städte und Gemeinden im Parlament im Rahmen der Subsidiaritätsprüfung gehört und ihre Anliegen berücksichtigt werden. Die Subsidiaritätsprüfung obliegt ja den jeweiligen nationalen Parlamenten. Der Städtebund erwartet sich dabei zu Recht eine adäquate Einbindung in diese Beratungen. Diese Forderung zu erfüllen ist auch unsere Pflicht hier im Bundesrat.

Sehr geehrte Damen und Herren! Die Landeshauptfrau von Salzburg Gabi Burgstaller hat aus Anlass der Zehnjahresmitgliedschaft Österreichs bei der EU festgestellt, dass es für Salzburg gelungen ist, für die Bürgerinnen und Bürger, für die Unternehmen sowie für die Gemeinden, konkreten Nutzen aus der EU-Mitgliedschaft zu ziehen. Dazu zählen die Möglichkeiten der EU-Struktur- und Regionalplanung, Forschungs- und Verkehrsinfrastrukturvorhaben, Jugend-, Sport- und Schulprogramme, Qualifikations­maßnahmen oder auch Förderungen für den ländlichen Raum.

Besonders konkret hat sich das gemeinsame Europa auch anhand der vielfältigen Aktivitäten der EUREGIO gezeigt. Diesen erfolgreichen Weg gilt es fortzusetzen und auszubauen, und dazu ist auch die EU-Verfassung ein weiterer Schritt in die richtige Richtung, nicht nur für das Bundesland Salzburg, sondern natürlich für alle öster­reichischen Bundesländer.

Sehr geehrte Damen und Herren! Stimmen wir heute nicht nur mehrheitlich für ein Ja, für ein deutliches Ja zu dieser Europäischen Verfassung, sondern gehen wir auch hinaus in alle Städte und Gemeinde unserer Bundesländer, und reden wir doch mit den Menschen mehr darüber als bisher, dass es sich lohnt, Europa aktiv mitzugestalten, dass es sich lohnt, mitzureden, mitzubestimmen, und zwar für jeden einzelnen Bürger und jede einzelne Bürgerin im Sinne eines gemeinsamen europäischen Ganzen. Dafür


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sind wir schlussendlich alle gemeinsam verantwortlich. – Danke. (Beifall bei der SPÖ und den Grünen.)

11.02


Vizepräsident Jürgen Weiss: Meine Damen und Herren! Ich freue mich sehr, dass der Präsident des Ausschusses der Regionen der Europäischen Union, der baden-württembergische Landtagspräsident Peter Straub, aus Anlass der Ratifikation des Vertrages über eine Verfassung für Europa unseren Beratungen beiwohnt, und ich darf ihn hier im Plenum des Bundesrates auf das Herzlichste willkommen heißen. (Allge­meiner Beifall.)

Nächste Rednerin ist Frau Bundesrätin Konrad. Ich erteile ihr das Wort.

 


11.03.12

Bundesrätin Eva Konrad (Grüne, Tirol): Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Frau Ministerin! Sehr geehrte Damen und Herren! Europa ist für die jungen Menschen heutzutage eine Selbstverständlichkeit geworden, und zwar nicht als Auszeit vom Alltag, als Urlaubsziel, sondern als Teil des Alltags. Es gibt Studien, denen man ganz selbstverständlich in anderen europäischen Ländern nachgeht, semesterweise, es gibt Freundschaften über Ländergrenzen hinweg. Europa ist ein Raum, in dem sich junge Menschen bewegen, und nicht ein Raum, der in verschiedene Nationen unterteilt ist.

Dass Europa selbstverständlich ist, bedeutet aber auch, dass für junge Menschen Europa nicht in erster Linie das große Friedensprojekt ist, das dazu führt, dass es jetzt keine Kriege mehr gibt. Wir sind eine Generation, die – Gott sei Dank! – zum Glück ohne Kriege aufgewachsen ist. Wir können es uns nicht vorstellen. Insofern gibt es andere Ziele der Europäischen Union, die für jüngere Menschen mehr im Vordergrund stehen als dieses Friedensprojekt: zum Beispiel sozialer Zusammenhalt, gemeinsame soziale Ziele, die es in Europa zu erreichen gilt.

Die jungen Menschen hängen auch nicht in einer Art europäischem Patriotismus oder mit großem Herzblut an der EU, sondern für sie ist das ein Teil des Alltags, eine Grundlage, die sich hoffentlich positiv weiterentwickelt. Und trotzdem ist es leider so, dass Diskussionen über die EU, über die Zukunft der EU eher von Angst oder von negativen Aspekten geprägt sind. Das liegt schon auch daran, dass sich die EU sehr gut eignet, um immer wieder Sündenböcke zu finden, um immer wieder Themen, die man national diskutiert und hier nicht klären kann, auf eine andere Ebene zu projizieren. Es ist diese Negativdiskussion, die, glaube ich, sehr schädlich ist, auch für ein europäisches Gefühl.

Natürlich hat der Herr Bundeskanzler Recht, wenn er sagt, es ist auch Aufgabe der Parlamentarierinnen und Parlamentarier, die Diskussion über die EU hinauszutragen. Das ist ja auch passiert – aber das ist auch Aufgabe der Regierung. Ich habe zwar viele Feierlichkeiten dieses Jahr mitbekommen und auch viel im Fernsehen gesehen über das, was dieses Jahr gefeiert wird, aber die EU war eigentlich kein Schwerpunkt bei diesen Dingen.

Ich würde mir schon von der österreichischen Bundesregierung wünschen, dass sie mehr Energie in eine Diskussion über Europa, über die Zukunft von Europa steckt und auch die Gesellschaft mehr involviert in diese Diskussion, denn es reicht nicht, wenn der Nationalrat und der Bundesrat das diskutieren. Diese Diskussion muss hinaus­getragen werden! (Beifall bei den Grünen und bei Bundesräten der SPÖ.)

