Bundesrat Christoph Steiner (FPÖ, Tirol): Herr Minister, mittlerweile ist das Thema Schulen ja in aller Munde, und es wurde zu Recht auch gestern im Ö1-„Morgenjournal“ darüber debattiert, dass es für Kinder in der psychiatrischen Einrichtung des AKH in Wien schon keinen Platz mehr zur stationären Aufnahme - -

Vizepräsidentin Doris Hahn, MEd MA: Bitte kommen Sie zur Frage, Herr Bundesrat!

Bundesrat Christoph Steiner (fortsetzend): Ich komme zur Frage, Herr Minister:

1919/M-BR/2021

„Der allgemeine Lockdown soll am 8. Februar plangemäß beendet werden, weshalb aber wurde die bundesweite Corona-Rot-Ampel für Schulen bis 26. März verordnet, ob­wohl doch bereits schon heute die Inzidenz in einzelnen Regionen weit unter 100 liegt?“

Vizepräsidentin Doris Hahn, MEd MA: Bitte, Herr Bundesminister.

Bundesminister für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz Rudolf Anschober: Herr Abgeordneter, danke für diese Frage, danke auch für die kurze Wer­beeinschaltung für das Ö1-„Morgenjournal“! Ich finde, sie war sehr berechtigt.

Was aber Ihre konkrete Frage betrifft: Ohne in die Zuständigkeiten des Bundesministe­riums für Bildung, Wissenschaft und Forschung einzugreifen, kann die Frage dahin gehend beantwortet werden, dass zwar Inzidenzen ein wichtiger Parameter für die Be­urteilung der Lage sind, für uns aber grundsätzlich immer das gesamte Lagebild – also eine Gesamtbewertung – das Entscheidende ist. Für eine Beurteilung und Entschei­dungsfindung sind Projektionen sowie Modellrechnungen bezüglich der zukünftigen Ent­wicklungen heranzuziehen. Die Entwicklung der verschiedenen Mutationen des Erregers und insbesondere auch die Verhinderung der Ausbreitung dieser Mutationen sind dabei im Detail zu berücksichtigen, und genau daran arbeiten wir in einer guten Kooperation mit dem Bildungsministerium.

Vizepräsidentin Doris Hahn, MEd MA: Wird eine Zusatzfrage gewünscht?

Bundesrat Christoph Steiner (FPÖ, Tirol): Ich glaube nicht, dass das eine Werbeein­schaltung für das Ö1-„Morgenjournal“ war, sondern dass es ein wichtiges Thema ist, wenn Krankenhäuser und psychiatrische Einrichtungen überfüllt sind. (Zwischenrufe bei der SPÖ.)

Auf Basis welcher Zahlen, Herr Minister, beziehungsweise auf welcher Datenbasis wird eine Öffnung unserer Schulen für Sie und auch für den Kanzler und den Bildungsminister infrage kommen?

Vizepräsidentin Doris Hahn, MEd MA: Bitte, Herr Bundesminister.

Bundesminister für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz Rudolf Anschober: Danke, Herr Bundesrat, auch für diese Frage! Auf welcher Basis entschei­den wir? – Wir machen in dieser Woche eine sehr umfassende Analyse, Sie haben es vielleicht gehört: Am Montag haben wir ein breites, intensives Treffen mit unterschied­lichsten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern abgehalten, die uns eine Detailana­lyse über die aktuelle Infektionslage in Österreich dargelegt haben.

Wir haben, zweitens, am selben Tag eine eigene Runde mit den WissenschaftlerInnen und auch mit den Landeshauptleuten abgehalten. Ich finde das deswegen wichtig, weil es ja um gemeinsam zu tragendende Maßnahmen geht. Es ist unser Ziel, dabei einen breit abgesicherten Entscheidungsprozess zu verwirklichen.

Wir haben dann, drittens, am Montag bereits eine erste Runde mit den Wissenschaft­lerinnen und Wissenschaftlern und den Oppositionsparteien abgehalten. Ich glaube, auch das sollte in Zeiten der Krise eine Kultur sein, die wir uns bewahren sollten: dieses gemeinsame Gespräch, dieses gemeinsame Finden von Entscheidungen, so schwierig es in dieser Situation auch sein mag.

Wir haben das im Lauf dieser Woche fortgesetzt, deswegen habe ich bereits am Diens­tag eine entsprechende Sitzung meines ExpertInnenberaterstabs gehabt, in der es ebenfalls um diese Fragen gegangen ist. Wir haben heute Nachmittag die Sitzung der Coronakommission ebenfalls zu diesem Thema, und es gibt laufend – zum Beispiel heute Früh – Detailrunden mit Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern, die uns zur Bewertung der Lage ihre Analyse vorlegen. Das ist wichtig, damit man einen fachlich profund fundierten Entscheidungsprozess verwirklichen kann.

Nach welchen Kriterien erfolgen die Entscheidungen? (Bundesrat Steiner: Zahlen!) – Ich habe es bereits bei der Beantwortung der ersten Frage gesagt: Es ist immer ein Gesamtbild, das sich im Wesentlichen erstens auf Basis der Tageswerte der entspre­chenden Neuinfektionen findet und daraus zusammensetzt. Unser Ziel ist es, dass wir unter den Wert 1 000 kommen. Sie wissen, wir sind in den vergangenen Tagen bei rund 1 300, 1 400, 1 500 gewesen.

