12.32

Bundesrat David Stögmüller (Grüne, Oberösterreich): Werter Herr Präsident! Sehr geehrte Frau Ministerin! Sehr geehrter Herr Minister! Werte ZuseherInnen via Live­stream! Sehr geehrte Damen und Herren! Heute ist wirklich ein Tag, an dem Sie, Frau Familienministerin, eigentlich den Zusatz „Familien“ aus dem Namen herausstreichen müssen, denn Sie agieren heute ganz bewusst gegen die Familien, gegen Menschen, die im Niedriglohnsektor und in der Pflege arbeiten. Es ist zum Schämen, was wir heu­te machen!

Die Regierung setzt auf kurzfristigen Populismus statt auf Rechtsstaatlichkeit. Sie, werte Kolleginnen und Kollegen, die Sie jetzt gleich so gejammert haben, wissen ganz genau, dass die EU-Kommission bereits mehrmals ganz deutlich klargestellt hat, dass die Indexierung der Familienbeihilfe nach den Plänen dieser Regierung das EU-Recht verletzt. Sie wissen, dass wir ein Vertragsverletzungsverfahren nicht nur riskieren, son­dern bekommen werden. Das wissen Sie ganz genau, und das haben wir auch im Aus­schuss gehört. Sie wissen, dass das kommen wird.

Die Rechtsstaatlichkeit und die EU sind Ihnen komplett egal. Es ist eine Schande, dass die schwarz-blaue Regierung dieses rechtswidrige Vorhaben genau während des Rats­vorsitzes umsetzt. Es zeigt auch, wie antieuropäisch diese Regierung in diesem Fall handelt. Es kommt Ihnen sehr wahrscheinlich nicht einmal ganz ungelegen, dass Se­bastian Kurz mit diesem Vorhaben ein Vertragsverletzungsverfahren gegen Österreich riskiert, weil Sie dann diese Bundesregierung als angebliches Opfer der Europäischen Union, der EU, inszenieren können. Das kommt Ihnen nicht ungelegen. – Das Ganze ist zum Schämen!

Man muss sich einmal überlegen, worüber wir überhaupt diskutieren. Jeder und jede hier im Plenarsaal kennt die angespannte Situation in der Pflege älterer Menschen. Die Pflegeheime sind voll. Es gibt zu wenige Fachkräfte und schon seit geraumer Zeit ei­nen Ansturm auf die 24-Stunden-Pflege. (Ruf bei der ÖVP: Betreuung!) – Oder Betreu­ung, ja, wenn wir ganz korrekt sind.

Jetzt wäre es eigentlich super, wenn sich die Regierung dazu einmal die Qualitätskri­terien, die Ausbildungsqualität, die Scheinselbstständigkeit, die Arbeitsbedingungen und die Entlohnung für diese 24-Stunden-Betreuungshilfen genau anschauen und end­lich Maßnahmen, wie wir Grüne sie schon lange fordern und es, seit die Problematik aufgekommen ist, auch immer wieder mit Entschließungsanträgen versuchen, setzen würde.

Aber nein, das tut die Regierung nicht, sondern sie verschärft massiv die Situation für die Menschen, die Pflege brauchen und gerne die letzten Jahre zu Hause, dort, wo sie sich wohlfühlen und die Umgebung kennen, verbringen möchten.

Durch die Indexierung der Familienbeihilfe wird sich die Situation nicht entspannen, im Gegenteil. Vier Fünftel der 45 000 Betreuungsfälle – vier Fünftel! – werden durch 24-Stunden-Betreuungskräfte aus Rumänien und der Slowakei betreut, und nur 96 Menschen von Pflegerinnen und Pflegern aus Österreich. Ich möchte auch nicht den Teufel an die Wand malen. Es wird jetzt nicht der gesamte Pflegebereich zusam­menbrechen; das glaube ich trotzdem nach wie vor nicht, nein. Dennoch: Ein Drittel der knapp 87 000 nicht-österreichischen 24-Stunden-BetreuerInnen, die unsere älteste Ge­neration pflegen, haben Kinder, ein Drittel, und das sind dann 29 000 Menschen, die mit weniger Geld nach Hause gehen.