Mit Verlaub, aber das Argument, dass die Diskussion, wie sie in Frankreich abläuft, nicht die Diskussion ist, die man sich wünschen würde, kann ich nicht gelten lassen, denn jede Diskussion, wenn man sie einmal beginnt, birgt natürlich die Gefahr in sich, dass sie in Ebenen abrutscht, die einem nicht gefallen. Aber das kann doch kein


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Argument sein, eine Diskussion nicht zu beginnen oder nicht zu führen. Das wird einem auf den Kopf fallen, das wird dazu führen, dass Ressentiments und Vorurteile köcheln und dann irgendwann explodieren, aber sicher nicht dazu führen, dass es eine Auseinandersetzung mit Europa gibt, dass es positive Ideen gibt, wie Österreiche­rinnen und Österreicher sich wünschen, dass sich die Europäische Union weiterent­wickeln sollte. Das ist Diskussionsverweigerung. (Beifall bei den Grünen.)

Herr Gudenus, der jetzt nicht im Saal ist, hat mir wieder das eine oder andere Stichwort geliefert, worauf ich doch eingehen möchte. Er hat zum Beispiel die Verdoppelung der Entwicklungshilfe wörtlich bezeichnet als ein „Übel“, das er sich aus Brüssel erwartet. Es waren zu diesem Zeitpunkt nicht sehr viele Menschen im Saal, was ich übrigens positiv finde, dass man sich nicht alles anhören muss. Diese Aussage, dass die Verdoppelung der Entwicklungshilfe ein Übel sei, das er aus Brüssel erwartet, zeigt für mich wieder einmal sehr klar, dass sein soziales Gewissen bei der Staatsgrenze endet. Und sein soziales Gewissen strapaziert er ja immer wieder. Das kann nicht sehr ernst gemeint sein, wenn es sich nur auf die Staatsbürger bezieht. Soziales Gewissen müsste man schon auch über Grenzen hinweg empfinden können. (Beifall bei den Grünen und bei Bundesräten der SPÖ.)

Im Übrigen nehme ich es mit Bedauern, aber nicht mit Überraschung zur Kenntnis, dass er es auch heute nicht geschafft hat, die nötige Konsequenz aus seinen inakzeptablen Äußerungen zu ziehen. Ich weiß nicht, wie es Ihnen gegangen ist, aber in den letzten Wochen bin ich doch sehr oft, öfter als sonst, auf den Bundesrat ange­sprochen worden und eigentlich fast immer in der Art: Was ist denn bei euch passiert? Was ist denn bei euch los? – Das ist nichts, was den Bundesrat positiv weiterbringen wird, und ich hoffe – die Hoffnung stirbt zuletzt –, dass es doch noch irgendwann zu den nötigen Konsequenzen kommen wird. Es sind ja auch die Wiener Landtagswahlen nicht mehr in weiter Ferne.

Zurück zur Verfassung. Es gibt in der Verfassung, die wir heute beschließen, durchaus eine Reihe von sehr positiven Punkten: die Verankerung der Grundrechte, die Definie­rung sozialer Rechte als Menschenrechte, ein Diskriminierungsverbot, um nur einige für mich besonders wichtige zu nennen. – Und es gibt eine Reihe von negativen Punkten.

Aber letztendlich ist der vorliegende Vertrag ein absoluter Fortschritt gegenüber Nizza, und es ist ein nötiger Schritt, um weitere Verbesserungen zu ermöglichen, weitere Verbes­serungen, die für mich nötig wären, um ein wirklich begeistertes Ja zu dieser Verfassung sagen zu können. So sage ich nicht begeistert, aber pragmatisch und trotz allem überzeugt ja zu dieser Verfassung, die uns heute vorliegt, denn die Verträge von Nizza sind keine Alternative. – Vielen Dank. (Beifall bei den Grünen und bei Bundesräten der SPÖ.)

11.09


Vizepräsident Jürgen Weiss: Ich erteile nun Frau Bundesministerin Dr. Plassnik das Wort.

 


11.09.25

Bundesministerin für auswärtige Angelegenheiten Dr. Ursula Plassnik: Herr Präsident des Ausschusses der Regionen! Herr Präsident des Bundesrates! Meine Damen und Herren Bundesräte! Ich möchte auf einige Punkte hinweisen, die mir als Außenministerin an dieser neuen Europäischen Verfassung besonders wichtig sind.

Zunächst: Es ist das erste gemeinsame Werk, der erste gemeinsame Verhandlungs­erfolg der 25, des neuen, wieder vereinten Europas. Und ich glaube, das geht über eine Symbolwirkung hinaus, hier kommt etwas zum Ausdruck, was ein Novum in der


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Geschichte Europas ist. Eine gemeinsame Verfassung, ein Regelwerk, das unser Zusammenleben regelt, aber auch alle europäischen Bürger dieser 25 Länder miteinander verbindet, das hat es in der Geschichte Europas bisher nicht gegeben.

Der zweite Punkt: Was ist für mich der Mehrwert gegenüber der bestehenden Situation?, denn darum geht es: Die neue Europäische Verfassung ist eine Weiterent­wicklung, eine Fortentwicklung, in manchen Punkten auch eine Konsolidierung des Verfassungswerkes, auf dessen Grundlage wir jetzt schon arbeiten.

Für mich bringt diese neue Verfassung ein Plus an Demokratie im Bereich des Europäischen Parlaments, das zum wirklichen Mit-Gesetzgeber wird, aber auch im Hinblick auf die nationalen Parlamente in der klaren Anerkennung der Rolle der Regionen, der Rolle der Gemeinden, ihrer Bedeutung, ein Plus auch an Transparenz im Gesetzgebungsverfahren der Europäischen Union. (Präsident Mag. Pehm über­nimmt den Vorsitz.)