Zweitens wollen wir mit dem sogenannten effektiven Reproduktionsfaktor, der entschei­dend dafür ist, dass wir wissen, wie hoch das Ansteckungsrisiko in der Gesellschaft ist, noch deutlich runterkommen. Wir müssen deutlich unter 1 bleiben, was wir im Übrigen seit mehreren Wochen sind. Wir sind heute bei 0,9. Das ist noch nicht der Wert, den ich anstrebe – 0,8 wäre unser Zielwert –, aber zumindest die Richtung stimmt.

Der dritte Indikatorwert für uns ist die Situation der Belegung der Intensivstationen. Das ist deswegen wichtig, weil es ja um den Erhalt der Handlungsfähigkeit geht, um das Vermeiden von entsprechend schwierigen Prozessen, dass zum Beispiel lebensgefähr­lich verletzte Menschen keine Behandlung in einer Intensivstation mehr erhalten könn­ten, wenn zu viele Covid-PatientInnen in Intensivabteilungen liegen. Wir hatten Mitte No­vember bereits über 700 schwer erkrankte Covid-PatientInnen auf unseren Intensivsta­tionen und konnten diese Zahl auf mittlerweile rund 300 absenken. Das heißt, auch da stimmt der Kurs grundsätzlich, von der Stoßrichtung her gesehen.

Der vierte Bereich – ganz entscheidend – ist natürlich die Frage der Todesfälle, die es in Österreich gibt. Diese Zahl war im November, Dezember sehr hoch – das muss man wirklich sehr, sehr selbstkritisch sagen –, nämlich bei rund 100 Todesfällen pro Tag. Das ist viel zu hoch. Jeder einzelne ist zu viel. In Zeiten der Pandemie aber können wir welt­weit nicht hundertprozentig vermeiden, dass es zu entsprechenden Situationen kommt. Ich bin sehr froh darüber, dass es jetzt im Schnitt 50 Todesfälle sind, das heißt, wir haben eine Halbierung geschafft.

Das sind die Indikatoren, aus denen sich die Entscheidung strukturieren und zusammen­setzen wird.

Der letzte Punkt – Sie kennen es, Sie wissen es –: Wir haben Mutationen, die ent­sprechend riskanter sind, die eine höhere Ansteckungsintensität haben, etwa die Muta­tion B.1.1.7, im öffentlichen Wortgebrauch auch als das britische Virus bekannt. Groß­britannien kann nichts für diese Bezeichnung, die Mutation ist nur dort zuerst gefunden worden, deswegen diese Bezeichnung.

Die Frage, wie schnell sich dieses Virus im Vergleich zum Stammvirus durchsetzt, ist ebenfalls eine entscheidende Frage. Wie schauen die Trends aus? Wie dynamisch ist dieser Zuwachs? – Ich kann Ihnen zum Schluss dieser Beantwortung ein Beispiel nen­nen. Ich habe vorgestern Gespräche mit Vertretern aus Israel geführt, die mir Folgendes erzählt haben: In Israel hatten sie Anfang Jänner keinen einzigen bestätigten Muta­tionsfall, und mittlerweile liegt der Anteil in Israel bei 45 Prozent. Das heißt, wenn die Verbreitung dieser Mutation wirklich zugelassen wird, kommt es zu einem sehr, sehr dynamischen Prozess.

Ich hoffe, ich habe das jetzt umfassend und ausführlich beantwortet. (Zwischenruf des Bundesrates Steiner.)

Vizepräsidentin Doris Hahn, MEd MA: Zu einer Zusatzfrage hat sich Herr Bundesrat Dr. Karlheinz Kornhäusl zu Wort gemeldet. – Bitte schön.

Bundesrat Dr. Karlheinz Kornhäusl (ÖVP, Steiermark): Sehr geehrter Herr Bundes­minister, Sie haben das Wesentliche meiner Zusatzfrage eigentlich schon vorwegge­nommen, nämlich die Frage nach neuen Erkenntnissen hinsichtlich der Mutationen aus Großbritannien, Südafrika und Brasilien. Ich denke, der Herr Bundesminister hat dazu schon alles Wesentliche, was es zu sagen gibt, gesagt.

Vizepräsidentin Doris Hahn, MEd MA: Bitte, Herr Bundesminister.

Bundesminister für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz Rudolf Anschober: Sehr geehrter Herr Bundesrat, ich werde es kurz zusammenfassen und zusätzlich noch zwei Punkte anfügen. Was haben wir im Augenblick an wesentlichen Erkenntnissen? – Das erhöhte Ansteckungsrisiko habe ich bereits genannt. Wichtig ist für uns die Frage, ob tatsächlich alle Impfungen auch bei dieser Mutation wirken. Her­steller der MRNA-Impfstoffe prüfen trotzdem bereits Anpassungen, und ob es Weiterent­wicklungen der Impfstoffe braucht.