Werte Kolleginnen und Kollegen, Sie wissen auch, unter welchen Arbeitsbedingungen diese Menschen arbeiten und wie viel sie für ihre Arbeit bekommen. Das ist ein Nied­riglohnsektor, darüber brauchen wir nicht zu diskutieren. Ihnen neidet man jetzt ir­gendwie auch noch das bisschen moralischen Anstand gegenüber ihren Kindern, die zu Hause sind und zwei Wochen auf ihre Mutter verzichten müssen, nämlich auch noch das letzte Geld. Das ist für mich moralisch nicht vertretbar. Das ist peinlich und verwerflich. Wofür machen wir das Ganze? – Für rechtswidrigen Populismus auf den Schultern von Menschen, die sich nicht wehren können.

Österreich wird verklagt werden, weil es gegen geltendes EU-Recht verstößt. Das ist Faktum. Sie riskieren nicht nur ein Vertragsverletzungsverfahren gegen Österreich, Frau Ministerin, sondern es besteht auch die Gefahr, dass die Mehrheit der TrägerIn­nen der 24-Stunden-Pflege oder -Betreuung vergrault wird und ins Ausland, zum Bei­spiel nach Deutschland, gehen wird, und das ist ein schwerer Fehler zum Nachteil für die pflegenden Angehörigen, die noch mehr belastet werden, und auch für die Bundes­länder, die dann finanziell noch mehr belastet werden und die Herausforderungen zu tragen haben.

Auch das Einsparungspotenzial, auf das Sie ja so pochen, ist zu hinterfragen, Frau Mi­nisterin, das wissen Sie doch. Im Ministerialentwurf, der vorgelegt worden ist, war noch die Einsparung bei den Auslandsbeamten beinhaltet. Ihre Beamten haben dazu in den Erläuterungen für die Sinnhaftigkeit der Streichung für die Auslandsbeamten geworben und darauf hingewiesen, wie wichtig das auch im Hinblick auf den Gleichbehand­lungsgrundsatz wäre. Man hat im Ministerium nicht versucht, mit allen Mitteln jede Ungleichbehandlung auszuschöpfen, immer mit dem Auge auf das Vertragsverlet­zungsverfahren, das wissen Sie ganz genau, aber natürlich wurde es auf Druck an­derer Ministerien gestrichen. Nicht dass ich den Auslandsbeamten irgendetwas nicht gönnen würde – wir können gerne ein anderes Mal diskutieren, was sie bekommen und so weiter und so fort –, aber es entsteht eine massive Ungleichbehandlung.

Zum Einsparungspotenzial habe ich vor ein paar Monaten eine Anfrage an alle Minis­terien gestartet und abgefragt, wie viel Geld diese Auslandsbeamten überhaupt für ihre 1 073 Kinder bekommen. Mit Geld meine ich die Kostenerstattung beziehungsweise die Sonderleistungen für Auslandsbedienstete, die im dienstrechtlichen Zusammen­hang mit der Familienbeihilfe stehen und hätten gestrichen werden sollen. Es waren im Jahr 2017 knapp 31,6 Millionen Euro.

Das heißt, wenn man den Ministerialentwurf ernst genommen hätte, wären 31,6 Millio­nen Euro nicht mehr ausbezahlt worden. Das hat man jetzt gestrichen. Das heißt, das Einsparungspotenzial ist jetzt gegenüber jenem aus der Kostenabschätzung viel ge­ringer. Das heißt, 31,6 Millionen für die Auslandsbeamten – das wäre ein Drittel des Einsparungspotenzials – werden nicht gestrichen, aber sehr wohl das Geld für die Pfle­gerInnen. Das zeigt das soziale Gewissen dieser Bundesregierung, das ist die Fair­ness, von der wir immer wieder hören. – Ja, das ist es.