Weiters bringt sie ein Plus an Klarheit, denn in vielen Punkten haben wir eine Vereinfachung, eine Straffung der Verfahren, die oft im Alltag in der Tat komplex sind. Aber Komplexität von Verfahren kann ja durchaus auch ein Mehr an Mitbeteiligung, an Mitsprache in der Praxis bedeuten.

Ein Plus bringt sie aber vor allem im Bereich der Grundrechte, der Menschenrechte. Ich empfehle bei allen meinen öffentlichen Auftritten immer wieder die Lektüre der ersten Seiten dieses neuen Verfassungsvertrages. Ich glaube, dass diese Formulie­rungen für sich selbst sprechen. Ich kenne keine andere Verfassung, die in derartig dichter Weise auf die Wertvorstellungen, die unserem gemeinsamen europäischen Werk zugrunde liegen, eingeht.

Hier kommt zum Ausdruck ein Gesellschaftsmodell, ein europäisches Lebensmodell, das von Pluralismus, von Toleranz, von Gerechtigkeit, von Nicht-Diskriminierung, von der Gleichheit von Frauen und Männern ausgeht. Ich glaube, das ist sehr wichtig, und damit drücken wir auch wirklich etwas aus: ein Fundament, auf dem wir alle stehen.

Der Zielkatalog ist ein moderner, was durchaus nicht üblich und nicht selbstver­ständ­lich für Verfassungen ist – wir kennen das als Österreicher –, und darin kommt auch ein Bekenntnis zu dem zum Ausdruck, wofür wir arbeiten. Dass diese Ziele im Alltag auch entsprechend verwirklicht werden, dass diese Zielsetzungen, die nicht immer leicht in Einklang zu bringen sind, sich in der Politik der Europäischen Union auch niederschlagen, dafür sind wir im Alltag, die wir am europäischen Werk mitgestalten dürfen, verantwortlich.

Ich möchte von diesen Zielsetzungen nur beispielhaft erwähnen: die Bekämpfung der Armut, den Schutz der Rechte des Kindes, die Bekämpfung sozialer Ausgrenzung, die Vollbeschäftigung – ein moderner Zielkatalog also, eine gute Leitlinie, ein europäisches Bekenntnis für unsere Arbeit in der Zukunft.

Auf die Frage: Wie geht es jetzt weiter?, kann ich Ihnen antworten: Wir Österreicher sind, glaube ich, das achte Land, das diese neue Europäische Verfassung annehmen wird. Es hat begonnen mit Litauen, Ungarn, Slowenien, Italien, Spanien und Griechen­land, und es wird weitergehen. Es wird der deutsche Bundesrat am Freitag – davon gehe ich aus – diese neue Verfassung positiv verabschieden. Die Slowakei hat es am 11. Mai getan, so wie unser Nationalrat. Die beiden Referenden stehen bevor, Sie wissen es: am Sonntag in Frankreich und am kommenden Mittwoch in den Nieder­landen.

Ich möchte Sie einladen, Sie auffordern, ein Zeichen zu setzen – ein Zeichen gegen­über denjenigen, die Sie vertreten in diesem Hohen Haus, aber auch ein Zeichen gegenüber Europa. Und das habe ich in den letzten Wochen immer wieder betont,


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auch bei meinen Auftritten bei den Nachbarn, in anderen europäischen Ländern, in Deutschland, in Frankreich: Es geht um eine nationale Entscheidung auf der einen Seite, es geht aber auch um eine europäische Entscheidung – es geht um ein Votum für Europa, für uns alle.

Ich bitte um ein möglichst breites Votum für dieses gemeinsame Europa im Einklang mit dem Motto dieser neuen Verfassung: in Vielfalt geeint. – Wie unterschiedlich unsere konkreten Vorstellungen darüber sein mögen, wie dieses Europa auszusehen hat, was wir von ihm erwarten: Es wird zu einem großen Teil auch an uns selbst liegen, wie wir es weiterentwickeln. Nur, dieses Motto sollte uns auch heute einen: in Vielfalt geeint. – Danke schön. (Allgemeiner Beifall.)

11.15


Präsident Mag. Georg Pehm: Zu Wort gemeldet ist Herr Vizepräsident Weiss. – Bitte.

 


11.15.26

Bundesrat Jürgen Weiss (ÖVP, Vorarlberg): Herr Präsident! Herr Präsident Straub! Frau Bundesministerin! Herr Staatssekretär! Meine geschätzten Kolleginnen und Kolle­gen! Der Beginn der Europäischen Einigung – zunächst die seinerzeitige Montanunion und dann die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft – war ein Werk von National­staaten, von einigen wenigen visionären Persönlichkeiten. Heute würden das manche wohl als Reform von oben kritisch betrachten.

Mit der Ausweitung und Vertiefung dieser Gemeinschaft wuchs bald auch die Erkenntnis, dass die prächtigste Krone eines Baumes nicht von langer Dauer ist, wenn der Baum nicht ausreichend verwurzelt ist. Bei menschlichen Gebilden geht es sehr stark auch um die emotionale Verwurzelung. So fanden bald die Regionen Eingang in das Bewusstsein, zunächst als Träger der Regionalförderung und im Vertrag von Maastricht mit dem Ausschuss der Regionen auch als Beteiligte der politischen Willensbildung.

Mit dieser Entwicklung hat die Europäische Union ihre starke Fokussierung auf die Nationalstaaten abgelegt, und mit dem neuen Verfassungsvertrag wird neben der regionalwirtschaftlichen und regionalpolitischen auch eine weitere regionale Ebene einbezogen: die Regionalparlamente mit Gesetzgebungsbefugnis.

