BundesratStenographisches Protokoll856. Sitzung / Seite 33

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Präsident Mario Lindner: Als Nächste zu Wort gemeldet ist Frau Bundesrätin Dr. Rei­ter. – Bitte, Frau Bundesrätin.

 


10.29.35

Bundesrätin Dr. Heidelinde Reiter (Grüne, Salzburg)|: Herr Präsident! Hohes Präsi­dium! Herr Landeshauptmann! Werte Kollegen und Kolleginnen! Werte Zuseher und Zuseherinnen an den Fernsehgeräten! Wir Grünen haben leider keine steirischen Bun­desräte, die wir heute hier aufbieten hätten können. Die grüne Steiermark ist uns also leider noch nicht grün genug. Deshalb will ich auch nicht auf spezifische steirische Ge­gebenheiten eingehen, sondern auf den Titel, den Sie gewählt haben, nämlich „Ge­meinsam neue Wege gehen“.

Warum ist das gemeinsam so schwierig? – Diese Fragen werden einem als Politiker draußen immer wieder gestellt: Wieso streitet ihr nur? Warum geht ihr nicht gemein­sam vor? – Als schnelle Antwort erwidere ich dann immer: Es gibt viele Leute, die zu zweit versuchen, gemeinsam in großer Liebe und in großer Harmonie zu gehen, aber auch denen gelingt es nur zur Hälfte – und das sind nur zwei, mit anderen Ausgangs­positionen als jenen, die Bewohner und Bewohnerinnen einer Gemeinde, eines Lan­des, eines Staates bei dem Versuch vorfinden, gemeinsam zu gehen. (Vizepräsidentin Winkler übernimmt den Vorsitz.)

Aber warum ist das wirklich so schwierig? – Eigentlich sind wir alle soziale Wesen. Wir sind Rudelwesen, weil man ja sehr hilflose Kinder bekommt und weil die Aufzucht un­serer Kinder sehr schwierig ist. Deshalb ist auch das afrikanische Sprichwort ganz rich­tig: Es braucht ein Dorf, um ein Kind großzuziehen. – Darum sind wir Rudelwesen be­ziehungsweise eben soziale Wesen.

Die nächsten Fragen sind jedoch: Wer gehört zum Rudel? (Heiterkeit bei den Grünen und bei Bundesräten der ÖVP.) Wer sagt, wohin es gehen soll? Wer sagt, wie schnell es gehen soll? – Damit kommen die Probleme.

Griechenland hat zur Lösung beziehungsweise zur Verbesserung der Lösung dieser Probleme groß die Demokratie erfunden. Männer sind auf dem Platz gesessen und haben Richtung, Geschwindigkeit und so weiter für das Rudel definiert. Frauen haben nichts zu sagen gehabt, und es gab auch noch die vielen Idiotes, die auch nichts zu sa­gen hatten; heute würde man diese „arbeitende Bevölkerung“ nennen.

Dann kam der große zivilisatorische Fortschritt des römischen Rechts: Man hat diese Dinge verschriftlicht, und die Regeln wurden eigentlich kontinuierlich bis in unsere Ta­ge fortentwickelt, wobei es natürlich immer wieder Rückfälle ins Faustrecht und Ähnli­ches gab. Aber wir sind doch einigermaßen weit gekommen in dem Versuch, zu defi­nieren, wohin, wie schnell und von wem geführt das Rudel laufen soll.

Vielleicht sind wir aber inzwischen auch schon zu weit, denn das, was wir haben und beobachten, ist doch ein großes Akzeptanzproblem für die Regelmacher: Sie werden von den anderen beziehungsweise vom restlichen Rudel in vielerlei Hinsicht nicht mehr akzeptiert, das Vertrauen ist nicht mehr da. Menschen fühlen sich ausgegrenzt, eben nicht als Teil des Rudels, sie fühlen sich überfordert von der Vielzahl von Vorschriften, von Regeln.

Wir haben also das Problem der Rudelabgrenzung: Man fühlt sich wahrscheinlich zu­erst als Steirer, oder zuvor noch als Mitglied vom Landl – der Herr Präsident sitzt jetzt allerdings nicht mehr am Präsidium! – oder ähnlichen Rudelgrößen. Dann kommt das Land, und dann wird es schon viel schwieriger, als österreichisches Rudelmitglied zu laufen oder gemeinsam zu gehen. Als europäisches Rudelmitglied ist es noch schwie­riger, und eigentlich müssten wir auch von einem globalen Rudel reden, wenn wir se­hen, dass es etwa in Zeiten des Klimawandels notwendig ist, gemeinsame Wege glo­bal zu gehen.

 


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