Nationalrat, XX.GP Stenographisches Protokoll 35. Sitzung / Seite 122

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Eine zweite Frage ist dringend und braucht eine Antwort. Sie haben schon bei dem EU-Beitritt keine klaren Angaben darüber gemacht, wieviel dieser Beitritt Österreich kosten wird. Sie haben weitaus niedrigere Zahlen angegeben. Sie haben beschwichtigt, Sie haben beschönigt. Sie haben Kritiker und Kritikerinnen, die das in den Medien aufgezeigt haben, durch beauftragte sogenannte Wissenschafter ziemlich verreißen lassen. Sie haben überall dort diskreditiert, wo es darum ging, zu versuchen, der Wahrheit, welche Kosten damit verbunden sind, ein Stück näher zu kommen.

Wir denken, daß die österreichische Bevölkerung ein Recht darauf hat, zu wissen, wieviel es Österreich kostet, wenn wir uns an einem kooperativen Sicherheitssystem beteiligen, wie immer dieses Sicherheitssystem ausschaut und heißt. Aber eines soll klar sein: Dieses Sicherheitssystem kann und soll kein reines Verteidigungsbündnis sein. Dieses Sicherheitssystem soll keine neuen Grenzen in Europa schaffen, wo sie gerade überwunden sind und überwunden waren. Dieses Sicherheitssystem kann auch nicht vor den russischen Grenzen haltmachen, sondern ein europäisches kooperatives Sicherheitssystem muß jedenfalls auch Rußland und die anderen GUS-Länder mit einbeziehen, wie immer dieses System ausschaut. Ich denke mir, es wäre Zeit, darüber zu diskutieren und eine Debatte im Haus durchzuführen. Wo wollen Sie denn diese Entscheidung tatsächlich fällen?

Die Befürchtung, die nicht nur wir haben, die sehr viele haben, ist, daß diese Entscheidungen nicht im Parlament getroffen werden, daß Sie diese Entscheidungen in Gremien verlagern, wo es die Mitsprache der Parlamentarier und Parlamentarierinnen nicht gibt und noch weniger die Mitsprache der Bevölkerung, wiewohl sie notwendig und dringend erforderlich ist. (Beifall bei den Grünen.)

Herr Bundeskanzler! Daher sind Sie aufgerufen, jetzt und heute und nicht im Herbst und nicht drei Tage vor den Wahlen und nicht drei Tage nach den Wahlen Antwort darauf zu geben: Wird es eine Volksabstimmung geben, wenn Österreich den Boden der Neutralität verläßt? Wieviel kostet die Beteiligung Österreichs an einem gemeinsamen Außen- und Sicherheitsmodell, und wie wird dieses von Ihnen in Brüssel mit getragen und mit entschieden werden? – Danke. (Anhaltender Beifall bei den Grünen.)

16.40

Präsident Dr. Heinz Fischer: Zur Beantwortung der dringlichen Anfrage gelangt der Herr Bundeskanzler zu Wort. – Bitte, Herr Bundeskanzler.

16.40

Bundeskanzler Dkfm. Dr. Franz Vranitzky: Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Auch wenn Sie, Frau Abgeordnete, an meiner Aussage Anstoß nehmen, muß ich sie doch wiederholen: Wir sind wirklich seit 1989 mit vollkommen neuen geopolitischen Rahmenbedingungen konfrontiert, und vor diesem Hintergrund muß Österreich seine sicherheitspolitische Ausrichtung laufend weiterentwickeln. Aber nicht nur Österreich, sondern auch die Europäische Union hat sich diesen neuen Herausforderungen im Rahmen der Regierungskonferenz zu stellen.

Österreich nimmt die Gelegenheit wahr, nunmehr als Mitglied der Europäischen Union die sich entwickelnde europäische Sicherheitsarchitektur mitzugestalten. Im Sinne unseres – wie in unserem Grundsatzpapier der österreichischen Bundesregierung für die Regierungskonferenz dargestellt – umfassenden Sicherheitsbegriffs war zunächst einmal unser EU-Beitritt selber die wichtigste Voraussetzung für die Sicherheit Österreichs in Europa. Ansonsten könnten wir an keinen dieser Mechanismen gleichberechtigt mitwirken. Deshalb ist auch die Erweiterung der Europäischen Union, etwa um die Viségrad-Staaten und Slowenien und in einem späteren Zeitpunkt auch um andere oder um die baltischen Staaten, ebenfalls eine Investition in die Sicherheit Europas, daher auch in unsere.

Ein solcher umfassender Sicherheitsbegriff – ich betone das immer wieder – beinhaltet wesentlich mehr als die traditionelle militärische Sicherheit. Das Bedürfnis der Österreicher nach Sicherheit – ich glaube, das kann man ruhig sagen – wird kaum durch eine militärische Bedrohung bestimmt. Es sind andere Faktoren, denen wir unsere Aufmerksamkeit ebenso stark widmen müssen wie der Union selbst.


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