Demokratiedefizit!, so lautete eine langjährige Kritik an der Union. Hier bringt der Verfassungsvertrag neben einer wesentlichen Stärkung des Europäischen Parlaments erstmals eine über die Konferenz der nationalen Europa-Ausschüsse, die COSAC, hinaus gehende Einbeziehung der nationalstaatlichen Parlamente. Es ist wohl der starken parlamentarischen Ausrichtung des Europäischen Konvents zu danken, dass dies zustande kam. – Dass sich Österreich hier besonders engagiert hat, ist schon mehrfach dankend vermerkt worden, und ich kann mich dem nur anschließen. Nicht unerwähnt bleiben soll hier auch der große Einsatz unseres früheren Bundesrats­kollegen Mag. Gerhard Tusek, der gemeinsam mit dem früheren Bundesminister Dr. Farnleitner vom Bundeskanzler in den Konvent entsandt worden war.

Wie ist die Einbeziehung der nationalen Parlamente im Wesentlichen ausgestaltet? – Ich nenne nur ein paar Stichworte: direkte Information durch die Kommission über alle Konsultationsdokumente, das Rechtssetzungsprogramm, die Strategien und die Gesetzgebungsvorschläge; Begründung aller Vorschläge der Kommission im Hinblick auf die Grundsätze der Subsidiarität und Verhältnismäßigkeit mit Angaben über die finanziellen Auswirkungen und zu den Auswirkungen auf die von den Mitgliedstaaten zu erlassenden Rechtsvorschriften, einschließlich der regionalen Rechtsvorschriften.

Weiters: Recht auf Stellungnahme innerhalb von sechs Wochen, die vom Europä­ischen Parlament, vom Rat und von der Kommission zu berücksichtigen ist; Pflicht der


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Kommission zur Überprüfung ihres Vorschlages, wenn mindestens ein Drittel der nationalen Parlamente mangelnde Übereinstimmung mit dem Subsidiaritätsprinzip geltend macht. Dabei zählt jedes nationale Parlament als zwei Stimmen, in Zwei-Kammer-Parlamenten wie bei uns zählt jede Kammer als eine Stimme. Diese Schwelle reduziert sich auf ein Viertel der Stimmen, wenn es sich um Vorschläge der Kom­mission oder Initiativen einer Gruppe von Mitgliedstaaten im Bereich der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts handelt.

Weitere Punkte: Begründungspflicht der Kommission, wenn sie an ihrem Vorschlag festhält, ihn ändert oder zurückzieht; Pflicht der Kommission, jährlich einen Bericht über die Anwendung des Subsidiaritäts- und Verhältnismäßigkeitsprinzips vorzulegen; Möglichkeit, je nach innerstaatlicher Rechtsordnung unter Umständen auch Pflicht eines Mitgliedstaates, im Namen seines nationalen Parlaments oder einer seiner Kam­mern beim Europäischen Gerichtshof wegen Verstoßes gegen das Subsidiaritäts­prinzip eine Klage einzubringen.

Und schließlich: Bei einem beabsichtigten Übergang von der Einstimmigkeit zur Mehrheitsentscheidung kann eine solche Initiative innerhalb von sechs Wochen von einem nationalen Parlament – einem nationalen Parlament! – abgelehnt werden, worauf ein solcher Beschluss nicht erlassen werden kann.

Und damit komme ich zu Herrn Professor Böhm. Das ist nämlich ein ganz zentraler Punkt der Bewahrung unserer Staatlichkeit und des Gesichtspunktes, dass die Mitgliedstaaten Herren der Verträge sind. Ja, noch mehr: Durch diese neue Bestimmung werden auch die nationalen Parlamente stärker als bisher zu Herren der Verträge, weil nämlich der durchaus sensible Übergang von der Einstimmigkeit zur Mehrheitsentscheidung, quasi ein Einfallstor für Beeinträchtigungen unserer national­staatlichen Einflussnahme, auch dem Veto eines jeden einzelnen nationalen Parla­ments unterliegt. Das ist ein ganz wesentlicher Gesichtspunkt, der meiner Meinung nach für die Frage der Gesamtänderung maßgeblich ist.

Dabei soll nicht unerwähnt bleiben, dass Österreich schon bisher eine besonders intensive innerstaatliche Einbindung sowohl des nationalen Parlaments als auch der Länder kennt, die wohl im Lichte der neuen Rahmenbedingungen anzupassen sein wird.

Ein im Hinblick auf die notwendige Geschlossenheit nach außen und auf den großen Zeitdruck erforderliches effizientes Zusammenwirken von Nationalrat und Bundesrat wird noch eingehender Überlegungen und Anstrengungen bedürfen. Persönlich halte ich es für unerlässlich, dafür ein gemeinsames Organ beider Kammern einzurichten.

Auf den Bundesrat im Besonderen kommt noch eine zweite Herausforderung zu. Nach Punkt 4 des Protokolls über die Anwendung der Grundsätze der Subsidiarität und der Verhältnismäßigkeit obliegt es dem jeweiligen nationalen Parlament oder der jeweiligen Kammer, hier dem Bundesrat, gegebenenfalls die regionalen Parlamente mit Gesetz­gebungsbefugnis, also die Landtage, zu konsultieren, ob in einer Stellungnahme geltend gemacht werden soll, dass ein Vorschlag nicht mit dem Subsidiaritätsprinzip vereinbar sei.

Eine wirksame Nutzung dieses Instruments setzt dreierlei voraus.

Erstens: eine ausreichende Information der Landtage. Das ist mit den heutigen technischen Möglichkeiten wohl das kleinste Problem und funktioniert bisher schon, allerdings im Wege der Regierungen auf parlamentarischer Ebene, ganz gut.

Zweitens: ein taugliches Koordinierungsverfahren der Länder untereinander – da sind die Landtage gefordert – und mit dem Bundesrat.


