12.43.05

Bundesrat Hubert Koller, MA (SPÖ, Steiermark)|: Sehr geehrter Herr Präsident! Lie­be Frauen Ministerinnen! Meine geschätzten Kolleginnen und Kollegen! Liebe Zu­schauer! Sie kennen mich: Ich bin eher der Diplomat, ich bin niemand, der voller Emo­tionen he­rausplärrt, aber ab und zu bin ich auch gereizt. Verzeihen Sie daher, wenn ich vielleicht irgendetwas überbordend mache – es kommt von Herzen. (Allgemeine Hei­terkeit.)

Zwischen Unternehmern und Arbeitnehmern ist eine kleine Märchenstunde entstan­den. Verzeihen Sie uns, wenn wir die ganzen 100 Prozent der Auswirkungen dieses Gesetzes aufzeigen und nicht immer gerade das, was die Unternehmer sehr schätzen, Frau Vizepräsidentin der Wirtschaftskammer. (Zwischenrufe bei der ÖVP. – Bundesrä­tin Zwazl: Präsidentin! Das Vize weg!) – Frau Präsidentin der Wirtschaftskammer! – Ich korrigiere, mache also eine tatsächliche Berichtigung.

Natürlich lockt das Emotionen hervor. Das passiert vor allem dann, wenn man – auf Deutsch gesagt – nicht miteinander redet. Dieses Gesetz ist meines Erachtens wirklich durchgepeitscht worden. Man hat nicht genug miteinander gesprochen, sonst wäre die Aufregung nun nicht so groß. Man muss das bitte auch ernst nehmen, wenn 100 000 Menschen in Wien auf die Straße gehen und das artikulieren. (Bundesrätin Mühlwerth: Bezahlt vom ÖGB!)

Herr Kollege Krusche ist nicht da. (Bundesrat Krusche – hinter dem Redner auf dem Platz des Schriftführers sitzend –: Da bin ich!) – Da ist er (sich in Richtung Bundesrat Krusche umdrehend), als Schriftführer bedeutend aufgestiegen! (Zwischenrufe bei der FPÖ.) Lieber Herr Kollege Krusche, meiner Erinnerung nach hatten wir bei der Na­tionalratswahl 2017 rund 45 000 Stimmen mehr als die FPÖ. Wir sind also nicht die be­deutungsloseste, kleinste Partei, sondern eine ordentliche Partei, die mitdiskutieren und mitreden möchte. (Beifall bei der SPÖ sowie der Bundesrätin Dziedzic. – Zwi­schenruf der Bundesrätin Mühlwerth. – Bundesrat Krusche: Aber eure Handlungen sind bedeutungslos!) – Das kann sein, aber warten Sie den Tag ab – es werden ande­re Jahrzehnte kommen, in denen jemand anderer regiert! Eines hat Kern ja schon ge­sagt: Wir werden dieses Gesetz zurücknehmen. Das wird dann die erste Aufgabe sein. (Beifall bei der SPÖ.)

Es wurde heute schon vieles gesagt und ich möchte nicht alles wiederholen. Vor hun­dert Jahren war das Motto: 8 Stunden Arbeit, 8 Stunden Freizeit und 8 Stunden Schlaf. – Das war der Antrieb für die Veränderung der Arbeitszeit, bis hin zu dem Ni­veau, das wir heute haben.

Wir appellieren ja nur dafür, dass man darüber redet, dass wir uns noch Zeit nehmen und versuchen, bis zum Herbst eine gute Lösung zusammenzubringen. Arbeitnehme­rinnen und Arbeitnehmer und Unternehmer sollen gemeinsam vorgehen können – für den sozialen Frieden in Österreich.

Die Märchenstunde fängt ja schon so an, dass Sie den Leuten die Zeit wegnehmen, ihr Familienleben und ihr gesamtes Leben zu gestalten. Sie nehmen ihnen auch das Geld weg – ich werde kurz darauf eingehen –, und Sie nehmen ihnen vor allem auch die Ge­sundheit weg. Das klingt fast so ein bisschen wie das Märchen von Robin Hood, nur umgekehrt, denn dieser hat den Reichen genommen und den Armen gegeben, wäh­rend Sie Zeit, Geld und Gesundheit nehmen und den Reicheren zuschieben. Sie wol­len also die Sage umschreiben; um beim Märchenbeispiel zu bleiben.