Das bringt mich noch zum letzten Punkt, zur Änderung des Familienlastenausgleichs­gesetzes. Es wurde schon darauf hingewiesen, dass es aufgrund einer Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes zu einer Problematik für Menschen mit Beeinträchtigung kommt beziehungsweise gekommen ist. Das ist der nächste Punkt.

Dazu hat es einen Initiativantrag im Nationalrat gegeben, der sehr plötzlich eingebracht wurde. Und da ich nicht nur schimpfen möchte, sage ich – das wissen vielleicht auch die Kollegen – auch etwas Positives, wenn es etwas Positives gibt; daher tue ich das auch nun gerne: Man hat hier doch relativ rasch gehandelt, wozu es aber massiven Druck vonseiten der Behindertenverbände und -organisationen gebraucht hat, damit ei­ne Lösung gefunden wurde, die nun auch gemacht wurde.

Leider viel zu spät sind die Behindertenorganisationen eingebunden worden, was von ihnen, glaube ich, immer wieder bekrittelt wurde. Es hat einen Round Table gegeben, das werden Sie sicher dann auch noch erzählen, dennoch hat eine größere Einbe­ziehung und Einbindung der wichtigen Behindertenorganisation gefehlt, was zu mas­siver Verunsicherung in den ExpertInnenkreisen geführt hat. So haben zum Beispiel der Österreichische Behindertenrat, die Lebenshilfe, die Ombudsstelle für Menschen mit Behinderung, die Behindertenanwaltschaft, Bizeps und so weiter uns Abgeordne­te – Sie werden das sicher ebenso erhalten haben – gewarnt, diesen Entschließungs­antrag ohne weitere Beratung und Abklärung, was es eigentlich bedeutet, wenn er in Kraft tritt, zu unterschreiben oder zu unterstützen.

Die Behindertenorganisationen warnen vor weiteren Streichungen der erhöhten Fami­lienbeihilfe. Die Message Control der Bundesregierung wird uns nachher wieder erzäh­len, es sei keine Verschlechterung, sondern – ganz im Gegenteil – eine Besserstel­lung. Das werden wir dann hören.

Was trotzdem aufseiten der ExpertInnen und Betroffenen übrig bleibt, sind massive Unsicherheit, massive Unsicherheit der Betroffenen – das ist klar –, sowie das Nicht­einbeziehen von Behindertenorganisationen und das Vergraulen dieser Behindertenor­ganisationen und -expertInnen.

Wenn es auch heute einen Entschließungsantrag gibt, auf den ich mich nun beziehe und den wir natürlich unterstützen werden, in welchem das sogenannte Monitoring an­gesprochen ist, möchte ich doch pragmatisch an Sie appellieren, Frau Ministerin: Neh­men Sie das Wort Monitoring wirklich ernst! Es soll keine Evaluierung sein, wie wir sie kennen, es soll nicht ein Jahr lang gewartet werden, bis wir, die Behindertenorganisa­tionen und das Parlament, Zahlen vorgelegt bekommen.

Nehmen Sie das Wort Monitoring wirklich ernst! Es bedeutet laufende Kontrolle der Umsetzung und Transparenz auch gegenüber dem Parlament. So steht es auch im Entschließungsantrag und das ist mir ganz wichtig, um die Zahlen vorliegen zu haben und entsprechend eingreifen zu können, wenn es Probleme gibt. Ich glaube, dies wäre auch für die Behindertenorganisationen und die Menschen, die es betrifft, sinnvoll, denn wie so oft geht es um Menschen, die oftmals keine Möglichkeit haben, sich zu wehren. Für sie werden wir uns auch weiterhin, auch hier im Bundesrat, einsetzen. – Vielen Dank. (Beifall bei der SPÖ.)

12.42

Vizepräsident Ewald Lindinger: Ich begrüße Herrn Bundesminister Ing. Norbert Ho­fer. – Herzlich willkommen! (Allgemeiner Beifall.)

Zu Wort gemeldet ist Frau Bundesrätin Marlies Steiner-Wieser. Ich erteile ihr dieses.