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Und schließlich drittens: eine gleichzeitige, parallel laufende Koordination mit dem Nationalrat, um bei Bedarf einen gemeinsamen Standpunkt erarbeiten zu können, weil unschwer vorauszusagen sein wird, dass nur ein solcher gemeinsamer österreichi­scher Standpunkt erfolgreich vertreten werden kann.

Die Landtagspräsidentenkonferenz wird sich Mitte Juni neuerlich mit diesem Thema befassen, und auch wir haben in der letzten Präsidialkonferenz in Aussicht genommen, uns bald mit dieser Herausforderung auseinander zu setzen.

In einzelnen Debattenbeiträgen wurde es als notwendig angesehen, über den heute zur Diskussion stehenden Verfassungsvertrag eine Volksabstimmung durchzuführen und die Ablehnung des Vertrages damit begründet, dass eine solche Volksabstimmung nicht in Aussicht genommen sei.

Dazu ist zweierlei zu sagen: Nach dem klaren Wortlaut des Bundes-Verfassungs­gesetzes sind Volksabstimmungen nur über Gesetzesbeschlüsse, nicht aber über Staatsverträge möglich; insoweit – und das hat Herr Professor Böhm ja redlicherweise eingeräumt – geht die Kritik ins Leere. Es ist also in gewisser Weise die Gegenstimme ein Protest gegen die Rechtsordnung. Möglich gewesen wäre eine Volksabstimmung nur über das vor wenigen Wochen beschlossene und die Grundlage für den heutigen Beschluss bildende Bundesverfassungsgesetz über den Abschluss des Vertrages über eine Verfassung für Europa, das so genannte Ermächtigungsgesetz.

Ein vergleichbares Bundesverfassungsgesetz wurde 1994 anlässlich unseres EU-Beitritts bekanntlich einer Volksabstimmung unterzogen, weil mit dem Beitritt unaus­weichlich eine Gesamtänderung der Bundesverfassung verbunden war.

Dass der europäische Verfassungsvertrag, über den wir heute debattieren, eine neuerliche Gesamtänderung der bereits beschlossenen seinerzeitigen Gesamtände­rung unserer Verfassung darstelle, vermag ich nicht zu sehen, wenngleich ich res­pektiere, dass eine namhafte Zahl von Fachleuten – Herrn Professor Böhm zähle ich durchaus auch dazu – der Meinung ist, dass das eine tiefer greifende Verfassungs­änderung wäre, als das von Bundesregierung, Nationalrat und auch Bundesrat ange­nommen wird; den Herrn Bundespräsidenten nicht zu vergessen.

Tatsache ist jedenfalls, dass sowohl die Beschlussfassung als auch die Kundmachung der Rechtsgrundlage für den heutigen Beschluss bisher rechtlich völlig unbeeinsprucht blieb. Unabhängig von der Geltendmachung einer die Volksabstimmung auslösenden Gesamtänderung, die man ja als Mangel dieser Kundmachung sehen könnte, hätte ja auch die Möglichkeit bestanden, zu betreiben, dass nach Artikel 44 Absatz 1 B-VG der Nationalrat eine Volksabstimmung beschließen oder nach Artikel 44 Absatz 3 ein Drittel der Mitglieder des Nationalrates oder des Bundesrates eine solche verlangen möge. Auch dieses ist, wenngleich von Herrn Professor Böhm und von Herrn Kollegen Gudenus seinerzeit angesprochen, unterblieben, auch von den Genannten selbst. Mir ist jedenfalls keine Initiative bekannt geworden, bei einem Drittel der Mitglieder des Bundesrates Unterschriften für ein solches Verlangen zu finden.

Für den Bundesrat vermerkt das Protokoll über die 719. Sitzung vom 17. März dieses Jahres einhellige Zustimmung. Die heute kritisierte Rechtslage, die eine Volksabstim­mung über den Staatsvertrag nicht ermöglicht, ja geradezu ausschließt, ist also selbst herbeigeführt worden. Wenn ich vorhin gemeint habe, die heutige Kritik gehe ins Leere, so muss ich mich berichtigen: Sie trifft ins eigene Tor.

Ich fasse zusammen: Sowohl in der Konsequenz des eigenen Standpunktes als auch in der Vertretung der Interessen meines Landes und der Länder insgesamt komme ich auch nach den vorangegangenen Diskussionsbeiträgen zu keinem anderen Ergebnis, als dem Vertrag über eine Verfassung für Europa mit noch festerer Überzeugung als


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bisher zuzustimmen. (Beifall bei der ÖVP sowie bei Bundesräten der SPÖ und der Grünen.)

11.26


Präsident Mag. Georg Pehm: Zu Wort gemeldet ist Herr Bundesrat Lindinger. – Bitte, Herr Bundesrat.

 


11.26.53

Bundesrat Ewald Lindinger (SPÖ, Oberösterreich): Geschätzter Herr Präsident! Frau Bundesministerin! Herr Staatssekretär! Herr Präsident Straub! Die Verfassungen sind die Spielregeln der Staaten. In der Verfassung sind auch die Organe des Staates geregelt, wie zum Beispiel in Österreich der Bundespräsident, die Bundesregierung, der Nationalrat, der Bundesrat, die Organe der Länder und Gemeinden und der Gerichtshöfe. Die Verfassung regelt ebenso die Gesetzgebungsprozesse und die Aufgaben der Gebietskörperschaften.

Die Europäische Verfassung regelt das Zusammenleben der rund 450 Millionen Bürgerinnen und Bürger in derzeit 25 Mitgliedstaaten. Sie berücksichtigt auch schon den möglichen Beitritt weiterer Staaten zur Union. Die Europäische Verfassung stärkt das Europäische Parlament und wird neben dem Rat zum gleichberechtigten Gesetz­gebungsorgan. Das bedeutet, dass künftig 95 Prozent aller Gesetze nur noch gemeinsam mit dem Europäischen Parlament beschlossen werden können.