Sie hebeln in diesem Fall eben auch die Sozialpartnerschaft aus. Sie, Frau Präsidentin der Wirtschaftskammer, haben ja so gelobt, dass diese in Niederösterreich so gut funk­tioniert. Wenn Sie das hier auch machen möchten und sagen, dass ganz Österreich so klasse miteinander reden soll, dann können Sie heute ja dagegen stimmen oder unse­ren Anträgen zustimmen, damit wir das im Herbst noch sinnvoll gestalten können. (Bun­desrätin Zwazl: Was ist konkret bis Herbst?)

Sie aber ignorieren insgesamt alle Warnungen und auch den Gegenwind, der ja nicht nur von uns kommt, sondern auch von den Bundesländern. Da sitzen anscheinend noch die richtigen Schwarzen und keine Türkisen. Auch von den Bundesländern kommt ja Widerstand!

Der Widerstand kommt auch aus euren Reihen, liebe Kolleginnen und Kollegen der Freiheitlichen Partei! Nur davon zu reden, dass ihr für die Arbeitnehmerinnen und Ar­beitnehmer seid, hilft ja nicht. Ihr müsst da in den sauren Apfel beißen, weil natürlich im Koalitionspakt steht, dass ihr einander nicht überstimmt – das ist ja klar, dafür habt ihr andere Dinge bekommen, und vielleicht nun mit der Notenbank etwas Neues.

Es gibt also Widerstände. Ich bin mir nicht sicher, lieber Kollege (in Richtung Bundesrat Mayer, der mit einem Kollegen spricht) – er spricht jetzt gerade eifrig –, ob die Arbeit­nehmerInnenvertreter in höchsten Positionen hier herinnen wirklich aus vollster Über­zeugung hinter diesem Gesetz stehen. Lieber Edgar Mayer, du bist eine Persönlichkeit, die wir in unserer Partei insgesamt sehr schätzen. Es gibt dann ja auch noch Armin Forstner, den Kollegen Bürgermeister in der Reihe dahinter, oder den Herrn Kollegen Rösch. Seid ihr mit dem zufrieden? (Zwischenruf bei der SPÖ.) Ist es wirklich so, dass ihr das alles nicht hört, was draußen passiert? Das kann ja nicht sein!

Sie sprechen von einer Win-win-Situation, während es, ganz im Gegenteil, ein Fron­talangriff auf die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer Österreichs ist! (Beifall bei der SPÖ sowie der Bundesrätin Dziedzic.) Es ist klar, dass das ein Kniefall vor der In­dustriellenvereinigung und auch vor der Wirtschaftskammer ist, denn der Nutzen für die Arbeitgeber liegt auf der Hand, logisch. Ich würde ja auch jubeln, wenn ich Präsident oder Präsidentin wäre. (Bundesrätin Zwazl: Ich bin Unternehmerin und Arbeitgeberin, und eine gute! Meine Mitarbeiter sind zufrieden, und in unseren Betrieben auch! – Bei­fall bei ÖVP und FPÖ. – Rufe bei der SPÖ: Weiter, Hubsi!)

Übrigens sagt das, was ich gesagt habe, auch Erwin Zangerl, der ist immerhin ÖVPler – bis jetzt gewesen – und AK-Chef in Tirol.

12 Stunden zu arbeiten verändert die Zeitressourcen der Menschen, vor allem der ar­beitenden Menschen. Und das ist ja nur die Nettoarbeitszeit, wir haben heute schon gehört, dass da mehr dazu gehört: Es gibt Anfahrtszeiten – das AMS sagt, 1 Stunde in eine Richtung ist zumutbar, bald werdet ihr das wohl auf 2 Stunden erhöhen. 1 Stunde Anfahrtszeit, 1 Stunde für die Rückfahrt, 12 Stunden Arbeit plus die gesetzlichen Pau­sen: Das ist insgesamt enorm viel Zeit, die in einen Arbeitstag investiert wird. (Zwi­schenruf der Bundesrätin Steiner-Wieser.) Wenn man dann noch 8 Stunden schlafen will (Ruf bei der FPÖ: Schlafen wird überbewertet!), bleiben 3 Stunden für die Familie und weitere Dinge übrig. Dass das auch die Gesundheit gefährdet, könnt ihr nicht be­streiten!

