BundesratStenographisches Protokoll819. Sitzung / Seite 21

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gionsausübung verfolgt, so beispielsweise im Iran. In den Gefängnissen sitzen nicht nur Bahais und Christen, sondern auch viele kritische Muslime.

Es gibt natürlich auch Politiker, die mit Angst spielen, weil Ressentiments und Paranoia Mittel der politischen Mobilisierung sind. In Staaten mit schwachen öffentlichen Institu­tionen wird ein Spiel getrieben, das auf Kosten der Religionsfreiheit geht. Autoritäre Regime haben immer Angst, dass sich soziale Gruppen, die jenseits ihrer Kontrolle sind, selbständig organisieren.

In Europa verkehren sich scheinbar die Rollen. Hier fühlen sich die Muslime oft un­terdrückt und verfolgt, die Berufung auf das Christentum, die man bei islamophoben Bewegungen in Europa gelegentlich findet, bleibt meist extrem oberflächlich. Die Skep­sis gegenüber dem Islam, die zu Islamophobie führen kann, verläuft heute primär nach dem Muster: Wir sind modern, die anderen sind Modernitätsverweigerer! Es geht mitt­lerweile nicht mehr so sehr nach dem alten Muster: Abendland versus Morgenland, sondern: moderne versus vormoderne Aufklärung versus Aufklärungsverweigerung.

Das erkennt man übrigens auch daran, dass diese Frage sehr stark an der Frauenthe­matik exemplifiziert wird. Wie hält man es mit dem Kopftuch? Wie hält man es mit der Burka, mit der Zwangsverheiratung? Beim Gender-Thema bilden wir in Europa uns ein, dass wir auf dem Stand der Postaufklärung angelangt sind, während die anderen an­geblich auf ewig in der Phase der Präaufklärung verharren. Ob das so ist, lasse ich da­hingestellt.

Religionsfreiheit gehört zum Kernbestandteil jeder Zivilgesellschaft, doch auch diese Tradition wird brüchig. Das in Wien beheimatete Dokumentationsarchiv der Intoleranz gegen Christen schreibt im Jahresbericht 2011, in Europa seien 85 Prozent aller Hass­delikte gegen Christen gerichtet. Der ehemalige EU-Kommissar Lord Chris Patten hält es für „bemerkenswert“ – ich zitiere –, „wie intolerant sich die Atheisten gegenüber Gläubigen verhalten“. Also auch die Christophobie schreitet voran in unseren Ländern.

Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Bloßes Dulden anderer Religionen und Kultu­ren reicht für einen Dialog nicht aus. (Präsident Mayer gibt das Glockenzeichen.) Es braucht viel mehr die Einsicht in den bereichernden Wert von Vielfalt und die Wert­schätzung religiöser wie kultureller Diversität. Religion ist eben immer auch eine öffent­liche Angelegenheit, eine zivile Gesellschaft darf den Glauben oder auch den Unglau­ben ihrer Bürger nicht ins stille Kämmerlein verbannen. Christen, Juden, Moslems, Buddhisten, Atheisten, Agnostiker, sie alle müssen dasselbe unteilbare Recht haben, sich zu ihrer jeweiligen Weltanschauung friedlich zu bekennen. Nur so leisten sie der Freiheit einen Dienst auf der ganzen Welt.

 


Präsident Edgar Mayer: Frau Vizepräsidentin, ich darf Sie um einen Schlusssatz er­suchen.

 


Bundesrätin Mag. Susanne Kurz (fortsetzend): Ich komme gleich zum Schluss, Herr Präsident, ich denke, das ist ein wichtiges Thema und 1 Minute Überzeit wird mit Si­cherheit möglich sein.

Die Frage der Religionsfreiheit darf nicht losgelöst von anderen Rechten wie den wirt­schaftlichen, sozialen und kulturellen Rechten betrachtet werden. Eine Verbesserung der Situation von Minderheiten kann nur mit der Verbesserung aller Menschenrechte der Betroffenen einhergehen. Dabei kann die EU und somit auch Österreich unterstüt­zend wirken und Perspektiven eröffnen, zum Beispiel in konkreten Bereichen wie der Bildung oder der Zusammenarbeit mit den NGOs. Wichtig ist zum Beispiel auch, den Jugendaustausch zu forcieren. Die EU soll sich darauf konzentrieren, einen Beitrag zur Verbesserung der tatsächlichen Lebensbedingungen der Menschen zu leisten, denn Bildung und Wohlstand sind Grundvoraussetzungen für ein friedliches Zusammenleben verschiedener Weltanschauungen.

 


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