Bei der Zusammensetzung der Kommission kann nun das Europäische Parlament mitreden. Es wird in Zukunft auch den Kommissionspräsidenten wählen und nicht nur, wie derzeit, bestätigen. Die gesamte EU-Kommission einschließlich der neuen euro­päischen Außenministerin wird dem Parlament verantwortlich sein.

Mit dem europäischen Volksbegehren wird erstmals ein Instrument der direkten Demo­kratie eingeführt. Mit einem solchen von mindestens einer Million EU-Bürger unter­zeichneten Volksbegehren kann die EU-Kommission aufgefordert werden, einen bestimmten Gesetzesvorschlag auszuarbeiten.

Meine Damen und Herren! Auch die nationalen Parlamente sind in Zukunft besser und früher in die europäische Gesetzgebung eingebunden. Die europäische Gesetzgebung wird ein Mitentscheidungsverfahren und räumt dem Europäische Parlament die beste Möglichkeit der Mitgestaltung ein. Das Europäische Parlament als direkt gewählte Bürgerkammer und der Ministerrat als Staatenkammer werden also im Mitentschei­dungs­verfahren die beiden Arme der europäischen Gesetzgebung sein.

Darüber hinaus beschließen sie auch das Budget der Union. Die neuen Befugnisse des Europäischen Parlaments betreffen insbesondere die Bereiche Justiz, Innere Sicherheit sowie den großen Bereich der Agrarausgaben der Union.

Eine weitere Neuerung ist, dass in Zukunft die EU-Polizeibehörde Europol der parla­mentarischen Kontrolle unterliegen wird.

Meine Damen und Herren! Zu den Werten der Union zählen die Gleichheit von Frauen und Männern, Nichtdiskriminierung, Gerechtigkeit, Solidarität und Minderheitenschutz. Bisher waren hauptsächlich die Aussagen zu den wirtschaftlichen Zielen, wie der Begriff „offene Marktwirtschaft“, oder traditionelle liberale Werte, wie Freiheit und Rechtsstaatlichkeit, in den verschiedenen Verträgen verankert.

Die Europäische Verfassung verankert erstmals soziale Ziele, Werte und Rechte im Verfassungsrang. Außerdem sind neue Ziele, wie Frieden, Schutz der Werte und des Wohlergehens der Völker, ausgewogenes Wirtschaftswachstum sowie eine in hohem Maße wettbewerbsfähige soziale Marktwirtschaft, die Vollbeschäftigung und der soziale Fortschritt festgeschrieben.


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Die Verankerung der Grundrechtscharta musste vom Konvent, insbesondere von den Sozialdemokraten, erst hart erkämpft werden. An diesen Werten und Zielen wird die Union in Zukunft ihre Handlungen orientieren und sich daran messen lassen. Es grenzt an ein kleines politisches Wunder, dass in Zeiten wieder erstarkender Nationalismen, einer dominanten neoliberalen Ideologie und angesichts von konservativen Regierun­gen in verschiedenen EU-Ländern eine Verfassung wie diese überhaupt zu Stande gekommen ist.

Die Säulen der neuen Europäischen Verfassung garantieren den 450 Millionen Men­schen in der Union für die Zukunft ein humanitäres, soziales und demokratisches Europa. – Meine Damen und Herren! Stimmen wir gemeinsam für ein Europa der Zukunft! (Beifall bei SPÖ und ÖVP sowie der Bundesrätin Dr. Lichtenecker.)

11.32


Präsident Mag. Georg Pehm: Zu Wort gelangt Herr Bundesrat Weilharter. – Bitte.

 


11.32.13

Bundesrat Engelbert Weilharter (Freiheitliche, Steiermark): Herr Präsident! Verehrte Frau Außenminister! Herr Staatssekretär! Herr Präsident des Baden-Württembergi­schen Landtages, Herr Straub! Sehr verehrte Damen und Herren! Dass eine Europäische Verfassung und somit ein Grundrechte- und Grundwertekatalog einheit­lich für rund 450 Millionen Menschen geschaffen wird, ist durchaus positiv, weil meiner Meinung nach Grundrechte, wie Verfassung oder Menschenrechte, unteilbar sind.

Meine Damen und Herren! Bezüglich der Frage, wie wir zu diesem gemeinsamen Wertekatalog gekommen sind beziehungsweise kommen wollen, gibt es unterschied­liche Positionen und massive Differenzen. Verschiedene Nationalstaaten haben unterschiedliche Wege zur Entscheidungsfindung gewählt: zum Beispiel nationale Volksabstimmungen oder, wie das österreichische Parlament, eine parlamentarische Entscheidung, eine Entscheidung durch die Volksvertreter. – Beides, meine Damen und Herren, sind legitime demokratische Methoden und Wege. Der Widerspruch liegt nicht im Ziel, sondern im Weg zum Ziel begründet.

Meine Damen und Herren! Dieses Europa hatte nicht den Mut, den Entschluss, den Weg zum Ziel zu bestimmen und zu entscheiden, vorweg zu fassen und hat die Entscheidungsfindung der zwei Wege, über eine Volksabstimmung oder eine parla­mentarische Entscheidung, den Nationalstaaten überlassen.