Es gibt natürlich Branchen, in denen es besser geht. Es gibt aber Branchen – vor allem auch Schwerarbeiter betreffend –, in denen das nicht gut geht – es hat da Beispiele ge­geben.

Der Pflasterstein war eine Geschichte eines Gewerkschaftskollegen. Wir stehen aber nicht dahinter. (Bundesrat Steiner hält einen Ausdruck mit der Bildüberschrift „Der Pflasterstein“ in die Höhe, auf dem drei Abbildungen mit Bildunterschriften gezeigt wer­den, von denen die erste einen von einer Hand umfassten Pflasterstein, die zweite ei­nen Pflasterstein mit Grablicht und die dritte Abgeordneten Muchitsch zeigt.) Wir haben nichts damit zu tun, dass da irgendwelche Pflastersteine aufgebaut werden oder so et­was. (Zwischenrufe bei der FPÖ.) Wir distanzieren uns davon! Dieses Bild (auf den von Bundesrat Steiner weiterhin in die Höhe gehaltenen Ausdruck zeigend) gehört weg! (Rufe bei der FPÖ: Da habt ihr applaudiert! Ihr habt applaudiert!) Mein Kollege, der Ge­werkschafter Muchitsch, hat damit überhaupt nichts zu tun. (Beifall bei der SPÖ. – Rufe bei der FPÖ: Schämen Sie sich!)

12 Stunden Arbeit verändern aber auch das Einkommen. Sie, Frau Präsidentin Zwazl, haben gesagt, dass eh alles bezahlt wird. Ich kenne auch viele Unternehmen, die sehr vorbildlich mit ihren Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern umgehen, in denen Verein­barungen getroffen werden und alles bezahlt wird. (Zwischenruf bei der ÖVP.) Es gibt aber auch andere. Wir sind da, um auch die schlechteren Beispiele aufzuzeigen. (Bun­desrätin Zwazl: Es gibt auch andere Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, und über die reden wir auch nicht!)

Es gibt genug Überstunden, die nicht bezahlt werden. (Bundesrat Spanring: Das gibt es aber jetzt schon!) Die Gewerkschaft beziffert das mit 50 000, was 1 Milliarde Euro entspricht. (Bundesrätin Zwazl: Wenn einer was nicht zahlt, dann hat er es nachzu­zahlen! Punktum! Wir stehen nicht dafür! Aber wir machen - -!) – Ich nehme Sie beim Wort! (Bundesrätin Zwazl: Kannst du eh!) – Ich nehme Sie beim Wort! (Bundesrätin Zwazl: Wir können auch beim Du bleiben!)

Meine Damen und Herren, ich bin selber lange Bürgermeister gewesen: Eine längere Arbeitszeit schlägt sich auch auf das Ehrenamt nieder. Sie wissen, ich bin aus einem kleinen Dorf, da ist man bei zehn, zwölf Vereinen dabei. (Zwischenruf des Bundesrates Preineder.) Wir wissen, wie wichtig Vereine wie Musikkapellen, Feuerwehr und andere sind. Diese Stunden Mehrarbeit gehen beim Ehrenamt dann ab, Sie aber schlagen alles in den Wind. Sogar wenn die Kirche etwas sagt, seid ihr still und sagt nichts, liebe ÖVP! (Zwischenrufe bei der ÖVP.) Ja, selbst die Bischofskonferenz mischt sich ein und macht sich Sorgen. (Beifall bei der SPÖ. – Zwischenruf der Bundesrätin Mühlwerth.)

Meine Damen und Herren, insgesamt werden im Jahr 250 Millionen Überstunden ge­leistet, und 20 Prozent davon werden überhaupt nicht ausbezahlt. Diese Zahl kann sich nun erhöhen, ja sogar verdoppeln. Das heißt, dass über 2 Milliarden Euro vielleicht nicht ausbezahlt werden. (Bundesrätin Zwazl: Wenn du das weißt, müssen sie auch bezahlt werden!) Ich weiß schon, dass die Menschen, die Überstunden leisten, das Geld brauchen. (Bundesrätin Zwazl: Ja eh, das kriegen sie auch!) Ich bin seit 30 Jah­ren in der Kommunalpolitik, da weiß ich, was jeder Einzelne braucht. (Bundesrätin Zwazl: ...! In unseren Betrieben gibt es das nicht!)