Wichtig ist, dass wir bisher keinen Unterschied in Altersverteilung und Krankheitsschwe­re feststellen konnten. In Österreich sehen wir eine punktuell sehr, sehr unterschiedliche Entwicklung, was die Ausbreitung, was die Dynamik betrifft. Das wäre im Wesentlichen der aktuelle Wissensstand dazu.

Vizepräsidentin Doris Hahn, MEd MA: Zu einer weiteren Zusatzfrage hat sich Frau Bundesrätin Andrea Kahofer zu Wort gemeldet. – Bitte, Frau Bundesrätin.

Bundesrätin Andrea Kahofer (SPÖ, Niederösterreich): Damit wir den Schulbetrieb unter all diesen Voraussetzung endlich wieder aufnehmen können, wird es ja – unum­stritten – von großer Bedeutung sein, dass Schülerinnen, Schüler und Lehrkräfte regel­mäßig, laufend getestet werden.

Wann, Herr Bundesminister, werden dazu endlich die Antigentests zur Eigenanwen­dung – die ja gerade für diese Gruppe sehr wichtig wären –, aber auch die Wohnzimmer­tests, auf die die Bevölkerung wartet, zugelassen? – Danke.

Vizepräsidentin Doris Hahn, MEd MA: Bitte Herr Bundesminister.

Bundesminister für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz Rudolf Anschober: Geschätzte Frau Bundesrätin, ich kann zu 100 Prozent bestätigen, dass die Testungen im Bereich der Schulen ein ganz zentraler, entscheidender Schutzfaktor sein werden – je kontinuierlicher, desto besser. Ich weiß, dass auch der Bildungsminister sehr intensiv daran arbeitet. Das ist aber natürlich immer von der Genehmigungssitua­tion der entsprechenden Tests abhängig. Die Tests funktionieren, ich habe das an mir selbst schon mehrfach probiert. – Sie auch, sehe ich an Ihrer Gestik. Deshalb glaube ich, dass wir sehr zeitnah große Schritte in die richtige Richtung machen können.

Der Selbsttest wird grundsätzlich nicht den bisherigen Antigentest und den PCR-Test ersetzen können, aber er wird eine wichtige Ergänzung sein, vor allem auch im schuli­schen Bereich, wo es doch auch um Empfindsamkeiten, um Sensibilitäten geht. Bei Kindern ist das Testen mit der herkömmlichen Methode manchmal einfach ein bisschen schwierig umzusetzen, und es sind bestimmte Aversionen entstanden. Mit dem Selbst­schnelltest können wir – wie der Name schon sagt – schneller sein. Dieser kann auch zu Hause durchgeführt werden. Das heißt, das ist eine angenehmere, barrierefreie Zu­gangsmöglichkeit, von der sich das Bildungsministerium – wie ich meine, zu Recht – viel verspricht.

Vizepräsidentin Doris Hahn, MEd MA: Zu einer weiteren Zusatzfrage hat sich Herr Bundesrat Andreas Lackner zu Wort gemeldet. – Bitte schön.

Bundesrat Andreas Lackner (Grüne, Steiermark): Sehr geehrter Herr Minister, welche wissenschaftlichen Überlegungen und Erkenntnisse sind in die Entscheidungen für den Lockdown miteingeflossen?

Vizepräsidentin Doris Hahn, MEd MA: Herr Bundesminister, bitte.

Bundesminister für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz Rudolf Anschober: Danke, Herr Bundesrat, für diese Schlüsselfrage! Wir haben ja, wie Sie wissen, grundsätzlich das Instrument der Berichtspflicht und der Genehmigungspflicht im Hauptausschuss des Nationalrates im entsprechenden COVID-19-Maßnahmenge­setz verankert. Das ist deswegen wichtig, weil damit zumindest alle zehn Tage erstens parlamentarische Transparenz vorhanden ist und zweitens auch eine wissenschaftlich basierte Begründungsnotwendigkeit für uns gegeben ist.

Wir legen diesen Bericht natürlich bei jeder Hauptausschusssitzung mit dem entspre­chenden Antrag beziehungsweise Verlängerungsantrag dem Nationalrat vor. Wir kön­nen das bei Gelegenheit gerne auch dem Bundesrat einmal im Detail übermitteln. Da gibt es eine akribische Darstellung, was die wissenschaftlichen Hintergründe sind.

Im Wesentlichen sind es einerseits die bereits genannten Faktoren, nämlich der tägliche Neuinfektionswert, die Siebentageinzidenz, der Reproduktionsfaktor – wie bereits ge­nannt – und vor allem auch die Frage der Belastung und der Handlungsmöglichkeiten unserer Spitäler mit dem Ziel, notwendige Triagen auf jeden Fall zu 100 Prozent zu ver­meiden.

Vizepräsidentin Doris Hahn, MEd MA: Ich darf Sie darauf hinweisen, dass zur Be­antwortung der Anfragen noch 60 Minuten zur Verfügung stehen. In diesem Zusammen­hang hat sich Frau Fraktionsvorsitzende Bundesrätin Korinna Schumann zur Geschäfts­ordnung gemeldet. – Bitte schön.

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