Ich mache kein Hehl daraus, meine Damen und Herren, dass meine Präferenz beim Volksentscheid, bei einer Volksabstimmung liegt, obwohl ich weiß, dass das öster­reichische Parlament mit dem Ermächtigungsgesetz im März dieses Jahres bezie­hungsweise schon im Jahr 1994 mit dem Ermächtigungsgesetz für den Beitritt zur EU diese Mitbestimmung durch das Volk leider ausgeschaltet hat. Ich sage auch, alle Parteien ... (Bundesrat Weiss: ...! Das ist schon ein Unterschied!) – Herr Kollege Weiss, wir alle waren uns in dieser Frage leider einig! Als Demokrat nehme ich diese Entscheidung zur Kenntnis. Der Wähler wird seine Entscheidung darüber spätestens im Jahr 2006 treffen. Dessen müssen wir uns bewusst sein und es zur Kenntnis nehmen.

Meine Damen und Herren! Ungeachtet dieser Kritik muss bemerkt werden, dass inhaltlich einige wichtige Positionen in dieser Europäischen Verfassung geregelt und normiert werden: zum Beispiel der Ausschluss von Willkürakten, dass eben Sanktionen in Zukunft nicht mehr möglich sein sollten. Wir Österreicher wissen in dieser Frage, wovon wir reden.

Es ist weiters eine vernünftige Entscheidung und eine wichtige Sache, dass Begriffe wie „europäische Rahmengesetze“, „europäische Verordnungen“ Klarheit in den


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Rechtsakten schaffen. Die Bürgerrechtscharta wird Bestandteil der Verfassung sein. Das muss und sollte positiv erwähnt werden. Es ist außerdem festgeschrieben, dass militärische und sicherheitspolitische Entscheidungen weiterhin dem Einstimmigkeits­prinzip unterliegen.

Ich bin froh darüber, dass diese Themen in der Europäischen Verfassung einheitlich geregelt, normiert und definiert sind. Ich bin aber überzeugt davon, meine Damen und Herren, dass diese Europäische Verfassung in der jetzigen Form nur der erste Schritt sein kann. Wir werden uns permanent einbringen und daran arbeiten müssen, um die europäischen Grundrechte, die Europäische Verfassung nicht versteinern und veraltern zu lassen. Wir werden permanent daran arbeiten müssen, dass sie adaptiert wird und zeitgemäß ist.

Meine Damen und Herren! Es ist mir bewusst, dass einiges, wie zum Beispiel die Anzahl und die Modalität der Bestellung der Kommissare, nicht meiner und der Vorstellung vieler Österreicherinnen und Österreicher entspricht. Auch diesbezüglich liegt ein Stück mühsamer Arbeit vor uns.

Die grundsätzliche Entscheidung zur Europäischen Verfassung ist gefallen. Ich werde deshalb, meine Damen und Herren, keinen Einspruch erheben, sondern – wie erwähnt – an der Weiterentwicklung unseres gemeinsamen Hauses Europa – wenn auch kritisch – mitwirken und mitarbeiten. Damit werde ich eine Stimme der kritischen Europäer sein und bleiben. (Beifall bei den Freiheitlichen und der ÖVP.)

11.37


Präsident Mag. Georg Pehm: Zu Wort gelangt Frau Bundesrätin Dr. Lichtenecker. – Bitte.

 


11.37.19

Bundesrätin Dr. Ruperta Lichtenecker (Grüne, Oberösterreich): Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Frau Ministerin! Herr Staatssekretär! Sehr geehrter Herr Präsident Straub! Hohes Haus! Geschätzte Damen und Herren! Zu Beginn möchte ich ein Wort an Herrn Kollegen Kneifel richten: Herr Kollege, ich danke Ihnen für die Ausführungen in Bezug auf die Diskussionen im familiären Kreis über Schützengräben und ihre Sinnlosigkeit in dieser Form und darüber, dass das keine Perspektive ist. Ich gebe Ihnen völlig Recht. In diesem Kontext – so denke ich – wäre es ein nächster Schritt, darüber zu diskutieren, die Kameradschaftsbünde abzuschaffen, denn auch dort passiert nicht viel mehr als die Diskussion über die Schützengräben, und den Weg nach Europa und für die Jugend freizugeben. (Beifall bei den Grünen und der SPÖ. – Bundesrat Kneifel: Der Kameradschaftsbund ...!)

Die Stärken des vorliegenden Verfassungsvertrages sind heute schon diskutiert worden. Ich möchte noch einmal kurz auf die Mängel eingehen, die wir Grüne beson­ders im Vordergrund sehen und bezüglich derer wir sagen: Es ist wichtig, weiter­zudiskutieren. In welchem Bereich sind die weiteren Schritte in der Veränderung der Verfassung zu setzen? – Ein Punkt ist, dass eine gemeinsame Sozialordnung für Europa fehlt.

Und etwas, was mich besonders schmerzt, ist, dass es keine einheitlichen Regelungen über die ökonomischen Rahmenbedingungen gibt, die auch den Weg in die Welt regeln und das Thema Globalisierung sachlich mitberücksichtigen.

Natürlich ist das Thema „Demokratie“ noch immer unvollständig. Von unserer Seite und von der Seite friedenspolitischer Projekte in Österreich gibt es die große Sorge, dass sich ein militärisches Kerneuropa bilden könnte und die EU ihre Sicherheitspolitik ohne völkerrechtliche Grundlagen an die NATO überträgt.


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Ein Bereich, der mangelhaft ist, zu dem es jetzt aber eine einstimmige Entschließung im Nationalrat gibt, ist das Thema „europäisches Referendum“. Dabei ist anzumerken, dass es ein halbes Jahr vorher in der Regierung noch abgelehnt wurde, dieses Thema in die Verfassung einzubringen und zu implementieren. Das Volk in diesen zentralen Fragen mit einzuschließen ist ein wichtiger Bestandteil, um Europa zu bewegen.

Das ist auch die Position Ihres Fraktionskollegen – das betrifft die ÖVP –, des ehe­maligen Landwirtschaftskommissars Fischler. Im „NEWS“ heißt es: Fischler rügt die Regierung. Die Leute wissen wenig über die Verfassung, und das ist bedauerlich. – Zitatende.