Mit diesen Überstunden könnte man bei angenommenen 2 000 Arbeitsstunden 125 000 Arbeitsplätze schaffen, und das in Zeiten von Digitalisierung und Robotik – was sich vier Präsidenten des Bundesrates während ihrer Präsidentschaft vorbildlich zum Thema genommen haben (Bundesrätin Mühlwerth: Marx lässt grüßen!) –, in de­nen wir eher die Angst haben, dass Posten wegfallen. (Zwischenruf der Bundesrätin Zwazl.) Es wäre sinnvoller, die Stunden auf 35 zu reduzieren und nicht auf 40 oder noch mehr zu erhöhen. (Zwischenruf der Bundesrätin Mühlwerth.) Das ist anzuden­ken und nicht umgekehrt! (Beifall bei der SPÖ. – Bundesrätin Zwazl: Nein, das sind qualifizierte Arbeitsplätze! Und du musst ja den Leuten sagen, dass sie durch jeden x-Beliebigen ersetzt werden! Die Leute leisten qualifizierte Arbeit! – Ruf bei der SPÖ: Wenn Sie sich zu Wort melden wollen, dann gehen Sie hinaus, dann melden Sie sich zu Wort!) – Ich habe nur kurz zugehört, damit ich ein bisschen eine Verschnaufpause habe, denn die Debatte ist emotional!

Meine Damen und Herren, zu dem, was der Kollege, der von mir sehr geschätzte Bür­germeister aus Hüttenberg, vor mir gesagt hat: Das ist eben ein Schmarrn! Wenn das in diesem Gesetz festgelegt worden wäre, dass sich die Menschen die Zeit aussuchen können, die sie als Ersatzzeit freibekommen, dann wären wir in diesem Punkt dafür.

Deshalb bringe ich nun einen Entschließungsantrag ein, damit ich Ihre Forderung hier ganz explizit festhalten kann:

Entschließungsantrag

der BundesrätInnen Reinhard Todt, Kolleginnen und Kollegen betreffend „Rechtsan­spruch für ArbeitnehmerInnen auf einseitige Festlegung des Verbrauches von Zeitgut­haben“

eingebracht im Zuge der Debatte zu Antrag 303/A

Mit der Beschlussfassung der Verlängerung der Arbeitszeit durch Schwarz/Blau wird der 12-Stunden-Tag zur Normalität und ArbeitgeberInnen dürfen einseitig die Verlänge­rung der Tagesarbeitszeit anordnen.

Der Bundesrat wolle beschließen:

„Die Bundesministerin für Arbeit, Soziales, Gesundheit und Konsumentenschutz wird aufgefordert, dem Nationalrat bis spätestens 1. November 2018 eine Regierungsvorla­ge zu übermitteln, mit der eine“ – wie auch bereits im Plan A vorgesehene – „Wahlar­beitszeit, also ein Rechtsanspruch auf einseitige Festlegung des Verbrauches von Zeit­guthaben für ArbeitnehmerInnen geschaffen wird.“

*****

Die Gründe für den Antrag habe ich in meinen Reden ausgeführt, darauf möchte ich nicht mehr näher eingehen. Da können Sie zustimmen, Herr Kollege aus Kärnten! – Danke schön. (Beifall bei der SPÖ sowie der Bundesrätin Dziedzic.)

12.54

Vizepräsident Ewald Lindinger: Der von den Bundesräten Todt, Kolleginnen und Kol­legen eingebrachte Entschließungsantrag betreffend „Rechtsanspruch für Arbeitneh­merInnen auf einseitige Festlegung des Verbrauches von Zeitguthaben“ ist genügend unterstützt und steht daher mit in Verhandlung.

Eine weitere Wortmeldung liegt vor: Es hat sich Frau Bundesministerin Dr.in Margarete Schramböck zu Wort gemeldet. Ich erteile dieses. – Bitte.