Fischler prangert in diesem Interview die Vorgangsweise der Regierung sehr heftig an, einerseits auf das Referendum bezogen, andererseits auf die Informationspolitik. Ich denke, dass man das als Auftrag mitnehmen kann.

Die Frau Ministerin hat heute die Größe dieser Verfassung angesprochen und den Beschluss und die Ratifizierung als ersten gemeinsamen Akt der EU-25 bezeichnet. Dem kann ich mich nur anschließen. Wir haben vor noch nicht allzu langer Zeit die EU-Erweiterung beschlossen und damit einen historischen Akt gesetzt. Es war die Überwindung einer 50-jährigen Teilung Europas nach dem Zweiten Weltkrieg. Jetzt bieten sich Chancen auf eine gemeinsame gesellschaftliche, kulturelle, wirtschaftliche, aber auch friedenspolitische Entwicklung. Das ist gut so.

Darum wird es zum Thema Verfassung von uns Grünen – wenn auch nicht voll­ständig – ein klares Ja geben. Wir haben uns zu Wort gemeldet, weil wir es für wichtig halten, dass die letzte Rede zu diesem Punkt ein Mitglied einer Fraktion hält, die eine eindeutige und klare Position in dieser Frage hat und nicht wie die Fraktion meines Vorredners gespalten ist. Von unserer Seite also ein klares Ja zu Europa und zu dieser Verfassung! (Beifall bei den Grünen und der SPÖ.)

11.42


Präsident Mag. Georg Pehm: Zu einer tatsächlichen Berichtigung ist Herr Bun­desrat Bieringer gemeldet. Sie kennen die Bestimmungen der Geschäftsordnung. – Bitte.

 


11.42.26

Bundesrat Ludwig Bieringer (ÖVP, Salzburg): Herr Präsident! Frau Bundesminis­terin! Herr Staatssekretär! Herr Präsident Straub! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Frau Kollegin Lichtenecker! Als Präsident des Österreichischen Kamerad­schaftsbundes mit seinen 250 000 Mitgliedern, 2 000 Ortsverbänden und neun Lan­desverbänden weise ich Ihre Anschuldigungen, dass der Kameradschaftsbund ein Klüngel sei, der nur über Vergangenes spricht, mit aller Entschiedenheit zurück.

Wir haben in den letzten Jahren öfters bewiesen, dass wir erstens soziale Taten set­zen. Wir haben – soweit ich das mitbekommen habe – die größte Sammelaktion für die Hochwasseropfer des Jahres 2002 durchgeführt. Wir haben nicht nur das getan, sondern einen Sozialfonds gegründet, durch den wir Menschen, die unverschuldet in Not geraten sind, unterstützen. Und wir sind Mahner für den Frieden! Unser größtes Interesse ist es, dass in diesem Land nie mehr Krieg ist.

Ich weise daher Ihre Aussagen gegenüber dem Österreichischen Kameradschaftsbund mit aller Entschiedenheit zurück! (Beifall bei der ÖVP und den Freiheitlichen.)

11.43


Präsident Mag. Georg Pehm: Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor.

Wünscht noch jemand das Wort? – Das ist nicht der Fall.


Bundesrat
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Die Debatte ist geschlossen.

Wird von der Berichterstattung ein Schlusswort gewünscht? – Auch das ist nicht der Fall.

Wir kommen daher zur Abstimmung über den Beschluss des Nationalrates vom 11. Mai 2005 betreffend einen Vertrag über eine Verfassung für Europa samt Protokolle, Anhänge und Schlussakte.

Da der vorliegende Beschluss der Zustimmung des Bundesrates bei Anwesenheit von mindestens der Hälfte der Mitglieder des Bundesrates und einer Mehrheit von mindestens zwei Dritteln der abgegebenen Stimmen bedarf, stelle ich zunächst die für die Abstimmung erforderliche Anwesenheit der Mitglieder des Bundesrates fest.

Wir gelangen zuerst zur Abstimmung über den Antrag, gegen den vorliegenden Beschluss des Nationalrates keinen Einspruch zu erheben.

Ich bitte jene Bundesrätinnen und Bundesräte, die diesem Antrag zustimmen, um ein Handzeichen. – Das ist Stimmenmehrheit. Der Antrag ist somit angenommen.

Ich bitte weiters jene Bundesrätinnen und Bundesräte, die dem vorliegenden Be­schluss im Sinne des Bundesverfassungsgesetzes über den Abschluss des Vertrages über eine Verfassung für Europa die verfassungsmäßige Zustimmung erteilen, um ein Handzeichen. – Das ist Stimmenmehrheit.

Der Antrag, dem vorliegenden Beschluss im Sinne des Bundesverfassungsgesetzes über den Abschluss des Vertrages über eine Verfassung für Europa die verfassungs­mäßige Zustimmung zu erteilen, ist somit unter Berücksichtigung der besonderen Beschlusserfordernisse angenommen.

Ausdrücklich stelle ich die verfassungsmäßig erforderliche Zweidrittelmehrheit fest.

Die Tagesordnung ist erschöpft.

*****

Bevor ich diese Sitzung schließe, gebe ich bekannt, dass die Mitglieder der Prä­sidialkonferenz und die Mitglieder des Außenpolitischen Ausschusses sowie des EU-Ausschusses im Anschluss an diese Sitzung mit dem Herrn Präsidenten des Aus­schusses der Regionen zu einer Aussprache zusammentreffen werden. Ich habe veranlasst, dass die Rede des Herrn Präsidenten Straub an Sie verteilt wird.

Die nächste Sitzung, die 722. Sitzung, wird dann eingeläutet.

Diese Sitzung ist geschlossen.

11.46.09 Schluss der Sitzung: 11.46 Uhr

Impressum:

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